Baurecht

Antrag auf Abänderung einer Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO, Anordnung des Sofortvollzugs, Baueinstellung, Zwangsgeldandrohung

Aktenzeichen  M 1 S7 21.805

Datum:
10.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16372
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 7
BayBO Art. 75 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Abänderung des Beschlusses vom 17. August 2020 im Verfahren M 1 S 20.2875 betreffend eine für sofort vollziehbar erklärte Baueinstellungsanordnung sowie eine Zwangsgeldandrohung.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 2130/4 Gemarkung …
Für dieses Grundstück bestehen eine Baugenehmigung vom 25. Juni 1956 für den Neubau eines Kleinviehstalles für Schweine, eine Baugenehmigung vom 11. Juni 1957 für die Errichtung eines Wochenendhauses ohne Feuerstätte sowie eine Baugenehmigung vom 27. April 1959 zum Anbau einer Kleintierstallung.
Anlässlich einer Baukontrolle am 18. Mai 2020 wurde ausweislich der vorgelegten Akten der Antragsgegnerin festgestellt, dass an dem bestehenden Gebäude umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen worden seien. Nach dem sich in den Akten befindlichen Protokoll der Baukontrolleure sei die Dacheindeckung entfernt und einzelne Sparren des Dachstuhls erneuert worden. Im Osten sei das Dach des Anbaus über das ganze Gebäude verlängert worden. Im Gebäude selbst sei eine Mittelmauer abgebrochen und versetzt wiedererrichtet worden. An den Außenwänden hätten sich dadurch schon größere Risse gebildet. Die Bauarbeiten seien sodann mündlich eingestellt worden.
Unter dem 19. Mai 2020 beantragte der Antragsteller die Erteilung einer Baugenehmigung „für den Anbau eines Wintergartens und eines Windfangs an das Wohnhaus sowie eines Gartenhauses an die Garage“. Der Anbau soll ausweislich der Bauantragsunterlagen eine Grundfläche von 20,70 m² aufweisen. Ferner geht aus der Baubeschreibung zum Bauantrag hervor, dass eine Sanierung des bestehenden Baukörpers mit einer Grundfläche von 88,90 m² erfolgen soll.
Mit Bescheid vom 20. Mai 2020, zugestellt am 28. Mai 2020, verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, die Bauarbeiten zum Umbau des genehmigten Wochenendhauses mit Kleintierstallung auf dem streitgegenständlichen Grundstück ab sofort einzustellen (Nr. 1). Ferner wurde der Antragsteller verpflichtet, für das genannte Bauvorhaben innerhalb von vier Wochen nach Unanfechtbarkeit dieser Anordnung einen Bauantrag nach der tatsächlichen Bauausführung bei der Antragsgegnerin einzureichen (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Nr. 1 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 Euro und hinsichtlich der Nummer 2 ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR angedroht (Nr. 3). Hinsichtlich Nr. 1 des Bescheides wurde der Sofortvollzug angeordnet (Nr. 4).
Im Bescheid wird unter anderem ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung stütze sich auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Die Baueinstellung diene dem öffentlichen Interesse. Ein sofortiges Einschreiten sei erforderlich, um rechtmäßige Zustände herzustellen. Ein Hinauszögern würde vollendete Tatsachen schaffen und einen Anreiz für andere darstellen, gleichermaßen rechtswidrig zu verfahren. Den Vorschriften des Baurechts, dessen Zielsetzung sinnvoll und notwendig sei, müsse sofort Geltung verschafft werden. Weitere Verstöße gegen das Baurecht müssten im Interesse der Stärkung der Baumoral verhindert werden.
Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2020, eingegangen beim Verwaltungsgericht München am 16. Juni 2020, erhob der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage (M 1 K 20.2639) gegen den Bescheid vom 20. Mai 2020. Zudem beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes (M 1 S 20.2875), die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 20. Mai 2020 hinsichtlich Ziffer 1 wiederherzustellen, hinsichtlich Ziffer 3 bezogen auf die Bescheidsziffer 1 anzuordnen.
Mit Beschluss vom 17. August 2020 wurde der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt (M 1 S 20.2875).
Die hiergegen eingereichte Beschwerde wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 zurückgewiesen (1 CS 20.1979).
