Baurecht

Baugenehmigung zur Nutzung von zwei nördlichen Flachdächern als Dachterrassen

Aktenzeichen  9 CS 21.953

Datum:
7.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 16223
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 5 S. 1

 

Leitsatz

Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme infolge der genehmigten Nutzung zweier nördlicher Flachdächer des Wohngebäudes als Dachterrassen ist nicht ersichtlich, wenn davon auszugehen ist, dass in der nach § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB zu beurteilenden planungsrechtlichen Situation an die Grenzen zum Nachbargrundstück gebaut werden durfte. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 S 21.132 2021-03-15 VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich als (Mit-) Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung F* … (H* …straße **) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 21. Dezember 2020 erteilte Baugenehmigung zur Nutzung von zwei nördlichen Flachdächern am Wohnhaus auf dem Grundstück FlNr. … derselben Gemarkung (F* …gasse *) als Dachterrassen.
Gegen die unter Zulassung einer Abweichung von den Vorschriften über die Abstandsflächen hinsichtlich der Abstandsflächen der Dachterrassen im Ober- und Dachgeschoss nach Westen zu FlNr. …, nach Norden zu FlNr. … und … und nach Osten zu FlNr. … mit Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 21. Dezember 2020 erteilte Baugenehmigung erhob der Antragsteller Klage, über die noch nicht entschieden ist. Außerdem stellte er einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. März 2021 ablehnte. Der Antragsteller sei nicht in seinem Recht auf Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften verletzt. Zugunsten des Bauherrn sei die Neuregelung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO durch Gesetz vom 23. Dezember 2020 (GVBl. S. 663) heranzuziehen, wonach die Tiefe der Abstandsfläche grundsätzlich nur noch 0,4 H, mindestens 3 m, betrage. Solche Abstandsflächen könnten hinsichtlich der Dachterrasse im Obergeschoss in Richtung Westen sowie Norden und hinsichtlich der Dachterrasse im Dachgeschoss in Richtung Westen im Gegensatz zur dortigen Abstandsfläche in Richtung Norden zwar nicht eingehalten werden, sondern erstreckten sich (teilweise) auf das Grundstück des Antragstellers. Es sei vorliegend aber wohl davon auszugehen, dass nach den planungsrechtlichen Vorschriften bei der festzustellenden regellosen Bebauung mit teilweise offener, geschlossener und halboffener Bauweise an die Grenze gebaut werden dürfe und sich die Errichtung der Dachterrassen an der Grundstücksgrenze an den von der Umgebung vorgegebenen Rahmen halte.
Abgesehen davon begegne auch die Zulassung der Abweichungen durch das Landratsamt keinen Bedenken. Unabhängig davon, ob für die Erteilung einer Abweichung das Vorliegen einer Atypik nach der Änderung der bayerischen Bauordnung zum 1. September 2018 noch zu fordern sei, sei von einer solchen hier jedenfalls auszugehen. Sie ergebe sich aus der Lage der betroffenen Grundstücke und der hierauf errichteten (Wohn-) Gebäude, insbesondere dem Zuschnitt des Baugrundstücks und dessen Umgriff im südlichen Altortbereich des Marktes F* … Sowohl im engeren Umgriff des Baugrundstücks im Bereich zwischen der H* …straße im Norden, der M* …gasse im Westen und der F* …gasse im Süden und Osten als auch im weiteren Umgriff, also zwischen der H* …straße, zwischen dem U* … … im Westen und dem M* …tor im Osten sowie dem M* … im Süden hielten nur vergleichsweise wenige Gebäude die nach heutigen Maßstäben erforderlichen Abstandsflächen ein. Dies gelte auch für die an das Baugrundstück im Osten und Westen angrenzenden Anwesen; so auch für das Grundstück des Antragstellers. Es