Baurecht

Erfolgloser Eilantrag auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten gegen genehmigungsfreigestelltes Vorhaben

Aktenzeichen  AN 17 E 21.00860

Datum:
1.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13611
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 1 Alt. 2, § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 88, § 122 Abs. 1, § 123 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, Abs. 5
BayBO aF Art. 6 Abs. 5 S. 1, S. 2, Abs. 6, Art. 58, Art. 75 Abs. 1, Abs. 2
BayBO nF Art. 6 Abs. 5
BayVwVfG Art. 35
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 2a, § 10 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 2, § 34 Abs. 2, § 214, § 215
BauNVO § 1 Abs. 5, § 4 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3, Abs. 3, § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Ein Nachbar hat keinen Anspruch auf die Wahl des korrekten Verfahrens und zwar auch dann nicht, wenn die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ein genehmigungsfreigestelltes Vorhaben unter Umständen schlechter sind als gegen ein genehmigtes. Maßgeblich ist allein, ob er durch das Bauvorhaben materiell in seinen Rechten verletzt wird.(Rn. 31) (red. LS Andreas Decker)
2. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren bedarf es zwar ohne Rüge durch den Antragsteller grundsätzlich keiner Überprüfung der Wirksamkeit eines verfahrensgegenständlichen Bebauungsplanes. Allerdings gilt anderes dann, wenn ein zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führender Fehler offensichtlich ist und gegen den Bebauungsplan durchgreifende Bedenken bestehen. (Rn. 41) (red. LS Andreas Decker)
3. Es spricht unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung viel dafür, dass Bebauungspläne als Rechtsnormen gemäß § 10 Abs. 1 BauGB nicht ohne weiteres durch die Gerichte an Stelle des Gemeinderats als Teil der Exekutive (geltungserhaltend) umgedeutet werden können.(Rn. 44) (red. LS Andreas Decker)

Tenor

1. Die Anträge werden abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1).
Die Beigeladene zu 2) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners, umgehend gegen die Verwirklichung des Baus zweier Mehrfamilienhäuser im Genehmigungsfreistellungsverfahren durch die Beigeladene zu 1) bauaufsichtlich einzuschreiten und die Bauarbeiten sofort einzustellen sowie die Baustelle stillzulegen.
Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks mit der Flurnummer (FlNr.) … der Gemarkung … (Adresse: …, … …). Sein Grundstück ist mit einem Wohnhaus in offener Bauweise bebaut, an welches sich nördlich ein kleiner Anbau anschließt. Die Traufseiten sind östlich und westlich zu den Nachbargrundstücken FlNrn. … und … ausgerichtet, wobei in die westliche Traufseite ein Zwerchgiebel integriert ist. Die Giebelseiten verlaufen auf einer Nord-Süd-Achse. Die Terrasse mit Garten des Antragstellers schließt sich südlich an dessen Wohnhaus an. Die Beigeladene zu 1), die …, realisiert auf dem sich unmittelbar südlich anschließenden Grundstück FlNr. … derzeit den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser mit Flachdach im Verfahren der Genehmigungsfreistellung. Die Beigeladene zu 2), die Gemeinde …, hatte der … mit Schreiben vom 24. Juni 2020 mitgeteilt, dass für deren Bauvorhaben kein Genehmigungsverfahren durchgeführt und keine Untersagung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB beantragt werde.
Das Vorhabengrundstück der Beigeladenen zu 1), nicht aber das Grundstück des Antragstellers, ist Teil des rechtskräftigen Bebauungsplans Nr. … „…“ der Gemeinde … in der Fassung vom …, beschlossen am gleichen Tag, ausgefertigt am 30. November 2018 und ortsüblich bekannt gemacht am 3. Dezember 2018. Das Grundstück des Antragstellers ist Teil des Bebauungsplans Nr. … „…“ der Gemeinde … vom … Der Bebauungsplan Nr. … „…“ sieht für das Vorhabengrundstück in den zeichnerischen Festsetzungen ein allgemeines Wohngebiet vor und ordnet es der Baufläche „A“ zu. Die maximale Geschosszahl ist mit drei angegeben. Für die Definition des Vollgeschosses wird auf Art. 83 Abs. 7 BayBO (BayBO 2008) i.V.m. Art. 2 Abs. 5 BayBO in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung Bezug genommen. Vollgeschosse seien demnach Geschosse, die vollständig über der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben. Als Vollgeschosse gelten Kellergeschosse, deren Deckenunterkante im Mittel mindestens 1,20m höher liegt als die natürliche oder festgelegte Geländeoberfläche. Je nachdem, ob zwei oder drei Geschosse gebaut werden, differenziert sich die Art der zulässigen Dachform. Bei drei Vollgeschossen sind zulässig Flachdächer, Pultdächer (Dachneigung 0 bis 5 Grad) und Satteldächer (Dachneigung 35 bis 48 Grad). Die Grundflächenzahl beträgt 0,4, die Geschossflächenzahl 1,2. Als maximale Gebäudehöhe sind im Fall von drei Vollgeschossen 11,0 m angegeben, bei zwei Vollgeschossen eine Wandhöhe von maximal 7,0 m. Es ist in offener Bauweise zu bauen. In gestrichelter Linie sind vorgeschlagene Gebäudeanordnungen eingezeichnet, denen das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) nicht entspricht. Direkt südlich an die Grenze des Grundstücks des Antragstellers anschließend ist eine Fläche mit einer Breite von etwa 4 m zum Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern vorgesehen, etwa zwei Meter dahinter wiederum ist eine Baugrenze eingezeichnet.
In den textlichen Festsetzungen ist neben den sich mit den zeichnerischen Festsetzungen deckenden u.a. in Ziffer 1 hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung niedergelegt, dass ein allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO festgesetzt wird (Nr. 1.1). Allerdings sind gemäß Nr. 1.2 Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 BauNVO mit Versorgungsfunktion im Hinblick auf die Wohnnutzung wie z.B. Läden, Handwerks- und Beherbergungsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften oder Anlagen für soziale, kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO nicht zulässig. Schließlich werden Ausnahmen nach § 4 Abs. 3 BauNVO gemäß § 1 Abs. 5 BauNVO nicht zugelassen (Nr. 1.3).
In Nr. 3 ist zur Bauweise geregelt, dass die überbaubaren Grundstücksflächen gemäß § 23 Abs. 3 BauNVO über die Baugrenzen bestimmt werden und dass bei der Ausnutzung der festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen bezüglich der Abstandsflächen die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO gelten. Hinsichtlich des Anschlusses an das natürliche Gelände ist in Ziffer 6.1 festgelegt, dass die Fertigoberkante des Erdgeschossfußbodens der direkt talseitig der Erschließungsstraße liegenden Hauptgebäude bezogen auf die Oberkante Deckschicht der Straßendecke der Erschließungsstraße gemessen in der Gebäudemitte 0,30 cm nicht überschreiten darf. Und in Nr. 6.2 ist festgesetzt, dass die Fertigoberkante des Erdgeschoßfußbodens der Hauptgebäude, die bergseitig an die Erschließungsstraße angrenzen, die in zweiter Reihe erschlossen werden bzw. deren Erschließungsstraße nicht hangparallel verläuft, gemessen am höchstgelegenen Schnittpunkt mit dem natürlichen Gelände max. 0,30 m über dem natürlichen Geländeniveau liegen dürfen.
Im Begründungsteil des Bebauungsplans ist zur Festlegung der Geschossanzahl unter 7.2 festgehalten, dass „durch die Festsetzung eines zentralen Bereichs im Quartier für eine Bebauung mit maximal dreigeschossigen Mehrfamilienwohnanlagen über Hausgruppen oder Doppelhäusern mit einer GRZ von 0,4 und von zweigeschossigen Doppel- und Einzelhäusern mit einer GRZ von 0,3 in Verbindung mit einer Reglementierung von maximal zwei Wohneinheiten pro Wohngebäude zum Außenraum ein baulich abgestufter Ortsrand gesichert und der Gebietscharakter einer an den Landschaftsraum angepassten Bebauung erzielt [wird]“. Ebenfalls unter Ziffer 7.2. ist bezüglich der Abstandsflächen festgehalten, dass bei der Ausnutzung der Baugrenzen durch die Geltung der Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO eine ausreichende Belichtung und Belüftung gewährleistet werde. In der zu diesem Satz gehörenden Fußnote steht: „Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt 1 H, mindestens 3m…“.
