Baurecht

Einstweiliges Rechtsschutzbegehren gegen die Anordnung des Sofortvollzugs einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für den Bau einer Windkraftanlage

Aktenzeichen  W 4 S 19.668

Datum:
24.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27058
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BImSchG § 4
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a, § 121 Abs. 1 Nr. 1
9. BImSchV § 25 Abs. 1a

 

Leitsatz

1. Die fehlende Dokumentation der standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls als Verfahrensfehler hindert ebensowenig wie die ermessensfehlerhafte Begründung der Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen die zuständige Behörde daran, einen fehlerfreien Verwaltungsakt mit gleichem materiellem Inhalt zu erlassen. Diese Fehler sind nicht vom Wiederholungsverbot umfasst.(Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aufgrund der bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass im Nahbereich von Windenergieanlagen zwar Infraschallpegel auftreten, sie aber ab einem Abstand von 300 m den Geräuschpegel im Infraschallbereich nicht mehr beeinflussen.(Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit dem vorliegenden Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gegen die unter Ziffer IX verfügte Anordnung der sofortigen Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für den Bau einer Windkraftanlage.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke Fl.-Nrn. xxx und xxx der Gemarkung O … sowie der Fl.-Nr. xxx der Gemarkung H … Die Grundstücke Fl.-Nrn. xxx und xxx der Gemarkung O … befinden sich nördlich bzw. nordwestlich des Grundstücks Fl.-Nr. xxx  der Gemarkung H … (Baugrundstück) und sind nur durch einen Flurweg von diesem getrennt. Das Grundstück Fl.-Nr. xxx schließt sich im Westen des Baugrundstücks, ebenfalls nur durch einen Feldweg getrennt, mit einer Länge von ca. 70 m an dieses an. Das Baugrundstück weist in Nord-Süd-Richtung eine Länge von ca. 400 m und eine Breite zwischen 155 m (im Norden) und 250 m (im Süden) auf. Es hat eine Gesamtfläche von ca. 8,2 ha und ist im Flächennutzungsplan der Gemeinde H … als Sondergebiet für Windkraftanlagen dargestellt.
Mit Bescheid vom 26. September 2013 erteilte das Landratsamt Würzburg der Beigeladenen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windkraftanlage des Typs Enercon E 101 mit einer Nennleistung von 3 Megawatt.
Mit Urteil vom 19. Mai 2015 hob das Verwaltungsgericht Würzburg den Genehmigungsbescheid vom 26. September 2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 5. März 2014 in der Fassung der Ergänzungsbescheide vom 31. Juni 2014 und 13. Oktober 2014 auf (Az.: W 4 K 14.604). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 den Antrag auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen.
Unter dem 6. Dezember 2016 beantragte die Beigeladene erneut eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windkraftanlage, Enercon E 101 mit 3 Megawatt Leistung und einer Nabenhöhe von 135,40 m.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 29. Mai 2019 erteilte das Landratsamt Würzburg der Beigeladenen daraufhin die immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit zahlreichen Nebenbestimmungen. Von den baurechtlichen Vorschriften des Art. 6 BayBO wurde für die Abstandsflächen zu mehreren Grundstücken u.a. auch zu den Grundstücken der Antragstellerin eine Abweichung zugelassen. Unter Ziffer IX des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2019 an das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, hier eingegangen am gleichen Tage, ließ die Antragstellerin Klage erheben und beantragte im vorliegenden Verfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage W 4 K 19.666 gemäß §§ 80a Abs. 1 Nr. 2, 3, 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Genehmigung sei schon wegen Verstoßes gegen die formelle Rechtskraft des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Oktober 2015 nichtig. Des Weiteren sei die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung fehlerhaft und nicht nachvollziehbar. Den substantiierten Hinweisen der Antragstellerin auf die Realisierung des Eingriffsverbots im Hinblick auf geschützte Insekten sei der Antragsgegner nicht nachgegangen. Schließlich sei die zugelassene Abweichung von den Abstandsflächen abwägungsfehlerhaft. Jedenfalls seien die Spalierobstanlagen der Antragstellerin im Hinblick auf die Immissionen nicht in den Blick genommen und daher auch nicht gutachterlich bewertet worden. Die Genehmigung sei auch rechtswidrig aufgrund unzulässiger akustischer optischer Immissionen und Einwirkungen.
