Baurecht

Eilantrag eines Nachbarn gegen Wohnhaus mit KFZ-Vermittlungsbetrieb – Bestimmtheit der Baugenehmigung

Aktenzeichen  RO 7 S 21.75, RO 7 S 21.428

Datum:
8.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 12516
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5 S. 1, § 80a Abs. 3
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BayBO Art. 59 S. 1
BauGB § 31 Abs. 1, § 212a Abs. 1
BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Eine Baugenehmigung ist aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein sonstiger Gewerbebetrieb stört und kann nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht zugelassen werden, wenn er nach seiner typischen Nutzungsweise nicht gebietsverträglich ist. Kfz-Vermittlungsbetriebe sind bei der grundsätzlich gebotenen typisierenden Betrachtungsweise störende Betriebe. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Verfahren RO 7 S 21.75 und RO 7 S 21.428 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klagen (Az. RO 7 K 21.429) gegen den Bescheid des Landratsamts Cham vom 22.12.2020 und den Bescheid des Landratsamts Cham vom 11.2.2021 (Az. BauR-6024.2- …*) wird angeordnet.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
IV. Der Streitwert wird für die Zeit bis zur Verbindung der Verfahren RO 7 S 21.75 und RO 7 S 21.428 zur gemeinsamen Entscheidung auf jeweils 3.750,- € festgesetzt. Für die Zeit nach der Verbindung der Verfahren wird der Streitwert auf insgesamt 3.750,- € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtschutzes gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Sie sind Eigentümer des Grundstücks Fl. Nr. 597/18 der Gemarkung … Unmittelbar südlich angrenzend kommt das Grundstück des Beigeladenen Fl. Nr. 597/21 der Gemarkung … zum Liegen. Sowohl das Grundstück der Antragsteller als auch das Grundstück des Beigeladenen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „M* …“ der Stadt Cham vom 19.11.2015, der im Plangebiet hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein Allgemeines Wohngebiet festsetzt.
Mit Bescheid vom 19.2.2020 wurde dem Beigeladenen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Tiefgarage und Carport auf dem Grundstück Fl. Nr. 597/21 der Gemarkung … unter Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplanes betreffend die Wohnhauswandhöhe, die Auffüllungs- und Abgrabungshöhe, die Abstände zu Grenzen sowie die Baugrenze auf der Carport-Südseite erteilt (Az. BauR-2-2572-2019-B).
Mit Formblattantrag vom 24.9.2020 beantragte der Beigeladene die Änderung des genehmigten Vorhabens in den „Neubau eines Wohnhauses mit gewerblich genutzter Tiefgarage (Ausstellungsraum) und Carport“. Die alte Nutzung als Tiefgarage solle einer neuen Nutzung (Ausstellung für Fahrzeuge, keine Nutzung als Garage) zugeführt werden. Bauliche Änderungen würden nicht vorgenommen. In den Bauvorlagen ist eine Betriebsbeschreibung enthalten, bei der zur Art des Betriebes „Kfz-Vermittlung“ angegeben ist. Im Übrigen wurden in der Betriebsbeschreibung keine weiteren Angaben gemacht. Der Technische Umweltschutz des Landratsamtes Cham nahm am 19.11.2020 zum Vorhaben des Beigeladenen Stellung und äußerte keine Bedenken. Es sei eine Kfz-Ausstellungsfläche von rund 170 qm für den bestehenden Kfz-Handelsbetrieb geplant. Lärmintensive Tätigkeiten würden nicht durchgeführt. Auf Grund der Lage und der zu erwartenden Frequentierung sei mit erheblichen Belästigungen und somit schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht zu rechnen. Mit E-Mail vom 16.12.2020 teilte der Beigeladene mit, dass in der Ausstellungsgarage ca. 3 Pkw zur Ausstellung stünden und monatlich etwa 3 Personen die Fahrzeuge besichtigen würden. Die Bauantragsunterlagen enthalten einen Eingabeplan, der den Grundriss des Kellergeschosses darstellt. Die zeichnerischen Darstellungen des Eingabeplans stimmen mit den Darstellungen des gestempelten Genehmigungsplans vom 24.1.2020 (Az. BauR-2-2572-2019-B) überein. Anstelle der eingetragenen Nutzung als Tiefgarage enthält der Eingabeplan folgende Angaben: „Alte Nutzung: Tiefgarage; neue Nutzung: Ausstellung für Fahrzeuge nach § 18 Abs. 3 GaStellV, keine Nutzung als Garage“. Die Antragsteller haben auf den Bauantragsunterlagen keine Nachbarunterschrift geleistet.
