Baurecht

Baueinstellung, Aufschüttung, Gesamtvorhaben

Aktenzeichen  AN 3 S 21.01233

Datum:
9.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 26546
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 Abs. 1
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 9
VwGO § 122
VwGO § 88
BayVwVfG Art. 28
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der Einstellung von Auffüllungen und Ablagerungen auf seinen Grundstücken durch den Antragsgegner.
Der Antragsteller ist Eigentümer der im Außenbereich gelegenen Grundstücke Fl.Nrn. … und … der Gemarkung … Der Antragsteller trat im Jahr 2007 an die Gemeinde … heran und teilte dieser mit, dass er plane, einen Feldweg der Gemeinde zu verlegen und auf seinen neu erworbenen, inmitten stehenden Grundstücken eine landschaftsbezogene Streuobstwiese anzulegen. Der Gemeinderat der Gemeinde … stimmte mit Beschluss vom 19. September 2007 dem Vorhaben zu. Der Antragsteller begann ab dem Jahr 2008 mit Veränderungen an den streitgegenständlichen Grundstücken. Hierzu wird auf die sich in den Behördenakten befindlichen Luftbildaufnahmen verwiesen.
Am 27. Mai 2021 erfolgte eine Baukontrolle auf den Grundstücken des Antragstellers. Hierbei wurde festgestellt, dass dort großflächig Erdmassen aufgefüllt wurden. Laut den Schätzungen des Baukontrolleurs erstreckten sich die Aufschüttungen über eine Fläche von über 4.000 m2 mit einer Höhe von circa 1,20 bis 1,50 Meter. Es wird hierzu auf die Lichtbilder der Baukontrolle aus der Behördenakte Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 7. Juni 2021, welcher dem Antragsteller am 9. Juni 2021 zugestellt wurde, erließ der Antragsgegner in Ziffer I. die Anordnung, dass die Auffüllungen und Ablagerungen vom Material auf den Grundstücken Fl. Nrn. … und … und die Modellierung des abgelagerten Materials oder Geländeveränderungen sofort einzustellen sind. In Ziffer II. wurde die sofortige Vollziehung der Ziffer I angeordnet. Es wurde zudem in Ziffer IV. ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung in Ziffer I. angedroht.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass im Rahmen der Baukontrolle festgestellt worden sei, dass auf den Grundstücken des Antragstellers Ablagerungen und Aufschüttungen ohne Baugenehmigung vorgenommen worden seien. Da vor Ort niemand angetroffen worden sei, habe keine mündliche Baueinstellung verfügt werden können.
Die Arbeiten seien daher gemäß Art. 75 Abs. 1 Nr. BayBO einzustellen, da die Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden sei. Eine Baugenehmigung sei für das Vorhaben nicht erteilt worden, gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBO sei eine solche aber erforderlich. Eine Verfahrensfreiheit liege weder nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO noch nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. b BayBO vor. Die Auffüllungen seien dabei als eine Gesamtmaßnahme zu betrachten, da die Grundstücke direkt nebeneinanderlägen, die Auffüllungen und Ablagerungen keine räumliche Trennung aufweisen und auch in einem Zug erfolgen würden und erfolgt seien. Demnach sei die verfahrensfreie Fläche von 500 m2 deutlich überschritten. Im Falle des Vorliegens einer Ablagerung und keiner Aufschüttung sei die verfahrensfreie Fläche von 300 m2 ebenfalls überschritten. Zudem lägen die Grundstücke im Außenbereich.
Die Baueinstellung sei des Weiteren notwendig, geeignet und auch erforderlich, um baurechtswidrige Zustände zu unterbinden. Es sei noch kein Bauantrag gestellt worden und die Auffüllung und Ablagerungen bzw. Modellierungen seien noch nicht abgeschlossen. Die Schaffung von vollendeten Tatsachen, welche nicht oder nur schwer rückgängig zu machen seien, müsse verhindert werden. Demnach bestünde ein öffentliches Interesse an der Einstellung der Arbeiten, welches das Interesse des Antragstellers an der Weiterführung überwöge.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei geboten, da anderenfalls bei Weiterführung der Arbeiten schwer zu beseitigende, vollendete Tatsachen geschaffen würden. Zudem würde bei Fortführung der Auffüllungen die notwendige Ordnung im Bauwesen untergraben. Das überwiegende öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung sei nach ständiger Rechtsprechung schon deswegen gegeben, da die Baueinstellung nur so ihren Zweck erfülle.
