Baurecht

Erfolglose Nachbarklage gegen einen Bauvorbescheid für ein Mehrfamilienhaus

Aktenzeichen  9 ZB 18.912

Datum:
26.11.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 32495
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BauGB § 34 Abs. 1
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1 Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Dies gilt grundsätzlich auch im Falle einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht. Sind die Abstandsflächen eingehalten, kann dies als Indiz gegen eine erdrückende Wirkung ins Feld geführt werden. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 17.1182 2018-03-08 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kosten der Zulassungsverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung B…, das mit einem Einfamilienhaus im nordwestlichen Bereich bebaut ist. Sie wenden sich gegen den dem Beigeladenen vom Landratsamt F… erteilten Bauvorbescheid vom 30. Mai 2017, der die planungsrechtliche Zulässigkeit der Geschossigkeit, der Grundflächenzahl und der Geschossflächenzahl zum Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit zehn barrierefreien Mietwohnungen auf dem westlich gelegenen Grundstück FlNr. … Gemarkung B… feststellt. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom 8. März 2018 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Kläger.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Kläger berufen sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Der räumliche Rahmen für die Beurteilung des Rücksichtnahmegebots ist gewahrt.
Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich – wie hier – wendet, kann mit seiner Klage nur durchdringen, wenn eine angefochtene Baugenehmigung oder ein planungsrechtlicher Vorbescheid gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme setzt zunächst einen Verstoß gegen das objektive Recht voraus. Er kann u.a. vorliegen, wenn ein Vorhaben zwar in jeder Hinsicht den aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmen wahrt, sich aber gleichwohl in seine Umgebung nicht einfügt, weil das Vorhaben es an der gebotenen Rücksicht auf die sonstige, also vor allem auf die in seiner unmittelbaren Nähe vorhandene Bebauung fehlen lässt (BVerwG, U.v. 5.12. 2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 = juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 ZB 15.1590 – juris Rn. 8). Insofern kann – wie das Zulassungsvorbringen anführt – zwischen einer objektiven und einer subjektiven Komponente des Rücksichtnahmegebots differenziert werden (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 33 ff.). Hier hat das Verwaltungsgericht zur für sich allein nicht drittschützenden, objektiven Komponente festgestellt, dass das geplante Bauvorhaben hinsichtlich der im Vorbescheid festgestellten Kriterien den Rahmen der Umgebungsbebauung einhält, was durch das Zulassungsvorbringen nicht in Frage gestellt wird.
Anders als die Kläger vortragen, hat das Verwaltungsgericht bei der Frage, ob eine Rechtsverletzung durch das geplante Vorhaben zu bejahen ist, keinen zu weiten Rahmen gezogen. Es hat sehr wohl die unmittelbare Nachbarschaft, mithin die Kläger, in den Blick genommen und ist zutreffend davon ausgegangen (UA S. 9), dass es wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt, welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22 m.w.N.). Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht dann eine an der konkreten Grundstückssituation und dem klägerischen Grundstück orientierte Einzelfallprüfung durchgeführt und dabei verschiedene Aspekte (u.a. Abstandsflächen, Höhenentwicklung, Lage des klägerischen Gebäudes, Hanglage) bewertet (UA S. 10 f.). Dabei ist es nicht fehlerhaft, wenn das Verwaltungsgericht für die Interessengewichtung daneben auf die grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 5).
2. Das Gebot der Rücksichtnahme schützt nicht vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht zu nehmen.
Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch im Falle einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 1.3.2018 – 9 ZB 16.270 – juris Rn. 18). Anhaltspunkte für einen situationsbedingten Ausnahmefall (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26) lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Eine konkrete Betroffenheit besonders schutzbedürftiger Räume, die über die herkömmliche Einsichtnahmemöglichkeit in Innenlagen hinausgehende Belastungen oder eine neue Qualität der Einsicht verursacht, wird nicht dargelegt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem pauschalen Hinweis, der Beigeladene habe einen schutzwürdigen Baumbestand beseitigt. Denn die Unterschutzstellung der Bäume dient allein dem öffentlichen Interesse und nicht dem Interesse der Grundstücksnachbarn (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 14 ZB 14.962 – juris Rn. 5 zur Baumschutzverordnung). Eine Aussage zur Rechtmäßigkeit der Fällung der Bäume oder eine Erlaubnis zur Rodung der Bäume ist mit der Erteilung des Bauvorbescheids nicht verbunden; ebenso wenig erfolgt eine Sanktionierung eventuell bereits (rechtswidrig) gefällter Bäume durch das Bauplanungsrecht.
3. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich auch keine Anhaltspunkte für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aufgrund einer erdrückenden Wirkung des Bauvorhabens entnehmen.
Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BayVGH, B.v. 7.9.2018 – 9 ZB 16.1890 – juris Rn. 10). Das Verwaltungsgericht hat hier zunächst auf eine Indizwirkung der Einhaltung der Abstandsflächen abgestellt, wogegen nichts zu erinnern ist (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13). Es ist aber bei dieser Feststellung nicht stehen geblieben, sondern hat – „unabhängig von der Einhaltung der Abstandsflächen“ – auf die konkrete Grundstückssituation abgestellt und eine erdrückende Wirkung des Bauvorhabens auf das klägerische Grundstück verneint (UA S. 10). Hinsichtlich der einzelnen Kriterien kommen die Kläger bei ihrer Bewertung zu einem anderen Ergebnis, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils ergeben sich daraus aber nicht.
Bei der Bewertung der Firsthöhe hat das Verwaltungsgericht die grundsätzliche planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens hinsichtlich der gestellten Fragen, die im Zulassungsvorbringen nicht bestritten wird, berücksichtigt. Es hat ferner auf die „abgewandte“ Lage des klägerischen Gebäudes zum Bauvorhaben und nicht – wie die Kläger – zur Hanglage abgestellt. Im Zulassungsvorbringen wird auch nicht bestritten, dass – wie das Verwaltungsgericht ausführt – die „schmale kurze Seite des Gebäudes der Kläger“ nicht direkt auf das geplante Vorhaben gewandt ist, sondern auf die geplanten Stellplätze (UA S. 10). Das Verwaltungsgericht begründet seine Bewertung weiter damit, dass die Höhe des geplanten Gebäudes aus Sicht des Klägergrundstücks „absinkt“, weil das Bauvorhaben teilweise im Hang „verschwindet“. Zwar führen die Kläger an, dass sich der Hang genau in der zum klägerischen Grundstück abgewandten Seite befinde, eine massive, unzumutbare Betroffenheit ergibt sich hieraus aber nicht, zumal das Kellergeschoss nur teilweise über die Geländeroberkante ragt und das zweite Obergeschoss („Penthouse-Ebene“) zurückversetzt ist. Damit, dass – wie das Verwaltungsgericht ausführt – das unmittelbar südlich an das Klägergrundstück angrenzende Wohnhaus aufgrund der Hanglage deutlich höher wirkt als das geplante Bauvorhaben, setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Nach Aktenlage und Luftbild ist das klägerische Gebäude im Süden und Norden aufgrund seiner Lage auch weitgehend frei von Bebauung; zur Bebauung im Osten und Südwesten besteht ein Abstand von jeweils über 25 m; nördlich verläuft die Weiherhofer Hauptstraße. Entgegen der Ansicht der Kläger kann dem Bauvorhaben damit keine derart übermächtige Erscheinung mit der Folge zugeschrieben werden, dass das klägerische Gebäude wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 32; B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4). Die durch das Neubauvorhaben entstehende örtliche Situation mag für die Kläger unbefriedigend sein, „eingemauert“ oder „erdrückt“ werden sie von dem Vorhaben des Beigeladenen jedoch nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren einen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG (vgl. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit); sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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