Baurecht

Erforderlichkeit der Bauleitplanung

Aktenzeichen  AN 3 K 18.01948

Datum:
12.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 23595
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 3, § 29 Abs. 1, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1, § 215 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6,Art. 63 Abs. 1
WEG § 3 Abs. 2
VwGO § 154 Abs. 1, § 167 Abs. 2, § 173
BGB § 133
BayVwVfG Art. 38

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Bei der Niederlegung des am 12. September 2019 unterschriebenen Entscheidungstenors wurden in Ziffer 3 nach dem Wort „ist“ versehentlich die Worte „hinsichtlich der Kosten“ weggelassen. Hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Versehen im Sinne von § 118 Abs. 1 VwGO, welches vom Gericht mit der Zustellung des Urteils und der hier erfolgten Begründung von Amts wegen berichtigt wird. Ein gesonderter Berichtigungsbeschluss ist entbehrlich, da der Urteilstenor nicht verkündet wurde und somit das Urteil ohnehin erst mit der Zustellung der Urteilsausfertigung mit dem hierin enthaltenen Urteilstenor wirksam wird (vgl. VG Bayreuth, U.v. 13. Dezember 2005 – B 1 K 04.1349 – juris).
Streitgegenstand der vorliegenden Klage ist das Begehren des Klägers, den Beklagten zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung für die Nutzungsänderung eines Dachbodens in zwei Wohneinheiten, Einbau von Dachflächenfenstern und energetischer Sanierung auf dem Grundstück Fl. Nr. …, Gemarkung …, in der Form der Umplanung vom 1. März 2018, zuletzt geändert durch Tekturantrag vom 18. Februar 2019, zu verpflichten.
Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht zu; er wird demgemäß durch den Versagungsbescheid nicht in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Das Vorhaben ist bereits bauplanungsrechtlich nach §§ 29 ff. BauGB nicht zulässig.
a) Bei der vorliegend beabsichtigten Umnutzung eines Dachbodens zu zwei Wohneinheiten handelt es sich um eine im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB genehmigungspflichtige, jedoch nicht genehmigungsfähige Nutzungsänderung (Art. 55 Abs. 1 BayBO).
Die Annahme einer planungsrechtlich relevanten Nutzungsänderung setzt eine bodenrechtlich beachtliche Änderung der Nutzungsweise voraus, die geeignet ist, die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Belange zu berühren und die dadurch die Genehmigungsfrage neu aufwirft.
Unter den Begriff der Nutzungsänderung im Sinne des § 29 Abs. 1 BauGB fallen solche Änderungen, mit denen die jeder Nutzung eigene Variationsbreite verlassen wird. Dies kann sowohl dann der Fall sein, wenn die Zulässigkeitsfrage der neuen Nutzung weitergehenden Vorschriften unterfällt als dies für die bisherige Nutzung gegolten hat, als auch dann, wenn sich die neue Nutzung zwar weiterhin nach denselben Vorschriften wie die alte bestimmt, jedoch anders zu beurteilen ist als die bisherige Nutzung (vgl. BVerwG U.v. 27.8.1998 – 4 C 5.98 – juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe liegt im Hinblick auf die streitgegenständliche Umnutzung eine nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vor, denn der hier beabsichtigte Nutzungswechsel des bislang nicht zu Wohnzwecken genutzten Dachbodens zu zwei Wohneinheiten führt zwangsläufig zu einer Neubewertung der planungsrechtlichen Auswirkungen des Bauvorhabens.
b) Die hier inmitten stehende Nutzungsänderung erweist sich als nicht genehmigungsfähig.
Im für die vorliegende Verpflichtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung steht dem klägerseits geltend gemachten Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung der wirksame Bebauungsplan Nr. … „Zwischen …, … und …“ mit Änderung Bebauungsplan Nr. * „Am …“ der Beigeladenen vom 22. August 2016, welcher am 23. August 2016 bestandskräftig wurde, entgegen.
aa) Die in Ansehung der gegen die Wirksamkeit des einschlägigen Bebauungsplanes vorgebrachten Gründe hier vorzunehmende Inzidentkontrolle ist nach – vorliegend erfolgtem – Ablauf der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB beschränkt auf die von dieser Vorschrift nicht erfassten Mängel („Ewigkeitsmängel“).
Der Umfang der Inzidentprüfung ist eingeschränkt auf die nicht von der in § 215 Abs. 1 BauGB normierten Rügepflicht erfassten, dort abschließend genannten Fälle der stets beachtlichen Mängel, insbesondere des Verstoßes gegen den Erforderlichkeitsgrundsatz nach § 1 Abs. 3 BauGB, und des Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, auf das Fehlen oder die Überschreitung der Rechtsgrundlage oder auf den Fall eines fehlerhaften Abwägungsergebnisses, § 1 Abs. 7 BauGB.
Diese im Normenkontrollverfahren zu beachtende Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle gilt auch bei der im Rahmen eines Verpflichtungs- oder Anfechtungsbegehrens vorzunehmenden Inzidentprüfung, denn die Gemeinde soll nach Ablauf der Rügefrist im einen wie im anderen Falle sicher sein, dass nur noch die nicht von § 215 Abs. 1 BauGB erfassten Mängel gerügt werden können (vgl. zum Ganzen BayVGH, B.v. 19.10.2018 – 9 ZB 16.1987 – juris; U.v. 22.9.2015 – 1 B 14.1652 – juris).
