Baurecht

Ausschlussfrist für einen Abwasserbeseitigungsbeitrag

Aktenzeichen  M 10 K 16.3777, M 10 K 16.3784

Datum:
26.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23373
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayKAG Art. 5 Abs. 6 S. 2, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b
WEG § 30 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Für eine neu hinzugekommene Vorteilslage findet ab dem neuen Vorteil die reguläre 20-jährige bzw. 25-jährige Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 lit. b BayKAG Anwendung. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wohnungs- und Teilerbbauberechtigte sind nicht als Gesamtschuldner, sondern nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig.  (Rn. 62) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren werden eingestellt, soweit sie von den Beteiligten in der Hauptsache für erledigt erklärt worden sind.
II. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger gesamtverbindlich 1/10 und der Beklagte 9/10 zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war erforderlich.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

1. Das Verfahren ist einzustellen, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, § 92 Abs. 3 VwGO.
2. Infolge des Änderungsbescheids der Beklagten vom 4. April 2018 ist nunmehr nur noch eine Beitragsforderung in Höhe von 55,88 € streitgegenständlich. Die zulässige Klage ist insoweit unbegründet.
Der angefochtene Beitragsbescheid des Beklagten vom 12. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 13. Juli 2016 und in Gestalt des Änderungsbescheids der Beklagten vom 4. April 2018 ist insoweit rechtmäßig, als zulasten der Kläger ein Betrag von 55,88 € festgesetzt wurde, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. In der genannten Höhe steht dem Beklagten eine Beitragsforderung zu.
Ein Herstellungsbeitrag für die öffentliche Entwässerungseinrichtung des Beklagten nach dem Beitragsmaßstab zulässige Geschossfläche ist erstmalig mit Inkrafttreten der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten vom 11. Dezember 2014 zum 1. Januar 2015 entstanden; frühere Beitragssatzungen mit dem Beitragsmaßstab zulässige Geschossfläche ab 1990 waren unwirksam (2.1). Die Höhe des Herstellungsbeitrags errechnet sich im vorliegenden Fall nach der tatsächlich vorhandenen Geschossfläche, da diese im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld größer ist als die für das Grundstück zulässige Geschossfläche, § 5 Abs. 2 Satz 6 BGS/EWS 2014 (2.2). Die die zulässige Geschossfläche überschießende Geschossfläche kann aber nur teilweise herangezogen werden, da entweder eine Beitragsforderung längst verjährt ist (2.3), oder aber das gesetzliche Festsetzungsverbot des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstr. 1 KAG gilt (2.4). Von der verbleibenden Forderung kann gegenüber der Klägerin ein ihrem Teilerbbaurecht entsprechender Anteil geltend gemacht werden (2.5), Verjährung ist insoweit nicht eingetreten (2.6).
2.1 Die für die streitgegenständliche Beitragserhebung erforderliche Rechtsgrundlage ist vorliegend die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung des Beklagten vom 11. Dezember 2014, die zum 1. Januar 2015 in Kraft getreten ist.
a) Offen bleiben kann, ob zum Zeitpunkt der Errichtung bzw. des Anschlusses der Wohnanlage …ring an die Entwässerungseinrichtung Herstellungsbeiträge nach der Wohnfläche (aufgrund der Beitrags- und Gebührensatzung vom 31. Mai 1966 bzw. Neufassung vom 24. November 1970) entstanden waren, oder ob nach den späteren Beitrags- und Gebührensatzungen zur Entwässerungssatzung (vom 16. Dezember 1975, in Kraft ab 1. Januar 1976, und vom 11. Dezember 1986, in Kraft ab 1. Oktober 1983) für den Zeitraum von 1976 bis 1989 jeweils nach dem Beitragsmaßstab der tatsächlichen Geschossfläche Herstellungsbeiträge entstanden, oder ob sämtliche Satzungen vor dem intendierten Maßstabswechsel von der tatsächlichen zur zulässigen Geschossfläche unwirksam waren.
aa) Sollten die Beitragssatzungen in diesem Zeitraum unwirksam gewesen sein, greift für die schon seit 1969 vorhandene Bebauung zweifellos das gesetzliche Festsetzungsverbot des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG für eine mehr als 20 oder auch 25 Jahre zurückliegende Vorteilslage; der Vorteil entstand spätestens 1971 mit Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Entwässerungseinrichtung.
bb) Wenn die Beitragssatzungen in diesem Zeitraum wirksam waren, entstanden Beitragsforderungen für die ursprünglich seit 1969 vorhandene Bebauung mit dem Anschluss des Grundstücks (bzw. mit dessen Anschlussmöglichkeit) und mit Inkrafttreten einer wirksamen Abgabesatzung.
Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 31.7.1992 – 23 B 89.2117 – BeckRS 1992,11017) war jedenfalls die Beitrags- und Gebührensatzung vom 11. Dezember 1986, rückwirkend in Kraft ab 1. Oktober 1983, wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung eines Herstellungsbeitrags. Zwar sei die Satzung in materiell rechtlicher Hinsicht in verschiedenen Punkten zu beanstanden; dies würde aber nur zu einer Teilnichtigkeit führen, da die verbleibenden Satzungsregelungen selbständig bestehen bleiben könnten und zur Entstehung einer Beitragsforderung führen würden.
Soweit Herstellungsbeiträge für die seit 1969 tatsächlich vorhandene Bebauung entstanden, aber nicht oder nicht vollständig festgesetzt wurden, wären die Beiträge aufgrund der vierjährigen Verjährung gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 3 KAG längst verjährt, da der Beklagte auch Kenntnis vom Umfang der damaligen tatsächlichen Bebauung hatte, sodass die Beitragsforderung aus tatsächlichen Gründen auch hätte berechnet werden können, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. cc Spiegelstrich 1 KAG.
cc) Nach dem 31. Dezember 1989 konnten keine Herstellungsbeiträge mehr aufgrund der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 11. Dezember 1986 entstehen, da diese von der neuen BGS/EWS vom 22. Dezember 1989/5. Februar 1990 aufgehoben wurde.
Nach § 20 Abs. 2 BGS/EWS 1990 ist die Satzung [BGS/EWS] vom 16. Dezember 1975, zuletzt geändert durch Satzung vom 1. Januar 1987, aufgehoben worden. Diese Aufhebungsregelung bleibt grundsätzlich auch dann wirksam, wenn die anstelle der früheren Abgabesatzung getretene neue Satzung aus materiellen Gründen ungültig ist. Der Satzungsgeber hat durch die mit der beabsichtigten Neuregelung verbundene Aufhebung der alten Satzung zu erkennen gegeben, dass er das in dieser Satzung enthaltene Recht nicht mehr angewendet wissen will. Im Hinblick auf die Möglichkeit, eine ungültige Abgabesatzung rückwirkend durch eine gültige zu ersetzen, kann dem Satzungsgeber nicht unterstellt werden, dass er für den Fall der Nichtigkeit der Neuregelung die Fortgeltung der alten Satzung gewollt habe (BayVGH, U.v. 10.12.1996 – 23 B 93.3672 – VGH n.F. 49, 203 unter Hinweis auf Wuttig/ Hürholz/Peters, Gemeindliches Satzungsrecht, Teil I Frage 11; vgl. auch Happ in Schieder/Happ, BayKAG, 16. Lfg. der 3. Aufl., Stand Juni 2016, Erl. Art. 2 Rn. 84a a.E.).
Damit wurde die Beitragserhebung nach der tatsächlichen Geschossfläche mit der BGS/EWS vom 22. Dezember 1989/5. Februar 1990 aufgegeben, auch wenn diese neue Satzung inhaltlich fehlerhaft und damit materiell nichtig war (siehe unten). Ab dem 1. Januar 1990 entstanden keine neuen Beiträge nach der tatsächlichen Geschossfläche mehr.
b) Ein Wechsel des Beitragsmaßstabs ist mit einer neuen wirksamen Abgabesatzung grundsätzlich möglich.
Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Wechsel des Beitragsmaßstabs von der tatsächlichen zur zulässigen Geschossfläche als solcher nicht zu beanstanden; es steht dem kommunalen Satzungsgeber frei, einen in einer früheren Satzung enthaltenen Beitragsmaßstab durch einen anderen zu ersetzen (BayVGH, U.v. 11.7.2000 – 23 B 00.412 – juris). Die Neuregelung der Beitragspflicht führt nicht zu einer gleichheitswidrigen Behandlung derjenigen Grundstückseigentümer, für die erstmals eine Beitragspflicht entstanden ist (Neuanschließer) und derjenigen, für die bereits zuvor eine Beitragspflicht begründet war (Altanschließer), da für beide Gruppen der gleiche Maßstab gilt und für die Altanschließer eine weitere Beitragsschuld in Höhe der Differenz zwischen zulässiger Geschossfläche und bereits abgegoltener, vorhandener Geschossfläche – aufgrund einer Übergangsregelung – erst dann entsteht, wenn die Geschossfläche tatsächlich vergrößert wird (BayVerfGH, E.v 8.1.2002 – Vf. 6-VII-00 – VerfGHE n.F. 55, 1).
Begrifflich liegt ein Maßstabswechsel also nur vor, wenn vorher aufgrund einer wirksamen Abgabesatzung ein bestimmter Maßstab (hier der tatsächlichen Geschossfläche) Anwendung fand, der aufgrund einer neuen wirksamen Abgabesatzung durch einen anderen Maßstab (hier der zulässigen Geschossfläche) abgelöst wird. Soweit eine frühere Satzung formell- oder materiell-rechtlich unwirksam war, war auch der frühere Maßstab wegen der Nichtigkeit der Satzung gegenstandslos, sodass begrifflich kein Wechsel des Maßstabs vorliegt, wenn nun erstmals eine wirksame Abgabesatzung einen Beitragsmaßstab festlegt. Denn nun erst kann mit der wirksamen Abgabesatzung ein Beitrag entstehen.
c) Die vom zeitlichen Geltungsbereich her für die baulichen Erweiterungsmaßnahmen auf dem streitgegenständlichen Grundstück im Zeitraum von 1993 bis 2012 anwendbaren früheren Beitragssatzungen ab dem 1. Januar 1990 waren sämtlich nichtig.
Ab 1990 galten zunächst die BGS/EWS vom 22. Dezember 1989, die rückwirkend durch die BGS/EWS vom 5. Februar 1990 ersetzt wurde. Weitere Neufassungen der BGS/EWS waren vom 26. Februar 1997 (in Kraft ab 1. Januar 1997), vom 23. Juni 1999 (in Kraft zum 1. September 1999), vom 1. August 2000 (in Kraft am 22. August 2000), vom 10. Dezember 2003 (in Kraft 1. Januar 2004), vom 2. August 2006 (in Kraft 25. August 2006), vom 27. November 2007 (in Kraft 1. Januar 2008), vom 30. April 2008 (in Kraft rückwirkend zum 1. Januar 2008) und vom 7. Dezember 2011 (in Kraft zum 1. Januar 2012). Diese Satzungen waren alle im Beitragsteil nichtig, zum Teil wegen der geschossweisen Regelung zum Anschlussbedarf (VG München, U.v. 4.12. 2003 – M 10 K 02.4056; BayVGH, U.v. 20.7.2004 – 23 BV 04.152), wegen unzulässiger Dachgeschossregelungen für Außenbereichsgrundstücke, wegen Heranziehung von Kellern im Außenbereich im Gegensatz zum Innenbereich, sowie wegen einer fehlenden Regelungen beim Beitragsmaßstab der zulässigen Geschossfläche für den Fall, dass in einem Bebauungsplan für das Maß der zulässigen Geschossfläche eine Grundflächenzahl und eine Wandhöhe festgesetzt sind, bzw. dass sich die Geschossfläche aus der Grundfläche der baulichen Anlage und der Wandhöhe ergibt (VG München, U.v. 7.4.2016 – M 10 K 15.4201). Mit dem letztgenannten Urteil vom 7. April 2016 wurde nicht mehr an der Auffassung früherer Entscheidungen (VG München, U.v. 2.12.2010 – M 10 K 10.819; U.v. 8.10.2015 – M 10 K 14.4643) festgehalten, wonach die BGS/EWS vom 30. April 2008 wirksam sei.
