Baurecht

Erfolgreicher Nachbareilantrag wegen mangelnder Bestimmtheit einer Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 1 SN 19.2009

Datum:
30.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21914
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2, 80 Abs. 5 S. 1
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Der sog. Gebietserhaltungsanspruch gehört zu den nachbarschützenden städtebaulichen Rechten, der in einem Gebiet, in dem die Art der baulichen Nutzung einem der Gebiete der BauNVO entspricht, gewährleistet, dass dort keine gebietsfremden Nutzungen angesiedelt werden. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Rosenheim vom 26. März 2019 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich als Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 1432/39 Gemarkung … gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. März 2019 für den Anbau an eine bestehende Doppelhaushälfte auf dem Grundstück FlNr. 1432/49 Gemarkung … Zwischen beiden Grundstücken verläuft die B.straße.
Unter dem 31. Januar 2019 beantragte der Beigeladene eine Baugenehmigung zum „Anbau an bestehende Doppelhaushälfte“. Nach dem genehmigten Plan soll der Anbau an der Westseite der auf der FlNr. 1432/49 bestehenden Doppelhaushälfte errichtet werden. Auf dem Raum ist im Obergeschoß eine Terrasse vorgesehen, ferner eine Terrasse über dem bereits bestehenden erdgeschossigen Raum auf der Südseite des Anwesens. In der mit dem Bauantrag eingereichten Baubeschreibung heißt es bei der Beschreibung der Flächenaufteilung „Anbau EG: Studio gewerbl. Nutzfläche 20m²“.
Die Gemeinde beurteilt die nähere Umgebung nach „Aufhebung des Bebauungsplans Nr. 49 Stadtquartier Wendelsteinstraße durch Urteil des Verwaltungsgerichts“ als faktisches allgemeines Wohngebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO und hat mit Beschluss des Bauausschusses vom 12. März 2019 ihr Einvernehmen erteilt. In der Sitzungsvorlage des Bauausschusses heißt es ausdrücklich, dass der Anbau gewerblich als …studio genutzt werden soll.
Mit Bescheid vom 26. März 2019, der Antragstellerin zugestellt am 28. März 2019, erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung zum Anbau an eine bestehende Doppelhaushälfte. Die Nutzung des Anbaus findet in der Genehmigung ebenso wenig Erwähnung wie im Bauantrag.
Die gegen die Baugenehmigung vom … März 2019 gerichtete Klage (M 1 K 19.1990) ging am 26. April 2019 bei Gericht ein. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage folgte am … April 2019. Zur Begründung von Klage und Antrag macht die Klägerin und Antragstellerin geltend, die Baugenehmigung sei rechtswidrig und verletzte sie in ihren subjektiven Nachbarrechten. Auch wenn sie von dem Baugrundstück durch die B.straße getrennt sei, liege sie im direkten Einwirkungsbereich der genehmigten baulichen Anlage und sei deshalb klage- und antragsbefugt. Der Gebietserhaltungsanspruch sei verletzt. Es handle sich um ein faktisches reines Wohngebiet i.S.d. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 BauNVO. Alle Häuser in der näheren Umgebung würden ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt. Das genehmigte Studio sei keine Anlage, die nach § 3 Abs. 3 BauNVO in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zugelassen werden könne. Selbst wenn es sich um einen nicht störenden Handwerksbetrieb i.S.d. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO handeln solle, diene dieser nicht der Deckung des täglichen Bedarfs der Bewohner des Gebiets. Auch verstoße die Genehmigung gegen § 13 BauNVO, denn es handle sich nicht um einen Anbau, sondern eigentlich um ein selbständiges Gebäude, welches selbständig als Studio genutzt werden solle. Auch widerspreche das Vorhaben dem Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 BauGB, denn der Anbau habe erdrückende Wirkung und füge sich wegen der Dachterrasse nicht in die nähere Umgebung ein, weil diese unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten in das Haus der Antragstellerin schaffe. Auch sei die Baugenehmigung im Hinblick auf die Nachbarauswirkungen nicht hinreichend bestimmt. Die Baugenehmigung und die Bauvorlagen legten den Gegenstand und den Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig fest, weshalb eine Nachbarrechtsverletzung nicht abschließend beurteilt werden könne. Insbesondere fehle eine Betriebsbeschreibung. Die Baugenehmigung selbst gehe auf die geplante gewerbliche Nutzung überhaupt nicht ein. In Nr. 9 der Baubeschreibung werde aber eine gewerbliche Nutzfläche von 20 m² angegeben. Auch die Stellplatzberechnung weise auf eine gewerbliche Nutzung hin.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung vom 26. März 2019 zur Errichtung eines Anbaus auf dem Grundstück FlNr. 1432/49 Gemarkung … wird angeordnet.