Im Plangebiet wurden laut Angaben des Antragsgegners nach Aktenlage neben dem Antrag der Beigeladenen zu 1) 36 Anträge eingereicht, davon wurden 30 im Genehmigungsfreistellungsverfahren behandelt und bezüglich 6 eine Baugenehmigung erteilt. 32 dieser Vorhaben sind mindestens begonnen worden und teilweise bereits fertiggestellt. Nach Angaben der Beigeladenen zu 2) sind 90% des Gebiets bereits verbaut bzw. werden die Anwesen derzeit errichtet.
Hinsichtlich eines Teils des Plangebiets des Bebauungsplans Nr. … „…“ – nicht aber des Teils, in dem das Vorhabengrundstück belegen ist – hat die Gemeinde … (Beigeladene zu 2)) in der Sitzung ihres Gemeinderats vom 14. September 2020 beschlossen, eine erste Änderung vorzunehmen. Der Entwurf des geänderten Bauleitplans wurde in der öffentlichen Sitzung am 8. März 2021 gebilligt und die Einleitung der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung beschlossen. Der Änderungsentwurf liege vom 18. März 2021 bis einschließlich 19. April 2021 für jedermanns Einsicht aus. Bislang wurde die Änderung noch nicht vom Gemeinderat als Satzung beschlossen.
Gemäß der bei der Beigeladenen zu 2) und dem Antragsgegner durch die Beigeladene zu 1) eingereichten Bauunterlagen sind die von der Bauherrin geplanten und derzeit in Errichtung befindlichen zwei Mehrfamilienhäuser mit einer Gesamtwohnfläche von 1.134,24 m² dergestalt angeordnet, dass das östlich gelegene zum Teil in der nach Süden verlängerten Achse des Wohnhauses des Antragstellers liegt („Haus 1“), wohingegen das westlich gelegene Mehrfamilienhaus schon gegenüber der unbebauten FlNr. … liegt („Haus 2“). Der Abstand der nördlichen Außenwand des Hauses 1 zur Grundstücksgrenze des Antragstellers beträgt 6,77 m. Die Mehrfamilienhäuser sind im Kellergeschoss teils, auf der Nordseite, miteinander verbunden; der verbindende Raum ist vor allem der Heizungsraum. Darüber hinaus befindet sich im Kellergeschoss zwischen beiden Häusern eine Tiefgarage, die von beiden Häusern aus betreten werden kann. Nach den Planzeichnungen sind oberirdisch je drei Stockwerke zu sehen. Das abfallende Gelände führt dazu, dass von Norden – also vom Antragsteller aus gesehen – das ihm gegenüberliegende Haus 1 eine Höhe von 9,23 m erreicht und das Haus 2 eine Höhe von 8,70m; beide Häuser weisen ein Flachdach auf.
Mit Schreiben vom 31. März 2021 wandte sich der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten an das Landratsamt … und beantragte, eine Baueinstellungsanordnung und bezüglich der weiteren Realisierung des Vorhabens eine präventive Unterlassungsverfügung zu erlassen. Objektiv errichte die Bauwerberin auf dem Grundstück ein einheitliches Gebäude, was auch dadurch deutlich werde, dass bei einer realistischen Betrachtung das Bauvorhaben von der Straße aus gesehen im Erdgeschoss zusammengebaut sei und dass sich an dieser Verbindung die gemeinsame Heizung und der gemeinsame Heizungsraum für beide Gebäude befänden. Insgesamt halte das Vorhaben damit die Abstandsflächen nicht ein. Im Abstandsflächenplan nutze sowohl das sogenannte Haus 1 als auch das Haus 2 das 16 m-Privileg zum Anwesen des Antragstellers aus, wobei schon fraglich sei, ob bei der hier vorliegenden Abstandsarchitektur nicht die Tatsache, dass die einzelnen Wände tatsächlich über 18 m breit seien, dazu führe, dass diese überhaupt nicht das 16 m-Privileg in Anspruch nehmen könnten. Jedenfalls sei vom Anwesen des Antragstellers der Baukörper so massiv, dass bei einer Gesamtbreite von knapp unter 48 m und wegen des Aufragens des Gebäudes das Gebot der Rücksichtnahme verletzt sei. Selbst wenn man von zwei Gebäude ausginge, ragten diese jedenfalls nach Süden hin vier Etagen aus dem Erdreich, so dass die Häuser untereinander nicht den gesetzlichen Abstand einhielten. Hier versuche sich die Bauwerberin erneut mit dem 16 m-Privileg zu helfen. Von der Straße aus gesehen rage das Gebäude jedoch circa 12 m aus der Erde, oder wenigstens 10,35 m, wenn man vom gewachsenen Boden ausgehe. Die Häuser müssten somit untereinander einen Abstand von zweimal 5,18 m einhalten, um untereinander das 16 m-Privileg ausnutzen zu können. Dies sei aber nicht der Fall. Eine vierfache Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs sei unzulässig.
Der Antragsgegner führte mit Schreiben vom 12. April 2021 aus, dass er dem Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten nicht entsprechen werde, da das Vorhaben bauplanungsrechtlich wie auch abstandsflächenrechtlich zulässig sei. Bauplanungsrechtlich halte das Vorhaben die maximal mögliche Anzahl von drei Vollgeschossen ein und sei auch nicht rücksichtslos. Es liege nicht einmal an der Grenze des maximal durch den Bebauungsplan Nr. … „…“ Zulässigen. Was das Abstandsflächenrecht anbelange, gehe der Antragsteller von der alten Rechtslage aus. Zum Zeitpunkt des Antrags auf bauaufsichtliches Einschreiten sei jedoch schon das neue Abstandsflächenrecht, nämlich seit dem 1. Februar 2021, in Kraft gewesen. Selbst wenn man sich aber auf eine Diskussion nach dem alten Abstandsflächenrecht einließe, ergebe sich keine Rechtsverletzung. Abstandsflächen lösten nur oberirdische Gebäude aus, nicht die unterirdischen zwischen Haus 1 und 2. Die Bauherrin nehme zu Recht die Möglichkeit in Anspruch, an zwei Außenwänden nach Norden und zwischen Haus 1 und 2 die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. zu halbieren. Die betroffenen Außenwände nach Norden seien jeweils durch das zurückspringende Treppenhaus gegliedert. Die maximal zulässige Länge der Außenwand von 16 m sei mit 2 x 7,98 m (15,96 m) nicht überschritten worden. Die vom Antragsteller angenommene Einheitlichkeit beider Gebäude sei nicht nachvollziehbar und führte im Übrigen dazu, dass diese dann keine Abstandsflächen mehr zueinander einhalten müssten.
Daraufhin erhob der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten am 10. Mai 2021 Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und stellte einen Antrag nach § 123 VwGO. Zur Begründung führt er über seinen Vortrag im Verwaltungsverfahren hinaus aus, dass die Beigeladene zu 1) aufgrund einer fehlerhaften Genehmigungsfreistellung derzeit den Neubau zweier Mehrfamilienhäuser realisiere, die nachbarschützende Rechte des Antragstellers verletzten. Daher sei das Ermessen des Antragsgegners auf Null reduziert, dieser müsse die Bauarbeiten einstellen. Da der maßgebliche Bebauungsplan bereits im Januar 2019 bekannt gemacht worden sei, seien etwaige Rechtsänderungen nicht maßgeblich, sondern die Festlegungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens. Das Vorliegen von vier Vollgeschossen bei nur drei zulässigen ergebe sich daraus, dass im sogenannten Kellergeschoss ein ebenerdiger Zugang von der Straße aus geschaffen werde. Hinsichtlich der Abstandsflächen sei die Gesetzeslage zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans maßgeblich, nicht die heutige. Aus den eindeutigen Festsetzungen des Bebauungsplans ergebe sich zudem, dass die Regelung des Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. zum 16 m-Privileg überhaupt nicht gelte, sondern nur Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F., also ein Abstandserfordernis von 1 H, mindestens aber 3 m.
