Baurecht

Baueinstellung, Wochenendhausgebiet, Festsetzung der maximal zulässigen Grundfläche, Anrechnung eines Balkons

Aktenzeichen  M 1 K 19.1547

Datum:
25.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12433
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 75 S. 1
BauNVO § 10 Abs. 3
BauNVO § 19

 

Leitsatz

Gründe

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klage ist zulässig, insbesondere verfügt der Kläger über ein Rechtschutzbedürfnis. Entgegen den schriftsätzlichen Angaben, dass das Haus nunmehr ohne Balkon errichtet werden solle, stellte die Klagepartei in der mündlichen Verhandlung klar, dass es weiterhin ihre Absicht sei, den Balkon zu errichten, der Gegenstand der angegriffenen Baueinstellungsverfügung ist.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids vom 27. Februar 2019. Dieser erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für den angegriffenen Bescheid, mit dem gegenüber dem Kläger die Einstellung der Bauarbeiten am Balkon auf dem Grundstück FlNr. 1811/4 Gem. … angeordnet wird, ist Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Hiernach kann die Bauaufsichtsbehörde die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden.
I. Der Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere konnte der Beklagte von der Anhörung des Klägers absehen, Art. 28 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG, weil hier eine sofortige Entscheidung im öffentlichen Interesse als notwendig erschien. Im Falle einer anstehenden Baueinstellungsverfügung ist dies regelmäßig zu bejahen, um einen illegalen Weiterbau und damit möglicherweise einen nicht mehr rückgängig zu machenden Verstoß gegen die Rechtsordnung zu verhindern (BayVGH, B.v. 29. 10.2020 – 1 CS 20.1979 – juris Rn. 8). Anderes gilt, wenn im konkreten Einzelfall nicht zu befürchten ist, dass – illegal – weitergebaut wird und damit ein nicht mehr rückgängig zu machender Verstoß gegen die Rechtsordnung eintritt (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, 144. EL September 2021, Art. 75 Rn. 25). Hier war damit zu rechnen, dass die Balkonbauarbeiten fortgeführt werden und ohne die Einstellungsverfügung vollendete Tatsachen geschaffen würden. Zum einen musste das Landratsamt angesichts der damals vorliegenden Eingabepläne mit Darstellung des hier streitigen Balkons davon ausgehen, dass dieser errichtet wird. Zum anderen hatte der Kläger seit dem 27. September 2018 bereits Kenntnis von der Rechtsauffassung des Landratsamts, dass es sich um ein verfahrensfreies Vorhaben nur dann handele, wenn der Balkon nicht ausgeführt werde. Gleichwohl wurde bei der Baukontrolle am 17. Januar 2019 festgestellt, dass bereits bauliche Vorkehrungen zur Errichtung des Balkons in Form von auskragenden Bauteilen getroffen worden waren, sodass mit dessen baldiger Vollendung zu rechnen war.
II. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig. Die Errichtung des Balkons widerspricht öffentlich-rechtlichen Vorschriften, sodass die diesbezüglichen Bauarbeiten eingestellt werden durften. Es liegt ein materieller Rechtsverstoß vor. Dieser schließt gleichzeitig die Verfahrensfreiheit gemäß Art. 57 Abs. 2 Nr. 2 BayBO aus, weil das Vorhaben nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht, sodass auch die formelle Illegalität des Vorhabens zu bejahen ist. Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass das Vorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht vereinbar ist, weil der Balkon auf die zulässige Grundfläche anzurechnen ist und diese überschritten wird.
1. Nr. 3.1 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 67 „Sondergebiet Wochenendhausgebiet … Moos“ beschränkt die maximal zulässige Grundfläche der Wochenendhäuser auf 75 m². Bereits bei den gegebenen Außenmauern von 8,70 m auf 8,70 m ohne den streitigen Balkon wird die zulässige Grundfläche ausgeschöpft bzw. um 0,69 m² überschritten. Die Errichtung des Balkons führt zu einer weiteren Überschreitung der Grundfläche um ca. 9,80 m², die die bauaufsichtliche Maßnahme rechtfertigt.