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2021 hat der Antragsteller vertreten durch seinen Bevollmächtigten beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 17.08.2020 in Gestalt des Beschlusses des BayVGH vom 29.10.2020 die aufschiebende Wirkung der eingereichten Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Stadt Freising vom 20.05.2020 hinsichtlich Ziffer 1 wiederherzustellen, hinsichtlich Ziffer 3 anzuordnen.
Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass veränderte Umstände vorlägen. Es sei eine verfahrensfreie Instandsetzung gegeben. Die Kosten der Baumaßnahme lägen deutlich unter denen einer Neuerrichtung. Die Gesamtkosten der Baumaßnahme würden sich nach einer Kostenschätzung auf 130.000 EUR belaufen. In diesen Kosten enthalten seien 28.500 EUR Entsorgungskosten und 13.000 EUR für Gartenbau, Außenanlagen enthalten, so dass die Instandsetzung mit knapp 90.000,- EUR deutlich unter 50 % der voraussichtlichen Neubaukosten liegen würden. Statische Auswirkungen auf die Dachkonstruktion lägen nicht vor. Es sei durch den Dipl.-Ing. F. erneut bestätigt worden, dass die durchgeführten Maßnahmen, wie Ausbau der Bodenbeläge, Fenster und Türen, Abnehmen der Dachdeckung und die Aufdachdämmung zweifelsfrei zum Unterhalt des Gebäudes gehören würden. Ein Eingriff in die Konstruktion sei hiermit nicht verbunden. Insbesondere seien nur zwei Dachsparren sowie zwei Sparren am Schleppdach betroffen. Auch die von der Antragsgegnerin behauptete tragende Wand sei nicht als tragend einzustufen, da diese bis zum Jahr 1959 Windlasten aufzunehmen hatte, welche jedoch sodann weggefallen seien. Nunmehr müsse die Wand nur ihr eigenes Gewicht tragen. Die Instandsetzungsarbeiten seien somit ausschließlich verfahrensfrei. Die Maßnahmen würden auch nicht auf die Schaffung einer nicht genehmigten Wohnnutzung abzielen. Mit Bescheid vom 27. April 1959 sei die tatsächlich vorliegende Nutzung als Wohnhaus jedenfalls genehmigt worden. So habe auch die ehemalige Eigentümerin in einem Schreiben vom 1. Dezember 2020 ausgeführt, dass nach eigener Erinnerung zum Zeitpunkt der Erstellung des Bauplanes vom 20. Februar 1959 eine dauerhafte Wohnnutzung stattgefunden habe. Darüber hinaus genieße das Vorhaben Bestandsschutz. Zum Zeitpunkt der Errichtung der Anlagen sei das Baugesetzbuch noch nicht in Kraft gewesen. Nach § 3 der damals geltenden Verordnung über die Regelung der Bebauung vom 15. Februar 1936 sei das Vorhaben materiell legal gewesen.
Die Antragsgegnerin beantragt, 
den Antrag abzulehnen.  
Begründet wird dies im Wesentlichen damit, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die beantragte Änderung der getroffenen Eilentscheidung nicht bestünden. Veränderte oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden des Antragstellers geltend gemachte Umstände lägen nicht vor. Weder die Ausführungen zur Kostenschätzung, die auf eigene Erhebungen des Antragstellers zurückzuführen seien, noch diejenigen zur tragenden Funktion der versetzten Wand würden die Bewertung der bereits ausgeführten und noch beabsichtigten Baumaßnahmen ändern. Es seien eine Vielzahl von baulichen Maßnahmen durchgeführt worden, um das Gebäude für eine dauerhafte Wohnnutzung vorzubereiten. Der jetzige Sachvortrag sei eine Wiederholung von bereits bekannten Umständen. Ferner sei ein Wohngebäude zum Dauerwohnen nie genehmigt worden.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und in den Verfahren M 1 K 20.2639 und M 1 S 20.2875 sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse über Anträge auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs jederzeit ändern oder aufheben; jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO). Ein Anspruch auf Abänderung einer getroffenen Entscheidung im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist dann gegeben, wenn sich nach der gerichtlichen Entscheidung im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO eine Veränderung der für die Entscheidung maßgeblichen Sach- oder Rechtslage ergeben hat und sich aus den veränderten Umständen zumindest die Möglichkeit einer Abänderung der früheren Eilentscheidung ergibt (vgl. BVerwG, B.v. 21.1.1999 – 11 VR 8.98 – NVwZ 1999, 650). Als Änderung der Umstände ist dabei jede Änderung der Gesichtspunkte zu sehen, die für die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO maßgeblich waren. § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gestattet den Beteiligten neue entscheidungserhebliche Umstände in das Verfahren einzuführen. Eine Veränderung der Umstände kann in nachträglich eingetretenen tatsächlichen Verhältnissen, in einer nachträglichen Änderung der Prozesslage oder der Rechtslage bestehen. Weitere Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO ist zum anderen, dass der unter den oben genannten Kriterien vorgetragene neue Sachverhalt eine Aufhebung des Beschlusses nach § 80 Abs. 5 VwGO rechtfertigt.