Mit Bescheid vom 22.12.2020 wurde dem Beigeladenen die beantragte Änderungsgenehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit gewerblich genutzter Tiefgarage (Ausstellungsraum) und Carport nach Maßgabe der beigefügten mit Genehmigungsvermerk vom 22.12.2020 versehenen Bauvorlagen erteilt (Ziffer I). Die Nebenbestimmungen und Hinweise des Baugenehmigungsbescheids vom 19.2.2020 sind weiterhin zu beachten (Ziffer IV).
Am 14.1.2021 haben die Antragsteller Klage gegen den Bescheid vom 22.12.2020 erheben lassen (RO 7 K 21.76) und um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht (RO 7 S 21.75).
Mit Bescheid vom 11.2.2021 wurde der Baugenehmigungsbescheid vom 22.12.2020 dahingehend ergänzt, dass von den Festsetzungen des Bebauungsplans „M* …“ gem. § 31 Abs. 1 BauGB für die Art der baulichen Nutzung (Ausstellungsfläche für Fahrzeuge im Kellergeschoss) eine Ausnahme erteilt wurde (neue Ziffer V). Die vom Antragsteller vorgelegte Betriebsbeschreibung vom 28.1.2021 ist Bestandteil des Bescheides (neue Ziffer IV.2.). Im festgesetzten allgemeinen Wohngebiet könnten ausnahmsweise sonstige nicht störende Gewerbebetriebe zugelassen werden. Der Beigeladene betreibe eine Kfz-Vermittlung. In diesem Zusammenhang würden im Kellergeschoss des Wohnhauses ca. 4 Pkw ausgestellt. Gemäß Betriebsbeschreibung vom 28.1.2021 erfolge der Verkauf der Fahrzeuge über das Internet, pro Monat sei lediglich mit drei Kunden zu rechnen. Es handle sich um eine reine Ausstellungsfläche und lärmintensive Arbeiten – wie bspw. Reparaturarbeiten – würden nicht durchgeführt. Nach der Stellungnahme des Umweltingenieurs sei aufgrund der Lage und der zu erwartenden Frequentierung nicht mit erheblichen Belästigungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu rechnen. Durch das Vorhaben seien keine negativen Auswirkungen auf die Nachbarschaft zu erwarten. Vielmehr sei es so, dass im Falle einer Nutzung des Kellergeschosses als private Garage mit einem höheren Verkehrs- und Lärmaufkommen gerechnet werden müsse als bei der nun genehmigten Ausstellungsfläche. Die Nutzung als Ausstellungsfläche für eine Kfz-Vermittlung könne somit in diesem konkreten Einzelfall ausnahmsweise zugelassen werden. Im Schreiben vom 28.1.2021 gab der Beigeladene an, dass in der Ausstellungstiefgarage ca. 4 hochpreisige Fahrzeuge aus- bzw. untergestellt würden. Der Verkauf werde ausschließlich über das Internetportal getätigt und erfolge überwiegend an Wiederverkäufer. Dadurch sei kein täglicher Kundenverkehr nötig, sondern es kämen „pro Monat in etwa 3 Personen“. Reparaturarbeiten würden nicht durchgeführt.
Am 8.3.2021 haben die Antragsteller Klage gegen den Ergänzungsbescheid vom 11.2.2020 erheben lassen (RO 7 K 21.429) und um einstweiligen Rechtschutz nachgesucht (RO 7 S 21.428).
