Baurecht

Erfolgloser Antrag auf Berufungszulassung gegen eine Duldungsanordnung zu einer Nutzungsuntersagung für Wohnraum

Aktenzeichen  9 ZB 21.2367

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41458
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 54 Abs. 2 S. 2, Art. 76 S. 2
VwGO § 124 Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2

 

Leitsatz

Nachdem die Erforderlichkeit einer Nutzungsuntersagung nicht mit Hinweisen auf bisher unterlassene Vollstreckungsmaßnahmen in Frage gestellt werden kann, genügen die Kläger dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 S. 2 VwGO nicht. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 19.818 2021-07-08 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.
II. Die Kläger haben als Gesamtschuldner die Hälfte der Verfahrenskosten zu tragen; die andere Hälfte trägt der Beigeladene. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Kläger und der Beigeladene dabei jeweils selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger wenden sich als Sondereigentümer von Wohneigentum gegen eine Duldungsanordnung zu einer Nutzungsuntersagungsverfügung betreffend Wohnnutzung im Gebäude G. straße … in W., FlNr. … Gemarkung W., die sie für unverhältnismäßig halten.
Anlässlich einer bauaufsichtlichen Kontrolle am 20. Dezember 2016 stellte die Beklagte fest, dass statt der mit Bescheiden der Beklagten vom 14. April 2011, 31. Juli 2012 und 30. Januar 2013 dem Beigeladenen genehmigten 26 Wohnungen insgesamt 75 Wohneinheiten auf dem Baugrundstück, nämlich abweichend von den bestehenden Baugenehmigungen im Kellergeschoss 15 Wohneinheiten, im Rampengeschoss/Rampengeschoss Galerie 23 Wohneinheiten, im Erdgeschoss 15 Wohneinheiten und im Dachgeschoss 13 Wohneinheiten geschaffen worden waren. Mit Bescheid vom 23. Juni 2017 untersagte die Beklagte dem Beigeladenen die Nutzung der Kellergeschossräume zum Zweck des Wohnens. Dem leistete der Beigeladene Folge.
Mit Bauantrag vom 6. Oktober 2017 beantragte der Beigeladene im Hinblick auf den baulichen Zustand und die Nutzung im Rampengeschoss, im Erdsowie im Dachgeschoss die Erteilung einer Baugenehmigung für die sogenannte 3. Planänderung. Die Beklagte versagte diese mit Bescheid vom 24. Mai 2019, u.a. wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses aufgrund unzureichenden Brandschutzes. Die auf die Erteilung der Baugenehmigung gerichtete Klage des Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2021 (Az. W 5 K 19.784) abgewiesen. Den betreffenden Antrag auf Zulassung der Berufung (Az. 9 ZB 21.2368) hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 29. November 2021 abgelehnt.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2019 untersagte die Beklagte dem Beigeladenen, die Räume im Rampengeschoss/Rampengeschoss Galerie, im Erdgeschoss und im 4. Obergeschoss (Dachgeschoss) im Gebäude G. straße … in W., FlNr. … Gemarkung W. nach Ablauf von vier Monaten ab Zustellung des Bescheids zum Zweck des Wohnens selbst zu nutzen oder durch Dritte nutzen zu lassen (Nr. I). Nr. II des Bescheids enthält eine Duldungsanordnung zu den Maßnahmen unter Nr. I zulasten der Miteigentümer. Ferner wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. III) und jeweils ein Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung innerhalb der gesetzten Frist, betreffend die Verpflichtung unter Nr. I in Höhe von 20.000,00 Euro, betreffend die Verpflichtung unter Nr. II in Höhe von 3.000,00 Euro je Miteigentümer, angedroht (Nr. IV und V). Die gegen den Bescheid vom 3. Juni 2019 erhobene Klage des Beigeladenen (Az. W 5 K 19.774) hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Juli 2021 abgewiesen. Den hierzu gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung des Beigeladenen hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 30. November 2021 (Az. 9 ZB 21.2366) abgelehnt.
Die gegen die Nrn. II, III und V des Bescheids vom 3. Juni 2019 gerichtete Klage der Kläger hat das Verwaltungsgericht ebenfalls mit Urteil vom 8. Juli 2021 abgewiesen. Hiergegen richten sich die vorliegenden Anträge auf Zulassung der Berufung der Kläger und des Beigeladenen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg.
1. Der insbesondere von den Klägern geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