Der Antragsgegner und die Beigeladene beantragten jeweils,
das Eilgesuch nach § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
Der Antragsgegner verwies im Wesentlichen auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids. Der Beigeladenenvertreter erklärte, die von der Antragstellerseite behauptete Nichtigkeit liege ersichtlich nicht vor. Darüber hinaus sei die streitgegenständliche immissionsschutzrechtliche Genehmigung auch materiell-inhaltlich rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen Klage W 4 K 19.666 gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 29. Mai 2019 ist zulässig, aber unbegründet.
1. Inhaltlicher Maßstab der zu treffenden gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren ist eine umfassende Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das private Aufschubinteresse der Antragstellerin einerseits und das öffentliche Interesse sowie das Interesse der durch den Verwaltungsakt begünstigten Beigeladenen an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Diese Abwägung hat der Gesetzgeber zunächst dahin vorgenommen, dass die Klage im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich aufschiebende Wirkung entfaltet (§ 80 Abs. 1 VwGO), diese aber entfällt, wenn die Behörde – wie hier – die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO gesondert angeordnet hat. Das Gericht prüft mithin im Fall einer solchen Anordnung, ob die Behörde zu Recht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung höher gewichtet hat als das private Interesse der Antragstellerin, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens von einer Vollziehung des Verwaltungsakts verschont zu bleiben. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit oder die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts Bedeutung; allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als bei Gewichtung des Sofortvollzugsinteresses in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 15.9.2006 – OVG 11 S 57.06 – juris Rn. 2).
2. Unter Berücksichtigung dessen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung unbegründet. Weder ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung in formeller Hinsicht rechtlich zu beanstanden, noch ergibt die vom Gericht im Rahmen des Eilverfahrens zu treffende eigene Ermessensentscheidung, dass die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin erhobenen verwaltungsgerichtlichen Klage wiederherzustellen wäre.
3. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erging in formell rechtmäßiger Weise. Der Antragsgegner hat in seiner Anordnung der sofortigen Vollziehung im streitgegenständlichen Bescheid vom 29. Mai 2019 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts in der von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO geforderten Form dargelegt und dabei die besonderen, auf den konkreten Fall bezogenen Gründe dargestellt. Er hat ausgeführt, welche finanziellen Nachteile sich für die Beigeladene bei einer Verzögerung des Projekts ergeben und daneben das öffentliche Interesse an der Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromversorgung berücksichtigt. Den formellen Erfordernissen wird damit genügt. Eine inhaltliche Überprüfung der von der Behörde eingestellten Erwägungen findet an dieser Stelle nicht statt. Ob die Erwägungen inhaltlich einer Überprüfung standhalten, ist für die Einhaltung des formellen Begründungserfordernisses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht von Bedeutung. Dies stellt eine Frage des Vollzugsinteresses dar, die eigenständig und losgelöst von der vorangegangenen behördlichen Vollzugsanordnung zu beurteilen ist, und die im Rahmen der vom Gericht nach § 80a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11 – juris).
4. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders angeordnet wird. § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ermächtigt das Gericht der Hauptsache, die aufschiebende Wirkung aufgrund einer eigenen Ermessensentscheidung wiederherzustellen. Die Frage, wer bei einer Drittanfechtungsklage das Risiko der Herbeiführung vollendeter Tatsachen zu tragen hat, bestimmt sich dabei nach dem materiellen Recht, also den Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs. Einen Rechtsatz, dass sich der einen Genehmigungsbescheid anfechtende Dritte gegenüber dem Genehmigungsempfänger von vornherein in einer bevorzugten verfahrensrechtlichen Position befinden müsste, gibt es nicht. Ebenso fordern weder das einfache Recht noch Art. 19 Abs. 4 GG das Bestehen eines besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung, wenn sich Rechtspositionen gegenüberstehen, die grundsätzlich gleichrangig sind. Dies zugrunde gelegt geht die vom Gericht zu treffende Ermessensentscheidung hier zu Lasten der Antragstellerin aus, da die von ihr erhobene Klage mit überwiegender Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben wird. Die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch den Antragsgegner dürfte aller Voraussicht nach rechtmäßig sei.