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen: Die gewerbliche Nutzung verstoße gegen drittschützende Festsetzungen des Bebauungsplans zur Art der baulichen Nutzung. Die genehmigte Nutzung als gewerbliche Tiefgarage bzw. Ausstellungsraum sei kein nicht-störender Handwerksbetrieb und diene auch nicht der Versorgung des Gebiets. Es sei von erheblich störenden Lärmimmissionen auszugehen. Auch eine ausnahmsweise Zulassung komme nicht in Betracht. Die Erteilung einer Ausnahme sei im Bebauungsplan nicht ausdrücklich vorgesehen und es handle sich nicht um einen „nicht störenden Gewerbebetrieb“, da der Verdacht bestehe, dass die Tiefgarage über die beantragte Nutzung als Ausstellungsraum hinaus auch zur Fahrzeugaufbereitung und -reparaturwerkstatt genutzt werde. Das Vorhaben verstoße zudem gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Zudem sei die Entscheidung ermessensfehlerhaft. Die nachbarlichen Interessen der Antragsteller seien nicht ausreichend gewürdigt worden. Ferner sei gegen die nachbarschützende Abstandsflächenvorschrift des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO verstoßen worden. Auch der Ergänzungsbescheid vom 11.2.2021 verletze die Antragsteller in ihren Rechten, da er nicht hinreichend bestimmt sei. Die Aussage, dass „ca. 4 Pkw“ im Kellergeschoss ausgestellt würden, sei zu vage.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.12.2020 anzuordnen und die aufschiebende Wirkung der Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Regensburg gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 11.2.2021 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Streitgegenständlich sei lediglich die Nutzungsänderung in dem als Tiefgarage genehmigten Bereich des Kellergeschosses, der zukünftig als Ausstellungsfläche für Fahrzeuge genutzt werden solle. Der Beigeladene habe im Tekturantrag keine baulichen Änderungen im Vergleich zum genehmigten Vorhaben vorgenommen. Nach der vorgelegten Betriebsbeschreibung werde eine Kfz-Vermittlung betrieben. Die Nutzung sei mit E-Mail vom 16.12.2020 dahingehend konkretisiert worden, dass im Kellergeschoss ca. 3 Pkw zur Ausstellung stehen würden und innerhalb eines Monats mit 3 Besuchern zu rechnen sei, die die Fahrzeuge begutachteten. Im Ergänzungsbescheid sei eine Ausnahme hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung erteilt worden. Es sei nicht erforderlich, dass die Ausnahme im Bebauungsplan „ausdrücklich“ vorgesehen sei, da mit der Festsetzung eines allgemeinen Wohngebiets nach § 4 BauNVO auch die im Katalog enthaltenen ausnahmsweise zulässigen Vorhaben zum Bestandteil des Bebauungsplanes geworden seien. Die Erteilung einer Ausnahme sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Der Ausstellungsraum sei ein sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb. Es werde weder ein Handwerksbetrieb noch eine Fahrzeugaufbereitung oder -reparatur genehmigt. Soweit im Ergänzungsbescheid bzw. der Betriebsbeschreibung die angegebene Anzahl an Pkw-Ausstellungsplätzen („ca. 4 Pkw“) als zu unbestimmt angesehen werde, könne dieser Mangel durch Vorlage einer überarbeiteten Betriebsbeschreibung bzw. eines Änderungsbescheides geheilt werden. Dass im Kellergeschoss keine wesentlich höhere Anzahl an Pkw ausgestellt werden könne, ergebe sich bereits aus der Größe des geplanten Ausstellungsraumes.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Zur Sach- und Rechtslage führt er im Wesentlichen aus, dass eine Rechtsverletzung der Antragsteller nicht ersichtlich sei. Der Gebietserhaltungsanspruch sei nicht verletzt. Der Ausstellungsraum sei ein sonstiger, nicht störender Gewerbebetrieb gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO und stehe nach Gebietsverträglichkeit und Störpotenzial einem „Laden“ i.S.d. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO gleich. Der Verdacht einer über die beantragte Nutzung hinausgehende Nutzung stelle höchstens einen Anlass für eine bauaufsichtliche Überprüfung dar. Soweit ein Verstoß gegen Abstandsflächenrecht gerügt werde, sei der Vortrag hierzu vage und unsubstantiiert.
Mit Beschluss vom 8.4.2021 wurden die Verfahren RO 7 K 21.76 und RO 7 K 21.429 zu gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und unter dem Aktenzeichen RO 7 K 21.429 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren RO 7 S 21.75, RO 7 K 21.76, RO 7 S 21.428 sowie RO 7 K 21.429 Bezug genommen.
II.
1. Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung aus prozessökonomischen Gründen beruht auf § 93 Satz 1 VwGO. Die Verfahren betreffen dasselbe Vorhaben. Der Beschluss ist insoweit unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 VwGO).
2. Der Antrag gem. § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 14.1.2021 (Az. RO 7 K 21.76) gegen den Bescheid vom 22.12.2020 und der Klage vom 8.3.2021 (Az .RO 7 K 21.429) gegen den Bescheid vom 11.2.2021 hat Erfolg, da er zulässig und begründet ist.
Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat Erfolg, wenn das Aussetzungsinteresse des Nachbarn das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des streitgegenständlichen Verwaltungsakts bzw. das Vollzugsinteresse des Bauherrn überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung richtet sich regelmäßig maßgeblich nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, da an der Umsetzung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts in der Regel kein schutzwürdiges Interesse besteht. Dabei kommt es im Rahmen einer Nachbarklage nicht darauf an, ob eine erteilte Baugenehmigung in objektiver Hinsicht umfassend rechtmäßig ist. Ein Nachbar kann eine Genehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn die Genehmigung ihm zustehende subjektiv-öffentliche Rechte verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Maßgeblich ist daher, ob der Nachbar in subjektiven Rechten verletzt wird, d.h. ob die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die zumindest auch seinem Schutz dienen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – juris). Eine Rechtsverletzung kommt nur insoweit in Betracht, als die Baugenehmigung überhaupt Regelungs- bzw. Feststellungswirkung entfaltet.
Hiervon ausgehend ergibt die gebotene Interessenabwägung des Gerichts ein überwiegendes Aussetzungsinteresse der Antragsteller gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides bzw. dem Vollzugsinteresse des Beigeladenen, da die Klagen der Antragsteller nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich Erfolg haben werden. Der angefochtene Bescheid des Landratsamts Cham vom 22.12.2020 in der Fassung des Bescheides vom 11.2.2021 verletzt sie nach Aktenlage in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist entgegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG nicht hinreichend bestimmt und verletzt die Antragsteller dadurch in ihren Rechten.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt sein, d.h. das genehmigte Vorhaben, insbesondere Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen Bewertung nicht zugänglich sein (vgl. vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18; B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Insbesondere Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Baugenehmigung aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2011 – 15 CS 11.1858 – juris Rn. 14 m.w.N.).
Danach ist die Baugenehmigung vom 22.12.2020 in der Fassung des Bescheides vom 11.2.2021 in einer für die Antragsteller nachteiligen Weise unbestimmt, weil der Umfang der genehmigten Nutzung nicht zweifelsfrei erkennbar ist und infolgedessen die auf sie einwirkenden Immissionen nicht eindeutig absehbar sind.
Unklar ist zunächst, wie viele Kfz-Ausstellungsplätze in der Tiefgarage genehmigt wurden. Im Eingabeplan sind 3 Pkw-Stellplätze eingezeichnet. Mit E-Mail vom 16.12.2020, die nicht mit einem Genehmigungsvermerk versehen ist, teilte der Beigeladene mit, dass „ca. 3 Pkw“ zur Ausstellung stünden. Im mit Genehmigungsvermerk versehenen Schreiben des Beigeladenen vom 28.1.2021, auf das im Ergänzungsbescheid Bezug genommen wird, ist von „ca. 4 hochpreisigen Fahrzeugen“ die Rede. Die Angaben sind daher schon in sich widersprüchlich. Jedenfalls ergibt sich durch die Formulierung „ca.“, dass auch mehr als die angegebenen drei bzw. vier Fahrzeuge ausgestellt werden können. Folglich ist der Betriebsumfang insoweit nicht eindeutig und zweifelsfrei ersichtlich. Überdies fehlt eine Angabe zu den Betriebszeiten, so dass auch insoweit der Umfang der Genehmigung nicht eindeutig festgelegt ist. Dadurch, dass die Tiefgarage und deren Zufahrt unweit der gemeinsamen Grenze zum Grundstück der Antragsteller entfernt liegen, kann eine Verletzung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme insbesondere hinsichtlich der unbeschränkten Betriebszeiten nicht ausgeschlossen werden.
