Baurecht

Baurechtliche Nachbarklage, Abgrenzung von Außen- und Innenbereich, Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  9 ZB 20.18

Datum:
17.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2032
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34, § 35

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 5 K 19.241 2019-10-17 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 12.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich als Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks gegen eine dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung zum Umbau, zur Nutzungsänderung und zur Restaurierung einer denkmalgeschützten Unterkunft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.
Das Verwaltungsgericht hat ihre entsprechende Klage als unbegründet abgewiesen. Das nach § 35 BauGB zu beurteilende Vorhaben verletze keine Rechte der Klägerin. Aufgrund des Augenscheins und unter Heranziehung der in den Akten befindlichen Lagepläne, Luft- und Lichtbilder stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich das Vorhaben im Außenbereich befinde, so dass ein Gebietserhaltungsanspruch nicht gegeben sei. Das Gebot der Rücksichtnahme sei ebenfalls nicht verletzt. Die Nutzung als heilpädagogische Einrichtung zur Betreuung autistischer und psychisch kranker Kinder und junger Jugendlicher beeinträchtige die Klägerin nicht unzumutbar. Das Vorhaben rufe ihr gegenüber keine schädlichen Umwelteinwirkungen hervor. Entgegen dem klägerischen Vortrag sei nicht beabsichtigt, gewalttätige Jugendliche oder jugendliche Intensivtäter unterzubringen, so dass keine Anhaltspunkte dafür vorhanden seien, dass von den Kindern und Jugendlichen eine Sicherheitsgefahr für Nachbarn ausgehen könnte.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Rechtsschutzziel weiter. Die Beklagte und der Beigeladene verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.
a) Aus dem Vorbringen der Klägerin ergeben sich keine Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils in diesem Sinn bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Das ist hier nicht der Fall.
Soweit die Klägerin sich gegen die im Urteil geäußerten Zweifel an ihrer Klagebefugnis wendet, wird nicht ersichtlich, warum diese hier entscheidungserheblich sein sollen (vgl. zu dieser Voraussetzung OVG NW, B.v. 13.5.1997 – 11 B 799/97 – juris LS 3), nachdem die Abweisung der Klage allein auf deren Unbegründetheit gestützt wurde. Mit ihren gegen die Sachentscheidung erhobenen Einwendungen vermag sie ebenfalls nicht durchzudringen. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich Dritte – wie hier die Klägerin – nur dann im Wege einer Anfechtungsklage mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen können, wenn diese nicht nur rechtswidrig ist, sondern die Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung einer Norm beruht, die gerade dem Schutz der betreffenden Dritten zu dienen bestimmt ist (sog. Schutznormtheorie, vgl. etwa BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris). Es hat eine Rechtsverletzung (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nachvollziehbar verneint und die Klage daher als unbegründet abgewiesen.
aa) Auf Basis des Vortrags im Zulassungsverfahren ist nicht ersichtlich, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung wegen Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs rechtswidrig sein und subjektive Rechte der Klägerin verletzen könnte. Ein solcher Anspruch scheidet aus, weil das Baugrundstück nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts dem Außenbereich (§ 35 BauGB) und nicht dem Innenbereich (§ 34 BauGB) zuzuordnen ist (vgl. dazu BayVGH, B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 20 m.w.N.).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 5 m.w.N.) ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Zu berücksichtigen sind dabei nur äußerlich erkennbare Umstände, d.h. mit dem Auge wahrnehmbare Gegebenheiten der vorhandenen Bebauung und der übrigen Geländeverhältnisse. Bei der Grenzziehung zwischen Innen- und Außenbereich geht es nämlich darum, inwieweit ein Grundstück zur Bebauung ansteht und sich aus dem tatsächlich Vorhandenen ein hinreichend verlässlicher Maßstab für die Zulassung weiterer Bebauung nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche gewinnen lässt. Der Bebauungszusammenhang endet dabei regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall aber ausnahmsweise rechtfertigen, ihm ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind, wobei