5. Insbesondere kommt die Kammer bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Einwendungen der Antragstellerin aller Voraussicht nach nicht durchgreifen und die Einwirkungen der Anlage auf die Antragstellerin eher gering sind, wohingegen die Beigeladene als Folge einer mit der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gebotenen Einstellung des Betriebs der Anlage aktuell erhebliche finanzielle Verluste drohen, und zwar durch entgehende Einnahmen bei weiter anfallenden Wartungs- und Unterhaltungskosten. Dabei mag dahinstehen, ob es auf eine über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs hinausgehende Betrachtung der Interessen der genannten Beteiligten in den – hier vorliegenden – Fällen des Begehrens eines Dritten nach vorläufigem Rechtsschutz (§§ 80a Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 5 VwGO) überhaupt ankommt (dies verneinend VGH Baden-Württemberg, B.v. 29.1.2019 – 10 S 1919/17 – juris Rn. 4).
Jedenfalls ist die Klage der Antragstellerin mit hoher Wahrscheinlichkeit unbegründet. In dem angesichts der noch ausstehenden Hauptsacheentscheidung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung der Kammer (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 25.1.2018 – 10 S 1681/17 – juris Rn. 11 m.w.N.) hat die Antragstellerin aller Voraussicht nach weder durch formelle Mängel der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung begründete Ansprüche auf deren Aufhebung noch verletzt die Genehmigung sie anderweitig in ihren Rechten.
6. Ohne Erfolg rügt der Antragstellervertreter zunächst, die Genehmigung sei wegen Verstoßes gegen die formelle Rechtskraft des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Oktober 2015 (Az.: 22 ZB 15.1584) nichtig.
Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist insoweit § 121 Nr. 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift binden rechtskräftige Urteile, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger. Somit erfasst die Rechtskraftwirkung in dem in § 121 VwGO umschriebenen Rahmen auch nachfolgende Verwaltungsakte durch die Behörde. Denn sie soll verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch ein Urteil rechtskräftig entschieden worden ist, erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien gemacht wird. Im Falle einer erfolgreichen Anfechtungsklage darf die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen erlassen. Diese Wirkung der Rechtskraft auf nachfolgende Verfügungen derselben Behörde rechtfertigt sich aus dem Sinn der Rechtskraft, dem Rechtsfrieden zu dienen und das Vertrauen in die Beständigkeit des Rechts zu schützen.
Die Rechtskraftwirkung eines Urteils tritt allerdings dann nicht ein, wenn sich die zurzeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage verändert hat. Ebenso ist zu beachten, dass die materielle Rechtskraft, mit der der Anfechtungsklage stattgegeben wurde, der angefochtene Verwaltungsakt also aufgehoben wurde, nur den Aufhebungsanspruch und die die objektive Rechtswidrigkeit implizierende Feststellung der Verletzung eines subjektiven Rechts der Antragstellerin beinhaltet. Welche Handlungsalternativen der Verwaltung verbleiben, hängt vom Grund der Rechtswidrigkeit ab, der den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist (zum Ganzen vgl. BVerwG, Urteil v. 8.12.1992, NWwZ 1993, 673).
Wird der Verwaltungsakt also wegen Zuständigkeits-, Verfahrens- oder Formfehlern aufgehoben, ist die zuständige Behörde keinesfalls gehindert, einen nunmehr fehlerfreien Verwaltungsakt mit gleichem materiellem Inhalt zu erlassen. Gleiches gilt bei ermessensfehlerhafter Begründung. Nur wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts auf einem irreparablen Verstoß gegen materielles Recht beruht, darf die Behörde ohne Änderung der Sach- oder Rechtslage nicht erneut einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlassen (sog. Wiederholungsverbot) (vgl. BVerwG, a.a.O., m.w.N.). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolgen.
Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Ausführungen gilt im vorliegenden Fall Folgendes:
Das Erstgericht hat vorliegend in seinem Urteil vom 19. Mai 2015 (Az.: W 4 K 14.604) ausgeführt, dass der streitgegenständliche Bescheid bereits an einem Verfahrensfehler leide, der zur Aufhebung der Genehmigung führe. Die vom Landratsamt Würzburg zur Erteilung der Genehmigung durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls genüge nicht den rechtlichen Anforderungen an die erforderliche standortbezogene Vorprüfung. Eine solche sei vielmehr überhaupt nicht durchgeführt worden. Das Landratsamt hätte jedenfalls in nachvollziehbarer Weise festhalten müssen, aufgrund welcher Erwägungen es zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt ist. Des Weiteren sei ein Verstoß der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 26. September 2013 gegen das Abstandsflächenrecht gegeben. Es habe die Verpflichtung des Landratsamts Würzburg bestanden, den Sachverhalt vollständig und zutreffend zu ermitteln. Das heißt, das Landratsamt hätte auch untersuchen müssen, ob eventuell ein weiter entfernter Standort in Betracht komme. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. Oktober 2015 (Az.: 22 ZB 15.1584) den Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung abgelehnt, da sich aus der fristgerecht erfolgten Begründung des Berufungsantrags die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ergäben und die Änderung der Sach- und Rechtslage, die durch den am 8. September 2015 erlassenen Ergänzungsbescheid eventuell eingetreten seien, im Zulassungsverfahren nicht zu berücksichtigen seien.
Gemäß den obigen Ausführungen war das Landratsamt Würzburg aufgrund des erneuten Antrags der Beigeladenen mit Schreiben vom 6. Dezember 2016 nicht gehindert, den streitgegenständlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid vom 29. Mai 2019 zu erlassen. Insbesondere hat der Antragsgegner damit nicht gegen das Wiederholungsverbot verstoßen, denn die fehlende Dokumentation der standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls stellt zweifellos einen Verfahrensfehler dar, der ebensowenig wie die weiterhin seitens des Verwaltungsgerichts bemängelte ermessensfehlerhafte Begründung der Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen vom Wiederholungsverbot umfasst wird.
7. Ohne Erfolg rügt die Antragstellerin weiterhin die Fehlerhaftigkeit der durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung. Unabhängig von der Frage, ob der Antragstellerin überhaupt ein solches Rügerecht zusteht, kann die Kammer jedenfalls bei summarischer Überprüfung nicht erkennen, dass der von der Antragstellerin behauptete Verfahrensfehler vorliegend gegeben ist. So ist zunächst die Auffassung des Antragsgegners, vorliegend finde die 9. BImSchV in ihrer alten Fassung Anwendung, nicht zu beanstanden. Wenn der Antragsgegner in diesem Zusammenhang ausführt, dass nach der Übergangsvorschrift des § 25 Abs. 1a der 9. BImSchV Vorhaben weiterhin nach den Vorschriften der Verordnung über das Genehmigungsverfahren in der bis zum 16. Mai 2017 gültigen Fassung – 9. BImSchV a.F. – zu beurteilen seien, wenn vor diesem Zeitpunkt jedenfalls das Verfahren zur Unterrichtung über die voraussichtlich beizubringende Unterlagen (§ 2a der 9. BImSchV a.F.) eingeleitet worden sei oder die auszulegenden Unterlagen gemäß § 4 bis § 4e der 9. BImSchV a.F. vorgelegt wurden, entspricht dies der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 28.9.2016, Az.: 7 C 1/15, juris), wonach die 9. BImSchV abschließende Regelungen über die in einem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren durchzuführende Umweltverträglichkeitsprüfung enthalte. Das Bundesverwaltungsgericht führt in diesem Zusammenhang weiter aus, dass auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar seien, dass die UVP-Richtlinie hinsichtlich des hier in Rede stehenden Verfahrensrechts im deutschen Recht unzureichend umgesetzt sei. Europarechtliche Bedenken gebe es nicht (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 14 f.). Darüber hinaus seien die Vorschriften des UVPG auch nicht ergänzend anwendbar (vgl. OVG Koblenz, U.v. 25.7.2017, Az.: 8 B 10987/17, juris Rn. 6).