An dieser Einschätzung ändert auch die Stellungnahme des Umweltingenieurs des Landratsamts Cham vom 19.11.2020 nichts. Diese erfolgte noch bevor der Beigeladene überhaupt ergänzende Angaben zum Betrieb eingereicht hat (E-Mail vom 16.12.2020, Schreiben vom 28.1.2021). Jedenfalls beruht die Stellungnahme auf widersprüchlichen (Anzahl der ausgestellten Kfz), unvollständigen (Betriebszeit) und im Übrigen wenig plausiblen (Frequentierung mit etwa 3 Kunden monatlich) Angaben zum Betrieb.
Soweit der Antragsgegner vorträgt, dass im Fall einer Nutzung des Kellergeschosses als private Garage mit einem höheren Lärm- und Verkehrsaufkommen gerechnet werden müsse als bei der nunmehr genehmigten Ausstellungsfläche, verkennt er, dass für „gewerblichen Lärm“ hinsichtlich der Zumutbarkeitsschwelle ein anderer Beurteilungsmaßstab gilt. Auch § 12 Abs. 2 BauNVO, wonach Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf grundsätzlich als sozialadäquat zu dulden sind, kann hinsichtlich des Ausstellungsraums im Kellergeschoss nicht herangezogen werden. Denn bei diesem handelt es sich gerade nicht um einen Stellplatz oder eine Garage im Sinne der Norm, sondern um eine gewerbliche Hauptnutzung in Form einer Ausstellungsfläche eines Kfz-Vermittlungsbetriebes.
2. Abgesehen davon bestehen Zweifel, dass die genehmigte Nutzungsänderung bei summarischer Prüfung nach Aktenlage mit nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts, die gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 1a BayBO zum Prüfungsumfang im vereinfachten Genehmigungsverfahren gehören, vereinbar ist. Es spricht einiges dafür, dass die Antragsteller durch die Baugenehmigung in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt werden.
Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet das Recht, sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gegen nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch ist eine Folge davon, dass Baugebietsfestsetzungen kraft Gesetzes dem Schutz aller Eigentümer der in dem Gebiet gelegenen Grundstücke dienen. Die weit reichende nachbarschützende Wirkung beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer – unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung – das Recht, sich gegen eine schleichende Umwandlung des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 -, BVerwGE 94, 151-163, Rn. 12ff.). Bei der Beurteilung ist dabei davon auszugehen, dass eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs des Nachbarn nur vorliegen kann, wenn das Vorhaben seiner Art nach nicht allgemein zulässig ist und auch die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens (vgl. § 31 Abs. 1 BauGB) nicht gegeben sind. Letzteres ergibt sich aus dem Inhalt des Anspruchs des Nachbarn auf Wahrung der Gebietsart. Dieser ist nämlich darauf gerichtet (und beschränkt), Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 -, Rn. 10, juris). Dabei ist unerheblich, ob die Ausnahme im Bescheid ausdrücklich ausgesprochen wurde oder nicht, z.B., weil die Baugenehmigungsbehörde das Erfordernis einer Ausnahme – aus welchen Gründen auch immer – verkannt hat (vgl. BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 -, Rn. 34, juris, m.w.N.).
aa. Der Bebauungsplan „M* …“ setzt im Planbereich ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO fest. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass diese Festsetzung aufgrund der tatsächlich vorhandenen Bebauung obsolet wäre.
bb. Das Vorhaben des Beigeladenen ist im allgemeinen Wohngebiet nicht nach § 4 Abs. 2 BauNVO allgemein zulässig, da es sich erkennbar weder um eine Wohnnutzung (Nr. 1) noch um einen der Versorgung des Gebiets dienenden Laden, eine Schank- und Speisewirtschaft, einen nicht störenden Handwerksbetrieb (Nr. 2) oder eine Anlage für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke (Nr. 3) handelt.
cc. Es bestehen bei summarischer Prüfung nach Aktenlage Zweifel, dass die Tatbestandsvoraussetzungen für die ausnahmsweise Zulassung gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO gegeben sind und das Vorhaben als „sonstiger nicht störender Gewerbebetrieb“ eingeordnet werden kann.