Damit ist die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 11. Dezember 2014 (BGS/EWS 2014), in Kraft getreten zum 1. Januar 2015, die für den maßgeblichen Zeitraum ab 1993 (erstmalige Erweiterung eines Anwesens im Wohngebiet …ring) erstmals für die Beitragserhebung wirksame Satzung, welche sowohl formell als auch materiell rechtlich nicht zu beanstanden ist (VG München, U.v. 7.4.2016 – M 10 K 15.4201). Die Klägerin hat nichts vorgetragen, was die Rechtmäßigkeit dieser Satzung infrage stellen würde.
2.2 Nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 6 BGS/EWS 2014 wird der Beitrag nach der zulässigen Geschossfläche berechnet; ist zum Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld eine größere Geschossfläche zugelassen oder vorhanden, so ist diese zugrunde zu legen. Vorliegend kann allerdings nur die seit 1993 hinzugekommene Geschossfläche zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden.
a) Nach § 17 Abs. 3 BGS/EWS 2014 entsteht, soweit die Beitragsschuld vor dem 1. Januar 1990 entstanden ist und die tatsächliche Geschossfläche geringer als die zulässige Geschossfläche ist, die Beitragspflicht für diese Mehrfläche erst mit einer Veränderung des Maßes der baulichen Nutzung, des Grundstücks, der Bebauung oder der Nutzung. Diese Übergangsregelung soll Härten infolge des Wechsels des Beitragsmaßstabs von der vorhandenen Geschossfläche (nach der BGS/EWS vom 16. Dezember 1975 bzw. vom 11. Dezember 1986) zum Maßstab der zulässigen Geschossfläche (BGS/EWS vom 22. Dezember 1989 und nachfolgende) ausgleichen. Die Übergangsregelung schützt zum einen die Beitragspflichtigen, da diese nicht sofort mit dem Beitragsmaßstabswechsel mit einem weiteren Herstellungsbeitrag belastet werden (bei einer die tatsächliche Geschossfläche übersteigenden zulässigen Geschossfläche), und schützt zum anderen auch den Beklagten als Beitragsgläubiger davor, sofort mit Inkrafttreten des Beitragswechsels zur Vermeidung von Festsetzungsverjährung sämtliche Grundstücke im Zuständigkeitsbereich auf eventuelle Beitragserhöhungen überprüfen zu müssen. Eine hinzukommende Beitragspflicht in Folge des Maßstabswechsels wird weiter hinausgeschoben bis zu einer Veränderung des Maßes der baulichen Nutzung, des Grundstücks, der Bebauung oder der Nutzung, für welche Fälle sowohl der Beitragsschuldner als auch der Beitragsgläubiger ohnehin mit einer Neuberechnung der Beitragspflicht rechnen müssen.
b) Diese Übergangsregelung ist allerdings nach den tatsächlichen Feststellungen des Beklagten im vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, da bereits bei der ursprünglichen Bebauung des Grundstücks die tatsächliche Geschossfläche größer als die nach dem Bebauungsplan zulässige Geschossfläche war. Nach der mit Schriftsatz des Beklagten vom 3. August 2017 vorgelegten Neuberechnung ergibt sich, dass die vorhandene Geschossfläche auf dem Grundstück FlNr. … im Jahr 1971 bereits 18.231,32 m² betrug, demgegenüber wurde eine zulässige Geschossfläche nach den Festsetzungen des Bebauungsplans von 17.339,8 m² ermittelt.
c) Unabhängig von der Übergangsregelung entsteht aber mit Inkrafttreten der Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 11. Dezember 2014 die Beitragsschuld für die die zulässige Geschossfläche übersteigende tatsächliche Geschossfläche gemäß § 3 Abs. 2 BGS/EWS 2014. Danach entsteht die Beitragsschuld erst mit Inkrafttreten dieser Satzung, soweit erstmals eine wirksame Satzung erlassen wird und der Beitragstatbestand vor dem Inkrafttreten dieser Satzung zum 1. Januar 2015 erfüllt ist.
