Baurecht

Einmauernde Wirkung eines Grundstücks

Aktenzeichen  9 CS 20.1083

Datum:
22.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20613
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 59 S. 1

 

Leitsatz

Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. VGH München BeckRS 2020, 9653 Rn. 21). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 S 20.699 2020-04-17 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung E…, wendet sich gegen die den Beigeladenen mit Bescheid des Landratsamts N. L. vom 11. November 2019 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage und Einliegerwohnung mit Einfachgarage auf dem südwestlich gelegenen Nachbargrundstück FlNr. … derselben Gemarkung. Die 9 m breite geplante Garagenanlage mit Flachdach liegt grenzständig zum insoweit westlich gelegenen Grundstück des Antragstellers und überwiegend auf Höhe des dort in einer Entfernung zwischen 2 m und 3 m befindlichen Wohngebäudes des Antragstellers.
Der Antragsteller hat gegen die Baugenehmigung Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 17. April 2020 abgelehnt. Das vorläufige Rechtsschutzbegehren des Antragstellers sei zulässigerweise allein auf die grenzständige Garagenanlage gerichtet. Von dieser Anlage gehe kein „Einmauerungseffekt“ oder eine erdrückende Wirkung aus. Im Hinblick auf den vorhandenen Abstand zwischen dem Wohngebäude des Antragstellers und der Garagenanlage sowie deren mittlerer Wandhöhe von 3 m löse diese Anlage gegenüber dem Antragsteller aller Voraussicht nach keine unzumutbaren Beeinträchtigungen bezüglich Belichtung und Belüftung aus.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Hinsichtlich der Dreifachgarage sei der erforderliche Grenzabstand zum Haus des Antragstellers, das nur eine Wohnfläche von ca. 60 m² auf zwei Ebenen aufweise, nicht eingehalten. Das einzige Küchenfenster in einer Höhe von 1,20 m und einem Abstand zur Grenzgarage auf dem Grundstück der Beigeladenen von 2,10 m gehe nach Osten in Richtung der Garagenanlage. Bei einer Errichtung der Dreifachgarage an der Grundstücksgrenze habe der Antragsteller kein Sonnenlicht mehr in seiner Küche und brauche 24 Stunden lang künstliches Licht dort. Das Gebäude auf dem Grundstück des Antragstellers sei bereits vor dem 2. Weltkrieg erstellt worden. Damals hätten die heutigen gesetzlichen Vorschriften über Abstandsflächen nicht gegolten. Daraus folge, dass der gesetzliche Grenzabstand von 3 m eingehalten werden müsse, um einen Einmauerungseffekt zu vermeiden. Bei dem geringen Grenzabstand von lediglich 2,10 m sei auch der erforderliche Brandschutz nicht eingehalten.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 17. April 2020 in Ziffer 1, bezogen auf die Garage der Beigeladenen, aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Garage anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die genehmigte Grenzgarage stehe in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO und bringe deshalb gerade keinen Nachbarrechtsverstoß mit sich. Da das Haus des Antragstellers die Wandhöhe der genehmigten Grenzgarage überschreite, bestehe für die Annahme einer erdrückenden Wirkung kein Raum. Das Gebot der Rücksichtnahme gebe den Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Die Notwendigkeit, während 24 Stunden des Tages künstliches Licht in der Küche zu benötigen, werde auch im Beschwerdeverfahren nicht weiter belegt.
Die Beigeladenen haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung des Senats im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
1. Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass hinsichtlich der Garagenanlage die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO vorliegen. Der Antragsteller ist dem im Beschwerdeverfahren nicht entgegengetreten. Die Garagenanlage ist damit sowohl von dem Gebot dispensiert, eigene Abstandsflächen einzuhalten, als auch von dem Gebot, die Abstandsflächen anderer Gebäude freizuhalten (Schwarzer/König, BayBO, 4. Auflage 2012, Art. 6 Rn. 37). Der Hinweis des Antragstellers auf den „gesetzlichen Grenzabstand von 3 m“ geht damit ins Leere. Soweit das Beschwerdevorbringen des Antragstellers dahingehend verstanden werden kann, dass sich der Antragsteller auf einen etwaigen Bestandsschutz seines Wohngebäudes beruft, bezieht sich der Bestandsschutz nur auf die betreffende bauliche Anlage; eine Aussage darüber, inwieweit auf dem Nachbargrundstück künftig bauliche Anlagen unzulässig sind, lässt sich hieraus aber nicht unmittelbar ableiten (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2015 – 9 ZB 12.1318 – juris Rn. 7 m.w.N.).
2. Die Rüge im Beschwerdevorbringen, der erforderliche Brandschutz sei nicht eingehalten, führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Beschwerde. Hier wurde die angefochtene Baugenehmigung, wie auch in einer Anmerkung im Tenor der Genehmigung und in Nr. 7 der Hinweise ausdrücklich ausgeführt wurde, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO erteilt. Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt. Die Prüfung der brandschutzrechtlichen Vorschriften ist darin nicht vorgesehen; eine Abweichung von der Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften wurde weder beantragt noch erteilt. Den beschränkten Prüfungsmaßstab des Art. 59 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung der Baugenehmigung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BayBO nicht selbst erweitern. Eine Verletzung von Nachbarrechten des Antragstellers durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von brandschutzrechtlichen Vorschriften kommt deshalb nicht in Betracht (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11 m.w.N. zur früheren Rechtslage hinsichtlich der Abstandsflächenvorschriften). Mangels Zulassung einer Abweichung von anderen nachbarschützenden Vorschriften, wie z.B. denjenigen des Abstandsflächenrechts, in der Baugenehmigung scheidet auch eine Prüfung der brandschutzrechtlichen Vorschriften in diesem Rahmen aus (BayVGH, U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 21).
3. Der Antragsteller kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Verwaltungsgericht die einmauernde Wirkung der genehmigten Garagenanlage nicht ausreichend berücksichtigt habe.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn nach der Gesamtschau der Umstände des konkreten Einzelfalls von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung im Sinn einer „abriegelnden“ oder „erdrückenden“ Wirkung ausgeht. Hauptkriterien sind dabei die Höhe des Bauvorhabens, seine Länge, sein Volumen sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme einer erdrückenden Wirkung eines Nachbargebäudes besteht grundsätzlich schon dann kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.1493 – juris Rn. 21 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat hier die erforderliche Gesamtschau vorgenommen und eine erdrückende bzw. einmauernde Wirkung verneint. Dem wird im Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegengetreten.
Soweit sich der Antragsteller auf eine Verschlechterung der Lichtverhältnisse in seiner Küche aufgrund der Situierung der Garage unmittelbar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze und den Grenzabstand des Küchenfensters von 2,10 m beruft, hat das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Gesamtwürdigung diese Einschränkungen als zumutbar angesehen. Dem tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls sind in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 15). Die vom Antragsteller erneut geltend gemachte Notwendigkeit, während 24 Stunden des Tages künstliches Licht in der Küche zu benötigen, ist aufgrund der Situierung der Garagenanlage im Osten des Wohnhauses des Klägers und die mittlere Wandhöhe der Anlage von 3 m nicht ohne weiteres nachvollziehbar und wird auch im Beschwerdeverfahren nicht weiter belegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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