Die planerische Festsetzung der Grundfläche beruht auf der Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO, wonach die zulässige Grundfläche der Wochenendhäuser im Bebauungsplan, begrenzt nach der besonderen Eigenart des Gebiets, unter Berücksichtigung der landschaftlichen Gegebenheiten festzusetzen ist.
Es handelt sich hierbei um eine Beschränkung der Größe auf ein absolutes Maß nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 Fall 2 BauNVO. Die an sich gesetzestechnisch systemwidrige Regelung zum Maß der baulichen Nutzung, verortet im Abschnitt zur Art der baulichen Nutzung (§§ 1 bis 15 BauNVO), erklärt sich durch das offensichtliche Bestreben des Gesetzgebers, die Einhaltung der Zweckbestimmung von Wochenendhäusern abzusichern (vgl. Bischopink in Bischopink/Bönker, BauNVO, 1. Aufl. 2014, § 10 Rn. 45). Das Wochenendhaus soll als Wohnstätte zum zeitlich begrenzten Aufenthalt von Menschen zu Erholungszwecken dienen; eine dauerhafte Wohnnutzung durch den Eigentümer ist damit ebenso ausgeschlossen wie eine dauernde Nutzung durch ständig wechselnde Bewohner im Sinne eines Ferienhauses. Angesichts der Schwierigkeit der Abgrenzung dieser Nutzungsformen und der bestehenden Gefahr der Dauerwohnnutzung soll planerisch sichergestellt sein, dass Wochenendhäuser wegen ihrer beschränkten Größe und des damit einhergehenden eingeschränkten Komforts nur einige wenige zusammenhängende Tage sinnvoll als Wohnstätte genutzt werden können. Zur Sicherstellung kann der Plangeber insoweit allerdings nur auf Größenbegrenzungen zurückgreifen; ein Regulativ können neben Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche und zur Bauweise eben solche zum Maß der baulichen Nutzung sein (vgl. Bischopink in Bischopink/Bönker, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 10 Rn. 40 f.). Der konkreten Festsetzung ist hier nichts entgegenzusetzen (vgl. im diesbezüglichen Normenkontrollverfahren BayVGH, U.v. 7.9.2021 – 1 N 18.870 – juris Rn. 39); diesbezügliche Einwendungen wurden im Übrigen auch nicht erhoben.
Die Festsetzung zu der zulässigen Grundfläche verhält sich zu der Anrechnung von Gebäudeteilen wie dem hier streitigen Balkon nicht ausdrücklich. Die Auslegung ergibt, dass der Balkon auf die Grundfläche anzurechnen ist.
a) Bei der zulässigen Grundfläche nach § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO werden nur solche Gebäudeteile erfasst, die sich nach ihrem äußeren Eindruck als integrierter Bestandteil des Wochenendhauses darstellen (Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 10 Rn. 25). Im Falle des hier streitigen Balkons handelt es sich um einen integrierten Bestandteil des Hauses und nicht etwa um einen selbständig zu beurteilenden Baukörper wie etwa die dem Urteil des OVG Rheinland-Pfalz vom 22. November 2011 (8 A 10443/11 – juris) zugrundeliegende Garage, die trotz des Anbaus an das Haus nicht an der Aufenthaltsfunktion des Wochenendhauses teilhat und den Eindruck eines selbständigen Teilgebäudes vermittelt.
b) Zur Beantwortung der Frage, ob ein Gebäudeteil zur Grundfläche des Wochenendhauses hinzuzurechnen ist, finden die §§ 16 ff. BauNVO grundsätzlich Anwendung. Wenn auch bei der Regelung des § 10 Abs. 3 BauNVO Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung der Art der Nutzung dienen, liegt es nahe, auf das allgemeine Begriffsverständnis zum Maß der baulichen Nutzung abzustellen und keine neue Kategorie zu eröffnen. Denn mit den Festsetzungsmöglichkeiten nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO können unangemessen große Baukörper nicht nur aus Gründen des Bodenschutzes, sondern auch aus städtebaulich-gestalterischen Gründen vermieden werden (Seith in Brügelmann, BauNVO, 117. Lfg. Januar 2021, § 16 Rn. 39). So meint auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (U.v. 7.9.2021 – 1 N 18.870 – juris Rn. 40), dass der Begriff der „Grundfläche der Wochenendhäuser“ in § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO nicht wesentlich anders zu verstehen ist als die Größe der Grundflächen gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO.
