Baurecht

Befreiung von den Festsetzungen eines Baulinienplans

Aktenzeichen  9 ZB 18.1634

Datum:
12.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 814
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § § 10 Abs. 1
BauNVO § 23 Abs. 5
VwGO § 124 Abs. 2, § 124a Abs. 4, Abs. 5

 

Leitsatz

1. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse eine Verwirklichung der Planung auf unabsehbare Zeit ausschließt und dieser Mangel offenkundig ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die zeitweilige Aufnahme eines Grundstücks in das Baulandkataster begründet weder dessen Bebaubarkeit noch stellt dies eine Zusicherung der Bebaubarkeit dar. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 17.226 2018-06-14 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids unter Befreiung von den Festsetzungen des Baulinienplans „Staffels“ der Beklagten für die Errichtung eines Wohnhauses auf ihrem Grundstück FlNr. … Gemarkung B** … Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 lehnte die Beklagte dies ab, weil das Bauvorhaben den Festsetzungen des Baulinienplans widerspreche und eine Bebauung die Grundzüge der Planung berühre. Die hiergegen erhobene Klage der Klägerin wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Juni 2018 ab. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsantrag dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO vollumfänglich entspricht, denn ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Grund ist dem wohl auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützten Zulassungsvorbringen jedenfalls auch bei Annahme einer hinreichenden Darlegung der Sache nach nicht gegeben.
1. Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Soweit sich dem Zulassungsvorbringen die Darlegung solcher Zweifel entnehmen lässt, bleibt der Antrag ohne Erfolg.
a) Die Klägerin ist der Ansicht, der Baulinienplan „Staffels“ sei – entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts – funktionslos und stünde einer Bebauung ihres Grundstücks nicht entgegen, weil sich die Situation auf den Grundstücken FlNr. … und … jeweils Gemarkung B** … dergestalt verfestigt habe, dass die Verwirklichung der festgesetzten Baugrenzen in diesem Bereich ausgeschlossen sei. Hieraus ergeben sich jedoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine bauplanerische Festsetzung wegen Funktionslosigkeit außer Kraft tritt, wenn und soweit erstens die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und zweitens eine bestimmte Offenkundigkeit des Mangels besteht, d.h. die zur Funktionslosigkeit führende Abweichung zwischen planerischer Festsetzung und tatsächlicher Situation in ihrer Erkennbarkeit einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – juris Rn. 35; BayVGH, U.v. 27.22020 – 2 B 19.2199 – juris Rn. 12 und B.v. 6.7.2020 – 15 ZB 20.96 – juris Rn. 16). Es hat sodann unter Würdigung der Gesamtsituation (vgl. BVerwG, U.v. 3.8.1990 – 7 C 41.89 – juris Rn. 16) im rückwärtigen Bereich des Bauquartiers und der unterschiedlichen baulichen Gegebenheiten sowie Veränderungen gegenüber der Planzeichnung aus dem Jahr 1957 ausgeführt, dass der rückwärtige Bereich des Bauquartiers immer noch überwiegend unbebaut ist und dem Baulinienplan seine Gestaltungsfunktion der Freihaltung dieses Bereichs von weiterer Bebauung immer noch zukommt. Dieser Gesamtbetrachtung tritt das Zulassungsvorbringen, das vielmehr allein auf das früher ungeteilte Grundstück FlNr. … Gemarkung B** … und das klägerische Grundstück als „Baulücke“ zwischen den Grundstücken FlNr. … und … Gemarkung B** … abstellt, nicht substantiiert entgegen. Das Verwaltungsgericht hat ferner darauf abgestellt, dass keine gravierenden Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse nach Aufstellung des Bebauungsplans (vgl. BVerwG, U.v. 6.5.1993 – 4 C 15.91 – juris Rn. 13) eingetreten sind und hierbei auch die Veränderungen der – nach Aktenlage um 1904 ohne bauaufsichtliche Genehmigung errichteten – Gebäude auf den Grundstücken FlNrn. … und … Gemarkung B** … berücksichtigt. Dem setzt das Zulassungsvorbringen im wesentlichen nur die gegenteilige Rechtsauffassung der Klägerin entgegen und setzt sich nicht substantiiert mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts auseinander. Soweit die Klägerin auf die Überschreitung der rückwärtigen Baugrenze durch eine Garage und Stellplätze auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung B** … abstellt, hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass seither keine Überschreitung der Baugrenze genehmigt wurde und – abgesehen von Veränderungen an den bereits bestehenden Gebäuden – keine baulichen Maßnahmen im betreffenden rückwärtigen Bereich des Bauquartiers stattgefunden haben. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der Garage auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung B** … ausweislich der vorgelegten Lichtbilder erkennbar um ein Nebengebäude und nicht um ein Wohnhaus handelt, kann insbesondere unter Berücksichtigung des § 23 Abs. 5 BauNVO hieraus nicht maßgeblich auf eine Funktionslosigkeit des Baulinienplans geschlossen werden. Damit zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, dass das planerische Ziel der Freihaltung einer größeren Innenfläche in dem betreffenden Bauquartier obsolet geworden ist.
b) Die Klägerin kann auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von der Baugrenze des Baulinienplans wegen widersprüchlichem Verhaltens der Beklagten ableiten.
Dass die Beklagte andere Planungsabsichten hatte, die in Folge der Aufhebung des Änderungs-Bebauungsplans durch Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 26. Februar 2010 (Az. 9 N 07.2333) nicht realisiert wurden und sie deshalb an der (früheren und wieder) geltenden Rechtslage nach dem Baulinienplan „Staffels“ festhält (§ 10 Abs. 1 BauGB, Art. 20 Abs. 3 GG) ist weder widersprüchlich, noch kann dies hier einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung oder eine Ermessensreduzierung auf null auslösen. Nichts anderes ergibt sich auch aus der zeitweiligen Aufnahme des Grundstücks der Klägerin in das Baulandkataster, da dies weder die Bebaubarkeit des Grundstücks zu begründen vermag, noch eine Zusicherung der Bebaubarkeit i.S.d. Art. 38 Abs. 1 BayVwVfG darstellt.
2. Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
Dem Zulassungsvorbringen lässt sich für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten bereits nichts entscheidungserhebliches über das zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Dargelegte hinaus entnehmen. Allein die unterschiedliche Bewertung des vorliegenden Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht und die Klägerin genügt nicht für die Darlegung besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2018 – 9 ZB 16.2323 – juris Rn. 22).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.1.1.1 und 9.2 des Streitwertkatalogs 2013 und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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