Dass die Bekanntmachung des Vorhabens etwa gegen die speziellen Regelungen des § 9 i.V.m. § 3 der 9. BImSchV verstieß, wird von der Antragstellerseite nicht dargelegt, ist im Übrigen auch für die Kammer nicht ersichtlich.
Ebenso kann die Kammer aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erkennen, dass der angefochtene Genehmigungsbescheid an Verstößen gegen materiell-rechtliche Vorschriften leidet, die in der Hauptsache einen Aufhebungsanspruch der Antragstellerin begründen können. Vielmehr kann aller Voraussicht nach hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Betrieb der Windenergieanlage zur Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG führen wird. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die in dem Gebiet vorkommende Individuen europäischer Vogelarten, als auch für den Fledermausschutz.
So sind zunächst durchgreifende Bedenken an der Vereinbarkeit der Genehmigung mit dem besonderen Artenschutzrecht nicht in Bezug auf im Wirkungsbereich der genehmigten Windenergieanlage vorkommende Vögel angezeigt. Die Kammer hat nach summarischer Prüfung der von der Vorhabenträgerin vorgelegten Beiträge zum Artenschutz des Gutachterbüros …, Stadt- und Umweltplanung, vom Dezember 2016 hinsichtlich der Frage eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für die im Wirkbereich der genehmigten Windenergieanlage vorkommenden Vögel und Fledermäuse weder von der angewandten Methodik noch bezüglich der Begründung des Ergebnisses durchgreifende Bedenken, insbesondere auch unter Berücksichtigung der im streitgegenständlichen Bescheid vom 29. Mai 2019 angeordneten naturschutzrechtlichen Forderungen (vgl. 6.3 bis 6.6). Jedenfalls konnte der Antragsgegner diese Gutachten seiner Genehmigungsentscheidung zugrunde legen.
Zu Recht hat der Antragsgegner auch den Vorwurf der Antragstellerin zurückgewiesen, er sei im Verwaltungsverfahren dem Vorbringen der Antragstellerin zur Realisierung des artenschutzrechtlichen Zugriffsverbots im Hinblick auf geschützte Insekten nicht nachgegangen. Wie der von dem Antragsgegner gefertigte Aktenvermerk vom 14. Mai 2019 und Ziffer 2.1.2.5.2 des Genehmigungsbescheids verdeutlichen, hat der Antragsgegner sehr wohl den Vortrag der Antragstellerin berücksichtigt und die Frage eines Verstoßes gegen das Zugriffsverbot im Hinblick auf geschützte Insektenarten geprüft, einen solchen Verstoß jedoch nicht feststellen können.
8. Auch die weitere Einwendung des Antragstellervertreters im Hinblick auf die vom Landratsamt Würzburg gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilte Abweichung von den Abstandsflächen vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen.
In seinem Urteil vom 19. Mai 2015 (W 4 K 14.620) hatte die Kammer bemängelt, dass das Landratsamt sich im ursprünglichen Genehmigungsbescheid im Rahmen seiner Abweichungsentscheidung bei der Würdigung der nachbarlichen Belange nicht ausreichend mit der Frage von Alternativstandorten auseinandergesetzt habe. Nunmehr hat das Landratsamt im streitgegenständlichen Bescheid vom 29. Mai 2019 ausführlich zu der Frage von Alternativstandorten mit einer geringeren Beeinträchtigung Stellung bezogen, und ausgeführt, dass die Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen vorliegend gerechtfertigt sei, da nur so der Schutzabstand zur Freileitung der .-Energie GmbH eingehalten werden könne. Im Übrigen falle die Geländehöhe des Sondergebietes von Norden nach Süden erheblich ab, die Geländehöhe des genehmigten Standorts befinde sich auf 358,49 m Ü.NN, wohingegen Standorte im südlichen Bereich des Sondergebiets auf einer Geländehöhe von ca. 347,90 m Ü.NN liegen würden. Zudem habe eine Verschiebung des Standorts der Windkraftanlage in südlicher Richtung eine weitaus höhere Inanspruchnahme und Versiegelung von bisher unversiegelten, für die Landwirtschaft besonders geeigneten Böden zur Folge. Hierfür wäre eine um ca. 200 m längere Zuwegung notwendig geworden.
