Baurecht

Eilantrag des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen Carport und Gartenhaus

Aktenzeichen  M 9 E 20.6293

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 3490
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
BayBO Art. 6 Abs. 7 Nr. 1
BauNVO § 12

 

Leitsatz

1. Wer selber keine Abstandsflächen einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben regelmäßig gehindert, von seinem Nachbarn die Einhaltung eventueller Abstandsflächen zu verlangen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Emissionen durch ein Fahrzeug auf einem in allen Baugebieten zulässigen Stellplatz (§ 12 BauNVO) sind nicht nur gering, sondern auch sozial üblich und als solche hinzunehmen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Gartenhäuser sind als Nebengebäude baurechtlich zulässig und betreffen nicht ansatzweise Nachbarrechte, wenn sie außerhalb der Abstandsflächen errichtet werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt die Beseitigung eines Carports sowie einen Baustopp bzgl. des Anbaus eines Gartenhauses auf dem Nachbargrundstück.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines mit einem Reihenhaus bebauten Grundstücks FlNr. … (…). Die Hauswand im Nordosten grenzt an die gemeinsame Grundstücksgrenze zu den Beigeladenen an und hat keine Fenster (Blatt 9 ff. Bauakt). Die Beigeladenen sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, bebaut mit einem Einfamilienhaus, das im Bestand renoviert wurde. Das Grundstück grenzt südwestlich an das Grundstück der Antragstellerin an. An dieser gemeinsamen Grenze haben die Beigeladenen in einem Abstand von wenigen Zentimetern zur Hauswand der Antragstellerin auf dem eigenen Grundstück einen Carport errichtet. Der Carport hat ausweislich der Planskizze und einer Baukontrolle vom 30. Oktober 2020 eine Länge von ca. 6,12 m, eine Breite von 3,50 m und eine Höhe von 2,40 m bis 2,50 m (Flachdach, leicht geneigt). Der Stauraum/Abstand zur Straße beträgt mehr als drei Meter. Der Carport ist fertiggestellt, auf die vorgelegten Bilder in der Gerichtsakte wird verwiesen.
Nachdem das Landratsamt mit Schreiben vom 13. November 2020 einen Antrag der Antragstellerin vom 27. Oktober 2020 auf bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt hatte, erhob die Bevollmächtigte der Antragstellerin Klage (M 9 K 20.6210) und beantragte mit Schriftsatz vom 30. November 2020 gemäß § 123 VwGO:
1. Die Beklagte wird im Eilverfahren verurteilt, dem Nachbarn, der das Carport auf seinem Grundstück auf das Grundstück meiner Klägerin übergebaut hat, anzuweisen, dieses Carport abzureißen, die Platten unter dem Haus der Klägerin sachgerecht zu entfernen.
2. Die Beklagte wird weiter per Eilantrag verurteilt, dem Nachbarn zu untersagen, auf seinem Grundstück weitere Gebäude wie etwa ein Gartenhaus an das Grundstück der Klägerin anzubauen oder unterzubauen.
Der Carport sei mit nur acht Zentimetern an die Hauswand der Antragstellerin angebaut worden. Es sei eine Minderung des Hauswertes eingetreten und die Abgasbeeinträchtigung sei erheblich störend. Während der Bauarbeiten sei unter das Grundstücks- und Hauseigentum der Antragstellerin gegraben und Steinplatten eingelegt worden, so dass unklar sei, welcher Art von Schäden nun an der Immobilie etwa durch Feuchtigkeit zu erwarten seien. Bei Schneeschmelze werde das Schmelzwasser auf die Hauswand der Antragstellerin fließen. Der Carport halte die Abstandsflächen nicht ein. Die Antragstellerin verlange Schadensersatz wegen der Wertminderung des Hauses in Höhe von 200.000,00 Euro sowie 20.000,00 Euro für die Sanierung des Hausuntergrunds nach Herausnahme der Platten vom Nachbarn. Die Bauaufsichtsbehörde sei mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 zum Erlass der Abrissverfügung aufgefordert worden und habe sich nicht geäußert. Ein Herr vom Landratsamt habe die Hauswand der Klägerin weiter vermessen und habe vor, ein Gartenhaus an das Hauseigentum der Klägerin zu errichten. Eilentscheidung sei deshalb geboten. Mit weiterem Schreiben vom 3. Februar 2021 ergänzte die Bevollmächtigte, dass die drei Meter Abstand zum öffentlich-rechtlichen Fahrweg nicht eingehalten seien. Der Wertverlust der Immobilie betrage nunmehr 60 Prozent, d.h. 360.000,00 Euro Schadensersatz für die Wertminderung und 20.000,00 Euro für die Sanierung des Hausuntergrundes, zahlbar durch den Nachbarn. Es liege ein Verstoß gegen das nachbarschaftliche Rücksichtnahmegebot vor. Eine Eilentscheidung sei geboten.
Der Antragsgegner beantragte,
Antragsablehnung.
Der Antrag nach § 123 VwGO sei bereits unzulässig. Es fehle ein Anordnungsgrund, da der Carport errichtet sei und wegen des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache. Der Carport sei verfahrensfrei. Abstandsflächen seien nicht einzuhalten. Das Gartenhaus werde nach Angaben der beigeladenen Bauherren vorerst nicht errichtet und der vorgesehene Standort sei nicht an der Grundstücksgrenze. Deshalb fehle auch ein Anordnungsanspruch.
