Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Mobilfunkmast

Aktenzeichen  1 ZB 15.2081

Datum:
19.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 131736
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3, § 124a Abs. 5 S. 4
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BEMFV § 4 Abs. 1, § 5, § 15a
BayBO Art. 3, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1 S. 1, S. 2, Art. 59

 

Leitsatz

1 Von einem konisch zulaufenden Schleuderbetonmast für eine Mobilfunksendeanlage mit einem Durchmesser von 0,93 m an der Fundamentoberkante und 0,48 m an der Spitze in 25 m Höhe gehen keine Wirkungen wie von einem Gebäude aus. (Rn. 4) (red. LS Andreas Decker)
2 Die sog. Standortbescheinigung (§ 4 Abs. 1 BEMFV) für ortsfeste Funkanlagen ist ein im Wege der Nachbarklage anfechtbarer Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. (Rn. 6) (red. LS Andreas Decker)

Verfahrensgang

M 1 K 15.1409 2015-07-21 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 10. März 2015 zur Errichtung eines Mobilfunkmasts. Er ist Eigentümer des ca. 6 ha großen landwirtschaftlich genutzten Grundstücks Fl.Nr. …, Gemarkung H …, das in der nordwestlichen Ecke mit einem Pferdestall und einer Scheune zur Lagerung von Heu und Stroh bebaut ist und unmittelbar an das Baugrundstück Fl.Nr. …, Gemarkung H …, angrenzt. In dem Stall hält er bzw. seine Tochter zwei Pferde. Auf dem ca. 450 m² großen Baugrundstück befindet sich bis an das Grundstück des Klägers heranreichender Baumbestand. Genehmigt ist ein Schleuderbetonmast mit einer Höhe von 25 m und einem Durchmesser am Fuß von 0,93 m, an der Spitze von 0,48 m. Die Plattformen an der Spitze des Mastes sind ca. 3 m breit und hoch. Der Mast soll ca. 2 m tief gegründet werden und ein knapp 4 m breites Fundament erhalten. Er ist über einen Kabel Weg mit einem 2,54 m hohen Technikcontainer verbunden. Weiter sollen zwei Stellplätze errichtet werden. Nach Auflage Nr. 6 des Bescheids sind die Vorgaben der 26. Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (26. BImSchV) zu beachten. Die Beigeladene legte im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eine Standortbescheinigung vom 16. Juli 2015 für die geplante Anlage vor.
2. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel im Sinn dieser Vorschrift, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, B.v. 20.12.2010 –1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
2.1 Abgesehen davon, dass im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO die Vorschriften des Abstandsflächenrechts nicht geprüft werden, kommt dem genehmigten Mobilfunkmast keine gebäudegleiche Wirkung gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu. Zutreffend weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass von dem konisch zulaufenden Schleuderbetonmast mit einem Durchmesser von 0,93 m an der Fundamentoberkante und 0,48 m an der Spitze in 25 m Höhe keine Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen, so dass die Abstandsflächenpflicht nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO nicht ausgelöst wird (stRspr., vgl. BayVGH, B.v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 –NVwZ 2013, 1238; BayVGH, B.v. 27.7.2010 –15 CS 10.37 – juris Rn. 28 ff.). Soweit sich der Kläger darauf beruft, das Verwaltungsgericht sei nicht auf seinen Vortrag in der Klageschrift (S. 2) eingegangen, an der Spitze des Mobilfunkmasts befinde sich „eine Art Gerüst bzw. Halterung mit einem Durchmesser von ca. 3 m“, trifft dieser Vortrag zwar zu, ändert jedoch nichts an dem genannten Ergebnis. Bei dem vom Kläger als solchem bezeichneten „Gerüst bzw. Halterung“ handelt es sich nach den Eingabeplänen um insgesamt 3 m breite Plattformen an der Spitze des Mobilfunkmastes, die sich bereits wegen ihrer Höhe nicht wesentlich auf die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange des Klägers auswirken (BayVGH, B.v. 14.6.2013 a.a.O.), zumal der Kläger nicht auf seinem Grundstück wohnt, sondern dort lediglich zwei Pferde hält; eine Beeinträchtigung des sozialen Wohnfriedens kommt insoweit ohnehin nicht in Betracht.
2.2 Der weitere Vortrag des Klägers, er halte sich regelmäßig auf seinem Außenbereichsgrundstück im Rahmen der Pferdehaltung auf, so dass es keinesfalls als ausgeschlossen erscheine, dass ein 25 m hoher Mast erdrückend wirke, kann einen Verstoß gegen das aus § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB herzuleitende Gebot der Rücksichtnahme nicht begründen. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 6) Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die beiden insgesamt 3 m breiten Plattformen an der Spitze des Mobilfunkmastes ändern daran nichts. Das Halten von zwei Pferden ist keine nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegierte und damit grundsätzlich keine schützenswerte Nutzung, da die Ausübung dieses Hobbys bereits mangels Gewinnerzielungsabsicht keinen landwirtschaftlichen Betrieb begründen kann (z.B. BVerwG, U.v. 11.4.1986 – 4 C 67.82 –BauR 1986, 419). Demgegenüber ist die Errichtung der Mobilfunksendeanlage der Beigeladenen ein privilegiertes Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB, dem im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme grundsätzlich der Vorrang gegenüber sonstigen Vorhaben einzuräumen ist (Söfker in Ernst-Zinkahn-Bielenberg, BauGB, Stand Mai 2017, § 35 Rn. 89).
