Baurecht

Erfolgloser Eilantrag gegen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses im Innenbereich

Aktenzeichen  M 9 SN 20.2188

Datum:
11.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30359
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2, § 113 Abs. 1  S. 1
BauGB § 34, § 212a Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 6

 

Leitsatz

1. Eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu (sehr viel niedrigeren) benachbarten Wohngebäuden in Betracht.(Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Verringerungen des Lichteinfalls bzw. Verschattungseffekte sind in der Regel als typische Folgen der Bebauung insbesondere in (dicht bebauten) innergemeindlichen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen.(Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es stellt generell keinen rechtlich relevanten Nachteil dar, wenn durch einen Neubau Einsichtsmöglichkeiten in bestehende Wohnbereiche geschaffen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag auf Eilrechtsschutz gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses (8 Wohneinheiten) mit Doppelparkgaragen und oberirdischen Stellplätzen.
Die Baugenehmigung bezieht sich auf das Grundstück FlNr. 907/1, Gemarkung U. (i.F. Vorhabengrundstück). Die Antragstellerin ist Eigentümerin des östlich vom Vorhabengrundstück gelegenen Grundstück FlNr. 907/6 der Gemarkung U.
Mit Bescheid vom 13. September 2019 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die streitgegenständliche Baugenehmigung für ein 8 Familienwohnhaus mit 4 Doppelparkgaragen und 3 oberirdischen Stellplätzen.
Die Antragstellerin hat durch ihren Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom … Oktober 2019 Klage gegen die Baugenehmigung erhoben und beantragte mit weiterem Schriftsatz vom … Mai 2020. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom …10.2019 gegen die Baugenehmigung vom 13.09.2019 wird angeordnet.
Zwischen dem Grundstück der Antragstellerin und dem Vorhabengrundstück bestehe eine gemeinsame Grundstücksgrenze. Die Beigeladene habe zwischenzeitlich mit der Ausführung des Vorhabens begonnen (Aushub Baugrube und Herstellung Bodenplatte). Im Zuge der Arbeiten seien massive Abgrabungen zum Grundstück der Antragstellerin hin vorgenommen worden. Die auf dem Grundstück der Antragstellerin befindliche Thujenhecke sei beschädigt worden. Es sei auch über die Grenze zwischen den beiden Grundstücken hinaus in das Grundstück der Antragstellerin hinein abgegraben worden. Der vorhandene Grenzstein sei ausgegraben worden. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig. Insbesondere sei das Gebot der Rücksichtnahme verletzt, denn das Vorhaben füge sich nach dem Maß der baulichen Nutzung in die nähere Umgebungsbebauung nicht ein. Das genehmigte Bauvorhaben bestehe aus Untergeschoss, Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss. Die nähere Umgebung sei jedoch geprägt von Gebäuden mit nur einem Obergeschoss. Vergleichbare Vorhaben befänden sich nicht in der näheren Umgebung. Vom Bauvorhaben bzw. den Balkonen werde aufgrund der Höhe des Vorhabens Einblick in das Wohnhaus der Antragstellerin möglich. Es befänden sich auf der westlichen Seite des Wohnhauses der Antragstellerin mehrere Fenster, davon ein Badfenster, welches einsehbar werde. Aufgrund des Ausmaßes des Bauvorhabens sei das Grundstück der Antragstellerin einer massiven Verschattung ausgesetzt und von der Besonnung aus südwestlicher Richtung abgeschnitten. Von dem Bauvorhaben gehe eine erdrückende Wirkung aus. Das Vorhaben befinde sich zudem in einem grundwassersensiblen Bereich. Es können nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Vorhaben insofern zulasten der Antragstellerin auswirke. Darüber hinaus fänden Grenzverletzungen statt. Die Beigeladene akzeptiere die Grundstücksgrenzen nicht. Es sei daher auch anzunehmen, dass die Beigeladenen die Grundstücksgrenze auch nicht im Hinblick auf die einzuhaltenden Abstandsflächen anerkennen werde.
Mit weiterem Schriftsatz vom *. Juli 2020 teilte der Bevollmächtigte der Antragstellerin mit, dass zwischenzeitlich durch das Vermessungsamt eine Wiederherstellung der Grundstücksgrenze vorgenommen worden sei. Die neu gesetzten Grenzpunkte zeigten, dass die Beigeladene von einer falschen Grundstücksgrenze ausgegangen sein dürfte, mithin wohl die Abstandsflächen nicht eingehalten worden seien.