Veränderte Umstände oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Tatsachen, die zu einer Abänderung des Beschlusses vom 17. August 2020 führen würden, liegen nicht vor.
a. Soweit der Antragsteller vorträgt, es handele sich bei den getätigten Baumaßnahmen um eine verfahrensfreie Instandsetzung, wurden diesbezüglich keine veränderten oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände vorgetragen. Die vorgelegte Kostenschätzung stellt keine neue Tatsache dar, die nicht auch bereits im ursprünglichen Verfahren erstellt und vorgelegt hätte werden können. Das Gleiche gilt für die vorgelegte E-Mail des Dipl.-Ing. F. Das Gericht hat die Frage des Vorliegens von Instandsetzungsarbeiten im Verfahren M 1 S 20.2875 ausführlich geprüft. Auf die dortigen Ausführungen wird Bezug genommen (Rn. 27). Zudem hätte selbst bei Berücksichtigung der Kostenschätzung und der Ausführungen des Diplom-Ingenieurs diese keine Abänderung des Beschlusses zur Folge. Selbst wenn die Kosten für die Baumaßnahmen unter den Kosten für eine Neuerrichtung liegen, führt dies nicht dazu, dass automatisch von einer bloßen Instandsetzung auszugehen ist. Die Kosten der Baumaßnahmen zeigen nicht auf, ob es sich um eine Instandsetzung oder Änderung einer baulichen Maßnahme handelt. Eine Änderung liegt gerade nicht erst dann vor, wenn es sich um eine vollständige Neuerrichtung handelt, sondern bereits dann, wenn der Eingriff in den vorhandenen Bestand so intensiv ist, dass er die Standfestigkeit des gesamten Bauwerks berührt und eine statische Nachberechnung erforderlich macht; erst recht gilt dies, wenn die Bausubstanz ausgetauscht wird oder die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen (vgl. BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – ZfBR 2006, 160). Die Baukosten sind diesbezüglich kein ausschlaggebendes Kriterium für die Abgrenzung von baugenehmigungspflichtigen und- freien Maßnahmen.
b. Ferner wurden keine neuen Tatsachen vorgetragen, die beweisen könnten, dass eine Wohnnutzung früher bereits genehmigt worden sei. Insoweit führt auch die vorgelegte Erklärung der Voreigentümerin vom 1. Dezember 2020, die ebenfalls bereits im ursprünglichen Gerichtsverfahren vorgelegt hätte werden können, nicht zu einer anderen Bewertung. Aus dieser lässt sich nicht das Vorliegen einer früher erteilten Genehmigung einer Wohnnutzung entnehmen. Ferner weist das Gericht darauf hin, dass selbst bei Vorliegen einer genehmigten Wohnnutzung eine bauliche Änderung nur im Rahmen der Genehmigung rechtlich zulässig wäre.
c. Soweit sich der Antragsteller auf das Vorliegen passiven Bestandsschutzes beruft, weil das Vorhaben zwar nicht genehmigt, aber für einen längeren Zeitpunkt genehmigungsfähig gewesen sei, weist das Gericht wiederum darauf hin, dass selbst bei Vorliegen eines Bestandschutzes eine bauliche Änderung nur im Rahmen des Bestandsschutzes rechtlich zulässig wäre. Zudem erscheint fraglich, ob an dieser Auffassung unter Berücksichtigung der neueren Eigentumsdogmatik, der sich auch das Bundesverwaltungsgericht unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen hat, festzuhalten ist (vgl. BayVGH, U.v. 17.10.2006 – 1 B 05.1429 – BeckRS 2009, 36513).
d. Auch eine Änderung der Prozess- oder Rechtslage besteht nicht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.


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