Die Antragstellerin hat diese Ausführungen nicht substantiiert angegriffen, sie sind für das Gericht nachvollziehbar und schlüssig und deshalb im Rahmen der vorliegend vorzunehmenden summarischen Überprüfung nicht zu beanstanden.
Nicht zutreffend ist die Behauptung der Antragstellerin, ihre Spalierobstanlage sei im Rahmen der Abweichungsentscheidung nicht mit in den Blick genommen worden. Der Antragsgegner hat sehr wohl im Rahmen seiner Abwägungsentscheidung sich mit der Spalierobstanlage befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass aufgrund der Lage und der vorhandenen Erkenntnissen konkrete Anhaltspunkte für eine erhebliche Beeinträchtigung fehlen würden. Dies entspricht den Fachstellungnahmen und insbesondere den Stellungnahmen des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Würzburg, wonach es keine hinreichend konkreten und aus fachlicher Sicht nachvollziehbaren Anhaltspunkte gebe, dass die Verschattung vorliegend merkbare Auswirkungen auf den Obstanbau habe.
9. Letztendlich vermag die Antragstellerin auch nicht mit ihrer Einwendung durchzudringen, die streitgegenständliche Genehmigung sei rechtswidrig aufgrund unzulässiger akustischer optischer Immissionen und Einwirkungen.
Der durch Windenergieanlagen erzeugte Infraschall liegt im Allgemeinen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs und führt nach dem bisherigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse grundsätzlich nicht zu Gesundheitsgefahren. Als Infraschall wird der Luftschall unterhalb der Frequenz von 20 Hertz, als tieffrequenter Schall unterhalb der Frequenz von 100 Hertz definiert. Letzterer umfasst damit den Infraschall und die für Menschen gerade noch hörbaren tiefen Töne. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft sowie der einhelligen Rechtsprechung zu dieser Frage spricht alles dafür, dass wegen der erheblichen Entfernung zwischen dem Gutshof der Antragstellerin und dem Anlagenstandort eine rechtlich erhebliche Belastung nicht zu erwarten ist. Namentlich mit Blick auf die Auswirkungen von Infraschall – als Teilbereich des tieffrequenten Schalls – geht die obergerichtliche Rechtsprechung aktuell in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Schwelle zu schädlichen Umwelteinwirkungen jedenfalls dann an einem Wohnhaus nicht erreicht wird, sofern der Abstand zwischen Windenergieanlage und Wohnhaus mehr als 500 m beträgt (vgl. beispielsweise OVG Nordrhein-Westfalen, Be.v. 17.6.2017 – 8 B 1016/15 – juris Rn. 50 und vom 30.1.2018 – 8 B 1060/17 – juris Rn. 38). Dieser Standpunkt wird in der Rechtsprechung einhellig geteilt (vgl. bereits bei Abständen von mehr als 300 m: VG Düsseldorf, B.v. 12.1.2017 – 28 L 3406/16 – juris Rn. 56 ff.; Niedersächs. OVG, B.v. 19.12.2016 – 12 ME 85/16 – juris Rn. 22; VGH Baden-Württemberg, B.v. 6.7.2015 – 8 S 534/15 – juris Rn. 49; BayVGH, B.v. 28.9.2017 – 22 CS 17.1506 – juris Rn. 25 ff.; HessVGH, B.v. 17.1.2017 – 4 B 1863/16 – juris Rn. 8).