Mit Schriftsatz vom …Juli 2020 übermittelte der Bevollmächtigte der Antragstellerin das Grenzverhandlungs- und Abmarkungsprotokoll des Vermessungsamtes vom 29. Juni 2020. Daraus ergebe sich der tatsächliche Grenzverlauf. Die Durchführung eines Ortstermins werde beantragt. Es sei zudem nicht nachvollziehbar, wie eine korrekte Einmessung ohne vorherige Festlegung des Grenzverlaufs erfolgt sein solle. Seitens der Antragstellerin werde bezweifelt, dass das 16-Meter-Privileg aus Art. 6 Abs. 6 BayBO eingehalten werde.
Mit Schriftsatz vom 10. Juni 2020 beantragte die Beigeladene, den Antrag der Klägerin in deren Schriftsatz vom …05.2020 zurückzuweisen.
Die Baugenehmigung verletzte die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Das Maß der baulichen Nutzung sei schon nicht drittschützend. Auch das Rücksichtnahmegebot sei nicht verletzt. Die Beigeladenen habe aufgrund der seitens der Antragstellerin erhobenen Vorwürfe das Rohbauunternehmen beauftragt, eine Inaugenscheinnahme durchzuführen. Die Behauptungen der Antragstellerin seien demnach unwahr. Zur Grenze der Antragstellerin werde im Zuge der Arbeiten ein Abstand von mehr als einem Meter eingehalten. Im Übrigen würde eine eventuelle Abgrabung im Bereich des Grundstücks der Antragstellerin, deren tatsächliches Vorliegen unterstellt, gegebenenfalls zivilrechtliche Ansprüche nach sich ziehen. Die erteilte Baugenehmigung werde dadurch nicht in Frage gestellt.
Ergänzend trug die Beigeladene mit Schriftsatz vom 24. Juli 2020 vor, dass die Abstandsflächen durch das Bauvorhaben eingehalten würden. Es sei seitens der Antragstellerin im Übrigen auch nicht glaubhaft gemacht, dass durch die Realisierung des Bauvorhabens planabweichend Abstandsflächen verletzt würden.
Mit Schriftsatz vom 8. Juli 2020 beantragte die Antragsgegnerin, den Antrag abzulehnen.
Das Bauvorhaben befinde sich im nicht überplanten Innenbereich, weshalb die bauplanungsrechtliche Beurteilung nach § 34 BauGB vorgenommen worden sei. Die Umgebungsbebauung entspreche einem allgemeinen Wohngebiet. Dem Maß der baulichen Nutzung komme keine drittschützende Wirkung zu. Nachbarn würden durch einen Verstoß gegen § 34 Abs. 1 BauGB nur dann verletzt, wenn gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme verstoßen werde. Dies sei vorliegend jedoch schon deshalb unter dem Blickwinkel der vorgetragenen Verschattung, Besonnung und Einsichtsmöglichkeiten nicht gegeben, da das Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO einhalte. Die monierten Grenzverletzungen und die Frage des tatsächlichen Grenzverlaufs seien nicht Gegenstand der bauaufsichtlichen Genehmigung, sondern eine Frage des Zivilrechts. Im Übrigen sei auf Ersuchen des Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom … Mai 2020 (Bl. 55 ff. der BA) die Einmessbescheinigung der … … Planungsgesellschaft mbH vom 28. Mai 2020 und Absteckskizze vorgelegt worden. Darüber hinaus habe eine Baukontrolle am 28. Mai 2020 keine augenscheinlichen Abweichungen zu den genehmigten Plänen ergeben (Bl. 62 ff. der BA). Auch eine nochmalige Baukontrolle am 7. Juli 2020 mit dem zuständigen Vermessungsingenieur habe keinerlei Abweichungen von den genehmigten Plänen ergeben. Das Gebäude halte wie in der Einmessbescheinigung vom 6. Mai 2020 dokumentiert einen Grenzabstand von 4,84 m nach Osten zum Grundstück der Antragstellerin FlNr. 907/6 und 4,53 m nach Norden ein. Dies entspreche den angegebenen Grenzabständen in den genehmigten Plänen. Auch die Höhenlage sei kontrolliert worden.