Es sei aufgrund der Notwendigkeit einer sofortigen Entscheidung gemäß Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG von einer Anhörung des Antragstellers abgesehen worden.
Am 30. Juni 2021 reichte der Antragsteller ein Grobkonzept eines von ihm beauftragten Landschaftsarchitekten für eine Obstwiese auf seinen Grundstücken bei der Gemeinde … ein. Hiernach soll sich die Obstwiese über den gesamten Bereich der Grundstücke des Antragstellers erstrecken.
Am 7. Juli 2021 erhob der Antragsteller Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 7. Juni 2021 und beantragte einstweiligen Rechtsschutz.
Zur Begründung wird im Wesentlichen angeführt, dass die Auffüllung bzw. Aufschüttung genehmigungsfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO sei, da diese nicht einem Zug, sondern in einem Zeitraum von über 13 Jahren in Etappen erfolgt wäre. Die Ausführungen des Antragsgegners in dem angefochtenen Bescheid seien bloße Behauptungen und Vermutungen. Zudem sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden.
Der Antragsteller beantragt,
Die sofortige Vollziehung dieser Maßnahmen wird aufgehoben. Ein angedrohtes Zwangsgeld bei Zuwiderhandlung entfällt.
Der Antragsgegner beantragt sinngemäß
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass auch bei Aufschüttungen über einen Zeitraum von 13 Jahren von kontinuierlichen und zweckgerichteten Maßnahmen zur Geländeveränderung auszugehen sei. Insoweit sei auch über einen so langen Zeitraum von einer Gesamtmaßnahme auszugehen, die genehmigungspflichtig sei. Eine Baueinstellung habe zudem verfügt werden können, da bereits ein mit Tatsachen belegter Anfangsverdacht eines formellen oder materiellen Rechtsverstoßes der betreffenden Anlage ausreiche. Eine abschließende Klärung sei nicht erforderlich, es genüge, wenn die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit ernstlich zweifelhaft sei (mit Verweis auf VG Augsburg, B.v. 15.10.2009 – Au 5 09.1398).
Auf eine Anhörung sei verzichtet worden, da das weitere Aufschieben des bauaufsichtlichen Einschreitens zu einer weiteren Verfestigung der Situation und unter Umständen zu irreversiblen Schäden im Naturhaushalt hätte führen können.
Im Übrigen wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten.
II.
Der Antrag ist – nach entsprechender Auslegung gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO – zulässig, aber unbegründet.
1. Der Antrag ist gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO in einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers vom 7. Juli 2021 gegen den streitgegenständlichen Bescheid auszulegen.
Gemäß §§ 122 Abs. 1, 88 VwGO darf das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Das Gericht hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln (BVerwG, U.v. 3.7.1992 – 8 C 72/90 – juris Rn. 19). Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klage- bzw. Antragsbegründung zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel (BVerwG, B.v. 25.6.2009 – 9 B 20.09 – juris Rn. 2). Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) heranzuziehen (BVerwG, U.v. 1.9.2016 – 4 C 4/15 – juris Rn. 9). Maßgebend ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und den sonstigen Umständen ergibt, der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 70.88 – juris Rn. 23). Neben dem Antrag und der Begründung ist auch die Interessenlage des Klägers bzw. Antragstellers zu berücksichtigen, soweit sie sich aus dem Parteivortrag und sonstigen für das Gericht und den Beklagten bzw. Antragsgegner als Empfänger der Prozesserklärung erkennbaren Umständen ergibt (BVerwG, B.v. 21.1.2015 – 4 B 42.14 – juris Rn. 12). Der gestellte Antrag ist danach so auszulegen bzw. umzudeuten, dass er den zu erkennenden Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung trägt (BVerfG, B.v. 29.10.2015 – 2 BvR 1493/11 – NVwZ 2016, 238).
Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag des Antragstellers – entgegen des Wortlauts – als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage und – soweit er sich auf das angedrohte Zwangsgeld bezieht – auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auszulegen. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens sowie der Tatsache, dass der Antragsteller nicht anwaltlich vertreten ist. Es entspricht auch dem zu erkennenden Interesse des Antragstellers, dass nicht nur eine bloße Aufhebung der Anordnung der sofortigen Vollziehung zum Antragsgegenstand gemacht wird. Es kann folglich dahinstehen, ob das Gericht überhaupt befugt wäre, die Anordnung der sofortigen Vollziehung isoliert aufzuheben, was bei fehlender Befugnis die Unzulässigkeit des Antrags zur Konsequenz hätte (zum Streitstand Schoch in Schneider/Schoch, VwGO, Stand Februar 2021, § 80 Rn. 442 ff.).
2. Der Antrag ist – nach entsprechender Auslegung – zulässig, insbesondere statthaft. Die Klage des Antragstellers gegen den ihn belastenden streitgegenständlichen Bescheid stellt eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO dar. Diese Klage entfaltet gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO und § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. Art. 21a VwZVG keine aufschiebende Wirkung. Folglich ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erforderlich, um die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
3. Der Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht im Falle des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage auf Antrag die aufschiebende Wirkung anordnen oder wiederherstellen. Hierbei trifft das Gericht eine originäre Ermessensentscheidung, welche sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Hauptsache (BayVGH, B.v. 21.12.2001 – 15 ZS 01.2570 – juris Rn. 17 = NVwZ-RR 2003, 9) und – im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO – der formellen Rechtmäßigkeit des Sofortvollzugs orientiert. Dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entspricht es, dass diese Prüfung grundsätzlich nur summarisch erfolgt, da eine Beweisaufnahme in der Regel bei diesen Verfahren nicht erfolgt. Bei offenen Erfolgsaussichten wird die Ermessensentscheidung anhand einer Interessenabwägung getroffen (BayVGH v. 21.12.2001 a.a.O.).
Der Antrag hat keine Aussicht auf Erfolg, da die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtmäßig ist und im Rahmen der summarischen Prüfung keine Erfolgsaussichten der Hauptsache gegeben sind.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde das besondere öffentliche Interesse im streitgegenständlichen Bescheid ordnungsgemäß nach § 80 Abs. 3 VwGO begründet.
Für eine ordnungsgemäße Begründung des Sofortvollzugs bedarf es einer auf den Einzelfall eingehenden Begründung, an welche jedoch keine inhaltlich überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen (BayVGH, B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 14). Vielmehr reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die Behörde im konkreten Einzelfall eine sofortige Vollziehung für geboten hält (BayVGH v. 9.11.2020 a.a.O.).
Im Rahmen einer Baueinstellung ist zusätzlich zu beachten, dass ein Sofortvollzug regelmäßig notwendig ist, um diese Maßnahme überhaupt effektiv werden zu lassen. Ansonsten besteht aufgrund der aufschiebenden Wirkung die Gefahr der Fertigstellung der baulichen Anlage, was zur Erledigung i.S.v. Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG führen könnte und dem Zweck der Verhinderung endgültiger Zustände zuwiderläuft (vgl. BayVGH, B.v. 16.9.2013 – 14 CS 13.1383 – juris Rn. 9, BayVGH, B. v. 9.9.2009 – 1 CS 09.1292 – juris Rn. 63 = NVwZ-RR 2010, 11).
Die Anordnung des Sofortvollzugs wurde im Bescheid schriftlich begründet und das überwiegende öffentliche Interesse daran, den Bau einzustellen, überzeugend mit der Erforderlichkeit der Aufrechterhaltung der notwendigen Ordnung im Bauwesen dargelegt. Außerdem wurde auf die Schaffung sonst schwer zu beseitigender vollendeter Tatsachen abgestellt.
b) Die Anfechtungsklage hat nach summarischer Prüfung keine Aussicht auf Erfolg, da die angegriffene Baueinstellungsanordnung rechtmäßig ist und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Baueinstellungsanordnung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO ist grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, da es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt (BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 1 CS 20.143 – juris Rn 10). Angewendet auf das hier einschlägige Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist also der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag ausschlaggebend.
aa) Die Baueinstellungsanordnung ist formell rechtmäßig.
Nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG hat die Behörde vor Erlass eines belastenden Verwaltungsakts die Betroffenen anzuhören. Im Rahmen einer Baueinstellungsanordnung entfällt dieses Erfordernis jedoch regelmäßig aufgrund besonderen öffentlichen Interesses nach Art. 28 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG, da ansonsten häufig die Gefahr der Schaffung vollendeter Tatsachen besteht, welche die Baueinstellung gerade verhindern soll (BayVGH, B. v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 8).
Vorliegend sind keine besonderen Umstände des Einzelfalls erkennbar, warum von der oben dargestellten Regel abgewichen werden sollte. Die vom Antragsteller gerügte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch den Antragsgegner liegt daher nicht vor.
bb) Die Baueinstellung stellt sich nach summarischer Prüfung auch als materiell rechtmäßig dar.
Rechtsgrundlage für die Baueinstellung ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Hiernach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung von Bauarbeiten an Anlagen anordnen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften kann sich aus der formellen Illegalität – also dem Fehlen einer notwendigen Baugenehmigung – oder der materiellen Illegalität – also dem Verstoß der Anlage gegen inhaltliche Anforderungen der Baugesetze – ergeben (BayVGH, B.v. 14.4.2020 – 1 CS 20.143 – juris Rn 9). Dem Charakter als Dauerverwaltungsakt und den verminderten Anforderungen an die Gefahrprognose ist es geschuldet, dass die Behörde die Baueinstellungsanordnung „unter Kontrolle zu halten“, eventuell eintretenden Veränderungen der Sach- und Rechtslage nachzugehen und gegebenenfalls eine Anpassung oder Aufhebung der Anordnung von Amts wegen zu prüfen hat (BayVGH v. 14.4.2020 a.a.O.). Andererseits ist der präventive Gefahrenabwehrcharakter der Baueinstellung zu beachten, welcher bewirkt, dass für eine Baueinstellung ein nur „hinreichend begründeter Anfangsverdacht“ ausreicht, um die formelle oder materielle Illegalität zu begründen (BayVGH, B.v. 4.11.2020 – 9 CS 20.1969 – juris Rn. 13). Es müssen mithin ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für diesen Verdacht vorliegen. Eine tatsächliche Bestätigung dieses Verdachtes – außerhalb des soeben dargelegten regelmäßigen Kontrollerfordernisses – ist mithin nicht Voraussetzung für eine Baueinstellung (BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 10).
Nach obigen Maßstäben liegen hier sowohl eine bauordnungsrechtlich geregelte Anlage in Form einer selbstständigen Aufschüttung (Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayBO) als auch ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für deren formelle Illegalität aufgrund eines Genehmigungserfordernisses (Art. 55 Abs. 1 BayBO) vor.
(1) Eine Aufschüttung ist nach einhelliger Definition eine künstliche, auf Dauer angelegte Veränderung der natürlichen – oder ihr gleichstehenden – Geländeoberfläche durch Erhöhung des Bodenniveaus (Weinmann in BeckOK BayBO, 18. Edition, Art. 57 Rn 136 m.w.N.). Eine solche liegt hier auch im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung immer noch vor. Dies ergibt sich aus den sich in der Behördenakte befindlichen Lichtbildern der Grundstücke des Antragstellers.
(2) Die streitgegenständliche Aufschüttung ist auch nicht gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO verfahrensfrei.
Art. 57 BayBO stellt baurechtlich weniger bedeutsame Vorhaben von der Baugenehmigungspflicht verfahrensfrei. Dies gilt jedoch grundsätzlich nur dann, wenn sie selbstständig als Einzelvorhaben ausgeführt werden und nicht einen unselbstständigen Teil eines einheitlich auszuführenden Gesamtvorhabens darstellen (BayVGH, B.v. 5.4.2016 – 2 CS 16.467 – juris Rn. 4). Ein selbstständiges Einzelvorhaben setzt daher voraus, dass es nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Ausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens steht (BayVGH, B.v. 5.4.2016 a.a.O. Rn. 4). Bilden dagegen mehrere genehmigungsfreie Baumaßnahmen ein einheitliches Gesamtvorhaben, ist die Genehmigungspflicht insgesamt gegeben (Lechner/Busse in Busse/Kraus, BayBO, Stand März 2021, Art. 57 Rn. 14).
