Baurecht

Ausübung des Vorkaufsrechts

Aktenzeichen  9 ZB 15.2027

Datum:
22.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2016, 416
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB §§ 24 I 1 Nr. 3, 28 II 1
BayVwVfG BayVwVfG Art. 39 I 3, 40, 45 I Nr. 2, II
VwGO VwGO § 114

 

Leitsatz

1. Eine ordnungsgemäße Ermessensentscheidung bei Ausübung eines Vorkaufsrechts setzt voraus, dass nicht nur einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt werden, sondern auch eine Gewichtung oder Abwägung des “Für und Wider” der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar ist oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden. (amtlicher Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Beklagte. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.625,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich gegen die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts durch die Beklagte.
Durch notariellen Kaufvertrag vom 22. Juli 2014 kauften die Kläger vom Beigeladenen das Grundstück FlNr. 131 Gemarkung T.. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich der Sanierungssatzung der Beklagten „Altort T.“ vom 5. Oktober 2001.
In der Sitzung des Gemeinderats vom 16. September 2014 beschloss die Beklagte die Ausübung des Vorkaufsrechts und übte dieses mit Bescheid vom 2. Oktober 2014 gegenüber dem Beigeladenen als Verkäufer aus. Das Grundstück befinde sich in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet. Zur Sicherung der Altortsanierung mache die Gemeinde von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch und akzeptiere den Kaufpreis. Eine Anhörung der Beteiligten sei in der Sitzung des Grundstücks-, Bau- und Umweltausschusses vom 30. September 2014 erfolgt. Es sei sowohl dem Beigeladenen als Verkäufer als auch den Klägern als Käufer die Möglichkeit gegeben worden, sich zu der Entscheidung zu äußern. Auch seien die Gründe, weshalb die Gemeinde das Vorkaufsrecht ausübe, dargelegt worden.
Auf die Klage der Käufer hin, hob das Verwaltungsgericht Würzburg den Bescheid vom 2. Oktober 2014 mit Urteil vom 23. Juli 2015 auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kaufvertrag zwar mangels sanierungsrechtlicher Genehmigung schwebend unwirksam sei, das Vorkaufsrecht aber schon mit Wirkung auf den Genehmigungszeitpunkt habe ausgeübt werden dürfen. Die Ausübung sei jedoch wohl nicht durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt. Dies könne jedoch offen bleiben, da die Ausübung des Vorkaufsrechts jedenfalls ermessensfehlerhaft sei. In dem Bescheid komme an keiner Stelle zum Ausdruck, dass Ermessen ausgeübt worden sei. Selbst wenn aber aufgrund der Sitzung vom 30. September 2014 nicht von einem Ermessensausfall ausgegangen werde, sei eine fehlerfreie Ermessensausübung nicht erkennbar. Vorliegend lasse die dem Bescheid beigegebene Begründung eine sachgerechte Überprüfung, ob die Inanspruchnahme des Grundstücks durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sei, nicht zu. Da sich aus dem städtebaulichen Rahmenplan im Abschlussbericht der vorbereitenden Untersuchungen widersprüchliche Ziele ergäben und der Verwendungszweck unzureichend angegeben sei, könne die Ermessensentscheidung hiervon „infiziert“ werden. Eine Abwägung mit den besonderen Interessen der Kläger habe nicht stattgefunden, wozu aber hier Anlass bestanden habe, da u. a. die Käufer langjährige Bewohner und Mieter des streitgegenständlichen Hauses seien, erhebliche Aufwendungen getätigt hätten und im Grundbuch kein Sanierungsvermerk eingetragen gewesen sei.
Hiergegen beantragte die Beklagte mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 1. September 2015 die Zulassung der Berufung. Das Verwaltungsgericht differenziere nicht zwischen der formellen Begründung und materiellen Ermessensausübung. Vermeintliche Verstöße gegen die Begründungspflicht seien durch den schriftlichen Vortrag in der ersten Instanz geheilt worden, im Übrigen habe die Beklagte ihr Ermessen materiell rechtmäßig ausgeübt. Das Urteil setze sich nicht damit auseinander, dass die Abwägung der widerstreitenden Interessen in mehreren Gemeinderatssitzungen erfolgt sei. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei auch durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt.