es maßgeblich darauf ankommt, ob diese besonderen topografischen oder geografischen Umstände den Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit einer Fläche zum Bebauungszusammenhang vermitteln. Wie weit der Bebauungszusammenhang im Einzelfall reicht, kann stets nur das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts sein. Bei dieser Einzelfallbetrachtung ist zu fragen, ob sich tragfähige Argumente dafür finden lassen, mit denen sich die Anwendbarkeit der Vorschriften über den unbeplanten Innenbereich rechtfertigen lässt (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – a.a.O. Rn. 5 f. m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils auf die vorgenannten rechtlichen Maßstäbe abgestellt und das klägerische Grundstück plausibel als Außenbereichsgrundstück eingeordnet. Es hat unter Verweis auf die örtlichen Gegebenheiten zutreffend ausgeführt, dass sich an die streitgegenständlichen baulichen Anlagen Richtung Süden große bewaldete und unbebaute Grundstücke anschließen. Den Eindruck der fehlenden Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit hat es dabei auf die Entfernung zu den im Süden befindlichen Gebäuden gestützt. Verstärkend kämen der starke Geländeunterschied und die Bewaldung hinzu, wobei – entgegen dem klägerischen Vorbringen – nicht die Natur- oder Waldnähe als maßgebliche Kriterien für die Annahme des Außenbereichs herangezogen wurden. Topografische Besonderheiten, die die Anwendbarkeit der Vorschriften über den unbeplanten Innenbereich rechtfertigen könnten, sah das Gericht nicht.
Dem hat die Klägerin im Berufungszulassungsverfahren nichts Substantiiertes entgegengesetzt. Sie thematisiert weder die erhebliche Entfernung zwischen den streitgegenständlichen baulichen Anlagen und den südlich davon gelegenen Gebäuden am H … Weg und am H … Weg noch die topografischen Gegebenheiten, die nach den nachvollziehbaren Darlegungen des Verwaltungsgerichts dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit ebenfalls entgegenstehen. Soweit sie darauf verweist, dass der Bebauungszusammenhang an anderer Stelle nicht aufgrund des Geländeanstiegs unterbrochen werde, kommt es darauf – mangels Vergleichbarkeit der Gesamtumstände – nicht an. Ebenso wie eine Straße sowohl trennende als auch verbindende Wirkung haben kann, muss auch hinsichtlich anderer Merkmale auf die konkrete Situation abgestellt werden (vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2019 – 15 ZB 18.255 – juris). Ebenso wenig kann sich die Klägerin mit Erfolg darauf berufen, dass das Grundstück FlNr. …, Gemarkung H …, das zwischen dem Vorhabengrundstück und dem Wohnhaus H … Weg … (Beginn des südlichen Bebauungszusammenhangs) liegt, nicht größer sei als eine an anderer Stelle befindliche Baulücke. Zum einen befindet sich ein weiteres unbebautes Grundstück zwischen beiden Bereichen (FlNr. …), zum anderen sind die Gesamtumstände in beiden Fällen nicht vergleichbar, vor allem nicht hinsichtlich der umgebenden Bebauung. Auch die weitere Einwendung der Klägerin, das sog. Wachhaus (S … …, FlNr. …) sei im Urteil nicht hinreichend berücksichtigt worden, verfängt nicht. Das Gebäude wurde zutreffend in die Gesamtbetrachtung einbezogen. Es liegt ausweislich der in den Akten befindlichen Karten und Luftbilder aber nicht an dem Wegstück, das zu den Anwesen H … Weg … und … führt, sondern an einem davon abzweigenden, in etwa parallel nach Süden verlaufenden Weg, was im Urteil auch zutreffend festgestellt wurde. Vor allem weist der Beigeladene aber zu Recht darauf hin, dass sich die in der Zulassungsbegründung aufgeführten Entfernungsangaben nicht nachvollziehen lassen. Die Kritik der Klägerin an der Feststellung des Verwaltungsgerichts, es fehle an topografischen Besonderheiten, die einen Bebauungszusammenhang begründen könnten, greift ebenfalls nicht durch. Warum die beiden Gräben, auf die sie sich beruft, einen solchen Zusammenhang herstellen sollten, erschließt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
Schließlich hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt, dass die im Norden gelegene Straße „S …“ ebenfalls trennende Wirkung hat. Insofern setzt die Klägerin wiederum nur ihre eigene Wertung an die Stelle der nachvollziehbaren Darlegungen des Verwaltungsgerichts. Im Übrigen könnte sie sich insofern auch deshalb nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen, weil sich ihr Grundstück dann nicht in demselben, im Norden liegenden (faktischen) Baugebiet befinden würde, sondern in dem davon zu trennenden Gebiet südlich des Vorhabens.