Der Bevollmächtigte der Beigeladenen beantragte sinngemäß:
Antragsablehnung.
Die Beigeladenen machten sich den Antrag des Landratsamts München inhaltlich zu eigen und schlössen sich diesem an. Auf die Einlassungen des Beigeladenen samt Fotos, die beigefügt seien, werde verwiesen. Der Antrag sei bereits unzulässig, da der Carport bereits stehe. Aus den beigefügten Fotos ergebe sich, dass keine Beeinträchtigung der Hauswand der Antragstellerin durch z.B. Tauwasser vorläge. Der Carport sei fachmännisch und durch Architekten überwacht errichtet worden. Materiellrechtlich könne noch vorgetragen werden.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Behördenakte und die Akten im Klageverfahren M 9 K 20.6210 Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Ein Antrag nach § 123 VwGO zur vorläufigen Regelung eines Zustands setzt neben einem Rechtsschutzbedürfnis voraus, dass zum einen ein Anordnungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit und Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung besteht und zum anderen, dass ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materiell-rechtlicher Anspruch vorhanden ist, § 123 VwGO. Regelmäßig scheidet eine Vorwegnahme der Hauptsache aus.
Im vorliegenden Fall ist der Antrag nach § 123 VwGO bereits unzulässig, da sowohl das Rechtsschutzbedürfnis als auch ein Anordnungsgrund fehlen.
Das Rechtsschutzbedürfnis für den vorliegenden Antrag ist fraglich und wurde nicht dargelegt, da das Wohnhaus der Antragstellerin auch unmittelbar an der Grenze steht. Wer selber keine Abstandsflächen einhält, ist nach dem Grundsatz von Treu und Glaube regelmäßig gehindert, von seinem Nachbarn die Einhaltung eventueller Abstandsflächen zu verlangen.
Darüber hinaus fehlt ein Anordnungsgrund, da zum einen der Carport bereits steht und deshalb eine Baueinstellung ausgeschlossen ist. Für die geforderte Beseitigung ist kein Anordnungsgrund erkennbar, da die von der Klägerin gewünschte Beseitigung eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren wäre und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass das Wohnhaus der Antragstellerin ebenfalls an der Grenze steht, nicht gerechtfertigt wäre.
Im Übrigen fehlt ein Anordnungsanspruch, da die Antragstellerin keinen Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten gemäß Art. 76 BayBO oder einen Anspruch auf einen Baustopp nach Art. 75 BayBO hat. Der Carport ist verfahrensfrei. Das Wohnhaus der Beigeladenen steht dort schon seit vielen Jahren, sodass kein einheitliches Bauvorhaben vorliegt. Der Carport ist mit einer Länge von 6,12 m, einer Höhe von 2,40 m bis 2,50 m und einer Breite von 3,50 m (Ca.-Maße, Protokoll der Baukontrolle vom 30. Oktober 2020, Blatt 43 BA) und mit einem Abstand von mehr als drei Metern zur Straße gemäß Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO zulässigerweise in den Abstandsflächen errichtet worden und damit im Einklang mit der Bayerischen Bauordnung. Die Ablehnung des bauaufsichtlichen Einschreitens durch das Landratsamt mit Schreiben vom 13. November 2020 erfolgte deshalb zu Recht. Sonstige Gründe, warum der Carport gegen das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot verstoßen könnte, sind nicht erkennbar. Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB. Die Hauswand der Antragstellerin an der gemeinsamen Grenze ist fensterlos und die Glasbausteine werden nicht verdeckt. Emissionen durch ein Fahrzeug auf einem in allen Baugebieten zulässigen Stellplatz, § 12 BauNVO, sind nicht nur gering, sondern auch sozial üblich und hinzunehmen, zumal die Hauswand dort keine Fenster oder Türen hat.
Soweit die Antragstellerin sich gegen das Gartenhaus wendet, fehlt es ebenfalls an einem Anordnungsanspruch, da dieses nach Aktenlage in einem Abstand von drei Metern zur Grundstücksgrenze aufgestellt werden soll. Gartenhäuser sind als Nebengebäude baurechtlich zulässig und betreffen nicht ansatzweise Nachbarrechte, wenn sie außerhalb der Abstandsflächen errichtet werden.
Soweit die Antragstellerin Schadensersatz in Höhe von zuletzt fast 400.000,00 Euro von den Beigeladenen verlangt, ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nicht gegeben, § 40 VwGO. Ungeachtet dessen ist nicht ansatzweise erkennbar, auf was sich ein solcher Anspruch stützen könnte.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzulehnen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Antragstellerin die Kosten der beigeladenen Bauherren trägt, da diese durch die Antragstellung ein Prozessrisiko eingegangen sind, § 154 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Streitwertkatalog.


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