Die Kammer schließt sich in Ergebnis und Begründung der vorzitierten Rechtsprechung an. Aufgrund der bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse, die durch Messungen im Umfeld von Windenergieanlagen belegt sind, ist davon auszugehen, dass im Nahbereich von Windenergieanlagen zwar Infraschallpegel auftreten, sie aber ab einem Abstand von 300 m den Geräuschpegel im Infraschallbereich nicht mehr beeinflussen. Sie liegen jedenfalls ab einem Bereich von 500 m unterhalb der menschlichen Hör- bzw. Wahrnehmungsschwelle (vgl. Bayerisches Landesamt für Umwelt und Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, „Windenergieanlagen – Beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?“, Publikation in der aktualisierten Fassung von August 2016; Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaats Sachsen, „Windenergie und Infraschall-Tieffrequenzgeräusche durch Windenergieanlagen“, Publikation mit Redaktionsschluss September 2016).
Dementsprechend gelangt der 6. Monitoring-Bericht der Bundesregierung (erstellt gemäß § 63 Abs. 1 des Energiewirtschaftsgesetzes i.V.m. § 98 des EEG) vom 29. Juni 2018 (BT-Drs. 19/340, dort S. 147, 148) zu folgendem Ergebnis:
„Der technische Standard von Windenergieanlagen hat sich in den letzten Jahren jedoch stark verbessert. Folglich sind diese nicht nur leistungsfähiger geworden, sondern wurden auch mit Blick auf ihre Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit verbessert. Für die Belastung mit Infraschall kann nach heutigem Stand der Forschung davon ausgegangen werden, dass dies in Vergleich mit anderen Quellen sehr gering und ohne negative Auswirkungen auf die Gesundheit ist. Andere dezentrale Energieanlagen (z.B. Wärmepumpen, Blockheizkraftwerke) können indessen durch tieffrequente Geräusche und Infraschall erhebliche Lärmprobleme hervorrufen, insbesondere wenn sie nicht fachgerecht errichtet wird.“
Die vom Antragstellervertreter zum Aspekt Infraschall benannten Gutachten und Studien lassen schon nicht erkennen, dass die dortigen Ergebnisse auch noch in weiteren Entfernungen, wie vorliegend, einschlägig sind. Die Studien sind Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Sie ergeben derzeit jedenfalls keinen hinreichend begründeten Ansatz für die Annahme gesundheitlich relevanter tieffrequenterter Immissionen durch die Windenergieanlagen oder nachweisbare gesundheitsschädliche Auswirkungen (vgl. hierzu auch OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 20.2.2018 – 8 B 838/17 – juris Rn. 75).
Nicht unberücksichtigt bleiben darf in diesem Zusammenhang, dass über die Umweltauswirkungen von Windenergieanlagen seit längerem intensiv geforscht wird. So bündeln etwa im Windenergieforschungs-Cluster „WindForS“ die Universitäten Stuttgart und Tübingen, die Technische Universität München, das Karlsruher Institut für Technologie, die Hochschulen Aalen und Esslingen sowie das Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoffforschung Baden-Württemberg in diesem Netzwerk ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der Windenergieforschung. Durch die einander ergänzende Expertisen von 23 Instituten und Lehrstühlen der vorgenannten Einrichtungen wurden im Februar 2016 objektive Kriterien zu Erschütterungen und Schallimmissionen durch Windenergieanlagen im Binnenland erforscht. Sollte sich vor dem Hintergrund der offensichtlich noch nicht vollständig abgeschlossenen Forschung in der Zukunft durch neue wissenschaftlich belegte Erkenntnisse herausstellen, dass, vor Ort messtechnisch belegt, von einer genehmigten Anlage für den Gutshof der Antragstellerin tatsächlich relevante beeinträchtigende Infraschallimmissionen auftreten, kommt nach entsprechender Überprüfung der Anlage im Rahmen der Überwachung gegebenenfalls die Anordnung nachträgliche Auflagen nach § 17 BImSchG gegenüber der Beigeladenen in Betracht.
10. Da nach alledem die Antragstellerin mit ihren Einwendungen nicht durchzudringen vermag, und das Gericht auch sonst, bei der hier gebotenen summarischen Überprüfung, keine Bedenken im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids des Landratsamts Würzburg vom 29. Mai 2019 hat, war der Antrag abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG und berücksichtigt, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen des lediglich vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung der Streitwert regelmäßig auf die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts zu beziffern ist.


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