Der Antragsteller beantragt,
Die Bauarbeiten der Beigeladenen zu 1) auf dem Anwesen …, … …, FlNr. …, …, Gemarkung …, zum Neubau von zwei Mehrfamilienhäusern in … werden eingestellt. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, umgehend gegen die Verwirklichung des streitgegenständlichen Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1) bauaufsichtlich einzuschreiten und hierbei der Beigeladenen zu 1) aufzugeben, die Bauarbeiten sofort einzustellen und die Baustelle stillzulegen.
Bis zur Entscheidung der Kammer über diesen Antrag wird eine Vorsitzendenentscheidung nach § 123 Abs. 2 Satz 3, § 80 Abs. 8 und § 80a Abs. 3 VwGO beantragt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt er aus, dass die Voraussetzungen für eine Baueinstellung nach Art. 75 BayBO nicht gegeben seien. Es handele sich bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben um eines im Wege der Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 BayBO zu errichtendes, welches bebauungsplankonform umgesetzt werde. Auch die Regelungen des Abstandsflächenrechts würden eingehalten. Bei dem Kellergeschoss handele es sich rechnerisch nicht um ein Vollgeschoss. Die Höheneinstellung bzw. der Anschluss an das natürliche Gelände nach Nr. 6.2 des Bebauungsplans sei korrekt geplant und würde so ausgeführt. Die Behauptung des Antragstellers, es würde ein Gebäude mit vier Vollgeschossen errichtet, gehe daher fehl. Im Übrigen sei die behauptete Rücksichtslosigkeit nicht näher beschrieben worden. Was die Abstandsflächen angehe, gelte, dass die Gemeinden grundsätzlich gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO n.F. die Regelungskompetenz haben, in einem Bebauungsplan Abstandsflächen größerer oder geringerer Tiefe als regulär in Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO n.F. geregelt festzulegen. Allerdings fänden Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO n.F. dann keine Anwendung, wenn die Satzung die Geltung dieser Vorschriften nicht ausdrücklich anordnen würde; eine solche ausdrückliche Anordnung sei aber unter Nr. 3.3 des Bebauungsplans getroffen worden. Damit habe die Gemeinde – die Beigeladene zu 2) – klargestellt, dass sie gerade keine statische abstandsflächenrechtliche Sonderregelung, die wegen der festgelegten Baugrenzen in diesem Fall zu einer Verkürzung der Abstandsflächen führen würde, haben wolle, sondern das reguläre Abstandsflächenrecht des Art. 6 BayBO gelten solle. Eine solche Anordnung dürfe dynamisch verstanden werden und auf das jeweils geltende Bauordnungsrecht verweisen. Daher sei es verfehlt, wie der Antragsteller von einer Vergrößerung der Abstandsflächentiefe, dem Ausschluss des aktuell nicht mehr geltenden 16 m-Privilegs oder einer abschließenden, statischen Regelung des Abstandsflächenrechts durch den Bebauungsplan auszugehen. Schließlich sei entgegen der Ansicht des Antragstellers für die Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten das derzeit geltende Abstandsflächenrecht maßgeblich. Hier gelte im Entscheidungszeitpunkt regulär Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO mit der neuen Ermittlung der Abstandsflächentiefen sowie der 0,4 H- Regelung. Danach lägen die Abstandsflächen auf dem Baugrundstück.
Die Beigeladene zu 1) beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung führt sie aus, dass der Antrag bereits unzulässig sei. Eine Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers komme nicht in Betracht, da die Abstandsflächen zum Grundstück des Antragstellers großzügig eingehalten würden. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Es liege kein Abstandsflächenverstoß vor. Maßgeblich sei diesbezüglich die am 1. Februar 2021 in Kraft getretene neue Fassung der BayBO, weil maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt hier derjenige der gerichtlichen Entscheidung sei. Die neue Fassung der BayBO sehe in Art. 6 Abs. 5 Satz 1 eine Abstandsflächentiefe von 0,4 H vor, woraus sich bei einer Wandhöhe in Richtung des Antragstellers von 8,86 m eine Abstandsfläche von 3,54 m ergebe, die klar eingehalten sei. Daran ändere auch die textliche Festsetzung in Ziffer 3.3 des Bebauungsplans nichts. Zwar werde dort bezüglich der Abstandsflächen auf die Bestimmungen der Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO verwiesen und habe damals die Fassung der BayBO vor dem 1. Februar 2021 gegolten. Die Nennung dieser Vorschrift führe aber nicht zu Anwendung des alten Abstandsflächenrechts, weil es sich mangels ausdrücklicher Regelung lediglich um eine dynamische Verweisung auf das jeweils geltende Recht handele. Beim Verweisen auf die Abstandsflächenregelungen der BayBO in Bebauungsplänen wolle die Gemeinde grundsätzlich den Vorrang des Bauplanungsrechts vor dem Bauordnungsrecht nicht eintreten lassen, sondern das jeweils geltende Abstandsflächenrecht zur Anwendung bringen. Davon abgesehen wäre aber selbst nach alter Rechtslage das Abstandsflächenrecht eingehalten, weil dann das 16 m -Privileg anwendbar sei, da Haus 1 und 2 entgegen der Ansicht des Antragstellers als zwei separate Gebäude anzusehen seien. Das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO a.F. sei auch nicht durch die Festsetzung der Ziffer 3.3 der textlichen Festsetzungen ausgeschlossen, weil deren Zweck nur die Festschreibung des gesetzlichen Abstandsflächenrechts sei, wie sich aus Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO a.F. ergebe. Auch stehe das Bauvorhaben nicht im Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans über das Höchstmaß der maximal zulässigen Vollgeschosse, hier drei. Unrichtig sei zunächst, wenn der Antragsteller behaupte, es würden viergeschossige Gebäude errichtet. Das von der Straße aus ebenerdig zugängliche Kellergeschoss sei kein Vollgeschoss im Sinne des Bebauungsplans. Danach seien Vollgeschosse Geschosse, die vollständig über der natürlichen oder festgelegten Geländeoberfläche liegen und über mindestens zwei Drittel ihrer Grundfläche eine Höhe von mindestens 2,30 m haben. Als Vollgeschosse gölten Kellergeschosse, deren Deckenunterkante im Mittel mindestens 1,20 m höher liege als die natürliche oder festgelegte Geländeoberfläche. Gemäß der Eingabeplanung liege die Deckenunterkante des Kellergeschosses im Mittel jedoch nicht 1,20 m höher als die natürliche Geländeoberkante und eine festgesetzte Geländeoberfläche existiere nicht. Schließlich scheide eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aus, da diese seitens des Antragstellers nur pauschal und ohne weitergehende Ausführungen behauptet worden sei sowie das Vorhaben im Übrigen den öffentlich-rechtlichen Vorschriften entspreche.
Die Beigeladene zu 2) stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der unter einer Ziffer formulierte Antrag des Antragstellers wird so ausgelegt, dass sowohl die Verpflichtung des Antragsgegners auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO gegen die Beigeladene zu 1), als auch auf Erlass einer Versiegelung der Baustelle der Beigeladenen zu 1) nach Art. 75 Abs. 2 BayBO begehrt wird (§ 122 Abs. 1, § 88 VwGO). Letzteres ergibt sich aus der Formulierung des Antrages zu 1. im Schriftsatz vom 6. Mai 2021, dass – neben der Einstellung der Bauarbeiten – die Baustelle stillzulegen sei.
Die Entscheidung ergeht ohne Zwischenverfügung durch die Kammer oder die Vorsitzende, da eine besondere Dringlichkeit im Sinne von § 80 Abs. 8 VwGO analog nicht gegeben ist.
Die Anträge sind zulässig, aber unbegründet.
1. Ein Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer Sicherungsanordnung (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO) in Form der Verpflichtung der Antragsgegnerin zum Erlass einer Baueinstellungs- und Versiegelungsverfügung ist in Abgrenzung zu einem Verfahren nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO hier statthaft.