Der Antragsgegner verteidigt seinen Bescheid und beantragt,
der Antrag wird abgelehnt.
Aus Sicht des Landratsamts sei davon auszugehen gewesen, dass der Anbau an das bestehende Wohnhaus ausschließlich Wohnzwecken dienen solle. Eine Nutzungsänderung sei nicht beantragt worden. Lediglich in der Sitzungsvorlage der Gemeinde sei erwähnt gewesen, dass der Anbau als …studio genutzt werden solle. Im Rahmen der persönlichen Vorsprache im Landratsamt habe der Beigeladene erwähnt, dass er den Anbau zu einem späteren Zeitpunkt eventuell gewerblich nutzen wolle. Dies sei jedoch noch nicht jetzt der Fall. Als Erweiterung der Wohnfläche sei das Vorhaben sowohl im allgemeinen wie auch im reinen Wohngebiet zulässig. Es füge sich auch im Übrigen ein. Nach der Darlegung der Gemeinde handele es sich um ein allgemeines Wohngebiet i.S.d. § 4 BauNVO.
Der Beigeladene trägt vor, die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem allgemeinen Wohngebiet. An der Stelle des geplanten Anbaus befinde sich bereits jetzt ein größerer Holzschuppen mit den Maßen 3,3 m x 7,3 m. Mit dem angegriffenen Bescheid sei eine reine Wohnnutzung genehmigt worden. Es treffe zu, dass der Beigeladene in einem Gespräch beim Landratsamt mitgeteilt habe, dass der Anbau ggfs. zu einem späteren Zeitpunkt evtl. gewerblich genutzt werden solle. Darüber müsse man aber in Zukunft noch gesondert entscheiden. Nachbarschützende Rechte der Klägerin, insbesondere der Gebietserhaltungsanspruch, seien nicht verletzt. Dabei sei es unerheblich, dass der Anbau über eine eigene Treppe und eine eigene Tür zu erreichen sein solle. Eine erdrückende Wirkung sei nicht gegeben und es würden auch keine unzumutbaren Einsichtsmöglichkeiten in das Grundstück der Antragstellerin geschaffen. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bestehe somit nicht, so dass der Antrag insoweit zurückzuweisen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im Antrags- und im Klageverfahren sowie auf die Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat in der Sache Erfolg. Die Baugenehmigung vom 26. März 2019 verletzt die Klägerin voraussichtlich in Ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Nach § 212a Abs. 1 BauGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung einen Rechtsbehelf ein, so kann das Verwaltungsgericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug der Baugenehmigung sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Hauptsache, wie sie sich aufgrund der gebotenen aber auch ausreichenden summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz darstellen, als Indiz heranzuziehen. Wird die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben, so überwiegt regelmäßig das öffentliche Interesse am Sofortvollzug, weil kein schutzwürdiges Interesse daran besteht, von dem Vollzug eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben. Ist die Klage dagegen nach summarischer Prüfung begründet, überwiegt in der Regel das Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung, denn es besteht kein Interesse an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes (vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80, Rn. 88, 90 ff.).
2. Gemessen hieran fällt die Interessensabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus, denn ihre Klage hat voraussichtlich Erfolg.
a) Eine Nachbarklage, wie die der Antragstellerin, hat nicht bereits dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung sich objektiv als rechtswidrig herausstellt. Vielmehr kann ein Nachbar nur mit Erfolg gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung vorgehen, wenn er hierdurch in subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird, die gerade auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind. Damit ein Nachbar dies prüfen kann, muss die Baugenehmigung hinreichend bestimmt gerade auch im Hinblick auf die Beurteilung der Verletzung nachbarschützender Rechte sein. Daran fehlt es hier.
b) Die Baugenehmigung vom 26. März 2019 ist nicht hinreichend bestimmt i.S.d. Art. 37 Abs. 1 VwVfG, so dass für die Antragstellerin als Nachbarin eine verlässliche Einschätzung der Wahrung oder Verletzung ihrer Rechte im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung nicht möglich ist. Die Unbestimmtheit ist deshalb nachbarrechtlich erheblich (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2009 – 1 CS 09.221 – juris Rn. 24).