2.3 Soweit sich der Kläger darauf beruft, durch den Betrieb der Anlage komme es zu schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn der nachbarschützenden Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB, und das Verwaltungsgericht hierauf im Einzelnen näher eingeht (UA S. 7/8), weist der Senat auf seinen Beschluss vom 8. Juni 2015 (Az. 1 CS 15.914 – juris) hin. Dort hat er entschieden, dass seit Inkrafttreten der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) vom 20. August 2002 (BGBl I S. 3366) ortsfeste Funkanlagen der speziellen bundesrechtlichen Genehmigungspflicht des § 4 Abs. 1 BEMFV unterworfen sind. Erst nach Erteilung der sog. Standortbescheinigung darf der Betrieb einer solchen Anlage aufgenommen werden (§ 4 Abs. 1 BEMFV). Zuwiderhandlungen sind als Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen (§ 15a BEMFV). Die vom Kläger angenommene Gefahrensituation hat demnach nicht die Bauaufsichtsbehörde, sondern die hierfür ausschließlich zuständige Bundesnetzagentur zu prüfen. Die Standortbescheinigung stellt der Sache nach eine Bescheinigung über die Zulässigkeit des Betriebs einer bestimmten Funkanlage an einem bestimmten Standort dar und hat die Funktion einer Freigabe des Betriebs; sie darf nur unter den Voraussetzungen des § 5 BEMFV erteilt werden. Durch das Nebeneinander von Baugenehmigung und Standortbescheinigung entsteht auch keine Rechtsschutzlücke für betroffene Dritte, da die Standortbescheinigung einen im Wege der Nachbarklage anfechtbaren Verwaltungsakt mit Doppelwirkung darstellt (BayVGH, a.a.O. Rn. 16; ausführlich hierzu BayVGH, B.v. 30.3.2004 – 21 CS 03.1053 – BayVBl 2004, 660 m.w.N.). Nach alledem hätte sich der Kläger mit seinen diesbezüglichen Einwendungen gegen die der Beigeladenen erteilte Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur, Außenstelle Augsburg, vom 16. Juli 2015 wenden müssen (s. die dortige Rechtsbehelfsbelehrung:). Die angefochtene Baugenehmigung für die Errichtung der Mobilfunkanlage entspricht jedenfalls mit ihrer Auflage Nr. 6, wonach die Vorgaben der 26. BImSchV und damit auch diejenigen der BEMFV zu beachten sind, den baurechtlichen Anforderungen.
2.4 Soweit sich der Kläger wie schon im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf eine Wertminderung seines Grundstücks beruft, nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 13.11.1997 – 4 B 195.97 – NVwZ-RR 1998, 540) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 14.6.2013 – 15 ZB 13.612 –NVwZ 2013, 123) Bezug. Neuer Vortrag ist den Ausführungen des Klägers in dieser Hinsicht nicht zu entnehmen. Insbesondere hat er keinerlei Anhaltspunkte dafür dargelegt, dass er einen über die situationsbedingte Wertminderung hinausgehenden, schlechthin unzumutbaren Wertverlust seiner Immobilie hinnehmen müsste (vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 15 ZB 12.507 – juris Rn. 6).
2.5 Zutreffend weist das Verwaltungsgericht entgegen dem Vorbringen im Zulassungsverfahren darauf hin, dass im Hinblick auf die schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB grundsätzlich auf die Begriffsbestimmungen des § 3 BImSchG zurückzugreifen ist (BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – BVerwGE 109, 314; U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122). Körperliche Gegenstände wie umstürzende Bäume sind keine solchen Immissionen und damit keine schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB (vgl. BayVGH, U.v. 28.12.1998 – 14 B 95.1255 – juris Rn. 22).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht auch der Auffassung, es könne offen bleiben, ob eine Baumwurf – und Windbruchgefahr von Art. 3 und Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO erfasst wäre, da diese Vorschriften jedenfalls nicht zum Prüfprogramm im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO gehören.
Im Hinblick auf die genannte Rechtsprechung stellt sich die vom Kläger als grundsätzlich klärungsbedürftig dargestellte Frage (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), ob hinsichtlich des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB „ausschließlich auf die entsprechende Begrifflichkeit und Legaldefinition im Bundesimmissionsschutzgesetz zurückgegriffen werden darf“, nicht.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013) und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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