a) Die Kläger tragen vor, die Nutzungsuntersagung sei nicht erforderlich und angemessen. Seit dem Bescheiderlass seien zweieinhalb Jahre vergangen, in Bezug auf die Abwehr der postulierten Gefahrenlage sei jedoch nichts passiert. Auch wenn im Rahmen bauaufsichtlichen Einschreitens nicht von Verwirkung ausgegangen werden könne, schätze das Verwaltungsgericht die Bedeutung der Unterlassung des hier tatsächlich möglichen Vollzugs falsch ein. Die Nutzungsuntersagung sei das „denkbar invasivste“ Mittel. Die Freisetzung von Mietern in Form der Zwangsräumung stelle die Ultima Ratio dar. Mit ihrer Untätigkeit habe die Beklagte die Eilbedürftigkeit widerlegt. Als deutlich milderes Mittel habe die Vollziehung der Zwangsgeldandrohungen durch Fälligstellung und nötigenfalls Vollstreckung der angedrohten Zwangsgelder in Höhe von 20.000,00 Euro und sodann 40.000,00 Euro zur Wahl gestanden. Es sei davon auszugehen, dass die konsequente, gesetzeskonforme Anwendung der Zwangsgeldmittel die Nutzungsuntersagung obsolet gemacht hätte.
Mit alldem genügen die Kläger dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 – 9 ZB 20.874 – juris Rn. 9 m.w.N.). Sie verkennen das Verhältnis der Nutzungsuntersagung als Grundverfügung zu daran anknüpfenden Zwangsgeldandrohungen (vgl. Art. 29 Abs. 1, Art. 31, Art. 36 Abs. 1 und 2 VwZVG). Mit ihren Hinweisen auf bisher unterlassene Vollstreckungsmaßnahmen können die Kläger die Erforderlichkeit der Nutzungsuntersagung nicht in Frage stellen. Das Verwaltungsgericht hat die Nutzungsuntersagung, die der von den Klägern angefochtenen Duldungsanordnung zugrunde liegt und die deshalb Gegenstand seiner Prüfung war, als rechtmäßig angesehen. Es ist dabei unter Berücksichtigung der von ihm angenommenen Gefahren für Leib und Leben der Bewohner des streitgegenständlichen Gebäudes aufgrund vorhandener Brandschutzmängel auch von ihrer Verhältnismäßigkeit ausgegangen und hat dies ausführlich sowie überzeugend begründet. Damit setzen sich die Kläger nicht auseinander. Letztlich werfen sie der Beklagten nur Untätigkeit hinsichtlich der Durchsetzung der Nutzungsuntersagung vor und machen somit Verwirkung geltend, der die Pflicht der Bauaufsicht zum Eingreifen – wie sie selbst einräumen – aber nicht unterliegen kann (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.849 – juris Rn. 26 m.w.N.).
b) Der weitere Vortrag der Kläger, die Nutzungsuntersagung sei auch deshalb unverhältnismäßig, weil der Beigeladene unter dem 2. August 2021 einen nach dessen Angaben genehmigungsfähigen Bauantrag gestellt habe, weshalb die Legalisierung des Bauvorhabens unmittelbar bevorstehen könnte, verhilft dem Zulassungsbegehren ebenfalls nicht zum Erfolg. Die Kläger legen nicht dar, wieso es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagungsverfügung und in der Folge der sie betreffenden Duldungsanordnung auf die bloße Stellung eines neuen Bauantrags durch den Beigeladenen ankommen könnte. Das Verwaltungsgericht hat die untersagte ungenehmigte Nutzung ausweislich seines Urteils nicht nur als formell, sondern – u.a. aufgrund weiterhin vorhandener Brandschutzmängel – auch als materiell rechtswidrig angesehen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Beigeladene einen Bauantrag gestellt haben könnte, der den von der Nutzungsuntersagung erfassten Zustand abbildet und genehmigungsfähig wäre.
2. Soweit der Beigeladene darüber hinaus geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, ist dieser Zulassungsgrund (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) bereits nicht in einer den Anforderungen des § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt.
Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer fristgemäß (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Der Beigeladene formuliert bereits keine grundsätzlich bedeutsame Rechts- oder Tatsachenfrage.
Im Übrigen nimmt der Senat im Hinblick auf das gleichlautende Zulassungsvorbringen ergänzend Bezug auf seinen Beschluss vom 30. November 2021 im Verfahren 9 ZB 21.2366. Durch diesen Beschluss ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2021 (Az.W 5 K 19.774), mit dem die Klage des Beigeladenen gegen die Nutzungsuntersagung abgewiesen wurde, rechtskräftig geworden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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