sei von einer besonderen städtebaulichen Situation in einem historischen Ortskern mit enger, grenzständiger oder grenznaher Bebauung, in der die Abstandsflächen generell nicht eingehalten werden können, auszugehen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Abweichungen seien unter Berücksichtigung der nachbarlichen Belange und der Anforderungen des Art. 3 Satz 1 BayBO zu bejahen. In Bezug auf die geltend gemachte Beeinträchtigung des Wohnfriedens, soweit dieser oder ein einzuhaltender Sozialabstand als Zweck des Abstandsflächenrechts anzuerkennen sei, sei eine Verschlechterung der Situation jedenfalls nicht festzustellen. Es sei von einem überwiegenden Bauherreninteresse auszugehen. Der Antragsteller könne sich nach Treu und Glauben auch nicht auf die Nichteinhaltung des Abstandsflächenrechts berufen, weil auch die Bebauung auf seinem Grundstück das Abstandsflächenrecht nicht einhalte und der Missstand in etwa gleichgewichtig sei. Das Bauvorhaben, das sich im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die maßgebliche nähere Umgebung einfüge, sei auch nicht rücksichtlos. Es entfalte keine erdrückende Wirkung. Die Möglichkeit der Einsichtnahme in sein Grundstück sei nicht städtebaulich relevant und vom Antragsteller hinzunehmen. Ein Ausnahmefall sei nicht erkennbar.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Abweichungen seien nicht entbehrlich, weil eine geschlossene Bauweise nicht vorhanden sei. Es sei bislang nicht bis an die Grundstücksgrenze des Antragstellers gebaut worden. Ebenerdig sei ehemals ein Schweinestall vorhanden gewesen; die dortige Fläche im Erdgeschoss könne als Terrasse genutzt werden. Die genehmigten Dachterrassen seien immer nur Dachflächen und keine Aufenthaltsflächen gewesen. Bei einer geschlossenen Bebauung gehe es darum, dass Mauer an Mauer, ohne Fenster, gebaut werde. Hier gehe es um offene Aufenthaltsflächen gegenüber einer Mauer mit Fenstern und einer vorhandenen Freifläche des Antragstellers. Es sei im vom Verwaltungsgericht definierten Baugebiet nicht üblich, dass Terrassen unmittelbar nebeneinander gebaut würden. Auf die vorhandene Situation sei abzustellen. Es liege auch kein die Zulassung von Abweichungen rechtfertigender atypischer Fall vor. Die Dachterrasse könne, ohne Abstandsflächenüberschreitung, kleiner geplant werden. Es könne im Hinblick auf den Brandschutz und den sozialen Frieden nicht gesetzgeberisch gewollt sein, dass enge Bausituationen noch enger würden. Vielmehr müsse der vorhandene Platz erhalten werden. Der Beigeladene habe gewusst, was er gekauft habe. Es gehe dem Antragsteller auch nicht um Belichtung und Belüftung, sondern um den sozialen Frieden. Zu dem Einblick komme das Hören des Nachbarn hinzu. Die Dachterrasse intensiviere die Nutzung durch den Beigeladenen noch gegenüber seinen bereits vorhandenen bodentiefen Fenstern. Es habe zudem eine informelle Vereinbarung zwischen dem Landratsamt, dem Bauherrn und dem Antragsteller bestanden, dass die Umbaumaßnahmen am Bestandsgebäude ohne Dachterrassen als Außenflächen erfolgen. Mit der Baugenehmigung vom 25. Juli 2019, die die Überdachung des Innenhofs vorgesehen habe, sei der Antragsteller einverstanden gewesen. Der Balkon des Antragstellers könne dem Antragsteller im Hinblick auf Treu und Glauben nicht vorgehalten werden, da sich dieser „innerhalb des vorhandenen Baukörpers“ befinde und anders als beim Beigeladenen nicht aus dem Gebäude hervortrete. Das Bauvorhaben sei auch rücksichtslos. Besonnte Freiflächen in einem eng bebauten Altort schaffen zu wollen, sei unrealistisch und nicht umsetzbar.