Unter der Grundfläche ist hiernach die von der baulichen Anlage überdeckte Fläche zu verstehen (Seith in Brügelmann, BauNVO, 117. Lfg. Januar 2021, § 16 Rn. 39). Der Begriff der Überdeckung setzt nicht voraus, dass eine unmittelbare Verbindung mit Grund und Boden besteht; auch in den Luftraum hineinragende Teile können die Grundstücksfläche überdecken (BVerwG, U.v. 21.10.2004 – juris Rn. 32 zu § 19 Abs. 2 BauNVO). Entsprechend gilt im Rahmen von § 19 Abs. 2 BauNVO, dass Balkone mitzurechnen sind (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, 143. EL August 2021, § 19 Rn. 13). Der Balkon verursacht eine im vorgenannten Sinne von Bebauung überdeckte Fläche, auch wenn in dem Bereich des Balkons im Obergeschoss kein Kontakt zum Boden besteht.
Dies gilt auch unter Einbeziehung des Umstands, dass der Regelung von § 19 BauNVO der Bodenschutz und die Flächenversiegelung zugrunde liegt, hingegen bei § 10 BauNVO das Augenmerk auf das äußere Erscheinungsbild der Anlage und der begrenzten Nutzbarkeit zum Zwecke der Verhinderung des Dauerwohnens liegt.
Es greift mit Blick auf den Regelungszweck von § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO zu kurz, lediglich auf die von den Außenmauern umgrenzte Fläche abzustellen. Denn der streitige Balkon ist in seinen Abmessungen einschließlich seiner Überdachung äußerlich gut wahrnehmbar und prägt das äußere Erscheinungsbild der Anlage deutlich. Er weist auch einen zusätzlichen Wohnnutzen auf und erweitert damit die vom Verordnungs- und Plangeber beabsichtigte begrenzte Nutzbarkeit, selbst wenn es sich nicht um einen vollends umbauten Raum handelt.
Zwar trifft es zweifellos zu, dass sich ein Wochenendhaus nicht alleine deswegen in ein Wohnhaus verwandelt, weil es größere Dachüberstände oder eine Terrasse aufweist (so OVG Mecklenburg-Vorpommern, U.v. 20.3.2012 – 3 L 12/08 – juris Rn. 81); dasselbe gilt für einen Balkon. Darauf kommt es jedoch nicht an. Die Kammer hält es nicht für sachgerecht, darauf abzustellen, welches äußerliche Gepräge die einzelnen Bestandteile dem Haus geben und hiernach zu entscheiden, ob sie „wochenendhaus-“ oder „wohnhaustypisch“ sind oder nicht. Eine solche Vorgehensweise würde gar dazu führen, dass Bestandteile, die erkennbar nicht wochenendhaustypisch sind, auch nicht auf die Grundfläche anzurechnen wären.
Im Übrigen lässt sich der streitige Balkon auch mit der Terrasse und dem Dachüberstand des von der Klagepartei angeführten Urteil des OVG Mecklenburg-Vorpommern (v. 20.3. 2012, a.a.O.) nicht vergleichen. Anders als ein Balkon nimmt eine Terrasse an der Kubatur eines Hauses nicht teil – solange sie, und soweit schränkt das OVG dies auch ein – nicht umbaut ist. Ein Balkon verändert durch seine Anbringung am Baukörper selbst dessen äußeres Erscheinungsbild und führt zu dessen Erweiterung, unabhängig von seiner vollständigen Umbauung. Auch hinsichtlich des in dem dortigen Verfahren streitgegenständlichen Dachüberstands stellt das OVG einschränkend darauf ab, ob der Dachüberstand der Größe nach angemessen ist: Ein Dachüberstand werde auf die Grundfläche jedenfalls dann nicht angerechnet, wenn er baukonstruktiv und baugestalterisch nach Form, Maßstab, Verhältnis der Baumasse und Bauteile unter Beachtung der örtlichen Verhältnisse zueinander angemessen sei (a.a.O., Rn. 82). Dem dürfte die Annahme zugrunde liegen, dass ein derartiger Dachüberstand keinen weiteren (Wohn-)Nutzen aufweist sowie optisch untergeordnet ist und daher unberücksichtigt bleibt. Gerade darin unterscheidet dieser sich jedoch maßgeblich von dem streitigen Balkon, der seinerseits einen Zusatznutzen aufweist und optisch massiv hervortritt. Im Übrigen zeigt sich auch hier, dass die Betrachtung der einzelnen Bestandteile Schwierigkeiten aufwirft. Nach den Ausführungen des OVG Mecklenburg-Vorpommern ist es grundsätzlich denkbar, dass ein unverhältnismäßig großer Dachüberstand wiederum doch auf die Grundfläche anzurechnen ist. Dann bleibt jedoch offen, warum ein Haus mit einem übermäßig großen Dachüberstand nicht mehr wochenendhaustypisch sein sollte.
Damit bleibt es im Gefüge von §§ 16, 19 BauNVO und nach Sinn und Zweck von § 10 Abs. 3 Satz 3 BauNVO bei der Anrechnung der Balkonfläche auf die Grundfläche.
2. Die Baueinstellung entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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