Zu den nach ganz herrschender Auffassung nachbarschützenden städtebaulichen Rechten gehört der sog. Gebietserhaltungsanspruch, der in einem Gebiet, in dem die Art der baulichen Nutzung einem der Gebiete der §§ 2 ff. BauNVO entspricht gewährleistet, dass dort keine gebietsfremden Nutzungen angesiedelt werden. Die Antragstellerin kann sich hierauf berufen. Der Gebietserhaltungsanspruch gilt sowohl in durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebieten wie auch in Bezug auf faktische Baugebiete gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. den Vorschriften der §§ 2 ff. BauNVO (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151-163 – juris). Der hierdurch gewährte bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Im Rahmen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses kann das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des (faktischen) Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindert werden. Der Grundsatz, dass sich ein Nachbar im Plangebiet auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden kann, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG, B.v. 18.12.2007 – BVerwG 4 B 55.07 – BayVBl 2008, 765 f. – juris), lässt sich auf den Nachbarschutz in einem faktischen Baugebiet übertragen (BVerwG, B.v. 22.12.2001 – 4 B 32.11 – juris Rn. 5).
Der Bauantrag des Beigeladenen ist bezüglich der beabsichtigten Art der baulichen Nutzung in sich widersprüchlich und unbestimmt. Dass der Beigeladene möglicherweise eine gewerbliche Nutzung plant, geht aus der Behördenakte hervor, ohne dass es in den Antragsunterlagen oder der Baugenehmigung selbst eindeutig festgelegt wäre. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, durch wen, warum und zu welcher Zeit die Bezeichnung des Vorhabens auf Seite 1 des Antragsformulars und auf dem Plan durch Streichung mit Bleistift von „Anbau und Aufstockung einer bestehenden Doppelhaushälfte“ in „Anbau an bestehende Doppelhaushälfte“ geändert wurde, lässt diese Bezeichnung wegen der Bezugnahme auf die Doppelhaushälfte den Schluss zu, dass es sich um einen Anbau zu Wohnzwecken handelt. Nach dem genehmigten Plan soll der Anbau 4,00 m x 6,01 m messen und damit 24,04 m² groß sein. Die Wandhöhe beträgt hiernach 2,71 m. Daraus errechnet sich ein Rauminhalt von 65,15 m³. Irgendwelche Hinweise auf die im Anbau vorgesehene Nutzungsart ergeben sich aus dem Plan nicht. In der Baubeschreibung heißt es unter Nummer 9. „Wohnfläche 141,41 m², gewerbliche Nutzfläche 20 m², Bruttorauminhalt Anbau und Aufstockung 193,3 m³. In der Flächenaufstellung des Architekten wird für den Anbau „Studio gewerbliche Nutzfläche 20 m²“ angegeben. Es existieren i.Ü. in der Akte mehrere Blätter zur Flächenaufstellung mit unterschiedlichen Angaben zum Bestand des Dachgeschosses sowie zu den anzurechnenden Flächen der Terrassen, ohne dass gekennzeichnet wäre, welche der Versionen den genehmigten Zustand wiedergibt. In allen Varianten ist aber die Angabe zur gewerblichen Nutzung des 20 m² großen Studios identisch.
Hieraus ergeben sich Widersprüche. In der Flächenaufstellung und teilweise in der Baubeschreibung ist von einer „Aufstockung“ die Rede, welche auf Seite 1 des Antragsformulars und auf dem Plan gestrichen wurde. Bereits der Rauminhalt entspricht nicht dem nach dem genehmigten Plan weit geringeren Umfang. Die Angabe „Studio gewerbliche Nutzfläche 20 m²“ weist – entgegen dem, was die Bezeichnung des Vorhabens als „Anbau an eine bestehende Doppelhaushälfte“ vorgibt – darauf hin, dass das streitige Vorhaben zumindest teilweise nicht zur Wohn-, sondern zur gewerblichen Nutzung vorgesehen ist. Dies wird bestätigt durch die Niederschrift über die Sitzung des Bauausschusses der Stadt … vom 12. März 2019, in der bei der Sachverhaltsdarstellung angegeben wird, der Anbau „mit einer Größe von 25,72 m²“ solle als …studio genutzt werden. Auch die Flächenangaben stimmen im Übrigen nicht überein. Aus der Vermassung im genehmigten Plan errechnet sich eine Größe des Anbaus von 24,04 m², was weder der Angabe zur Größe der gewerblichen Nutzungseinheit (20 m²) noch der Annahme des Bauausschusses der Stadt … (25,72 m²) entspricht.
