Baurecht

Drittschutz aus Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  9 ZB 14.2715

Datum:
21.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 9 Abs. 8, § 31

 

Leitsatz

Drittschutz besteht nicht schon kraft Gesetzes aus den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung; vielmehr ist dieser durch Auslegung zu ermitteln, wobei der Wille der planenden Gemeinde maßgebend ist. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III.
Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 7.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen von der Beklagten erteilte Genehmigung zur Aufstockung eines Mehrfamilienhauses.
Der Kläger ist Erbbauberechtigter des Grundstücks FlNr. …/… Gemarkung R., das mit einem eingeschossigen Bungalow bebaut ist. Das Grundstück liegt nordöstlich des Grundstücks FlNr. …/… Gemarkung R., das im Eigentum der Beigeladenen steht und mit vier Mehrfamilienhäusern bebaut ist. Das dem Grundstück des Klägers am nächsten gelegene „Haus 1“ im Osten des Baugrundstücks weist, ebenso wie das westlich angebaute „Haus 2“, vier Vollgeschosse, die beiden westlich folgenden Gebäude (Haus 3 und 4) jeweils sechs Vollgeschosse auf. Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des qualifizierten Bebauungsplans Nr. 3710 der Beklagten, rechtsverbindlich seit 20. März 1968, der ein reines Wohngebiet festsetzt. Für das Grundstück des Klägers ist eine eingeschossige Bauweise mit Flachdach, für das Grundstück der Beigeladenen sind für die Baufenster von Haus 1 und Haus 2 zwingend vier Vollgeschosse und für die Baufenster von Haus 3 und 4 zwingend sechs Vollgeschosse festgesetzt.
Mit Unterlagen vom 21. Juni 2011 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung sowie erforderliche Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften und Befreiungen vom Bebauungsplan Nr. 3710 zur Aufstockung von zwei Mehrfamilienhäusern – Haus 1 und Haus 2 – um jeweils ein Geschoss mit Errichtung von zwei Windfängen und zwei Aufzügen. Die Pläne wurden im Laufe des Verfahrens mehrfach geändert; insbesondere wurde bei „Haus 1“ das beabsichtigte fünfte Geschoss von der nördlichen dem klägerischen Grundstück zugewandten Außenwand so zurückversetzt, dass keine zusätzlichen Abstandsflächen nach Norden ausgelöst werden.
Mit Bescheid vom 29. November 2013 erteilte die Beklagte die Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren. Die Genehmigung enthält unter anderem Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3710 wegen Überschreitung der Zahl der Vollgeschosse um ein Geschoss und wegen Überschreitung der Baugrenzen durch die Aufzugsanlagen mit Windfang nach Norden. Zudem erteilte die Beklagte unter anderem Abweichungen wegen Überschreitung der Abstandsfläche über die Mitte der öffentlichen Verkehrsfläche durch den Anbau eines Außenaufzugs (Haus 1) nach Norden zum Grundstück FlNr. …/… Gemarkung R. und wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen durch die Anbringung eines Wärmedämmverbundsystems (Haus 1) nach Norden zum Grundstück des Klägers.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 3. Januar 2014 erhob der Kläger Klage gegen die Baugenehmigung mit dem Antrag, diese insoweit aufzuheben, als die Aufstockung des „Hauses 1“ um ein weiteres Vollgeschoss und die Errichtung eines bis über die derzeitige Dachkante reichenden Aufzugturmes an der Nordseite des Hauses 1 genehmigt wurde. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 9. Oktober 2014 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 3710 der Beklagten zu den Vollgeschossen keine nachbarschützende Wirkung hätten und auch das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber dem Kläger nicht verletzt sei.
Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung des Klägers.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Der Kläger beruft sich ausdrücklich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass den Festsetzungen hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse im Bebauungsplan Nr. 3710 der Beklagten nachbarschützende Wirkung beizumessen sei. Je näher die Mehrfamilienhäuser an die nördliche eingeschossige Bebauung heranrückten, desto weniger Vollgeschosse seien festgesetzt. Der einzig denkbare Grund hierfür sei, die nördlichen Nachbarn vor der Wirkung großer Mehrfamilienhäuser zu schützen. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht geeignet, dem Antrag zum Erfolg zu verhelfen.