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Würzburg vom 21. Dezember 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Antragsteller verkenne im Hinblick auf die planungsrechtliche Situation, dass es auf die nähere Umgebung des Baugrundstücks ankomme, die das Verwaltungsgericht zutreffend bestimmt habe. Die konkrete bauliche Grundstückssituation komme dagegen erst im Hinblick auf das Gebot der Rücksichtnahme und dessen Einhaltung zum Tragen. Dass die Dachterrassen hiergegen verstießen, obwohl der Antragsteller selbst über eine grenzständige Dachterrasse verfüge, sei weder dargetan noch ersichtlich. Jedenfalls seien Abweichungen von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts zu Recht zugelassen worden, da jedenfalls von einer atypischen Grundstückssituation auszugehen sei. Eine (informelle) Vereinbarung zwischen Landratsamt, Beigeladenem und Antragsteller hinsichtlich des ursprünglich genehmigten Bauantrags habe es nicht gegeben. Der Bauaufsichtsbehörde obliege auch nicht die Prüfung, ob ein Bauvorhaben nachbargünstiger umgesetzt werden könne. Der Balkon bzw. Freisitz des Antragstellers befinde sich an der Grenze zum Grundstück des Beigeladenen. Die Dachterrasse im Dachgeschoss weise dagegen einen Abstand von etwa 4 m auf, was dem Wohnfrieden bzw. dem notwendigen Sozialabstand diene. Sie sei im Übrigen im Zuge der Planung auf ca. 7,3 m² reduziert worden. Die gegenseitigen Einsichtsmöglichkeiten und die vorhandene Nähesituation – auch hinsichtlich Geräuscheinwirkungen – seien der vorhandenen Grundstückssituation im historischen Ortskern geschuldet; die Baugenehmigung gewährleiste den Ausgleich zwischen dem Interesse des Beigeladenen an wirtschaftlicher Verwertung seines Grundstücks und der vorhandenen Wohnnutzung sowie dem Wunsch der Nachbarn nach Ruhe und Privatsphäre.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers zu Recht abgelehnt, weil dessen Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Ein Abwehranspruch des Antragstellers resultiert nicht aus dem aus bauplanungsrechtlicher Sicht einzig in Betracht kommenden und von ihm insoweit auch nur geltend gemachten Gebot der Rücksichtnahme, hier in seiner Ausprägung im Gebot des Einfügens in der Regelung des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen dabei wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2021 – 9 CS 21.464 – juris Rn. 15). Danach ist in Anbetracht der hier voraussichtlich anzunehmenden bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Grenzanbau in der maßgeblichen näheren Umgebung keine solche Rechtsverletzung des Antragstellers gegeben.
Soweit der Antragsteller das Vorhandensein einer geschlossenen Bauweise verneint, weil ehemals auf dem Baugrundstück kein Grenzanbau zum Grundstück des Antragstellers existiert habe, ist vielmehr dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass sich das Bauvorhaben auch nach der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die nähere Umgebung einfügt. Welcher Bereich als nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebend ist, hängt dabei davon ab, inwieweit sich einerseits die Ausführung des geplanten Vorhabens auf die benachbarte Bebauung und andererseits diese Bebauung auf den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägend auswirken. Die Eigenart der näheren Umgebung wird durch dasjenige bestimmt, was auf dem Baugrundstück selbst und in der näheren Umgebung tatsächlich vorhanden ist (BayVGH, B.v. 28.11.2019 – 9 ZB 16.2300 – juris Rn. 6). Zu betrachten ist folglich in diesem Zusammenhang nicht nur die vom Antragsteller insoweit angeführte Nachbarsituation, wobei der Antragsteller allerdings auch übersieht, dass der bereits errichtete westliche und nördliche Grenzanbau im nördlichen Grundstücksteil des Beigeladenen mit Baugenehmigung vom 25. Juli 2019 bestandskräftig genehmigt und bereits errichtet wurde.