aa) Nach den Feststellungen des Beklagten – auf den Aufklärungsbeschluss vom 29. Juni 2017 in dem Parallelverfahren M 10 K 16.3769 hin – ist im Geltungsbereich des Bebauungsplans für das streitgegenständliche Grundstück eine als Beitragsmaßstab nach § 5 Abs. 1 BGS/EWS 2014 zugrunde zu legende zulässige Geschossfläche von insgesamt 17.339,8 m² festgesetzt:
Für die Ermittlung der zulässigen Geschossfläche wurde nach § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 2 BGS/EWS 2014 der Bebauungsplan für das Gebiet zwischen … und … für die FlNr. … und … vom 2. September 1969 zugrunde gelegt, den das Gericht als rechtsgültig ansieht. Dabei wurde die zulässige Geschossfläche für das Grundstück Fl. Nr. … insgesamt (mit seiner aktuellen Fläche von 44.213 m² laut Grundbuch des Amtsgerichts … von … Bd. … Bl. …*) nach § 5 Abs. 2 Satz 2 BGS/EWS 2014 mit der Geschossflächenzahl, unterschieden für die Bautypen A und B von 0,7 und für den Bautyp C von 0,4 ermittelt. Die Teilflächen, auf welchen die unterschiedlichen Bautypen A, B und C festgesetzt sind, wurden dabei nach den Außengrenzen des Grundstücks und innerhalb des Grundstücks nach den festgesetzten Verkehrsflächen als Begrenzungen ermittelt.
Soweit sich die insgesamt zulässige Geschossfläche aufgrund der Festsetzungen im Bebauungsplan zu den Baugrenzen/Baulinien in Verbindung mit den Traufhöhen und der Zahl der Vollgeschosse tatsächlich nicht verwirklichen lässt, wurde nach § 5 Abs. 2 Satz 7 BGS/EWS die geringere Geschossfläche als maßgeblich angesetzt.
bb) Für die Ermittlung der vorhandenen tatsächlichen Geschossfläche findet nach § 5 Abs. 2 Satz 8 BGS/EWS 2014 Abs. 8 Satz 2 und 3 Anwendung. Die Geschossfläche ist nach den Außenmaßen der Gebäude zu ermitteln; Dachgeschosse werden, auch wenn sie keine Vollgeschosse sind, herangezogen, jedoch nur soweit sie ausgebaut sind.
Nach den nachvollziehbaren Ermittlungen des Beklagten beträgt danach die tatsächliche Geschossfläche aktuell 18.755,76 m². Im Jahr 1971 war zunächst eine tatsächliche Geschossfläche von 18.231,32 m² errichtet worden. Infolge der Erweiterungs- und Ausbaumaßnahmen ab 1993 sind damit 524,44 m² Geschossfläche hinzugekommen.
cc) Nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 2 Satz 6 BGS/EWS 2014 ist, wenn im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragsschuld (nach § 3 Abs. 2 BGS/EWS 2014 mit in Kraft treten dieser Satzung, s.o.) u.a. eine größere Geschossfläche [als die zulässige] vorhanden ist, diese zugrunde zu legen. Danach wäre die Differenz zwischen der aktuellen tatsächlichen Geschossfläche von 18.755,76 m² und der zulässigen Geschossfläche von 17.339,8 m², also 1.415,96 m² als überschießende tatsächliche Geschossfläche zu einem Beitrag heranzuziehen.
2.3 Wenn man von einer Gültigkeit der früheren Beitrags- und Gebührensatzung vom 11. Dezember 1986, rückwirkend in Kraft ab 1. Oktober 1983 ausgeht (s.o. 2.1 a) bb)), wäre die schon mit der erstmaligen Errichtung der Wohnanlage …ring verwirklichte damalige Geschossfläche von 18.231,32 m² nicht mehr zur Beitragsberechnung heranzuziehen, da für diese Geschossfläche mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 11. Dezember 1986 die Beitragsforderung entstanden und längst festsetzungsverjährt wäre. Damit kann nur die seit 1993 hinzugekommene Fläche von 524,44 m², für die seit dem beabsichtigten Maßstabswechsel im Jahr 1990 keine wirksame Abgabensatzung mehr vorlag, aufgrund der BGS/EWS 2014 herangezogen werden.