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche nicht schon kraft Bundesrechts nachbarschützende Wirkung haben, sondern insoweit der Wille der planenden Gemeinde maßgebend ist, der durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln ist. Der Bebauungsplan Nr. 3710 der Beklagten enthält unstreitig weder im Text noch in der Begründung (§ 9 Abs. 8 BauGB) Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung der Zahl der Vollgeschosse nachbarschützende Wirkung haben soll. Bei der Auslegung der zeichnerischen Festsetzungen hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil unter Hinweis auf die örtlichen Gegebenheiten und die strenge geometrische Ausrichtung der Baufelder darauf abgestellt, dass diese allein städtebaulichen Zielen dienen. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich insoweit keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Methoden der Auslegung oder eine fehlerhafte Tatsachenfeststellung seitens des Verwaltungsgerichts entnehmen. Die Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags und der entgegenstehenden Rechtsansicht des Klägers genügt hierfür nicht. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass die nachbarschützende Wirkung der Festsetzungen der Zahl der Vollgeschosse auch anhand der Bebauung auf dem Grundstück FlNr. …/… Gemarkung R. erkennbar wird, weil für die beiden dort am nächsten zur nördlichen Bebauung gelegenen Mehrfamilienhäuser zwingend drei Vollgeschosse festgesetzt sind, ist dies nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ernstlich in Zweifel zu ziehen. Denn daraus erklärt sich nicht, warum das „Haus 1“ mit einem geringeren Abstand zur nächstgelegenen Bebauung auf dem klägerischen Grundstück mit zwingend vier Vollgeschossen festgesetzt ist, während die Gebäude auf FlNr. …/… Gemarkung R., die einen größeren Abstand zur nächstgelegenen Bebauung aufweisen, mit zwingend drei Vollgeschossen – also weniger Vollgeschosse als gegenüber dem Kläger – festgesetzt sind. Damit kann hier offen bleiben, ob sich – ohne weitere Angaben in Text und Begründung des Bebauungsplans – allein aus einer zeichnerischen Festsetzung überhaupt ein Nachbarschutz ableiten lässt.
Der Antrag hat auch keinen Erfolg soweit der Kläger sich auf eine Verletzung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme aus § 31 Abs. 2 BauGB beruft (vgl. BVerwG, B. v. 23.6.1995 – 4 B 52.95 – juris Rn. 4). Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass die möglicherweise vom rückversetzten fünften Geschoss ausgehende zusätzliche Verschattung kaum über die bereits durch die vom Bestandsgebäude ausgehende Verschattungswirkung hinausgehen dürfte und die beim Augenschein vorgefundene Grundstückssituation entsprechend den bauplanerischen Festsetzungen dadurch geprägt ist, dass gerade im Bereich des klägerischen Grundstücks durch das Aufeinandertreffen eines eingeschossigen Flachdachbungalows mit der südwestlich befindlichen Mehrfamilienhausbebauung bereits in der planerischen Konzeption eine gewisse Verschattungswirkung angelegt ist. Nach dem Ergebnis des Augenscheins sei die beeinträchtigende Wirkung für den Kläger als nicht erheblich einzuschätzen. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen, weil es insoweit keine erhebliche Beeinträchtigung des Klägers darlegt. Dass der Kläger die Erheblichkeit der Beeinträchtigung anders einstuft als das Verwaltungsgericht, genügt angesichts dessen Feststellungen, dass die Gebäudewände des fünften Obergeschosses ausweislich der genehmigten Planunterlagen im Norden und Osten um 3,435 m zurückversetzt sind und dass die Südost- und Südseite des klägerischen Grundstücks vollständig von Bebauung freigehalten sind, nicht.
2. Soweit dem Zulassungsvorbringen durch Hinweis auf die vom Kläger anlässlich des Augenscheinstermins errichtete Holzkonstruktion zur Darstellung der zusätzlichen Verschattung die Rüge eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) entnommen werden könnte, führt dies ebenfalls nicht zum Erfolg des Antrags. Die damit eventuell verbundene Andeutung, das Verwaltungsgericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit den in § 86 Abs. 1 VwGO enthaltenen Untersuchungsgrundsatz verletzt, greift bereits deshalb nicht, weil der anwaltlich vertretene Kläger es unterlassen hat, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen (vgl. BVerwG, B. v. 20.12.2012 – 4 B 20.12 – juris Rn. 6).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten erstattet werden (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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