Wie der im Bauantragsverfahren eingereichte Lageplan M 1:1000 erkennen lässt, sind in dem hier voraussichtlich als maßgeblicher näherer Umgebung für die Bauweise heranzuziehenden Umgriff des Baugrundstücks zwischen der H* …straße im Norden, der M* …gasse im Westen und der F* …gasse im Süden und Osten Gebäude deutlich überwiegend in geschlossener Bauweise errichtet (vgl. § 22 Abs. 2 und 3 BauNVO; vgl. z.B. FlNr. … … und … … … und … … und … Gemarkung F* …*) und/oder halten die erforderlichen Abstandsflächen nicht ein (vgl. z.B. FlNr. … … … und … … … und … … … …*). Die Hauptbaukörper nehmen zum Teil die gesamte Grundstücksfläche ein (vgl. z.B. FlNr. … … … … …*). Ergibt die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende Bestandsaufnahme des Vorhandenen – wie hier das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – somit, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand umfasst und regellos ist, sodass auch keine einheitliche Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise eingestuft werden kann (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO), dann hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2020 – 9 CS 20.1414 – juris Rn. 17). Angesichts der tatsächlichen Umstände ist deshalb davon auszugehen, dass in der hier nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu beurteilenden planungsrechtlichen Situation an die Grenzen zum Antragsteller gebaut werden durfte.
Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme infolge der genehmigten Nutzung zweier nördlicher Flachdächer des Wohngebäudes als Dachterrassen ist in dieser Situation nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das Bauplanungsrecht grundsätzlich keinen Schutz vor unerwünschten Einblicken gewährleistet und sich allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen etwas Anderes ergeben könnte (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.2305 – juris Rn. 15). Es hat auch zutreffend einen Ausnahmefall hier nicht angenommen, wobei es zu Recht berücksichtigte, dass die Baugenehmigung vom 16. Oktober 1997 für den hinteren, in einem Abstand von etwa 0,80 m westlich des Grundstücks des Beigeladenen errichteten Gebäudeteil des Antragstellers Büroräume und keine Wohnräume genehmigt hat und zudem den Hinweis enthält, dass die gesamten Außenwände dieses Gebäudes als bauordnungsgemäße Brandwände zu erstellen sind. Die beiden östlichen Fenster im Obergeschoss dieses Gebäudes, wohl zu einem Badezimmer und einem WC gehörend, werden daher von der Bauaufsichtsbehörde nur im Hinblick auf eine vorhandene Festverglasung als genehmigt angesehen bzw. könnten nach Aktenlage auch nur als geduldet anzusehen sein.
Hinsichtlich des nördlich vom Beigeladenengrundstück gelegenen Gebäudeteils des Antragstellers ist zudem von Bedeutung, dass die bis zur Grundstücksgrenze reichende streitgegenständliche Dachterrasse im Obergeschoss auf dem mit Bescheid vom 25. Juli 2019 bestandskräftig genehmigten ebenerdigen „Keller 3“ aufsitzt, der nur vom Wohngebäude aus zugänglich und zum Hauptgebäude zu zählen ist (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2020 – 9 CS 20.378 – juris Rn. 18), sodass sie hierüber folglich nicht hinausragt. Die Lage ist insofern nicht anders zu beurteilen als hinsichtlich des Balkons des Antragstellers an der Grundstücksgrenze. Die Dachterrasse liegt zudem unterhalb des Niveaus dieses Balkons. Einblicke wären also eher vom Antragstellergrundstücks in Richtung des Grundstücks des Beigeladenen als umgekehrt zu befürchten.
Die Dachterrasse im Dachgeschoss des Beigeladenen hält nach Westen einen Abstand von 2 m ein, obwohl sie bauplanungsrechtlich wohl bis zur Grundstücksgrenze geführt werden dürfte. Das Gebäude des Antragstellers mit einem Abstand von 0,80 m zur westlichen Grundstücksgrenze des Beigeladenen weist auf dieser Ebene auch keine Öffnungen auf. Nach Norden hält die Dachterrasse im Dachgeschoss einen Abstand von 3,98 m ein, womit sie, worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat, dem geltenden Abstandsflächenrecht gerecht wird (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO), das zugunsten des Beigeladenen hier auch Berücksichtigung finden kann (vgl. BVerwG, B.v. 8.11.2010 – 4 B 43.10 – juris Rn. 9).