2.4 Sollte nach den früheren Abgabensatzungen wegen deren Unwirksamkeit keine Beitragspflicht entstanden sei, kann ebenfalls nur die seit 1993 hinzugekommene Fläche von 524,44 m² aufgrund der BGS/EWS 2014 herangezogen werden, da die ursprüngliche Geschossfläche, auch wenn eine Beitragspflicht aufgrund unwirksamer Beitragssatzungen nicht entstand, aufgrund der gesetzlichen Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG nicht mehr herangezogen werden kann. Mit dieser durch Gesetz vom 11. März 2014 (GVBl. S. 70) eingeführten Regelung ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig; liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2 a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Ausschlussfristregelung bestehen keinerlei Bedenken (vgl. BayVGH, U.v. 2.3.2015 – 20 B 14.1441; BVerwG, B.v. 3.9.2015 – 9 B 39/15, jeweils juris).
Für die bereits seit 1971 vorhandene Bebauung kann damit dahinstehen, ob ursprünglich auf Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzungen von 1966 bzw. 1970 ein Beitrag nach der Wohnfläche oder nach den späteren Beitragssatzungen von 1975 bis 1986 ein Beitrag nach der vorhandenen Geschossfläche entstanden war, oder ob erst aufgrund der erstmals mit dem Beitragsmaßstab zulässige Geschossfläche wirksamen BGS/EWS vom 11. Dezember 2014 ein Beitrag nach der zulässigen Geschossfläche bzw. der diese überschießenden tatsächlichen Geschossflächen entstehen konnte.
Die schon seit 1971 vorhandene tatsächliche Geschossfläche (ohne spätere Geschossflächenmehrungen seit 1993) unterfällt insgesamt der gesetzlichen Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG. Denn die Vorteilslage liegt seit der Bebauung und dem tatsächlichen Anschluss des Grundstücks an die öffentliche Entwässerungseinrichtung seit 1971 vor (vgl. die Gründe des Beschlusses vom 29. Juni 2017). Erst die weiteren Baumaßnahmen ab 1993 bis 2012, die vom Beklagten erst 2012 festgestellt wurden, führten insoweit zu einer beitragsrelevanten neuen Vorteilslage für die hinzugekommene Geschossfläche. Für diese neu hinzugekommene Vorteilslage findet wiederum ab dem neuen Vorteil die reguläre 20-jährige bzw. 25-jährige Ausschlussfrist Anwendung. Zum Zeitpunkt der Beitragserhebung durch den angefochtenen Bescheid vom 12. Dezember 2012 war aber die 20-jährige gesetzliche Ausschlussfrist für die hinzugekommenen Geschossflächen ab 1993 noch nicht verstrichen. Insoweit findet für diese Geschossflächenmehrung gegenüber der ursprünglichen Bebauung die gesetzliche Ausschlussfrist damit keine Anwendung. Der Beklagte konnte zu Recht für die seit 1993 neu hinzugekommenen zusätzlichen Geschossflächen einen Herstellungsbeitrag festsetzen. Dies allerdings nicht in der von ihm ursprünglich geforderten Höhe, sondern aufgrund der Neuberechnung (Schriftsatz vom 3. August 2017) nur für die tatsächlich neu hinzugekommenen Geschossflächen, ohne dass es auf frühere Wohnflächen ankäme. Für das Grundstück FlNr. … ist damit aufgrund der BGS/EWS vom 11. Dezember 2014 insgesamt ein Beitrag zur Entwässerungseinrichtung in Höhe von (524,44 qm x 16,00 € pro qm) 8.391,12 € entstanden.
Unerheblich ist dabei, dass im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids vom 12. Dezember 2012 noch keine wirksame Beitragssatzung vorlag, da die nun wirksame BGS/EWS vom 11. Dezember 2014 erst zum 1. Januar 2015 in Kraft trat. Nach ständiger Rechtsprechung wird ein nicht bestandskräftiger Beitragsbescheid, der wegen nichtiger Satzung (hier der BGS/EWS vom 7.12.2011) zunächst rechtswidrig ist, durch eine wirksame neue Satzung, auch wenn dieser keine Rückwirkung zukommt, rechtmäßig (BayVGH, U.v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2010 – BayVBl 2011, 240; B.v. 6.4.2000 – 23 CS 99.3727 – BayVBl 2000, 472 unter Hinweis auf BVerwG, U.v. 25.11.1981 – 8 C 14/81 – BVerwGE 64, 218).