Im Grundsatz haben die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a VwGO gemäß § 123 Abs. 5 VwGO Vorrang vor einem Antrag nach § 123 VwGO. Allerdings wird das streitgegenständliche Bauvorhaben durch die Beigeladene zu 1) im Wege der Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 BayBO errichtet, womit kein angreifbarer Verwaltungsakt in Form einer Baugenehmigung oder einer sonstigen bauaufsichtlichen Zulassung im Sinne des § 212a Abs. 1 BauGB vorliegt. Die Negativerklärung der Beigeladenen zu 2), der Gemeinde … vom 24. Juni 2020, dass kein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren durchgeführt und keine vorläufige Untersagung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB beantragt werden soll (Art. 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, Abs. 4 BayBO) ist kein Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 BayVwVfG und auch keine bauaufsichtliche Zulassung, weil auch im umgekehrten Fall, wenn die Gemeinde die Durchführung eines Genehmigungsverfahrens fordert oder nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauGB verfährt, kein Verwaltungsakt vorliegt (vgl. VG Ansbach, U.v. 27.7.2017 – AN 9 K 17.70 – BeckRS 2017, 120362 Rn. 19; Taft in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 58 Rn. 92 f.).
Soweit der Antragsteller mangels angreifbarer Baugenehmigung den Erlass einer Baueinstellung nach Art. 75 BayBO begehrt, begehrt er den Erlass eines Verwaltungsaktes, der im Hauptsacheverfahren mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) durchzusetzen ist, womit im einstweiligen Rechtsschutz ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO korrespondiert (vgl. BayVGH, B.v. 5.1.2018 – 9 C 17.1804 – juris Rn. 3; Robl in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 18. Ed. 1.4.2021, Art. 58 Rn. 49; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 123 Rn. 4).
2. Die Anträge sind jedoch unbegründet, weil bereits der Anordnungsanspruch aus Art. 75 Abs. 1 und Abs. 2 BayBO jeweils nicht glaubhaft gemacht wurde, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO.
a) Die Anordnung der Einstellung von Bauarbeiten nach Art. 75 Abs. 1 BayBO setzt gemäß dessen Satz 1 zum einen voraus, dass Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden. Ein Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften kann sich sowohl aus formellen als auch aus materiellen (Bau-)Rechtsverstößen ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 8; Manssen in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 18. Ed. 1.4.2021, Art. 75 Rn. 6). Die Vorschrift eröffnet grundsätzlich einen Ermessensspielraum der Behörde („kann“).
Ein Anspruch des Antragstellers als Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten folgt jedoch nicht aus jedem erdenklichen Rechtsverstoß, vielmehr muss die verletzte Norm nachbarschützenden Charakter haben (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 75 Rn. 147).
Eine Verletzung nachbarschützender öffentlich-rechtlicher Vorschriften ist vorliegend nicht ersichtlich, womit auch die umstrittene Rechtsfrage, ob ein Anspruch des Nachbarn auf bauaufsichtliches Einschreiten der Behörde gegen den Bauherrn nach Art. 75 BayBO im Falle eines genehmigungsfreigestellten Verfahrens eine Ermessensreduzierung auf Null voraussetzt oder es bereits ausreicht, dass das Bauvorhaben nachbarschützende Vorschriften verletzt und die nachbarlichen Belange durch das Vorhaben mehr als geringfügig berührt werden, dahinstehen kann (instruktiv hierzu Robl in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 18. Ed. 1.4.2021, Art. 58 Rn. 51 ff. m.w.N.).
b) Soweit die Antragstellerseite geltend macht, dass das Genehmigungsfreistellungsverfahren nach Art. 58 BayBO mangels Vorliegen dessen tatbestandlicher Voraussetzungen zu Unrecht gewählt worden sei, mit der Rechtsfolge, dass ein reguläres (vereinfachtes) Baugenehmigungsverfahren durch den Antragsgegner hätte durchgeführt werden müssen, wäre der Antragsteller hierdurch – seine Annahme als zutreffend unterstellt – in formeller Hinsicht nicht in seinen Rechten verletzt. Denn es besteht kein Anspruch des Nachbarn auf die Wahl des korrekten Verfahrens und zwar auch dann nicht, wenn die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen ein genehmigungsfreigestelltes Vorhaben unter Umständen schlechter sind als gegen ein genehmigtes. Maßgeblich ist allein, ob er durch das Bauvorhaben materiell in seinen Rechten verletzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2010 – 15 CS 10.2432 – juris Rn. 18; VG München, U.v. 14.11.2017 – M 1 K 16.3688 – juris Rn. 32; VG Würzburg, U.v. 6.3.2014 – W 5 K 13.1017 – juris Rn. 24; Robl in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, 18. Ed. 1.4.2021, Art. 58 Rn. 50).
c) In materieller Hinsicht macht der Antragsteller zum einen geltend, dass die nach dem Bebauungsplan Nr. … „…“ der Beigeladenen zu 2) in der Fassung vom … festgesetzte maximal zulässige Anzahl an Vollgeschossen überschritten werde sowie die in Nr. 3.3 der textlichen Festsetzungen für anwendbar erklärten abstandsflächenrechtlichen Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO verletzt würden. Schließlich wird in bauplanungsrechtlicher Hinsicht das Rücksichtnahmegebot aufgerufen.
Das Bauordnungsrecht betreffend wird ebenfalls die Verletzung des Abstandsflächenrechts gerügt.
Aus den geltend gemachten Umständen kann der Antragsteller jedoch keine Rechtsverletzung ableiten, da es hinsichtlich der von ihm aufgerufenen Festsetzungen des Bebauungsplans schon an deren drittschützendem Charakter fehlt und der Bebauungsplan im Übrigen unwirksam sein dürfte. Die Abstandsflächen sind nach dem derzeit geltenden Art. 6 BayBO eingehalten, das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt.
aa) Die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … „…“ in der Fassung vom … in den zeichnerischen Festsetzungen und Nr. 2.2 der textlichen Festsetzungen zur maximal zulässigen Anzahl an Vollgeschossen – zulässig sind in der Nutzungsschablone A drei Vollgeschosse – haben keine drittschützende Wirkung, weswegen schon deshalb die diesbezügliche Rüge des Antragstellers nicht durchgreift.
Grundsätzlich verleihen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung dem Nachbarn keine Abwehrposition (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 66 Rn. 356 ff.; BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – juris Rn. 4; VG Ansbach, U.v. 29.9.2020 – 17 K 19.01467 – juris Rn. 29 ff.). Hieran hat auch die jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 12 ff. – „Wannseeentscheidung“) nichts geändert (BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Ls. Rn. 25 ff.; VG Ansbach, U.v. 11.2.2021 – AN 17 K 20.00020 – juris Rn. 31 ff.). Sie dienen in aller Regel dem öffentlichen Interesse am Erhalt und der Fortentwicklung der städtebaulichen Ordnung und nicht dem Schutz des Nachbarn. Zwar ergibt sich aus der Festsetzung der maximal zulässigen Vollgeschosse häufig rein tatsächlich eine Begünstigung des Nachbarn, allerdings soll diese ihm keine einklagbare Rechtsstellung einräumen. Dessen Rechte werden durch die an die Gebäudehöhe anknüpfenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO adressiert (Dirnberger a.a.O. Rn. 363). Diese Grundsätze schließen es freilich nicht aus, dass die Festsetzung über die Zahl der Vollgeschosse im Ausnahmefall nachbarschützenden Charakter aufweist und zwar dann, wenn die Festsetzungen nach der Konzeption des Plangebers „in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis“ stehen (BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn. 15). Ein solches Austauschverhältnis im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hier nicht gegeben. Der Bebauungsplan enthält in den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen unter Nr. 2.2 nur die nackte Vorgabe, dass in der Nutzungsschablone A eine Obergrenze von drei Vollgeschossen gelte. Es ist lediglich weiter nach der Anzahl der Vollgeschosse ausdifferenziert, welche Dachformen zulässig sind (zeichnerische Festsetzungen und Nr. 7.1 der textlichen Festsetzungen). Im Begründungsteil ist zur Festsetzung der maximalen Geschosszahl auf Seite 9 oben ausgeführt, dass „[d]urch die Festsetzung eines zentralen Bereiches im Quartier für eine Bebauung mit maximal dreigeschossigen Mehrfamilienwohnanlagen über Hausgruppen oder Doppelhäusern mit einer GRZ von 0,4 und von zweigeschossigen Doppel- und Einzelhäusern mit einer GRZ von 0,3 in Verbindung mit einer Reglementierung von max. 2 Wohneinheiten pro Wohngebäude zum Außenraum ein baulich abgestufter Ortsrand gesichert und der Gebietscharakter einer an den Landschaftsraum angepassten Bebauung erzielt [wird].“ Damit unterstreicht der Plangeber das rein städtebauliche Motiv seiner Festsetzung zu den Vollgeschossen und lässt sich seinem Willen gerade nicht entnehmen, dass diese Nachbarschutz vermitteln soll. Ein solche ergibt sich auch nicht in einer Zusammenschau mit der zeichnerischen Festsetzung einer maximalen Gebäudehöhe von 11,0 m bei dreigeschossigen Gebäuden in der Nutzungsschablone A, weil sich auch diesbezüglich weder dem Plan- noch dem Begründungsteil (s. Seite 9 f.) Anhaltspunkte für einen Drittschutz entnehmen lassen. Es spricht auch nichts dafür, den so ermittelten Willen des Plangebers in Frage zu stellen, da dieser davon ausgehen durfte, dass die Interessen der Nachbarn an ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung typischerweise durch das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht nach Art. 6 BayBO ausreichend sichergestellt werden. Davon einmal abgesehen stützt der Antragsteller seine Begründung im Wesentlichen darauf, dass gesehen von der Erschließungsstraße aus – also gesehen von der seinem Grundstück abgewandten Südseite des Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1) aus – wegen des abfallenden Geländes und des straßenseitigen Zugangs zum Kellergeschoss der Eindruck eines viergeschossigen Gebäudes entstehe. Auf der ihm zugewandten Nordseite jedoch ist dies ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Bauvorlagen gerade nicht der Fall. Schließlich ist der Antragsteller vom räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „…“ nicht umfasst, sein Grundstück liegt im sich nördlich anschließenden Plangebiet des Bebauungsplans Nr. … „…“ der Gemeinde … vom 9. Oktober 1994. Zwar schließt auch das nicht aus, dass im Einzelfall auch plangebietsexterne Grundstücke in den Schutzbereich des Bebauungsplans einbezogen sind (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, Vorbm. zu §§ 29-38, Rn. 27). Allerdings ist dies nach den Festsetzungen des Bebauungsplans „…“ in Bezug auf die Anzahl der Geschosse und die Gebäudehöhe nicht erkennbar.
bb) Auch soweit der Antragsteller geltend macht, dass der Bebauungsplan Nr. … „…“ die Geltung der Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F. (in der bis zum 31.1.2021 geltenden Fassung, da der Bebauungsplan am 29.11.2018 beschlossen wurde; Ausfertigung am 30.11.2018, Bekanntmachung am 3.12.2018) anordnet und diese durch das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) nicht eingehalten seien, dringt er damit nicht durch.
In Nr. 3.3 der textlichen Festsetzungen ist zu lesen, dass „[b]ei der Ausnutzung der festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen bezüglich der Abstandsflächen die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 der BayBO [gelten]“. Im Begründungsteil ist hierzu ausgeführt, dass „bezüglich der Abstandsflächen bei der Ausnutzung der Baugrenzen durch die Geltung der Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO eine ausreichende Belichtung und Belüftung gewährleistet [wird]“; in der zu diesem Satz zugehörigen Fußnote 14 ist sodann der Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO a.F. zitiert: „Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt 1 H, mindestens 3m. …“.
Diese Festsetzung entfaltet jedoch keinen Drittschutz dergestalt, dass bauplanungsrechtlich für alle Zeiten die ausschnittsweise Geltung des „alten“ Abstandsflächenrechts nach der BayBO nur gemäß der Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F. angeordnet ist und damit eine aus Sicht des Antragstellers günstigere Regelung verglichen mit der aktuellen Fassung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO mit einer Tiefe der Abstandsflächen von 0,4 H, in Gewerbe- und Industriegebieten 0,2 H, jeweils aber mindestens 3 m, greift. Zwar hat die Gemeinde nach § 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB die Möglichkeit im Bebauungsplan vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen festzusetzen, die sodann dem Bauordnungsrecht vorgehen (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 9 Rn. 31). Jedoch war dies zumindest anhand der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht die Absicht der Plangeberin, sie wollte im Gegenteil gerade die Anwendung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts gegenüber dem Planungsrecht sichern. Die von ihr gewählte Festsetzung rührt aus der zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses am 29. November 2018 geltenden Fassung des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO a.F. her: „Werden von einer städtebaulichen Satzung oder einer Satzung nach Art. 81 Außenwände zugelassen oder vorgeschrieben, vor denen Abstandsflächen größerer oder geringerer Tiefe als nach den Sätzen 1 und 2 liegen müssten, finden die Sätze 1 und 2 keine Anwendung, es sei denn, die Satzung ordnet die Geltung dieser Vorschriften an; die ausreichende Belichtung und Belüftung dürfen nicht beeinträchtigt, die Flächen für notwendige Nebenanlagen nicht eingeschränkt werden.“ Hintergrund der Festsetzung in Nr. 3.3 der textlichen Festsetzungen war demnach, die Geltung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts gegen den grundsätzlichen Vorrang des Planungsrechts in Form von Festsetzungen insbesondere zu den Baugrenzen und der Gebäudehöhe durchzusetzen. Die im Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans maßgeblichen Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 BayBO a.F. lauteten: „Die Tiefe der Abstandsflächen beträgt 1 H, mindestens 3 m [Satz 1]. In Kerngebieten und in festgesetzten urbanen Gebieten beträgt die Tiefe 0,50 H, in Gewerbe- und Industriegebieten 0,25 H, mindestens jeweils 3 m [Satz 2].“ Insofern ist die Fußnote 14 im Begründungsteil des Bebauungsplans auf Seite 9 dahingehend zu verstehen, dass die Gemeinde … als Plangeberin (Beigeladene zu 2)) lediglich die damals geltende abstandsflächenrechtliche Lage deskriptiv wiedergegeben hat, aber in Zusammenschau mit den textlichen Festsetzungen allein den Vorrang des Abstandsflächenrechts vor dem Planungsrecht gewährleisten wollte. Damit nimmt sie auch zukünftige Änderungen des Abstandsflächenrechts, wie die zum 1. Februar 2021 (GVBl. S. 633), gleichsam dynamisch in Bezug (so Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, Die neue BayBO, Stand August 2020, Art. 6 Rn. 177).
Selbst wenn man dies anders sähe, träfe im Übrigen die Argumentation des Antragstellers, dass die Beigeladene zu 1) durch die besagte Regelung die Anwendung des sog. 16 m-Privilegs nach Art. 6 Abs. 6 BayBO a.F. habe ausschließen wollen, nicht zu (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 100). Auch die Annahme eines aus Sicht des Grundstücks des Antragstellers einheitlichen Gebäudes im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO a.F., welches das 16 m-Privileg dann nicht mehr in Anspruch nehmen könnte, geht fehl, weil von der Grundstücksgrenze des Antragstellers bei natürlicher Betrachtungsweise unter Zugrundelegung der Bauvorlagen gerade nicht der Eindruck eines einheitlichen Gebäudes entsteht (vgl. Hahn in Busse/Kraus, BayBO, 140. EL Februar 2021, Art. 6 Rn. 353 ff.).
cc) Vom fehlenden Drittschutz der durch den Antragsteller geltend gemachten Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … „…“ der Beigeladenen zu 2) abgesehen, ist dieser nach Ansicht der Kammer nach summarischer Prüfung unwirksam. Das Verwaltungsgericht kann, auch wenn die Frist für die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO – für das der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zuständig wäre – gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO bereits abgelaufen ist, eine inzidente Rechtmäßigkeitskontrolle des Bebauungsplans vornehmen. Im Unterschied zu einem Normenkontrollverfahren hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine allgemeinverbindliche Wirkung, sondern wirkt nur für das betreffende Verfahren (Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 10 Rn. 100 f.). Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren bedarf es zwar ohne Rüge durch den Antragsteller grundsätzlich keiner Überprüfung der Wirksamkeit des verfahrensgegenständlichen Bebauungsplanes. Allerdings gilt anderes dann, wenn ein zur Wirksamkeit des Bebauungsplans führender Fehler offensichtlich ist und gegen den Bebauungsplan durchgreifende Bedenken bestehen (VG München, B.v. 18.3.2002 – M 1 E 02.1073 – BeckRS 2002, 28134 Rn. 28). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
In den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … „…“ wird zunächst unter Nr. 1.1 hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO festgesetzt. In Nr. 1.2 folgt, dass „Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 BauNVO mit Versorgungsfunktion im Hinblick auf die Wohnnutzung wie z.B. Läden, Handwerks- und Beherbergungsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften oder Anlagen für soziale, kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke gem. § 1 Abs. 5 BauNVO nicht zulässig [sind]“. Der Begründungsteil führt auf Seite 8 aus, dass in der Ortsrandlage zur Vermeidung einer zusätzlichen Verkehrs- bzw. Lärmbelastung ausschließlich eine Wohnnutzung zugelassen werden soll und daher Einrichtungen nach § 4 Abs. 2 BauNVO mit Versorgungsfunktion im Hinblick auf die Wohnnutzung wie z.B. Läden, Handwerks- und Beherbergungsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften oder Anlagen für soziale, kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke ausgeschlossen seien.