Soweit die Klägerin in der Sache das Ergebnis der richterlichen Überzeugungsbildung angreift, ist ihr Vortrag ebenfalls nicht geeignet, ernstliche Zweifel im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen. Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die richterliche Überzeugung muss auf rational nachvollziehbaren Gründen beruhen, d.h. sie muss insbesondere die Denkgesetze, die Naturgesetze sowie zwingende Erfahrungssätze beachten (vgl. BayVGH, B.v. 4.9.2001 – 15 ZB 00.1583 – juris; B.v. 21.1.2013 – 22 ZB 13.103 u.a. – juris Rn. 22 m.w.N.; Höfling in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 108 Rn. 47 ff.). Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt vor, wenn das Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, namentlich Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen, oder wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (BVerwG, B.v. 14.1.2010 – 6 B 74.09 – Buchholz 402.41 Nr. 87; B.v. 31.10.2012 – 2 B 33.12 – juris Rn. 12). Soweit eine fehlerhafte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO folglich nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (vgl. BayVGH, B.v. 6.9.2011 – 14 ZB 11.409 – juris; B.v. 21.1.2013 – 22 ZB 13.103 u.a. – a.a.O., jew. m.w.N). Derartige Fehler bei der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung hat die Klägerin nicht aufgezeigt. Sie sind auch nicht erkennbar.
bb) Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots berufen.
Das Gebot der Rücksichtnahme gilt vorliegend aufgrund der Außenbereichslage des genehmigten Vorhabens über § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Es wirkt auch „gebietsübergreifend“ im Verhältnis zwischen einem Grundstück im Innenbereich und einem Grundstück im Außenbereich (BayVGH, B.v. 13.1.2014 – 2 ZB 12.2242 – juris Rn. 16; B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – juris Rn. 22). Ihm kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. etwa BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 3.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 4 m.w.N.; B.v. 23.1.2018 – 15 CS 17.2575 – a.a.O.).
Das Verwaltungsgericht gelangt unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe zu Recht im Wege einer Gesamtbetrachtung zum Ergebnis, dass das Bauvorhaben keine erheblichen und damit rücksichtslosen Immissionen hervorruft, die unter Würdigung aller maßgebenden Umstände der Nachbarschaft nicht zugemutet werden könnten. Nach seinen Feststellungen werden im streitgegenständlichen Anwesen lediglich 25 Kinder und Jugendliche untergebracht. Der Beigeladene hat darauf hingewiesen, dass laut Protokoll des Augenscheins bereits im erstinstanzlichen Verfahren klargestellt wurde, dass die Baubeschreibung nicht so zu verstehen ist, dass darüber hinaus weitere Schulkinder betreut würden. Damit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Es kann daher nicht nachvollzogen werden, warum die Klägerin von einer Anzahl von „deutlich über 30 Kindern“ ausgeht. Vor allem ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass sie keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen hat, aus denen sich – angesichts der Entfernung, der Topografie sowie der Bewaldung – unzumutbare Lärmimmissionen aus dem Umbau und der Nutzungsänderung ergeben könnten. Soweit sie selbst darauf hinweist, dass auf ihrem Grundstück Verkehrslärm der Autobahn A3 zu hören sei, spricht dies eher gegen ihre Schutzwürdigkeit. Auf die Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 22 Abs. 1a BImSchG und des Art. 2 des Gesetzes über Anforderungen an den Lärmschutz bei Kinder- und Jugendspieleinrichtungen (KJG) kommt es demgegenüber nicht an. Selbst wenn das Vorhaben nach diesen Bestimmungen nicht oder nicht umfassend privilegiert wäre, fehlt es an Anhaltspunkten für eine unzumutbare Beeinträchtigung, worauf der Beigeladene zutreffend hingewiesen hat.