Die Kläger verteidigen das erstinstanzielle Urteil. Sie sind der Ansicht, dass das Verwaltungsgericht die Ermessensfehlerhaftigkeit auf mindestens fünf Gesichtspunkte gestützt habe, die von der Beklagten nicht ausreichend angegriffen worden seien. Der Mangel des Ermessensnichtgebrauchs sei auch nicht heilbar, da der Bescheid gar nicht erkennen lasse, dass eine Ermessensentscheidung getroffen worden sei. Aus der Beschlussfassung der Beklagten werde nicht ersichtlich, welche Argumente sie sich zu Eigen gemacht habe. Die Ausführungen zum Wohl der Allgemeinheit seien unerheblich, da dies kein selbstständig tragender Grund des erstinstanziellen Urteils gewesen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. An der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
1. Die Klägerin beruft sich zum einen auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Die Beklagte hat die Ausübung des Vorkaufsrechts im vorliegenden Fall auf § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. der Sanierungssatzung vom 5. Oktober 2001 gestützt. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 28 Abs. 2 Satz 1 BauGB liegt dabei im Ermessen (Art. 40 BayVwVfG) der beklagten Gemeinde (BayVGH, B. v. 20.1.2015 – 2 ZB 14.887 – juris Rn. 3 m. w. N.). Ob die konkreten Ausübungsvoraussetzungen vorliegen, beurteilt sich nach den konkreten Erwägungen der Gemeinde im Zeitpunkt der Ausübung des Vorkaufsrechts. Gemäß § 114 Satz 1 VwGO prüft das Gericht, ob der Verwaltungsakt deswegen rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass eine mangelhafte Angabe des Verwendungszwecks auf die Ermessenentscheidung durchschlagen kann (vgl. Paetow in Berliner Kommentar zum BauGB, Stand Januar 2016, § 24 Rn. 28) und zudem eine fehlende Begründung der Ermessensentscheidung im Verwaltungsakt eine Indizwirkung für eine fehlende Ermessensausübung hat (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl. 2015, § 40 Rn. 58). Zwar ist der Beklagten zuzustimmen, dass zwischen der (materiellen) Frage, ob beim Erlass des Verwaltungsakts überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und der (formellen) Frage, ob angestellte Ermessenserwägungen in der nach Art. 39 BayVwVfG gebotenen Weise dargestellt wurden, zu unterscheiden ist. Im vorliegenden Fall liegt jedoch auch unter Berücksichtigung der im Zulassungsvorbringen benannten sonstigen Umstände keine ordnungsgemäße Ermessensausübung vor.
Es kann dahingestellt bleiben, ob – wovon das Verwaltungsgericht ausgegangen ist – ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Ausübung des Vorkaufsrechts im Regelfall bereits durch das tatbestandliche Wohl der Allgemeinheit indiziert ist. Denn das Verwaltungsgericht hat maßgebend darauf abgestellt, dass hier Anlass zu einer detaillierten Auseinandersetzung mit den Belangen der Kläger bestand, was jedoch im angefochtenen Bescheid nicht erfolgt ist. Nach dem Zulassungsvorbringen hat eine solche Auseinandersetzung in den „Gemeinderatssitzungen“ vom 16. und 30. September 2014 stattgefunden. Unabhängig davon, ob ein solcher Rückgriff auf die Behandlung in Beschlussgremien zulässig ist, um eine materielle Ermessensausübung belegen zu können (vgl. BayVGH, B. v. 12.8.2011 – 11 C 11.1785 – juris Rn. 23; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 114 Rn. 19; a.A. wohl BayVGH, U. v. 13.10.2009 – 14 B 07.1760 – juris Rn. 40), fehlt es daran aber auch bei Berücksichtigung dieser Sitzungen.
Es kann offen bleiben, ob die Sitzung vom 30. September 2014 überhaupt geeignet war, eine ordnungsgemäße Ermessenausübung zu belegen, weil es sich – entgegen der Darstellung sämtlicher Beteiligter und der Urteilsgründe des Verwaltungsgerichts – nicht um eine Sitzung des zuständigen Gemeinderats, sondern lediglich des Grundstücks-, Bau- und Umweltausschusses handelte (vgl. den beglaubigten Auszug aus der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des Grundstücks-, Bau- und Umweltausschusses der Beklagten am 30. September 2014 in den Behördenakten). Sowohl aus dem beglaubigten Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Gemeinderats vom 16. September 2014 als auch aus dem beglaubigten Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ausschusses vom 30. September 2014 sind jedoch keine Abwägungsentscheidung oder eine Gewichtung der Belange ersichtlich. Vielmehr sind lediglich einzelne Entscheidungsgesichtspunkte ermittelt und dargestellt worden, was jedoch nur die erste Stufe einer ordnungsgemäßen Ermessensentscheidung darstellt (vgl. Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 40 Rn. 80). In einem zweiten Schritt müssen vielmehr noch eine Gewichtung oder eine Abwägung des „Für und Wider“ der sich gegenüberstehenden öffentlichen und privaten Belange erkennbar sein oder andere Alternativen im Rahmen des Ermessensspielraums diskutiert werden (vgl. BayVGH, B. v. 8.8.2008 – 15 ZB 07.2925 – juris Rn. 25; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand August 2015, § 24 Rn. 63). Aus den Niederschriften wird jedoch – entgegen der bloßen Behauptung der Beklagten – nicht ersichtlich, dass die Beklagte ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, auf Grundlage aller ihr zur Verfügung stehenden tatsächlichen Erkenntnisse eine Abwägung aller relevanten widerstreitenden Interessen vorgenommen hat. Weder der Bescheid vom 2. Oktober 2014 noch die Niederschriften über die Sitzungen vom 16. September 2014 und 30. September 2014 bringen eine Abwägungsentscheidung der Beklagten zum Ausdruck. Allein mit dem Protokollieren einzelner Argumente und Debattenbeiträge ohne ersichtliche Abwägung des „Für und Wider“ kann der Nachweis einer Ermessensausübung der Beklagten nicht gelingen.
Damit geht auch der Vortrag der Beklagten, die lediglich formal fehlerhafte Ermessensbegründung sei im erstinstanziellen Verfahren gem. Art. 39 Abs. 1 Satz 3, Art. 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 BayVwVfG geheilt worden, ins Leere. Unabhängig davon, ob eine – ansatzweise – Abwägungsentscheidung in der nach Erlass des angefochtenen Bescheids erfolgten Beschlussfassung des Gemeinderats vom 14. Oktober 2014 gesehen werden kann, sind die Ermessenserwägungen der Beklagten jedenfalls aber nicht in einer § 114 Satz 2 VwGO genügenden bestimmten Form ergänzt worden (vgl. BVerwG, U. v. 13.12.2011 – 1 C 14/10 – juris Rn. 18). Denn aus dem erstinstanziellen Vorbringen der Beklagten wird nicht deutlich, welche Erwägungen nunmehr die Begründung tragen sollen, da keine Trennung zwischen neuen Begründungselementen und Verteidigungsvorbringen erfolgt. Die bloße Berufung auf Heilungsvorschriften genügt nicht, um klar und eindeutig zu erkennen zu geben, mit welcher Begründung die behördliche Entscheidung letztlich aufrechterhalten bleiben soll.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Die im Zulassungsantrag aufgeworfenen Fragen lassen sich, soweit sie überhaupt entscheidungserheblich sind, nach den obigen Ausführungen ohne Weiteres und mit zweifelsfreien Ergebnissen klären. Von einem Berufungsverfahren ist daher kein weiterer Ertrag zu erwarten (vgl. BayVGH, B. v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876 – juris Rn. 22). Soweit die Beklagte der Ansicht ist, die Abgrenzung zwischen rein formalen Begründungsfehlern und materiellen Mängeln der Ermessensausübung lasse sich nicht ohne Weiteres, „jedenfalls nicht auf Basis der Aktenlage“, treffen, geht dies fehl, weil es – mangels materieller Ermessensausübung – auf diese Abgrenzung nicht entscheidungserheblich ankommt. Ebenfalls nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgeht, dass die Vorkaufsrechtsausübung möglich ist, obwohl der zugrundeliegende Kaufvertrag schwebend unwirksam ist oder sich damit in Widerspruch zu einer früheren Entscheidung setzt. Abgesehen davon, dass damit keine Divergenz i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO aufgezeigt ist und sich diese Frage in einem Berufungsverfahren nicht stellen würde, weil der Grund für die schwebende Unwirksamkeit zwischenzeitlich weggefallen sein dürfte, ist diese Rechtsfrage auch höchstrichterlich geklärt (BGH, U. v. 15.5.1998 – V ZR 89/97 – BGHZ 139,29; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a. a. O., § 24 Rn. 55a und § 28 Rn. 22, 27).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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