Mit weiterem Schriftsatz vom 10. August 2020 ergänze die Antragsgegnerin ihre Ausführungen dahingehend, dass hinsichtlich der Wiederherstellung eines Grenzpunktes erneut auf die im Juli 2020 mit dem zuständigen Vermessungsingenieur der Planungsgesellschaft mbH stattgefundene Baukontrolle nach der Grenzwiederherstellung am 29. Juni 2020 verwiesen werde. Nach dem Abmarkungsprotokoll vom 29. Juni 2020 sei festgehalten worden, dass die überprüften und festgestellten Grenzpunkte mit dem Katasternachweis übereinstimmen. Es sei deshalb nicht ersichtlich, inwieweit die mittels Geodaten per GPS dokumentierte Einmessbescheinigung vom 5. Juni 2020 nicht korrekt sein solle.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte sowie die Gerichtskate verwiesen.
II.
Der Antrag ist zulässig aber unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB ganz oder teilweise anordnen. Es trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung dahingehend, ob das öffentliche und das private Vollzugsinteresse der Bauherrin oder das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt. Die vorzunehmende Interessenabwägung orientiert sich maßgeblich an den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs.
Eine Inaugenscheinnahme war vorliegend im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der Sachaufklärung einerseits und der Eilbedürftigkeit andererseits nicht geboten, da bereits nach Aktenlage kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die aktuellen Grenzverläufe von den der Baugenehmigung zugrundegelegten Grenzverläufen abweichen. Denn ausweislich des vorgelegten Abmarkungsprotokolls vom 29. Juni 2020 stimmen die überprüften und festgestellten Grenzpunkte mit dem Katasternachweis überein und ergab auch eine Baukontrolle nach der Grenzwiederherstellung am 29. Juni 2020 keine Abweichung von den genehmigten Plänen.
Die Drittanfechtungsklage wird voraussichtlich erfolglos bleiben. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin nach summarischer Prüfung nicht in subjektivöffentlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen eine Baugenehmigung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Baugenehmigung Vorschriften verletzt, die dem Schutz des Dritten zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im vorliegenden gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung beschränkt sich vielmehr darauf, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln und die im Baugenehmigungsverfahren prüfungsgegenständlich sind, verletzt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris; VG München, B.v. 7.9.2016 – M 1 SN 16.3556 – juris).
1. Das Vorhaben befindet sich ausweislich der Planunterlagen sowie der vorgelegten Akten im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, das streitgegenständliche Vorhaben füge sich im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebungsbebauung ein, führt dieser Einwand schon von vornherein nicht zu einer Rechtverletzung der Antragstellerin, da dem Maß der baulichen Nutzung keine drittschützende Funktion zukommt (vgl. hierzu z.B. BVerwG B. v. 19.10.1995, Az.: 4 B 215/95, RdNr. 3 – juris; VG München Beschluss vom 12.07.2010, Az.: M 8 SN 10.2346, RdNr. 53 – juris; VG München B. v. 1.12.2011 – 8 SN 11.5205 – juris).
2. Eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin im Hinblick auf die grundsätzlich Drittschutz vermittelnden Vorschriften des Abstandsflächenrechts (Art. 6 BayBO) ist nach der im Eilrechtsschutz gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung nicht ersichtlich. Ausweislich der vorgelegten Genehmigungsunterlagen, insbesondere des Eingabeplans „Flächengestaltung und Abstandsflächen“ sind die Vorgaben des Art. 6 BayBO unter Berücksichtigung des 16-Meter-Privilegs gemäß Art. 6 Abs. 6 BayBO eingehalten. Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vorträgt, es werde bezweifelt, dass das 16-Meter-Privileg durch das streitgegenständliche Bauvorhaben eingehalten werde, gehen die Ausführungen des Bevollmächtigten über die bloße Behauptung bzw. den Vortrag seiner Zweifel nicht hinaus. Es wurde weder substanziell dargelegt noch ist es für das Gericht anderweitig ersichtlich, weshalb durch das Vorhaben die Abstandsflächen nicht eingehalten werden sollten. Das seitens des Antragstellerbevollmächtigten vorgelegte Abmarkungsprotokoll sowie der Katasterauszug, erstellt am 27. Juli 2020, können Zweifel im Hinblick auf die Einhaltung der Abstandsflächen bzw. die Berechnung in den genehmigten Unterlagen nicht begründen. Denn ausweislich des Abmarkungsprotokolls stimmen die überprüften bzw. festgestellten Grenzpunkte mit dem Katasternachweis überein. Dies entspricht im Übrigen dem Ergebnis, zu dem die Antragsgegnerin in den Vorortkontrollen auch unter Hinzuziehung des zuständigen Vermessungsingenieurs gekommen ist. Der Einwand des Antragstellerbevollmächtigten, dass nicht klar sei, wie eine korrekte Einmessung des Bauvorhabens erfolgt sein könne, ohne dass der konkrete Grenzverlauf festgelegt worden sei, ist ebenfalls nicht beachtlich. Denn jedenfalls wurde die Einmessung entsprechend den bisher geltenden (Grenz)-Verläufen und unter Zugrundelegung des Katasterauszugs vorgenommen, was nach den vorgelegten Unterlagen auch der tatsächlichen Realität entspricht.
3. Auch das Gebot der Rücksichtnahme, welches sich im unbeplanten Innenbereich, wie hier, aus dem Merkmal des „Einfügens“ ergibt (Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 34, Rn. 48 ff.), ist im vorliegenden Fall nicht verletzt. Eine unzumutbare Beeinträchtigung durch Verschattung bzw. im Hinblick auf eine Beeinträchtigung der Sonneneinstrahlung oder der Einsehbarkeit ist nach summarischer Prüfung und unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragstellerin nicht ersichtlich. Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt drittschützende Wirkung zu, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BverwGE 148, 290 ff = juris, Rn. 21 m.w.N.). Nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Das Gebot der Rücksichtnahme soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Genehmigungsbehörde in qualifizierter und individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten hat. Die Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und was dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Begünstigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).
Ein Indiz für die fehlende Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist vorliegend bereits der Umstand, dass die Abstandsflächen des Bauvorhabens eingehalten sind. Denn eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (Indizwirkung). In diesem Fall ist grundsätzlich davon auszugehen, dass der Landesgesetzgeber die diesbezüglichen nachbarlichen Belange und damit das diesbezügliche Konfliktpotenzial in einen vernünftigen und verträglichen Ausgleich gebracht hat (vgl. statt aller BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris, Rn. 29 m.w.N.).
Aber auch unabhängig davon ist unter Berücksichtigung der vorgebrachten tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls nach summarischer Prüfung eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ersichtlich.
Für eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung trotz Einhaltung der Abstandsflächen bestehen keine Anhaltspunkte. Denn eine erdrückende Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Bauvolumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu (sehr viel niedrigeren) benachbarten Wohngebäuden in Betracht. (vgl. BVerwG, U.v. 31.3.1981 – 4 C 1.78 – juris, Rn. 33f.: Hochhaus mit zwölf Geschossen im Abstand von 15 m zu einem Wohnhaus mit zweieinhalb Geschossen; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris, Rn. 15 : mehrere Siloanlagen mit einer Höhe von 11,50 m im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohngebäude; BayVGH, B.v. 5.2.2015 – 2 CS 14.2456 – juris Rn. 33: keine erdrückende Wirkung eines ca. 160 m langen Baukörpers mit einer Höhe von 6,36 m bis 10,50 m und einem Abstand von 13 – 16 m zum Gebäude des Nachbarn). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine erdrückende Wirkung durch das Vorhaben unter keinem Umstand erkennbar. Denn die Abstandsflächen sind eingehalten. Das Vorhaben hält ausweislich der vorgelegten Unterlagen einen Grenzabstand von 4,84 m nach Osten zum Grundstück der Antragstellerin ein. Die abstandsflächenrechtlich maßgebliche Wandhöhe von 6,50 m und Firsthöhe von fast 11 m bewegen sich in keinem überdimensionierten Bereich. Die der Antragstellerin zugewandte Seite hat eine Länge von fast 9 m und wird durch den Rücksprung (nach etwa 5 m) weg von dem Grundstück der Antragstellerin aufgelockert. Eine erdrückende Wirkung kann hierin nicht gesehen werden. Insofern hat der Antragstellerbevollmächtigte über die bloße Behauptung hinaus auch keine weiteren substanziellen Umstände vorgetragen, die eine andere Beurteilung rechtfertigen würden.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus der seitens der Antragstellerin vorgebrachten Verschattung ihres Grundstücks durch das Bauvorhaben. Denn ganz allgemein ist insofern zu berücksichtigen, dass das Gebot der Rücksichtnahme dem Grundstückseigentümer nicht das Recht gibt, von jeder (ggf. auch rechtswidrigen) Veränderung auf dem Nachbargrundstück verschont zu bleiben. Vielmehr kommt es darauf an, inwieweit die Nutzung des Nachbargrundstücks durch das Vorhaben tatsächlich unzumutbar beeinträchtigt wird. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalls. Darüber hinaus ist speziell in Bezug auf die Frage der Verschattung zu berücksichtigen, dass die Anforderungen, um die Verletzung des Rücksichtnahmegebots insofern zu begründen, hoch sind. Denn Verringerungen des Lichteinfalls bzw. Verschattungseffekte sind in der Regel als typische Folgen der Bebauung insbesondere in (dicht bebauten) innergemeindlichen Lagen bis zu einer im Einzelfall zu bestimmenden Unzumutbarkeitsgrenze hinzunehmen (BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris, Rn. 31 f. m.w.M.) Dies zugrunde gelegt, ist die Unzumutbarkeitsgrenze im vorliegenden Einzelfall nicht überschritten, zumal die Abstandsflächen durch das Vorhaben eingehalten sind. Spezielle Umstände, die vorliegend zu einem anderen Ergebnis führen könnte wurden seitens der Antragstellerin schon nicht dargelegt. Auch der Umfang der behaupteten Verschattung, diese als gegeben unterstellt, bleibt völlig unklar.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich zuletzt auch nicht aus der vorgetragenen Einsehbarkeit. Denn es stellt generell keinen rechtlich relevanten Nachteil dar, wenn durch einen Neubau Einsichtsmöglichkeiten in bestehende Wohnbereiche geschaffen werden (B. v. 14.3.1990 – 8 S 2599/89 – VBlBW 1990, 428; vgl. auch: BVerwG, U. v. 6.10.1989 – 4 C 14.87 – BVerwGE 82, 343; U. v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – BauR 1994, 354; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.10.2003 – 5 S 138/03 – VBlBW 2004, 146; VGH Mannheim B. v. 3.3.2008 – 8 S 2165/07, BeckRS 2008, 33484 Rn. 8, beckonline). Trifft eine Wohnnutzung auf eine vorhandene Wohnnutzung, dann kommt unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsart ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen in Betracht (vgl. BayVGH B. v. 12.09.2005 Az. 1 ZB 05.42 BayVBl. 2006, 374, RdNr. 19 – juris). Das Rücksichtnahmegebot gibt dem Nachbarn insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. BayVGH B. v. 12.09.2005 a. a. O.; Sächs. OVG vom 23.2.2010 Az. 1 B 581/09 RdNr. 5 – juris). Im vorliegenden Einzelfall ist eine Unzumutbarkeit der entstehenden Einsichtmöglichkeiten durch das Vorhaben unter Berücksichtigung der Abstände zur Grundstücksgrenze und der Einhaltung der Abstandsflächen (s.o.) nicht erkennbar. Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidlich. Die – auch insoweit gegenseitig – Betroffenen, so auch die Antragstellerin im Badbereich, können sich durch das Anbringen von Jalousien, Vorhängen oder verspiegelten Fenstern behelfen (vgl. hierzu auch ausführlich OVG Münster, U.v. 8.4.2020 – 10 A 352/19 – BeckRS 2020, 10287, Rn. 28 ff.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblickmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich.
Was die seitens des Antragstellerbevollmächtigten vorgetragene Grundwasserproblematik anbelangt ist schon nicht dargetan und für das Gericht auch nicht ersichtlich, inwieweit dies im vorliegenden Fall die Rechte der Antragstellerin unter Berücksichtigung des Gebots der Rücksichtnahme verletzten soll.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat beantragt den Antrag abzulehnen und sich damit in ein Kostenrisiko begeben. Es entspricht der Billigkeit ihre außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung fußt auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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