Die Übergangsregelung des Art. 19 Abs. 2 KAG sieht zudem vor, dass für Beiträge, die vor dem 1. April 2014 durch nicht bestandskräftigen Bescheid festgesetzt sind, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG mit der Maßgabe gilt, dass die Frist einheitlich 30 Jahre beträgt. Selbst wenn man die Verfassungsmäßigkeit dieser Übergangsregelung in Frage stellt (vgl. BayVGH, U.v. 12.3.2015 – 20 B 14.1441 – juris Rn. 28; a.A. BayVGH, U.v. 24.2.2017 – 6 BV 15.1000 – juris Rn. 29 a.E.), würde wohl die 25-Jahresfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG gelten, da ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht vorlag. Diejenigen, die bauliche Erweiterungen an Gebäuden in der Wohnanlage …ring mit Auswirkungen auf die Beitragshöhe vorgenommen hatten, hätten dies nach Art. 5 Abs. 2a KAG bzw. § 18 BGS/EWS mitteilen müssen.
2.5 Der auf das Gesamtgrundstück entfallende Herstellungsbeitrag von 8.391,12 € ist auf die Wohnungs- und Teilerbbauberechtigten entsprechend ihrer im Grundbuch eingetragenen Anteile aufzuteilen, § 5 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 KAG i.V.m. § 30 Abs. 1 WEG. Nach § 30 Abs. 1 WEG können, wenn ein Erbbaurecht mehreren gemeinschaftlich nach Bruchteilen zusteht, die Anteile in der Weise beschränkt werden, dass jedem der Mitberechtigten das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung oder an nicht zu Wohnzwecken dienenden bestimmten Räumen in einem aufgrund des Erbbaurechts errichteten oder zu errichtenden Gebäude eingeräumt wird (Wohnungserbbaurecht, Teilerbbaurecht). Sinn und Zweck der Regelung des Art. 5 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 KAG getroffenen Regelungen, dass Wohnungs- und Teileigentümer nicht als Gesamtschuldner, sondern nur entsprechend ihrem Miteigentumsanteil beitragspflichtig sind (BayVGH, U.v. 12.1.1990 – 23 B 88.1295 – NJW-RR 1990, 718), trifft ebenso auf Wohnungs- und Teilerbbauberechtigte zu; gerade auch die Regelung von Wohnungs- und Teilerbbauberechtigungen in § 30 WEG zeigt, dass das Gesetz über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (WEG) entsprechend für Wohnungs- und Teilerbbauberechtigte Anwendung findet. Damit ergibt sich für die mit einem 6,66/1.000 Erbbaurechtsanteil im Grundbuch eingetragenen Kläger eine anteilige Beitragsforderung von (6,66/1.000 x 8.391,12 € =) 55,88 €.
2.6 Die erst mit Inkrafttreten der letzten Beitrags- und Gebührensatzung zum 1. Januar 2015 entstandene Beitragsforderung, die mit dem angefochtenen Beitragsbescheid festgesetzt wurde, ist auch offensichtlich nicht nach §§ 169 ff AO festsetzungsverjährt.
Damit ist der angefochtene Beitragsbescheid vom 12. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts … vom 13. Juli 2016 und in Gestalt des Änderungsbescheids der Beklagten vom 4. April 2018 rechtmäßig, soweit zuletzt ein Betrag von 55,88 € festgesetzt wurde. Die Klagen gegen die herabgesetzte Beitragsforderung sind abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 161 Abs. 2 VwGO hinsichtlich des erledigten Teils der Klage unter Berücksichtigung des voraussichtlichen ursprünglichen jeweiligen Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten und nach § 154 Abs. 1 VwGO. Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausgesprochen.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
5. Die Zulassung der Berufung erfolgt wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, § 124 Abs. 2 Nr. 3, § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO, hinsichtlich der Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG.


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