Baurecht

Erfolgloser Eilantrag eines Nachbarn auf Anordnug der auafschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage gegen eine Baugenehmigung

Aktenzeichen  15 CS 20.1832

Datum:
7.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24698
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 146
BayBO Art. 47 Abs. 1 S. 1, Art. 68 Abs. 4

 

Leitsatz

1. Die Vereinbarkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens mit einem (auch dinglich gesicherten) Geh- und Fahrtrecht Dritter ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung. Dies ergibt sich auch aus Art. 68 Abs. 4 BayBO, wonach die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. (Rn. 14) (red. LS Alexander Tauchert)
2. Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO, wonach bei der Errichtung baulicher Anlagen auch Stellplätze für Kraftfahrzeuge in der erforderlichen Anzahl herzustellen sind, ist nicht nachbarschützend. (Rn. 15) (red. LS Alexander Tauchert)

Verfahrensgang

Au 5 S 20.1070 2020-07-16 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich als Eigentümer eines benachbarten Grundstücks (FlNr. … der Gemarkung N …) gegen eine dem Beigeladenen durch Bescheid des Landratsamts Augsburg vom 25. Mai 2020 erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Nutzungsänderung eines Supermarkts in 9 Wohnungen und Ausbau einer Souterrainwohnung“ auf dem im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) gelegenen, westlich angrenzenden Baugrundstück (FlNr. … derselben Gemarkung).
Mit Beschluss vom 16. Juli 2020 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Eilantrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihrer am 26. Juni 2020 erhobenen und weiterhin anhängigen Klage auf Aufhebung der Baugenehmigung vom 25. Mai 2020 anzuordnen, ab. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, die Antragsteller könnten sich voraussichtlich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass durch das Bauvorhaben die Erschließung ihres Grundstücks beeinträchtigt werde. Insbesondere ergebe sich eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften nicht aus einer etwaigen Beeinträchtigung eines im Grundbuch zu ihren Gunsten als Eigentümer der FlNr. … eingetragenen Geh- und Fahrtrechts auf dem Baugrundstück. Soweit parkende Fahrzeuge, diverse Bauten sowie eine eventuelle Bepflanzung bzw. Einfassung die Zufahrt zu ihrem Grundstück behinderten bzw. versperrten, müssten die Antragsteller mögliche Abwehrrechte vor den Zivilgerichten geltend machen. Da auch sonstige Nachbarrechtsverstöße nicht ersichtlich seien, erweise sich die Klage in der Hauptsache voraussichtlich als erfolglos, sodass die im Rahmen des Eilverfahrens vorzunehmende Interessenabwägung zulasten der Antragsteller ausgehe.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzbegehren weiter. Sie tragen mit ihrer Beschwerdebegründung vor, die Realisierung des Nachweises diverser Stellplätze zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der geltenden Stellplatzsatzung sei nicht möglich, weil das hierfür benötigte Grundstück FlNr. … (nördlich des Baugrundstücks) nicht im Eigentum des Beigeladenen stehe; ein vormals begründetes Fahrzeugabstellrecht sei mit Beendigung der Geschäftstätigkeit des vormaligen Ladenbetriebs erloschen, sodass der Eigentümer des Grundstücks FlNr. … insoweit einen Unterlassungs- bzw. Löschungsanspruch habe. Speziell sie – die Antragsteller – seien durch den in den Bauvorlagen dargestellten Stellplatz Nr. 19 betroffen. Dieser liege vollständig in dem Bereich ihres grundbuchrechtlich gesicherten Geh- und Fahrtrechts; dasselbe treffe teilweise für den Stellplatz Nr. 18 zu. Selbst wenn die Beeinträchtigung des Geh- und Fahrtrechts als reine privatrechtliche Angelegenheit anzusehen sei, würde die Durchsetzung der dinglich gesicherten Dienstbarkeit bewirken, dass zumindest der Stellplatz Nr. 19 nicht genutzt werden könne, sodass auch deshalb der Beigeladene nicht in der Lage sei, die Anforderungen der Stellplatzsatzung einzuhalten. Entgegen früherer Versionen der Planunterlagen fehle im genehmigten Plan der Ausweis des Mülltonnenplatzes. Im ursprünglichen Eingabeplan sei dieser in dem Bereich vorgesehen gewesen, in welchem nunmehr die Stellplätze Nr. 20 und Nr. 21 eingetragen seien. Eine Planung entspreche aber nicht öffentlichen Vorschriften, wenn der Mülltonnenplatz aufgrund der baulichen Situation zwangsläufig an einer Stelle errichtet werden müsse, hinsichtlich dessen der Nachbar einen Unterlassungsanspruch habe, weil ein dinglich gesichertes Recht (Geh- und Fahrtrecht) entgegenstehe. Schließlich könne der Beigeladene eine in den Bauunterlagen nicht dargestellte, aber rechtlich gebotene energetische Ertüchtigung in Form der Anbringung einer Außendämmung nicht umsetzen. Denn auch insofern stünde dieser ihr Geh- und Fahrtrecht entgegen. Aufgrund des ihnen zustehenden Unterlassungsanspruchs werde der Beigeladene diesbezüglich öffentlich-rechtliche Anforderungen nicht einhalten können.