Dies gilt erst recht für die von der Klägerin behauptete Fremdgefährdung durch die dort unterzubringenden Kinder und jungen Jugendlichen. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass Zielgruppe der Einrichtung weder gewalttätige Jugendliche noch jugendliche Intensivtäter sind. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass das Bauplanungsrecht im Allgemeinen nicht in der Lage ist, soziale Konflikte zu lösen, und dass nur solche Störungen eine bodenrechtliche Relevanz haben, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung eines Vorhabens auftreten (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 17.1984 – juris Rn. 9 f.). Soweit im Zulassungsvorbringen daher nicht lediglich die Befürchtung eines etwaigen – städtebaulich nicht relevanten – individuellen Fehlverhaltens gemeint sein sollte, sondern zum Ausdruck gebracht werden soll, die in einer solchen Einrichtung untergebrachten Kinder und (jungen) Jugendlichen wiesen üblicherweise ein derart erhöhtes Aggressionspotenzial auf, bedürfte es für eine derartige Vermutung belastbarer Anhaltspunkte (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2018 – 9 ZB 17.1984 – a.a.O.), die hier nicht im Ansatz dargelegt wurden. Die bloße Behauptung, die Bewohner einer Einrichtung könnten zu einem bestimmten Fehlverhalten neigen, genügt regelmäßig nicht für die Annahme der bodenrechtlichen Relevanz (vgl. auch BVerwG, U.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11 – BauR 2012, 621 = juris Rn. 5; OVG Bremen, B.v. 28.4.2021 – 1 LA 138/20 – juris Rn. 24 f.). Die von der Klägerin vorgelegten Artikel sind mangels Vergleichbarkeit der dort beschriebenen Einrichtungen mit dem hier streitgegenständlichen heilpädagogischen Projekt nicht aussagekräftig. So räumt sie selbst ein, dass Jugendliche bis zu 15 Jahren untergebracht werden sollen, beruft sich aber auf einen Zeitungsartikel über einen 17jährigen Jugendlichen. Ebenso wenig handelt es sich um eine kinder- und jugendpsychiatrische Spezialklinik zur Aufnahme von schwer kranken und sehr aggressiven Kindern, die ein weiterer Artikel zum Gegenstand hat.
b) Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist ebenfalls nicht ersichtlich. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit im Sinn dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Mangels belastbarer Anhaltspunkte für eine erhebliche Beeinträchtigung der Klägerin bereitet die bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebots vorzunehmende Abwägung keine besonderen Schwierigkeiten. Solche sind auch nicht deshalb anzunehmen, weil sich die Klägerin auf grundrechtliche Schutzpflichten beruft.
c) Die Berufung ist nicht wegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 4.8.2017 – 6 B 34.17 – juris Rn. 3 zu § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Die Klägerin hat schon keine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert. Soweit sie sich auf grundrechtliche Schutzpflichten beruft, genügt dies nicht den Darlegungsanforderungen. Im Übrigen kommt es auf diese Fragen schon deshalb nicht an, weil es an belastbaren Anhaltspunkten für eine Fremdgefährdung fehlt (vgl. oben a) bb)). Eine Abweichung von dem zitierten Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (U.v. 15.8.1995 – 11 A 850/92 – juris) liegt auch deshalb nicht vor, weil dieses einen anders gelagerten Sachverhalt zum Gegenstand hat (Unterbringung einer ausgelagerten Heimgruppe für schwer erziehbare Jugendliche in einer Doppelhaushälfte in einem reinen Wohngebiet).
d) Der gerügte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist ebenfalls nicht in einer den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügenden Weise dargetan. Voraussetzung wäre, dass die Rechtsmittelführerin einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem von einem anderen in der Vorschrift genannten Gericht aufgestellten ebensolchen (abstrakten) Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Dabei müssen die divergierenden Rechtssätze einander gegenübergestellt und die entscheidungstragende Abweichung muss darauf bezogen konkret herausgearbeitet werden (vgl. BVerwG, B.v. 20.4.2017 – 8 B 56.16 – juris Rn. 5; B.v. 22.10.2014 – 8 B 2.14 – juris Rn. 21 ff.). Daran fehlt es.
e) Eine Zulassung der Berufung hat nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zu erfolgen.
aa) Das Verwaltungsgericht hat weder den Amtsermittlungsgrundsatz noch seine Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.
