Baurecht

Drittanfechtung einer Baugenehmigung zur Errichtung eines Laufstegs

Aktenzeichen  W 4 K 15.329

Datum:
16.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 8 Nr. 2, Art. 59, Art. 68 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 4 Abs. 2 Nr. 1, § 14 Abs. 1 S. 1, § 15 Abs. 1 S. 2
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BayVwVfG BayVwVfG Art. 54, Art. 55
BGB BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung von der Festsetzung rechtswidrig ist. (redaktioneller Leitsatz)
Bei einer Befreiung von der Festsetzung eines Bebauungsplans, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz ausschließlich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB iVm § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nur verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben in Folge einer zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen zu tragen.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Baugenehmigung des Landratsamts Miltenberg vom 17. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Ein Nachbar hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch die Baugenehmigung in eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat. Eine Verletzung drittschützender Vorschriften liegt hier nicht vor.
1. Die Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Am Sommerberg“ der Gemeinde L…, in Kraft getreten am 22. September 1972, führt nicht zu einer Rechtsverletzung des Klägers.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn maßgeblich davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen ausschließlich nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben in Folge einer zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 22 m. w. N.; BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 2011 – juris Ls. 1 und Rn. 3).
Die hier erteilte Befreiung betrifft zwar eine Baugrenzenüberschreitung durch den Laufsteg des Beigeladenen (1.1.). Die zugrundeliegende Bebauungsplanfestsetzung ist jedoch nicht nachbarschützend und eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht gegeben (1.2. und 1.3.).
1.1.Die Baugenehmigung enthält eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans hinsichtlich der Baugrenze, wie sie in der Änderung des Bebauungsplans vom 25. April 1977 vorgesehen ist. Die Überschreitung der Baugrenze nach Norden mag zwar gering sein; dies macht die Erteilung einer Befreiung aber nicht entbehrlich.
1.2. Die für den Laufsteg erteilte Befreiung von der Baugrenze verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Laufsteg widerspricht zwar den Festsetzungen des Bebauungsplans, weswegen eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erforderlich war. Die Festsetzung der Baugrenze hat jedoch keinen nachbarschützenden Charakter. Anhaltspunkte dafür, dass die Plangeberin bei dieser Festsetzung die Belange der jeweiligen Nachbarn im Auge hatte, lassen sich der Änderung des Bebauungsplans aus dem Jahr 1977 nicht entnehmen.
1.3. Ein Rücksichtnahmeverstoß zulasten des Klägers scheidet aus. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die nachbarlichen Interessen durch den genehmigten Laufsteg unzumutbar beeinträchtigt sind.
Hierfür sprechen folgende Aspekte: Der Laufsteg ist, wie der Beklagte zu Recht dargelegt hat, abstandsflächenrechtlich unbeachtlich, was ein gewichtiges Indiz für eine fehlende Beeinträchtigung von Nachbarinteressen darstellt. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO regelt, dass untergeordnete Vorbauten bei der Bemessung der Abstandsflächen außer Betracht bleiben, wenn sie (a) insgesamt nicht mehr als ein Drittel der Breite der Außenwand des jeweiligen Gebäudes, höchstens jedoch insgesamt 5 m, in Anspruch nehmen, wenn sie (b) nicht mehr als 1,50 m vor diese Außenwand vortreten und wenn sie (c) mindestens 2 m von der gegenüberliegenden Nachbargrenze entfernt bleiben. Diese Voraussetzungen hält der genehmigte Laufsteg ausweislich des genehmigten Bauplans ein. Mit 3,62 m nimmt er genau ein Drittel der Breite der Außenwand des Wohnhauses in Anspruch, er tritt nur 1 m vor die Außenwand des Wohnhauses und bleibt 2 m von der Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück entfernt. Darüber hinaus führt der Laufsteg aufgrund seiner geringen Dimensionierung zu keinerlei zusätzlicher Verschattung und auch nicht zu einer dem Nachbarn unzumutbaren Möglichkeit des Einblicks auf sein Grundstück. Hinzu kommt, dass sich unmittelbar auf dem Grundstück des Klägers die Grenzgarage anschließt und das Wohnhaus sich hiervon abgerückt auf dem Grundstück Fl.Nr. …10/73 befindet, d. h. ein Sozialabstand gewahrt ist.
2. Auch eine Verletzung sonstiger drittschützender Vorschriften liegt nicht vor. Die streitgegenständliche Baugenehmigung wurde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt. Insbesondere ist die Errichtung des Laufstegs im Übrigen bauplanungsrechtlich zulässig gemäß §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO). Das Vorhaben des Beigeladenen dient unmittelbar dem Nutzungszweck des Wohnhauses und entspricht damit der im Bebauungsplan festgesetzten Art der baulichen Nutzung, die ein allgemeines Wohngebiet (WA) vorsieht.
3. Der Beklagte hat mit der Erteilung der Baugenehmigung auch nicht gegen den am 11. Dezember 2013 mit dem Kläger und dem Beigeladenen geschlossenen Vergleich vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof (Az.: 9 B 13.1575 und 9 B 13.1576) verstoßen.
Bei dem Gerichtsvergleich handelt es sich einerseits um eine Prozesshandlung, mittels derer die Verfahren 9 B 13.1575 und 9 B 13.1576 vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof beendet wurden, andererseits materiellrechtlich um einen öffentlichrechtlichen Vertrag (Art. 54, 55 BayVwVfG), der die materielle Rechtslage beeinflusst (Eyermann, 14. Aufl. 2014, § 106 Rn. 6). Mangels abweichender Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass der Vergleich wirksam zustande gekommen ist und auch nachträglich nicht unwirksam geworden ist. Bezüglich der Auslegung öffentlichrechtlicher Verträge gelten die Vorschriften der §§ 133, 157 BGB entsprechend. Demnach bestimmt sich die Bindungswirkung des Vergleichsvertrags nach dem Inhalt, den die Beteiligten dem Vertrag zugrunde gelegt haben. Der Vergleich sieht einen Rückbau bezogen auf die Grenzgarage vor, wobei im Gegenzug der Streitstoff beider Verfahren vor dem Bayer. Verwaltungsgerichtshof ausgeräumt sein sollte. Streitstoff dieser Verfahren war jedoch nicht der vorliegend genehmigte Laufsteg. Dieser stellt insbesondere ein aliud zu dem in der Höhe herabgesetzten und zurückgebauten Garagendach dar. Eine Erhöhung des Garagendachs, die im Widerspruch zu dem abgeschlossenen Vergleich steht, kann in Folge der Errichtung des Laufstegs nicht erkannt werden. Zu Recht weist das Landratsamt Miltenberg darauf hin, dass die Bindungswirkung des Vergleichsvertrags nur so weit gehen kann, als ein Sachverhalt vorliegt, der vom Regelungsbereich des Vergleichs erfasst ist. Auf den Laufsteg, der ein neues Bauvorhaben darstellt, trifft das nicht zu.
Da somit auch die Regelungen des Vergleichs vom 11. Dezember 2013 der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung für den Laufsteg nicht entgegenstehen, war die Klage abzuweisen.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene hat einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt; demgemäß entspricht es der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist; die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München, Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach, einzureichen.
Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde.
Für die Streitwertbeschwerde besteht kein Vertretungszwang.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg, Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.


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