Baurecht

Baueinstellung, genehmigungspflichtiges Vorhaben (bejaht), Instandhaltungsarbeiten (verneint), Ersetzen von Holzwänden durch Mauern aus Porenbetonsteinen.

Aktenzeichen  9 CS 21.3274

Datum:
7.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 4477
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 57 Abs. 6, 75 Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 5 S 21.1440 2021-12-07 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung W. … (… in W. …), auf dem sich ein mit Baubescheid vom 26. April 1946 genehmigtes „Kleines Wohnhaus (Notunterkunft)“ befindet, das einen in Holzbauweise ausgeführten Anbau aufweist.
Sie wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 12. Oktober 2021, mit dem sie verpflichtet wurde, Bauarbeiten auf dem streitgegenständlichen Grundstück unverzüglich einzustellen (verbunden mit einer Zwangsgeldandrohung). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die dort festgestellte Bautätigkeit über verfahrensfreie Instandhaltungsmaßnahmen hinausgehe, weil der Austausch der Holzwände des Nebenraumes gegen festes Mauerwerk wesentlich in die Bausubstanz des Gebäudeteils eingreife. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.
Gegen den Bescheid hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 8. November 2021 Klage erhoben. Ihren Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 7. Dezember 2021 abgelehnt. Mit ihrer Beschwerde verfolgt sie ihr Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die fristgerecht dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederherstellung (bzw. hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung auf Anordnung) der aufschiebenden Wirkung der gegen die Baueinstellung gerichteten Anfechtungsklage zu Recht abgelehnt. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung wird die Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 12. Oktober 2021 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass ihr Interesse an der Herstellung der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem Vollzugsinteresse nachrangig ist.
Das Verwaltungsgericht hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Voraussetzungen des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BayBO erfüllt sind, weil mit der Ausführung eines genehmigungspflichtigen Vorhabens ohne die erforderliche Baugenehmigung begonnen wurde. Entgegen den Einwendungen der Antragstellerin handelt es sich bei den durchgeführten baulichen Maßnahmen am streitgegenständlichen Gebäude nicht mehr um verfahrensfreie Instandhaltungsmaßnahmen (Art. 57 Abs. 6 BayBO).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 20.1.2009 – 15 CS 08.1638 – juris Rn. 8; B.v. 15.4.2019 – 1 CS 19.150 – juris Rn. 8; B.v. 28.6.2021 – 1 ZB 19.2067 – juris Rn. 5, jew. m.w.N.) sind verfahrensfreie Instandhaltungsarbeiten (gemäß Art. 57 Abs. 6 BayBO) von der die Genehmigungsfrage neu aufwerfenden Änderungen einer baulichen Anlage nach Art und Umfang der baulichen Erneuerungen abzugrenzen. Unter Instandhaltungsarbeiten sind bauliche Maßnahmen zu verstehen, die der Erhaltung der Gebrauchsfähigkeit und der baulichen Substanz einer Anlage dienen, ohne deren Identität zu verändern. Mit ihnen können einzelne Bauteile ausgebessert oder ausgetauscht werden, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinflüsse entstandenen baulichen Mängel zu beseitigen, wenn hinsichtlich Konstruktion, Standsicherheit, Bausubstanz und äußeren Erscheinungsbilds keine wesentliche Änderung erfolgt. Eine Änderung einer baulichen Anlage im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB oder Art. 55 Abs. 1 BayBO liegt hingegen vor, wenn das Bauwerk seiner ursprünglichen Identität beraubt wird. Ein solcher Identitätsverlust tritt etwa ein, wenn die für die Instandsetzung notwendigen Arbeiten den Aufwand für einen Neubau erreichen (bzw. sogar übersteigen), wenn die Bausubstanz ausgetauscht oder das Bauvolumen wesentlich erweitert wird oder wenn die Baumaßnahmen sonst praktisch einer Neuerrichtung gleichkommen. Danach können an der Anlage vorgenommene Bauarbeiten auch in Fällen, in denen das Erscheinungsbild unangetastet bleibt und das Bauvolumen nicht erweitert wird, das Merkmal einer Änderung aufweisen (vgl. auch BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5.99 – NVwZ 2000, 1048 = juris Rn. 26; B.v. 10.10.2005 – 4 B 60.05 – BauR 2006, 481 = juris Rn. 4).