Eine derartige Entkernung des Gebietscharakters eines allgemeinen Wohngebietes nach § 4 BauNVO ist unzulässig, weil sie im Ergebnis – die verbliebene erlaubte Nutzung von Anlagen für kirchliche Zwecke ausgenommen – zur Festsetzung eines reinen Wohngebietes im Sinne des § 3 BauNVO unter dem Etikett eines allgemeinen Wohngebietes führt. Von Anlagen für kirchliche Zwecke abgesehen hat die Beigeladene zu 2) sämtliche zulässige Nutzungsarten des § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO für unzulässig erklärt. Zwar ist es dem Plangeber nach § 1 Abs. 5 BauNVO im Grundsatz möglich im Bebauungsplan festzusetzen, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2 bis 9 sowie 13 und 13a BauNVO allgemein zulässig sind, nicht zulässig oder nur ausnahmsweise zulässig sind, aber nur – so der letzte Halbsatz von § 1 Abs. 5 BauNVO – „sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebietes gewahrt bleibt“. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte in diesem Zusammenhang jüngst, dass der Ausschluss der nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO in einem allgemeinen Wohngebiet zulässigen Nutzungsarten nicht stets gegen § 1 Abs. 5 BauNVO verstößt (BVerwG, U.v. 20.1.2021 – 4 CN 7/19 – juris Ls., Rn. 30 ff.). Rechtswidrig ist es nach dem Bundesverwaltungsgericht allerdings, wenn die Festsetzungen nach § 1 Abs. 5 BauNVO dazu führen, dass entgegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauNVO ein Baugebiet geschaffen wird, das einen anderen als den normativ vorgegebenen Charakter aufweist oder dass die Wirkungen eines anderen als des festgesetzten Baugebiets hergestellt werden (BVerwG, U.v. 20.1.2021 – 4 CN 7/19 – juris Rn. 29; U.v. 7.9.2017 – 4 C 8/16 – juris Ls, Rn. 8 ff.; U.v. 8.11.2004 – 4 BN 39/04 – juris Rn. 22). Genau dies geschieht jedoch, indem die Beigeladene zu 2) im Bebauungsplan Nr. … „…“ ein allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO festsetzt, im gleichen Atemzug aber bis auf Anlagen für kirchliche Zwecke sämtliche in § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO zulässige Nutzungsarten untersagt. So verbleibt im Übrigen als zulässige Nutzungsart nur die Wohnnutzung (§ 4 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) und wird das Plangebiet im Ergebnis zu einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO gemacht, in dem kirchliche Einrichtungen jedenfalls ausnahmsweise zulässig sind, § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Jedenfalls aber wird der normativ vorgegebene Charakter des allgemeinen Wohngebiets in unzulässiger Weise ausgehöhlt, da ein allgemeines Wohngebiet zwar überwiegend dem Wohnen dient, § 4 Abs. 1 BauNVO, aber eben auch durch die dem Wohngebiet dienende Versorgungsinfrastruktur der in § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO genannten Einrichtungen geprägt wird (BVerwG, U.v. 7.9.2017 – 4 C 8/16 – juris Rn. 7; Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 25. Ed. 15.3.2021, § 4 Rn. 17 ff.: Allgemeines Wohngebiet als Baugebiet mit vollständig eigener Infrastruktur). Zu alldem tritt noch, dass der Bebauungsplan in Nr. 1.3 der textlichen Festsetzungen auch die gemäß § 4 Abs. 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Nutzungen für generell unzulässig erklärt.
Eine Umdeutung der Festsetzung als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO in ein reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO mit der Folge der Aufrechterhaltung des Bebauungsplans Nr. … „…“ scheidet vorliegend aus. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wurde die Frage nach der Kompetenz der Verwaltungsgerichte zur „Auswechslung“ von Gebietsfestsetzungen offengelassen (s. etwa BVerwG, U.v. 27.10.2011 – 4 CN 7/10 – juris Rn. 20), allerdings spricht nach Ansicht der Kammer unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung viel dafür, dass Bebauungspläne als Rechtsnormen gemäß § 10 Abs. 1 BauGB nicht ohne weiteres durch die Gerichte an Stelle des Gemeinderats als Teil der Exekutive (Glaser in Widtmann/Grasser/Glaser, BayGO, 30. EL Februar 2020, Art. 30 Rn. 1) umgedeutet werden können. Jedenfalls wäre eine Umdeutung hier in der Sache nicht möglich, ohne in unzulässiger Weise in den Planungswillen der Beigeladenen zu 2) einzugreifen. Diese hat nämlich die in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BauNVO zulässigen Nutzungen bis auf Anlagen für kirchliche Zwecke komplett ausgeschlossen und somit auch Anlagen für soziale Zwecke. Darunter fallen unter anderem Kindergärten, Kindertagesstätten und Kinderkrippen (Hornmann in Spannowsky/Hornmann/Kämper, BeckOK BauNVO, 25. Ed. 15.3.2021, § 4 Rn. 88), die wiederum in einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO gemäß dessen Abs. 2 Nr. 2 zulässig sind, soweit sie den Bedürfnissen der Bewohner dienen. Anlagen für kirchliche Zwecke hingegen wären nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig, so sie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen. Insofern kann es nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichts sein und würde auch seine Kompetenz überschreiten, wenn es sich als Ersatzplangeber an Stelle der Gemeinde betätigte und die dieser obliegenden Abwägungen vornähme.
Die so getroffene rechtswidrige Festsetzung eines entkernten allgemeinen Wohngebietes ist kein im Sinne des § 214 BauGB unbeachtlicher Mangel des Bebauungsplans. Auch ein Unbeachtlich-Werden des Mangels über die Vorschrift des § 215 BauGB scheidet aus, weil es sich hierbei weder um eine Verletzung einer Verfahrens- und Formvorschrift (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) noch um eine unter Berücksichtigung des § 214 Abs. 2 BauGB beachtliche Verletzung der Vorschriften über das Verhältnis des Bebauungsplans und des Flächennutzungsplans (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB), noch um einen nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtlichen Mangel des Abwägungsvorgangs (§ 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB) und schließlich auch nicht um einen Fall des § 215 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 214 Abs. 2a BauGB handelt. Es liegt vielmehr ein sog. „Ewigkeitsfehler“ im Abwägungsergebnis vor, der auch nach Ablauf der in § 215 Abs. 1 Satz 1 a.E. BauGB genannten Jahresfrist berücksichtigt werden kann (Uechtritz in Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 52. Ed. 1.8.2020, § 215 Rn. 8; s.a. Stock in Ernst/ Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 140. EL Oktober 2020, § 215 Rn. 26).