Ein sonstiger Gewerbebetrieb stört und kann nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nicht zugelassen werden, wenn er nach seiner typischen Nutzungsweise nicht gebietsverträglich ist. Kfz-Vermittlungsbetriebe sind bei der grundsätzlich gebotenen typisierenden Betrachtungsweise störende Betriebe (vgl. VG Regensburg, B.v. 14.8.2012 – RO 7 S 12.1054 – m.w.N.; Jäde/Dirnberger, BauNVO, 9. Auflage, § 4 Rn.32).
Allerdings verbietet sich die typisierende Betrachtungsweise ausnahmsweise dann, wenn der Betrieb zu einer Branche gehört, bei der die üblichen Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine vom nicht wesentlich störenden bis zum störenden oder gar bis zum erheblich belästigenden Betrieb reichende Bandbreite aufweisen. Bei solchen Vorhaben sind der Zulässigkeitsprüfung stets die konkreten Verhältnisse des Betriebs zugrunde zu legen. Dasselbe gilt im Einzelfall, wenn der Betrieb zwar zu einer Branche gehört, bei der eine typisierende Einstufung hinsichtlich des Störgrades grundsätzlich gerechtfertigt ist, es sich aber um eine atypisches, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild abweichendes Vorhaben handelt und wenn anzunehmen ist, dass der Betrieb diesen atypischen Charakter auch künftig behalten wird (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2015 – 15 ZB 12.2042 -, Rn. 17, juris).
Das Vorhaben des Beigeladenen mit einer Ausstellungsfläche von 170 qm in einer Tiefgarage weicht vom branchenüblichen, großflächigen Erscheinungsbild eines Kfz-Vermittlungsbetriebes erheblich ab, so dass im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise die konkreten Verhältnisse des Betriebs zugrunde zu legen sind.
Grundlage der rechtlichen Beurteilung, ob die Kfz-Vermittlung auf der genehmigten Ausstellungsfläche des Beigeladenen wegen ihrer atypischen Art und Betriebsweise von vornherein keine für das Wohnen wesentliche Störungen befürchten lässt und seine Gebietsverträglichkeit im allgemeinen Wohngebiet dauerhaft und zuverlässig sichergestellt ist, ist das Vorhaben in seiner genehmigten Form (vgl. BayVGH, B.v. 22.1.2013 – 15 CS 12.2005 -, Rn. 20, juris).
Trotz des atypischen Betriebscharakters ergeben sich aus den Betriebsbeschreibungen (Bl. 15 ff. der Bauakte sowie Schreiben vom 28.1.2021, vgl. Ergänzungsbescheid vom 11.2.2021) keine Anhaltspunkte, dass mit dem Vorhaben die typischen Störwirkungen (bspw. motorisierter Kundenverkehr, Zuschlagen von Türen und Motorhauben, Geräuschentwicklung beim Ausprobieren der Funktionsfähigkeit der Fahrzeuge, An- und Abtransport der Verkaufsfahrzeuge) nicht verbunden wären. Im Bescheid sind auch keine Nebenbestimmungen enthalten, die diese Störungen ausschließen würden.
Es spricht daher einiges dafür, dass das Vorhaben des Beigeladenen keinen „nicht störenden Gewerbebetrieb“ i.S.d. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO darstellt.
3. Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben und die aufschiebende Wirkung der Klagen vom 14.1.2021 und vom 8.3.2021 anzuordnen. Dem Beigeladenen waren keine Kosten aufzuerlegen, da dieser keinen Antrag gestellt hat und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Für die Verfahren RO 7 S 21.75 und RO 7 S 21.428 war zunächst ein Streitwert von jeweils 3.750,- € festzusetzen. Nach der Verbindung der beiden Verfahren war nur noch ein Streitwert von insgesamt 3.750,- € festzusetzen, da es sich beim Ergänzungsbescheid vom 11.2.2021 lediglich um eine Tekturgenehmigung und insoweit unwesentliche Ergänzung des Bescheids vom 22.12.2020 handelt. Dieser Bescheid hätte auch ohne Erhebung einer eigenen Klage bzw. Stellung eines eigenen Antrags im einstweiligen Rechtschutzverfahren in die bereits anhängigen Verfahren RO 7 S 21.75 und RO 7 K 21.76 mit einbezogen werden können. Die Streitwerte sind somit nicht gem. § 173 VwGO i.V.m. § 5 ZPO zu addieren.


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