Das Verwaltungsgericht ist unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe zu Recht davon ausgegangen, dass die durchgeführten Maßnahmen über Instandhaltungsarbeiten hinausgehen und dass bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2009 – 15 CS 08.1638 – juris Rn. 8) jedenfalls eine grundlegende Veränderung eines wesentlichen Gebäudeteils gegeben ist. Es wurden nicht nur die Dachhaut des Hauptgebäudes erneuert, die Eingangstür versetzt sowie sieben Fenster ausgetauscht, sondern vor allem auch sämtliche Holzwände des Anbaus durch Betonmauern ersetzt, was eine wesentliche Veränderung von Konstruktion, Standsicherheit und Bausubstanz mit sich bringt. An die Stelle der bisherigen Holzwände, die durch Dachpappe, Gipsplatten und anderweitiges Dämmmaterial verstärkt gewesen sein mögen, traten nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts massive, 24 cm starke Wände aus Porenbetonsteinen, wobei zusätzlich eine Bewehrung durch einen betonierten Ringanker erfolgte.
Der Einwand der Antragstellerin, die Außenmaße seien im Ergebnis unverändert geblieben und die Wände nur um wenige Zentimeter verbreitert worden, greift nicht durch. Darauf kommt es nach den zugrunde zu legenden Maßstäben ebenso wenig an, wie auf die Motive der Antragstellerin für die Baumaßnahme. Es kann auch offengelassen werden, ob hier ein Statiknachweis erbracht werden müsste. Zwar tritt nach der Rechtsprechung bei Eingriffen in die Standfestigkeit eines Gebäudes in der Regel ein Identitätsverlust ein, so dass in diesen Fällen eine Änderung des Bauwerks vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2021 – 1 ZB 19.2067 – juris Rn. 5 m.w.N.). Daraus, dass kein solcher Nachweis erforderlich ist, kann aber nicht geschlossen werden, dass die jeweiligen Baumaßnahmen lediglich Instandhaltungsarbeiten darstellen, weil das Kriterium der Statik nicht allein maßgeblich ist.
Das Verwaltungsgericht ist im Übrigen auch nachvollziehbar davon ausgegangen, dass hinsichtlich des äußeren Erscheinungsbilds ebenfalls wesentliche Änderungen eingetreten sind. Die Antragstellerin räumt selbst ein, dass eine Einheitlichkeit von Hauptgebäude und Anbau hergestellt wurde, der aber laut Baubescheid von 1946 lediglich als Nebenraum genehmigt war und ausweislich der in den Akten befindlichen Lichtbilder vor Beginn der Baumaßnahmen nach außen den Eindruck eines Schuppens bzw. eines untergeordneten Nebengebäudes vermittelte. Schließlich kommt es – entgegen den Einwänden der Antragstellerin – nicht darauf an, welche tatsächliche Nutzung (ohne die erforderliche Genehmigung) insofern zuletzt ausgeübt wurde. Maßgeblich ist allein die Genehmigungslage, wonach es sich beim Anbau um einen Nebenraum handelt.
Die Beschwerde gibt auch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass das Verwaltungsgericht nach summarischer Prüfung zu Recht davon ausgegangen ist, dass es sich bei den Arbeiten um ein Gesamtvorhaben handelt, das nicht in genehmigungspflichtige und genehmigungsfreie Teile aufgespalten werden kann. Vielmehr spricht das Erscheinungsbild einer abgestimmten Sanierungsmaßnahme der verschiedenen Bauteile für die Einheitlichkeit.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.4 des Streitwertkatalogs. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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