Dieser Fehler führt nach summarischer Prüfung auch zur Gesamtnichtigkeit des Bebauungsplans und kann nicht isoliert von den übrigen Festsetzungen als teilnichtig eingeordnet werden. Eine unwirksame Gebietsfestsetzung führt regelmäßig zur Gesamt- und nicht lediglich zur Teilunwirksamkeit, wenn es sich wie hier um einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB handelt (BVerwG, U.v. 7.9.2017 – 4 C 8/16 – juris Rn. 11; U.v. 11.9.2014 – 4 CN 3/14 – juris Rn. 27; B.v. 8.8.1989 – 4 NB 2/89 – NVwZ 1990, 159 Ls. 2). Umstände, die ein Abweichen von dieser Regel rechtfertigten, liegen nicht vor. Insbesondere ist nicht klar, ob die Gemeinde …, die Beigeladene zu 2), den Bebauungsplan Nr. … „…“ so erlassen hätte, wenn ihr bewusst gewesen wäre, dass schon die von ihr vorgenommene Art und Weise der Baugebietsfestsetzung rechtswidrig ist. Denn auf der rechtswidrigen Gebietsfestsetzung hier als allgemeines Wohngebiet nach § 4 BauNVO bauen unter anderem die Orientierungswerte der DIN 18005-1-Beiblatt 1 (Schallschutz im Städtebau) auf, die für ein solches Werte von 55 dB(A) (tags, 6-22 Uhr) und 45 dB(A) bzw. 40 dB(A) (nachts, 22-6 Uhr) vorsehen, wohingegen bei einem reinen Wohngebiet nach § 3 BauNVO Beurteilungspegel von 50 dB(A) (tags) und 40 dB(A) bzw. 35 dB(A) (nachts) aufgeführt sind. Die DIN 18005-1-Beiblatt 1 ist Teil der schalltechnischen Untersuchungen des Ingenieurbüros …, auf welche der Bebauungsplan in Nr. 11 Bezug nimmt. Zwar enthält die DIN 18005 – Beiblatt 1 keine Grenz-, sondern nur Orientierungswerte. Eine Überschreitung der Orientierungswerte führt auch nicht automatisch zu einer Unausgewogenheit der Planung unter Lärmschutzaspekten. So kann auch ein Überschreiten der Orientierungswerte um 5 dB(A) und gegebenenfalls auch mehr durchaus das Ergebnis einer gerechten Abwägung mit Blick auf § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB sein. Je weiter allerdings die Orientierungswerte der DIN 18005 überschritten werden, desto gewichtiger müssen die für die Planung sprechenden Gründe sein und umso mehr hat die Gemeinde die baulichen und technischen Möglichkeiten auszuschöpfen, um diese Auswirkungen zu verhindern (OVG NW, U.v. 16.10.2017 – 2 D 61/16.NE – juris Rn. 115 ff.). Insofern kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Beigeladene zu 2) in Kenntnis dessen den Bebauungsplan gleichwohl erlassen hätte. Die rechtswidrige Gebietsfestsetzung als allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO lässt sich nach alldem nicht vom übrigen Teil des Bebauungsplans so trennscharf abgrenzen, dass dieser isoliert stehen bleiben könnte.
Wegen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … „…“ bemisst sich die weitere bauplanungsrechtliche Prüfung im Folgenden nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO, da sich das Vorhabengrundstück entsprechend der nahezu übereinstimmenden Angaben des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 2), die im Rahmen einer summarischen Prüfung im Eilverfahren zugrunde gelegt werden können, in einem faktischen reinen Wohngebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO befindet (s.a. die Ausführungen unter 2. c) aa) und bb)). Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die von der Beigeladenen zu 1) angedachte Wohnnutzung unzulässig wäre, noch dazu der Antragsteller insofern ein Gebietsexterner ist, da sein eigenes Grundstück dem Bebauungsplan Nr. … „…“ der Beigeladenen zu 2) vom 9. Oktober 1994 unterfällt.
dd) Somit verbleibt als drittschützender bauplanungsrechtlicher Aspekt, auf den sich der Antragsteller berufen könnte, nur das Rücksichtnahmegebot.
Das Bauvorhaben der Beigeladenen zu 1) jedoch hat nach summarischer Prüfung keinen rücksichtslosen Charakter. Das Gebot der Rücksichtnahme leitet sich in einem faktischen reinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ab. Der Antragsteller ist zwar Gebietsexterner, weil sein eigenes Grundstück dem räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „…“ der Gemeinde … vom … unterfällt, jedoch umfasst § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO seinem Wortlaut entsprechend auch Grundstücke, die in der Umgebung des Bauvorhabens liegen, wenn sie unzumutbaren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind.
Das drittschützende Rücksichtnahmegebot wird aktiviert, „wenn in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist“ (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – NVwZ 2014, 370 Rn. 21). Die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot an die Zulässigkeit des Vorhabens stellt, hängen wesentlich von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des durch das Vorhaben Betroffenen ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er sich in Rücksichtnahme üben. Es ist also darauf abzustellen, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 15; B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 – BeckRS 2019, 7160 Rn. 9; s.a. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger (EZBK), BauGB, 140. EL Oktober 2020, § 34 Rn. 141).
Im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung kommt es wie bei der Prüfung des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB nicht auf die „Feinheiten der Berechnungsregeln“ der BauNVO an, sondern auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zur Umgebungsbebauung und die absoluten Maße, insbesondere Grundfläche, Geschosszahl, Höhe und Volumen des Baukörpers (BVerwG, U.v. 23.3.1994 – 4 C 18/92 – NVwZ 1994, 1006; Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 14. Aufl. 2019, § 34 Rn. 28 m.w.N.). Eine Verletzung des drittschützenden Rücksichtnahmegebots liegt nach der Rechtsprechung allerdings erst dann vor, wenn dem Vorhaben in der Gesamtschau eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung zukommt (BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12). Dies kann vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden anzunehmen sein (BayVGH, a.a.O.). Bejaht hat die Rechtsprechung eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots etwa für ein 12-geschossiges Gebäude in einer Entfernung von 15 m zum 2 ½-geschossigen Nachbarwohnhaus (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 32 ff.), drei 11,5 m hohe Düngekalksilos im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnhaus (BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 12 ff.), hingegen verneint für einen Höhenunterschied von wenigen Metern bei einem Abstand zwischen beiden Gebäuden von etwa 2 m (SächsOVG, B.v. 17.12.2014 – 1 B 216/14 – juris Rn. 10 ff.; w.N. zur Rspr. bei Söfker in EZBK, BauGB, 140. EL Oktober 2020, § 34 Rn. 142).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zulasten des Antragstellers ersichtlich, weil dem Bauvorhaben der Beigeladenen keine in diesem Sinne erdrückende, abriegelnde Wirkung, gleich einer Gefängnishofsituation, zukommt (so die Formulierung bei NdsOVG, B.v. 15.1.2007 – 1 ME 80/07 – juris Rn. 13, s.a.: „Dem Grundstück muss gleichsam die Luft zum Atmen genommen werden.“). Zunächst belässt es der Antragsteller bei der pauschalen Behauptung einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots ohne in irgendeiner Weise zu konkretisieren, in welchem Aspekt dieses berührt sein soll, etwa durch einen zu wuchtigen Baukörper, eine Einschränkung der Belichtung oder zusätzliche Einsichtnahmemöglichkeiten. Im Verfahren nach § 123 VwGO aber obliegt es dem Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO den Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen, jedenfalls soweit sich dieser nicht unmittelbar aus dem Inhalt der vom Gericht beigezogenen Akten ergibt (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO).
Gegen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots spricht zum einen, dass gemäß des durch die Beigeladene zu 1) vorgelegten Lageplans nur das eine der beiden Mehrfamilienhäuser (Haus 1) und dieses nur teilweise in der verlängerten Südachse des Hauses des Antragstellers liegt und das andere, Haus 2, westlich des Hauses 1. Nördlich gegenüber des Hauses 2 befindet sich auf FlNr. … eine Grünfläche. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass das Haus 1 das zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über einen Verpflichtungsantrag maßgebliche „neue“ Abstandsflächenrecht des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO mit einer geforderten Abstandsflächentiefe von 0,4 H zum klägerischen Grundstück hin offensichtlich einhält (s.u.; zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei Verpflichtungsanträgen Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 57, 63). Das Haus 2 muss gegenüber dem Antragsteller schon keine Abstandsflächen einhalten. Zwar gehören die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO zum Bauordnungsrecht und schließt deren Einhaltung nicht zwingend eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aus, jedoch sind die mit ihm verfolgten Zwecke – die Gewährleistung ausreichender Belichtung, Belüftung, Besonnung und die Wahrung des sozialen Wohnfriedens – auch im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots berücksichtigungsfähige Aspekte. Insbesondere was die Belange der Belichtung bzw. umgekehrt einer drohenden Verschattung und der Belüftung anbelangt, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächen eine diesbezügliche Verletzung des Rücksichtnahmegebots in der Regel ausschließt (vgl. BayVGH, B.v. 8.5.2019 – 15 NE 19.551, 15 NE 19.579 – juris Rn. 35). Überdies befindet sich das Wohnhaus des Antragstellers gut 20 m von der nördlichen Außenwand des 9,23 m hohen Hauses 1 mit Flachdach entfernt und vom südwestlich liegenden Haus 2 gut 40 m. Schließlich wirken die beiden geplanten Mehrfamilienhäuser der Beigeladenen zu 1) aus Sicht des Grundstücks des Antragstellers gerade nicht wie ein zusammenhängendes, sondern wie zwei separate Gebäude.