Soweit der Antragsteller auf die Möglichkeit des Hörens nachbarlicher Äußerungen verweist, können mangels städtebaulicher Relevanz die Ausführungen zum Schutz vor unerwünschten Einblicken, den das Bauplanungsrecht grundsätzlich nicht bietet, hierauf übertragen werden (vgl. BayVGH, B.v. 17.9.2020 – 9 CS 20.1414 – juris Rn. 18 m.w.N.). Das gegenseitige „Mithören“ oder auch „Hören müssen“ würde sich zudem in gleicher Weise von einem unbebauten Bereich des Baugrundstücks oder einer ebenerdigen Terrasse, auf die der Antragsteller den Beigeladenen verweisen möchte, obwohl im fraglichen Bereich der „Keller 3“ bestandskräftig genehmigt und errichtet ist, ergeben. Letztlich wird der Antragsteller nicht in anderer Weise von den Dachterrassen des Beigeladenen als dieser von dem Balkon des Antragstellers oder der unmittelbar daneben befindlichen Terrasse auf gleicher Ebene auf dem Grundstück FlNr. … betroffen. Dem Beigeladenen ist aber unabhängig davon, was zuerst vorhanden war, ebenso wie dem Antragsteller zuzugestehen, sein Grundstück soweit wie rechtlich möglich auszunutzen.
2. Die Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht.
Nach der dem Städtebau den Vorrang einräumenden Bestimmung in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an den Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder – wie hier – zumindest gebaut werden darf. Auf die Ausführungen unter 1. kann, soweit die Dachterrasse im Obergeschoss an den Grenzen zu Grundstück des Antragstellers errichtet werden soll, verwiesen werden.
Soweit die Dachterrasse im Dachgeschoss nicht an die westliche Grundstücksgrenze angebaut werden soll, sondern eine Abstandsfläche mit einer Tiefe von 2 m hierzu aufweist und jedenfalls die Mindestabstandsflächentiefe von 3 m nicht eingehalten ist (vgl. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO), ist dem Verwaltungsgericht darin zu folgen, dass wegen der historisch gewachsenen äußerst engen Bebauung in dem das Baugrundstück umgebenden südlichen Altort F* …s von einer besonderen städtebaulichen Situation auszugehen ist, die die Annahme einer Atypik, so man das Vorliegen einer solchen für die Zulassung einer Abweichung überhaupt noch für erforderlich hält, rechtfertigt. Dem Verwaltungsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass mit der Nichteinhaltung von den Abstandsflächenvorschriften in Richtung Westen, wo der grenznah errichtete hintere Gebäudeteil des Antragstellers keine Öffnungen aufweist, Nachteile hinsichtlich Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden nicht zu erwarten sind und andererseits der Beigeladene ein legitimes Interesse daran hat, den baurechtlich vorgegebenen Rahmen auszuschöpfen. Der Antragsteller setzt alldem mit seinem Beschwerdevorbringen nichts Durchgreifendes entgegen.
Nachbarliche Belange stehen hier der Zulassung einer entsprechenden Abweichung aber jedenfalls voraussichtlich auch deshalb nicht entgegen, weil der Antragsteller mit seinem hinteren Gebäudeteil selbst nur einen Abstand von etwa 0,80 m Tiefe von seiner östlichen Grundstücksgrenze einhält. Ein Nachbar kann sich gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, B.v. 3.5.2018 – 9 CS 18.543 – juris Rn. 29). Letzteres ist hinsichtlich der Nichteinhaltung der Abstandsfläche nach Westen durch die Dachterrasse im Dachgeschoss voraussichtlich nicht der Fall. Auch die von Antragsgegnerseite ohnehin bestrittene „informelle“ Vereinbarung des Antragstellers mit Landratsamt und Beigeladenem, das keine Dachterrasse errichtet werde, würde aller Voraussicht nach zu keiner anderen Beurteilung führen. Schließlich kommt es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf an, ob der Beigeladene sein Bauvorhaben anders hätte planen können (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2021 – 15 B 20.2120 – juris Rn. 15).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 163 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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