Zur Darlegung eines solchen Verstoßes muss substantiiert ausgeführt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 22.11.2013 – 7 B 16.13 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.1.2015 – 22 ZB 13.2608 – juris Rn. 14). Dies ist hier nicht der Fall.
Die Klägerin hat im Zulassungsverfahren nicht dargelegt, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden haben soll. Soweit sie sich darauf beruft, das Gericht habe sich im Rahmen des durchgeführten Augenscheins nicht bis zum sog. Wachhaus begeben, begründet dies keinen Verfahrensmangel. Laut Protokoll des Augenscheins haben dessen Mitglieder das Gelände um das Wachhaus zwar nicht betreten, auf dem Weg zum klägerischen Grundstück haben sie dieses aber „auf halber Höhe“ passiert. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Gebäude sowie dessen unbebaute Umgebung zur Kenntnis genommen wurden. Welche darüberhinausgehenden konkreten Wahrnehmungen nur vom Wachhaus aus hätten gemacht werden können, wird aus dem Zulassungsvorbringen nicht erkennbar. Ebenso wenig wird ersichtlich, warum die Klägerin und ihr Ehemann nicht darauf hingewirkt haben, die örtliche Situation zusätzlich von dort aus in Augenschein zu nehmen oder warum sich dieses Erfordernis dem Gericht hätte aufdrängen müssen.
Entsprechendes gilt für den Einwand, einzelne Kammermitglieder hätten beim Ortstermin den Weg zu den Anwesen H … Weg nicht komplett abgeschritten. Es fehlt auch insofern an einer Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden haben soll sowie zur Ursächlichkeit der mangelnden Aufklärung, so dass nicht näher problematisiert werden muss, inwiefern es bei einem umfassend protokollierten Augenschein auf die Wahrnehmung einzelner Mitglieder eines Spruchkörpers ankommt.
bb) Ein Verfahrensmangel ist schließlich auch nicht den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechend dargelegt, soweit die Klägerin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG rügt. Hierfür ist regelmäßig die substantiierte Darlegung erforderlich, was ein Betroffener bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.1997 – 7 B 261.97 – juris Rn. 4).
Die Klägerin macht lediglich geltend, ihr sei der Tatbestand (Sachbericht) des Gerichts sowie ein Schriftsatz des Beigeladenen (wohl vom 9.10.2019) nicht vor der mündlichen Verhandlung zugestellt worden, weshalb es ihr ohne zeitliche Vorbereitung nicht möglich gewesen sei, auf den Vortrag des Beigeladenen zu reagieren, eine Fremdgefährdung liege nicht vor. Ausweislich des Protokolls wurde ihr der Sachbericht zu Beginn der mündlichen Verhandlung ausgehändigt. Daraufhin verzichtete die Klägerin auf den Vortrag des wesentlichen Akteninhalts. Hätte sie eine zusätzliche Erläuterung für erforderlich gehalten, hätte es ihr freigestanden, auf einen Sachbericht zu bestehen. Zudem räumt sie ein, dass die Frage der Fremdgefährdung in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten erörtert wurde. Soweit sie geltend macht, bei einer rechtzeitigen Kenntnis des Vortrags des Beigeladenen wäre es ihr möglich gewesen, die nunmehr im Zulassungsverfahren vorgelegten Artikel bereits im erstinstanzlichen Verfahren beizubringen, fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Wie oben dargelegt, sind beide Zeitungsausschnitte für die Frage der Verletzung des Rücksichtnahmegebots irrelevant (vgl. oben a) bb)).
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, seine außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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