Soweit das Rücksichtnahmegebot, in Ausnahmefällen, auch den Schutz vor einer zusätzlichen Einsichtnahmemöglichkeit umfasst (Söfker in EZBK, BauGB, 140. EL Oktober 2020, § 34 Rn. 142) ist nichts Konkretes dazu vorgetragen, inwieweit der Antragsteller betroffen sein will. Grundsätzlich muss dem Nachbarn im Rahmen des Rücksichtnahmegebots noch ein letzter intimer, der privaten Lebensführung zugeordneter Raum verbleiben (HessVGH, B.v. 9.10.2015 – 4 B 1353/15 – NVwZ-RR 2016, 247, Ls. und Rn. 10). Dagegen sprechende Anhaltspunkte liegen der Kammer zum Entscheidungszeitpunkt im Eilverfahren nicht vor.
Selbst wenn man aber kein faktisches reines Wohngebiet nach § 3 BauNVO annehmen würde, könnte sich der Antragsteller bei demselben Endergebnis wie eben dargestellt nicht auf mehr als das Rücksichtnahmegebot berufen, im Falle des § 34 Abs. 1 BauGB vermittelt durch das Gebot des Einfügens in die nähere Umgebung und – sollte man gar wegen der Unwirksamkeit des Bebauungsplans und eines möglichen noch nicht weit genug fortgeschrittenen Bebauungszusammenhangs ein Außenbereichsvorhaben annehmen – durch § 35 Abs. 2 Nr. 3 BauGB.
ee) Schließlich liegt auch keine Verletzung drittschützender bauordnungsrechtlicher Normen zulasten des Antragstellers, der allein eine Verletzung des Abstandsflächenrechts rügt, vor.
Das mit einem Teil gegenüber der Grundstücksgrenze des Antragstellers liegende Haus 1 des Bauvorhabens der Beigeladenen zu 1) hält die nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Tiefe der Abstandsfläche von 0,4 H klar ein. Der mit Gesetz vom 23. Dezember 2020 und mit Wirkung vom 1. Februar 2021 (GVBl. S. 663) in weiten Teilen neue gefasste Art. 6 BayBO ist für die hier zu treffende Entscheidung die maßgebliche Fassung. Bei dem geltend gemachten Anspruch des Antragstellers, vom Antragsgegner die Einstellung der Bauarbeiten und die Stilllegung der Baustelle gegenüber der Beigeladenen zu 1) auf Basis des Art. 75 BayBO zu verlangen, handelt es sich um einen mit der Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) zu verfolgenden Anspruch, mit dem im Eilverfahren ein Antrag nach § 123 VwGO korrespondiert. In Verpflichtungskonstellationen ist der für die Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der gerichtlichen Entscheidung (W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Aufl. 2020, § 113 Rn. 217 ff.). Auch die Tatsache, dass in Ziffer 3.3 des Bebauungsplans Nr. 19 „Am Lerchenfeld“ angeordnet ist, dass „[b]ei der Ausnutzung der festgesetzten überbaubaren Grundstücksfläche bezüglich der Abstandsflächen die Bestimmungen des Art. 6 Abs. 5 Sätze 1 und 2 der BayBO [gelten]“, ändert hieran nichts. Zum einen, weil schon der Bebauungsplan nach Ansicht der Kammer unwirksam ist, zum anderen, weil selbst bei dessen unterstellter Wirksamkeit diese Anordnung nicht zur Geltung des „alten“, vor dem 1. Februar 2021 geltenden Abstandsflächenrechts führen würde (s. jeweils oben unter II. 2. c), bb) und cc)).
Die Tiefe der Abstandsfläche beträgt nach der neuen Fassung des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 0,4 H, mindestens aber 3 m. Durch einen Bebauungsplan kann gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO hiervon abgewichen werden, was aber wie ausgeführt gerade nicht der Fall ist. Die Tiefe der Abstandsfläche wiederum bemisst sich nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nach der Wandhöhe, die senkrecht zur Wand gemessen wird. Die Wandhöhe ist das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand, Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO. Das sich ergebende Maß ist gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 5 BayBO „H“. Die Abstandsfläche muss nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Vorhabengrundstück selbst liegen.
Das Haus 1, welches über ein Flachdach verfügt, weist eine Wandhöhe von 9,23 m (H) auf. Insofern beträgt die nötige Tiefe der Abstandsfläche nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO 3,69 m. Da der Abstand zwischen der zum Antragsteller zeigenden nördlichen Außenwand des Hauses 1 und der Grundstücksgrenze zwischen dem Vorhabengrundstück und dem des Antragstellers 6,77 m beträgt, ist die erforderliche Abstandsfläche nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO deutlich eingehalten. Das Haus 2 verfügt schon über keine Außenwand, die einer Grundstücksgrenze des Antragstellers gegenüberliegt.
Weitere drittschützende bauordnungsrechtliche Belange, die zulasten des Antragstellers berührt sein könnten, sind nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.
ff) Abschließend folgt auch kein Anspruch auf den Erlass einer Baueinstellungsverfügung nach Art. 75 Abs. 1 BayBO gegen den Antragsgegner, weil die Beigeladene im Sinne des Art. 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 b) BayBO bei der Ausführung des genehmigungsfreigestellten Vorhabens von den eingereichten Unterlagen abwiche. Dafür ist nichts ersichtlich und auch der Antragsteller rügt dies nicht, sondern macht nur geltend, dass die geplante Ausführung gegen den Bebauungsplan und das Abstandsflächenrecht verstoße.
d) Da bereits kein Anspruch auf die Einstellung der Bauarbeiten nach Art. 75 Abs. 1 BayBO besteht, scheidet auch ein Anspruch auf die Versiegelung der Baustelle nach Art. 75 Abs. 2 BayBO aus.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1, Abs. 3 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO. Nachdem sich die Beigeladene zu 1) durch einen eigenen Antrag und dazugehörigen Sachvortrag am Verfahren beteiligt und sich damit dem Kostenrisiko nach § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten ersetzt bekommt, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene zu 2) hat keinen Antrag gestellt, weshalb sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen muss.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 und 1.5 des aktuellen Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da die Baueinstellung hinsichtlich zweier Mehrfamilienhäuser begehrt wird, handelt es sich um zwei Anträge im Sinne der Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs. Pro Mehrfamilienhaus, hier jeweils dreistöckig mit je sechs Wohneinheiten, ist es gerechtfertigt einen Betrag von 10.000,00 EUR anzusetzen und sich damit von der unteren Grenze des durch Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs, der auch im Fall des begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens und nicht nur bei der Drittanfechtung einschlägig ist, aufgespannten Rahmens von 7.500,00 EUR bis 15.000,00 EUR abzusetzen, aber gleichzeitig gebührenden Abstand zur Höchstgrenze von 15.000,00 EUR zu wahren. Die jeweils neben der Baueinstellung (Art. 75 Abs. 1 BayBO) beantragte Stilllegung der Baustelle (Art. 75 Abs. 2 BayBO) ist nicht gesondert zu addieren, da sie keinen selbstständigen wirtschaftlichen oder materiellen Gehalt aufweist, sondern gleichsam ein Annex zu einer erfolgreichen Baueinstellungsanordnung wäre, vgl. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der sich so ergebende Streitwert von 20.000,00 EUR gemäß Nr. 1.5 um ½ herabzusetzen, also auf 10.000,00 EUR.


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