Speziell bei Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO gelten die oben genannten Grundsätze ebenfalls mit der Ergänzung, dass es sich um eine selbstständige Aufschüttung handeln muss, die eine eigene Zweckbestimmung und Funktion hat, also nicht in räumlichem oder zeitlichem Zusammenhang mit den Bauarbeiten für eine andere Anlage steht (BayObLG, B.v. 16.3.1993 – 3 ObOWi 11/93 – NVwZ-RR 1994, 18). Unselbstständige Aufschüttungen, also solche, die Teil eines (anderen) genehmigungspflichtigen Vorhabens sind, teilen dessen Schicksal, sind also genehmigungspflichtig (Weinmann in BeckOK, BayBO, 18. Edition, Art. 57 Rn. 137).
Nach diesen Grundsätzen ist vorliegend nicht von einer Verfahrensfreiheit gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 9 BayBO auszugehen. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers handelt es sich – nach summarischer Überprüfung – nicht um einzeln zu betrachtende selbstständige Vorhaben bzw. Aufschüttungen, sondern um ein Gesamtvorhaben, welches genehmigungspflichtig ist. Dies gilt selbst dann, wenn man annimmt, dass sich die Aufschüttungen über einen Zeitraum von 13 Jahren erstreckten. Wie sich aus den Behördenunterlagen ergibt, beabsichtigt der Antragsteller bereits seit dem Erwerb der betroffenen Grundstücke 2007 die Errichtung einer Streuobstwiese. Aus dem vorgelegten Grobkonzept ergibt sich dabei, dass sich die geplante Streuobstwiese über den gesamten Bereich der Grundstücke des Antragstellers ausdehnen soll. Die getätigten Aufschüttungen und Auffüllungen dienen daher ersichtlich der Umsetzung dieses Vorhabens und sind als eine Einheit anzusehen. Die Aufschüttungen als Gesamteinheit überschreiten dabei die zulässige Grenze der Verfahrensfreiheit von 500 m2, wodurch eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre und damit formelle Illegalität vorliegt.
(3) Eine Verfahrensfreiheit aufgrund von Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 Buchst. b) BayBO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Dies alleine schon deswegen, da sich die Grundstücke des Antragstellers im Außenbereich befinden. Zusätzlich wäre auch hier von einem einheitlichen Vorhaben auszugehen, sodass eine Fläche von 300 m2 überschritten ist.
(4) Es sind auch keine am Maßstab des § 114 VwGO überprüfbaren Ermessensfehler ersichtlich.
Der Erlass einer Einstellungsverfügung steht im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Zu beachten ist dabei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen kann und soll jedoch regelmäßig eine Baueinstellungsverfügung ergehen (intendiertes oder Regelermessen, vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 14). An die Ermessensausübung sind in solchen Fällen nur geringe Anforderungen zu stellen. Ermessensfehlerhaft wäre die Baueinstellungsverfügung nur dann, wenn das Vorhaben zwar formell rechtswidrig, aber offenkundig materiell rechtmäßig wäre (BayVGH, B.v. 2.8.2000 – 1 ZB 97.2669 – juris Rn. 5).
Vorliegend sind gemessen an diesen Grundsätzen keine Ermessensfehler zu erkennen, insbesondere ist das Vorhaben in Anbetracht der Tatsache, dass es sich im Außenbereich befindet, nicht offenkundig materiell rechtmäßig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist zudem gewahrt, da aufgrund der formellen Illegalität kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verhinderung vollendeter Tatsachen erkennbar ist.
Nach alledem wird die Klage in der Hauptsache aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben.
c) Gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer IV. des Bescheids bestehen bei summarischer Prüfung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach keine rechtlichen Bedenken (Art. 29, 31, 36 VwZVG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Der Streitwert wird gemäß §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit auf 2.500,00 EUR festgesetzt.


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