c) Der Bauantrag und folglich auch die Baugenehmigung ist deshalb unter anderem in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung nicht bestimmt genug im Sinne von Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Der Baugenehmigungsbescheid vom 26. März 2019 zum „Anbau an best. Doppelhaushälfte“ trägt nicht zur Klärung bei, denn er verfügt lediglich, dass der Bauantrag nach Maßgabe der eingereichten Bauvorlagen im vereinfachten Verfahren genehmigt wird. Der Widerspruch in den eingereichten Bauvorlagen, zu denen nach § 9 BauVorlV auch die Baubeschreibung gehört, in der die Nutzung des Bauvorhabens zu erläutern ist, wird weder angesprochen noch aufgelöst. Dass es sich bei der eventuellen gewerblichen Nutzung um ein …studio handeln soll, wird im Bauantrag nicht erwähnt. Weder aus dem Bauantrag noch aus der Genehmigung ergibt sich, welche Art der „gewerblichen Nutzung“ beabsichtigt ist. Auf welcher Tatsachengrundlage und aufgrund wessen Angaben der Bauausschuss der Stadt … von einem …studio ausging, lässt sich nicht nachvollziehen. An einer Betriebsbeschreibung zu der laut Baubeschreibung beabsichtigten gewerblichen Nutzung fehlt es ebenfalls. Diese ist bei gewerblichen Vorhaben gerade dazu erforderlich, um das Störpotential der beabsichtigten Gewerbenutzung im Hinblick auf Gebietsverträglichkeit und Nachbarschutz beurteilen zu können.
Eine gewerbliche Nutzung kommt sowohl in allgemeinen Wohngebieten gemäß § 4 BauNVO wie auch in reinen Wohngebieten nach § 3 BauNVO nur sehr eingeschränkt in Betracht und ist potentiell geeignet, dort den Gebietserhaltungsanspruch zu verletzen, denn beide Gebiete dienen kraft Gesetzes vorwiegend bzw. ausschließlich dem Wohnen. Die Antragstellerin und Klägerin kann aufgrund der Baugenehmigung nicht beurteilen, ob und welche gewerbliche Nutzung genehmigt wurde und ggfs. in welchem Umfang. Es ist ihr deshalb aufgrund der unbestimmten Baugenehmigung nicht möglich, zu beurteilen, ob die beabsichtigte Nutzung ihren Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
d) Auf die Frage, welchem städtebaulichen Bereich das Baugrundstück und das Grundstück der Antragstellerin zuzuordnen sind, muss hier nicht näher eingegangen werden, denn die obigen Ausführungen gelten unabhängig davon, ob ein faktisches oder ein festgesetztes Wohngebiet vorliegt und unabhängig davon, ob es sich um ein reines oder ein allgemeines Wohngebiet handelt. Richtig ist, dass das Verwaltungsgericht München in seinem Urteil vom 12. April 2016 (M 1 K 14.5307) davon ausging, dass der Bebauungsplan Nr. 49 der Stadt … an einem materiell-rechtlichen Abwägungsmangel (vgl. § 1 Abs. 7 BauGB) leidet, weil im Rahmen der Planung der zwischen dem festzusetzenden Gewerbegebiet und der westlich und nördlich beinahe unmittelbar angrenzenden Wohnbebauung bestehende Immissionskonflikt nicht hinreichend gelöst und damit dem Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG nicht angemessen Rechnung getragen wurde. Allerdings hat das Verwaltungsgericht damals den Bebauungsplan nicht „aufgehoben“, sondern lediglich von seiner Inzidentverwerfungskompetenz inter partes Gebrauch gemacht. Eine Aufhebung des Bebauungsplans kann nur die Gemeinde selbst vornehmen (vgl. § 1 Abs. 8 BauGB). Mit Wirkung inter omnes für unwirksam erklären kann einen Bebauungsplan aber nicht das Verwaltungsgericht, sondern ausschließlich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens i.S.d. § 47 VwGO. Eine solche Entscheidung liegt hier nicht vor. Der Bebauungsplan ist deshalb wohl noch wirksam; seine Nichtanwendung durch die Bauaufsichtsbehörde im zu entscheidenden Fall ist nicht durch eine Inzidentverwerfungskompetenz gedeckt.
Auch die Übrigen von den Beteiligten aufgeworfenen Fragen können dahingestellt bleiben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; dem Beigeladenen können keine Kosten auferlegt werden, weil er keinen Sachantrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO). Aus diesem Grund entspricht es auch der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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