Die Antragsteller beantragen in der Sache,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. Juli 2020 die aufschiebende Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 25. Mai 2020 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerdebegründung zeige keine Rechtsfehler des angegriffenen Beschlusses auf.
Der Beigeladene hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgelehnt. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses.
Im Rahmen eines Verfahrens nach § 80a Abs. 3 i.V. mit § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, wenngleich nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Nach der im Verfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 146 VwGO gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage geht der Senat in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht nach Maßgabe der Beschwerdebegründung davon aus, dass die Anfechtungsklage der Antragsteller gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung voraussichtlich erfolglos sein wird. Nachbarn – wie hier die Antragsteller – können sich als Dritte auch im Verfahren gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn sich diese auf die Verletzung einer Norm berufen, die gerade ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 15 CS 19.1227 – juris Rn. 15; B.v. 9.6.2020 – 15 CS 20.901 – juris Rn. 23).
a) Soweit sich die Antragsteller aufgrund der Errichtung eines oder zweier Stellplätze, aufgrund der mutmaßlich künftigen Lage eines Mülltonnenplatzes und aufgrund aus ihrer Sicht erforderlich werdender Maßnahmen zur Einhaltung der Energieeffizienz an der Außenwand des geplanten Baukörpers weiterhin auf eine Beeinträchtigung ihres Geh- und Fahrtrechts berufen, scheidet – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – eine Verletzung von subjektiven Rechten gerade aufgrund der Baugenehmigung aus. Die Vereinbarkeit des streitgegenständlichen Bauvorhabens mit einem (auch dinglich gesicherten) Geh- und Fahrtrecht Dritter ist nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung. Dies ergibt sich auch aus Art. 68 Abs. 4 BayBO, wonach die Baugenehmigung unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird. Das bedeutet, dass über die Vereinbarkeit privater Rechte Dritter – wie vorliegend eines Geh- und Fahrtrechts auf dem Baugrundstück – mit dem Bauvorhaben im Baugenehmigungsverfahren nicht entschieden wird. Die Baugenehmigung sagt über solche Rechte nichts aus und wirkt sich demnach auf sie nicht belastend bzw. unzumutbar aus. Daher begründet ein solches privates Recht grundsätzlich auch kein Abwehrrecht des Nachbarn gegen die Baugenehmigung, sondern muss zivilrechtlich vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden (BayVGH, B.v. 25.11.2013 – 2 CS 13.2267 – juris Rn. 3 ff.; B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – juris Rn. 18; B.v. 1.6.2016 – 15 CS 16.789 – juris Rn. 15 ff., 18 f.; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 19; VG München, B.v. 1.8.2016 – M 11 SN 16.2976 – juris Rn. 22 ff.; U.v. 17.10.2018 – M 9 K 17.2673 – juris Rn. 23 ff.).
b) Soweit die Antragsteller einwenden, der Beigeladene könne die nach der örtlichen Stellplatzsatzung erforderlichen Stellplätze nicht nachweisen, weil der auf FlNr. … vorgesehene Parkplatz in fremdem Eigentum stehe und einzelne Stellplätze im westlichen Bereich des Baugrundstücks aufgrund eines Geh- und Fahrtrechts (s.o.) nicht nutzbar seien, vermag dies – unabhängig von der Einhaltung der (objektiv-) rechtlichen Vorgaben des Art. 47 BayBO und der örtlichen Stellplatzsatzung – keine subjektive Rechtsverletzung der Antragsteller zu begründen. Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayBO, wonach bei der Errichtung baulicher Anlagen auch Stellplätze für Kraftfahrzeuge in der erforderlichen Anzahl herzustellen sind, ist nicht nachbarschützend. Die Anforderungen an die Anzahl der notwendigen Stellplätze dienen vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr (vgl. BayVGH, B.v. 29.4.2015 – 2 ZB 14.1164 – juris Rn. 13; B.v. 15.2.2017 – 9 ZB 14.2230 – juris Rn. 4; Würfel in Simon/Busse, BayBO, Stand: Januar 2020, Art. 47 Rn. 242).
c) Ebenso wenig vermögen die Antragsteller aufzuzeigen, inwiefern im Baugenehmigungsverfahren zu prüfende Rechtsnormen verletzt sein könnten, die gerade i h r e m Schutz zu dienen bestimmt sind, soweit die Errichtung eines Mülltonnenplatzes bzw. aus ihrer Sicht erforderliche umzusetzende „Maßnahmen zur Erhaltung der Energieeffizienz des Bauprojekts“ an der Geltendmachung ihres Geh- und Fahrtrechts scheitern sollten.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Der Beigeladene trägt billigerweise seine außergerichtlichen Kosten selbst, weil er keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben