Baurecht

Erfolglose Beschwerde gegen eine Baugenehmigung für den Umbau eines Stadthauses

Aktenzeichen  1 CS 18.2514

Datum:
6.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2248
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, §§ 146 ff.
BauGB § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen, stellen kein Doppelhaus dar. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Für die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht (erheblich) höher ist als das betroffene Gebäude. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 SN 18.5043 2018-11-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe geben keine Veranlassung, die angegriffene Entscheidung zu ändern.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klage der Antragsteller im Hauptsacheverfahren gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Umbau eines Stadthauses u.a. mit Erweiterung des Wohnraumes und Errichtung einer Dachterrasse aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird, soweit sie den Umbau und die Wohnraumerweiterung im 2. OG betrifft, und das Interesse des Beigeladenen am Sofortvollzug demnach das gegenläufige Interesse der Antragsteller überwiegt. Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. September 2018 verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten.
Das Vorbringen der Antragsteller lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass das Vorhaben des Beigeladenen es nicht an der gebotenen Rücksicht auf ihr benachbartes Wohnanwesen fehlen lässt.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Antragsteller sich nicht unter Berufung auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegen das Vorhaben des Beigeladenen zur Wehr setzen können, weil sie selbst unter Verstoß gegen dieses Gebot an die Grenze gebaut haben. Die Antragsteller wenden in diesem Zusammenhang ein, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht darauf abgestellt habe, dass ihr Anwesen in der Vergangenheit deutlich weniger Rücksicht auf das Anwesen des Beigeladenen genommen habe als umgekehrt. Das Verwaltungsgericht habe dabei auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2005 (3 M 69.05) abgestellt, jedoch die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Konsequenzen übersehen. Beide Anwesen seien im späten Mittelalter und in einer altstadttypisch sehr beengten Situation errichtet worden. Auch hätten beide Anwesen stets völlig unterschiedliche Bebauungen und Nutzungen aufgewiesen. Während ihr Anwesen als Wohnhaus errichtet worden sei, habe sich bis zum Beginn der Baumaßnahme auf dem Grundstück FlNr. … die Wohnnutzung lediglich auf das nach Westen gerichtete Haupthaus, das an ihr Anwesen angebaut sei, erstreckt, nicht jedoch auf die weiter entlang der A … …straße seit jeher befindlichen niedrigeren Nebengebäude. Dies trifft ausweislich der vorliegenden Unterlagen und der unwidersprochenen Ausführungen der Antragsgegnerin im Schreiben vom 27. Dezember 2018 nicht zu. Nach der Genehmigungsplanung aus dem Jahr 1883 beschränkte sich die Wohnnutzung auf der FlNr. … nicht nur auf das Haupthaus, sondern erstreckte sich auch auf den zur A … …straße hin ausgerichteten Gebäudetrakt. Auch der vorgelegte Auszug aus dem Werk „Die Kunstdenkmäler von Bayern, Stadt L … … …“, der mit den von den Antragstellern vor dem Verwaltungsgericht auszugsweise vorgelegten Unterlagen übereinstimmen dürfte, gibt einen ausreichenden Hinweis auf eine Wohnnutzung im dreigeschossigen Nebengebäude.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen bleiben auch die Ausführungen der Antragsteller, dass es aufgrund der über Jahrhunderte bestehenden und historisch gewachsenen Bebauung der beiden Grundstücke mit den am S …platz stehenden Hauptgebäuden eine gegenseitige Einblicksmöglichkeit von Wohnung zu Wohnung bis zu der streitgegenständlichen Baumaßnahmen nicht gegeben habe, ohne Erfolg. Soweit sie in diesem Zusammenhang darauf abstellen, dass die Bebauung im Bereich der aneinandergebauten Wände der beiden Anwesen an die Bebauung eines Doppelhauses erinnere und es nicht einzusehen sei, weshalb der Beigeladene durch die Verlängerung seines Hauptanwesens aus der bisherigen Bauweise der beiden Anwesen ausbrechen dürfe, ist ihnen zwar zuzugeben, dass ein Rückgriff auf den Begriff des Doppelhauses der Baunutzungsverordnung, um ein Vorhaben zu würdigen, auch im unbeplanten Innenbereich möglich ist. Sie übersehen dabei aber, dass zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen, kein Doppelhaus darstellen. So liegt der Fall hier.
Die grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit des Umbaus des Stadthauses des Beigeladenen mit einer Aufstockung im Innenhof nach § 30 Abs. 3, § 34 Abs. 1 BauGB steht im Übrigen nicht in Frage. Denn das Vorhaben passt sich nach den vorliegenden Unterlagen der Umgebung im weiteren Verlauf östlich der A … …straße an. Diese Grundstücke weisen mit Ausnahme des überwiegend unbebauten kleineren Grundstücks FlNr. … alle eine geschlossene rückwärtige Bebauung auf. Durch die Aufstockung auf dem Grundstück des Beigeladenen mit der Folge, dass der bisher bestehende Innenhof entfällt, schließt der Beigeladene nur eine bisher bestehende Lücke. Dies ist aus städtebaulicher Sicht nicht zu beanstanden.
Das Vorhaben der Beigeladenen erweist sich nach summarischer Prüfung auch nicht als rücksichtslos. Mit Ausnahme des geringfügigen Anbaus an die südöstliche Wand des Gebäudes der Antragsteller, das selbst auf seiner gesamten Länge ein Grenzgebäude darstellt, hält das Vorhaben des Beigeladenen die erforderlichen Abstandsflächen ein. Auch die behauptete erdrückende oder abriegelnde Wirkung des Vorhabens liegt nicht vor. Für die Annahme einer „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht (erheblich) höher ist als das betroffene Gebäude. Dies gilt insbesondere, wenn beide Gebäude – wie hier – im dicht bebauten städtischen Bereich liegen. Da das Vorhaben des Beigeladenen in Ausmaß und Höhe unterhalb des Gebäudes der Antragsteller liegt, ist die Annahme einer erdrückenden Wirkung fernliegend.
Das Vorhaben erweist sich auch nicht insoweit als rücksichtslos, als durch die Anzahl und die Größe der Fenster unzumutbare Einblicke in die Wohnräume des Anwesens der Antragsteller ermöglicht werden, die auch in einem dicht bebauten innerörtlichen Altstadtbereich aus städtebaulichen Gesichtspunkten nicht hinzunehmen wären. Aus der aktualisierten Planung, die das Verwaltungsgericht noch nicht berücksichtigen konnte, wird deutlich, dass auch durch den Einbau der 2,50 m langen matten Fensterverglasung (F30) anstelle der vorhandenen 1,80 m langen Wand keine unzumutbaren Einblicke auf das Anwesen der Antragsteller zu befürchten sind. Im Übrigen ist der eingereichte Tekturplan im vorliegenden Verfahren nicht zu berücksichtigen.
Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Besonnung verschont zu bleiben. Die vorgetragene Verschlechterung und zunehmende Verschattung des Erdgeschosses und Teilen des ersten Obergeschosses an der Südostseite des Gebäudes der Antragsteller reichen für die Bejahung einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht aus. Denn das Bauvorhaben hält nach Nordosten die erforderlichen Abstandsflächen ein. Die Aufstockung des bisherigen Gebäudes, das in einem Winkel von über 90° zu dem Anwesen der Antragsteller steht, wahrt den Rahmen der Umgebungsbebauung und entspricht einer typischen dichten Bebauung im städtischen Bereich, mit der die Antragsteller rechnen mussten. Auch wenn der Umfang der bisherigen Besonnung aufgrund des Bauvorhabens gemindert wird, führt dies nicht dazu, dass sie einen Anspruch darauf haben, dass das Bauvorhaben nur in der ursprünglich (in geringerem Umfang) genehmigten Art und Weise verwirklicht werden darf.
Dazu, dass das Verwaltungsgericht bei Unterstellung offener Erfolgsaussichten ihrer Klage im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen der Schaffung neuer Einblicksmöglichkeiten durch die Dachterrasse gleichermaßen von einem überwiegendem Interesse des Beigeladenen am Sofortvollzug ausgegangen ist, verhalten sich die Antragsteller nicht.
Die Antragsteller haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil er sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1‚ § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG und orientiert sich an Nummern 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).


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