Unter Berücksichtigung der sich aus der Bebauungsplanbegründung ergebenden Zielsetzung des Plangebers ergeben sich insoweit keine Zweifel an der – vom Umfang her im vorliegenden Verfahren überhaupt überprüfbaren – Rechtmäßigkeit des qualifizierten Bebauungsplans Nr. … „Zwischen …, … und …“ der Beigeladenen.
Wie oben bereits erwähnt, ist die fehlende Erforderlichkeit gemäß § 1 Abs. 3 BauGB von § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht erfasst und somit als sog. „Ewigkeitsmangel“ einer Überprüfung zugänglich.
Der in die Richtung zielende klägerische Einwand, der streitgegenständliche Bebauungsplan sei nicht erforderlich, erweist sich jedoch als nicht haltbar. Der Bebauungsplan der Beigeladenen ist für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB.
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Bauleitpläne sind dann „erforderlich“, wenn sie nach der planerischen Konzeption der Gemeinde als erforderlich angesehen werden können (BVerwG, B.v. 17.05.1995 – 4 NB 30/94 – juris). Danach kann eine verbindliche Bauleitplanung auch eine bereits vorhandene Bebauung überplanen, selbst wenn sich die Bebauung weitgehend nach § 34 bestimmt (BVerwG, B.v. 16.01.1996 – 4 NB 1/96 – juris).
Die Vorschrift verlangt nicht, dass für die Planung als Ganzes und für die einzelnen Festsetzungen ein unabweisbares Bedürfnis vorliegt; es genügt, wenn eine Regelung vernünftigerweise geboten ist (vgl. BayVGH, U.v. 2.10.2014 – 2 B 14.816 – juris). Der Erforderlichkeitsgrundsatz gibt der Gemeinde einen weiten Spielraum und ermächtigt sie zu einer ihren Vorstellungen entsprechenden Städtebaupolitik (vgl. BayVGH, U.v. 19.6.2009 – 1 N 07.1552 – juris; U.v. 3.3.2010 – 2 N 09.3058 – juris). So sind auch gezielte Veränderungssperren, mit denen die Gemeinde erst auf einen konkreten Bauantrag hin mit der Einleitung der Bauleitplanung reagiert und dabei auch das Vorhaben verhindern will, zulässig. Denn es kommt in erster Linie auf die Sicht der Gemeinde selbst an; sie darf die städtebauliche Entwicklung in ihrem Gemeindegebiet bestimmen und sich dabei grundsätzlich von „gemeindepolitischen“ Motiven, die sich jederzeit ändern können, leiten lassen (BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 CN 16.03 – juris).
Eine – klägerseits unterstellte – Negativplanung und damit ein Verstoß gegen § 1 Abs. 3 BauGB liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 8.9.2016 – 4 BN 22.16 – juris, B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8/90 – juris) nicht schon deswegen vor, weil die Gemeinde die Planung etwa aus Anlass eines konkreten, bisher gegebenenfalls zulässigen Vorhabens betreibt, das sie verhindern will, oder weil sie das Ziel verfolgt, eine Ausweitung bestimmter bisher zulässiger Nutzungen zu verhindern, selbst wenn dies jeweils den Hauptzweck einer konkreten Planung darstellt. Vielmehr sind derartige Regelungen als „Negativplanung“ erst dann unzulässig, wenn sie nicht dem planerischen Willen der Gemeinde entsprechen, sondern nur vorgeschoben sind, um eine andere Nutzung zu verhindern.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seiner Entscheidung vom 7. Juni 2010, 15 ZB 09.1235 – juris, dazu Folgendes aus:
„Eine Planung, die durch den Wunsch ausgelöst wurde, ein Vorhaben zu verhindern, kann für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sein. Auf den Anlass und den Zeitpunkt der Entwicklung eines Bauleitplanes kommt es in aller Regel nicht an. Entscheidend ist vielmehr, dass die beabsichtigte Bauleitplanung zur städtebaulichen Entwicklung und Ordnung in Beziehung steht und nach der planerischen Konzeption der Gemeinde erforderlich ist.“
Unter Zugrundelegung der zitierten Rechtsprechung ist vorliegend nicht von einer unzulässigen Verhinderungsplanung auszugehen.
Das Regelungserfordernis der Nachverdichtung rührte nach den Angaben der Beigeladenen unter anderem von dem in der Gemeinde vorhandenen Straßen- und Wegesystem, welches aufgrund seines Ausbauzustandes, unter anderem der Straßenbreite, eine weitere Nachverdichtung wohl nicht in der Lage wäre aufzunehmen, sowie damit verbundenen Erschließungsproblematiken, insbesondere in schmalen Straßen wie der … oder der …, her. Diesbezüglich ist der ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung des Bebauungsplans Nr. … deutlich eine städtebauliche Konzeption in Form von Planungszielen, die Gegenstand einer Festsetzung nach § 9 Abs. 1 BauGB sein können, zu entnehmen. Ausweislich der Planbegründung ist das Plangebiet bereits seit den 1960er Jahren bebaut. Die Bebauung wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten immer stärker verdichtet und teils erneuert. Geprägt wird das Plangebiet durch die überwiegend homogene Siedlungsstruktur mit für die jeweilige Zeit charakteristischen, regelmäßig zweigeschossigen Gebäudeformen. Diese Siedlungsstruktur mit ihrem hohen Wohnwert und dem attraktiven Wohnumfeld möchte die Beigeladene bewahren und eine städtebaulich unerwünschte Verdichtung sowie der Siedlungsstruktur unangemessene Baukörper vermeiden. Erklärtes Ziel der Beigeladenen als Plangeberin war es, einer Intensivierung der baulichen Nutzung, die sich in der tatsächlichen Entwicklung des Baugebiets abzeichnete, durch eine Reihe von Festsetzungen zu begegnen. So ist gemäß der Planbegründung „eine geordnete städtebauliche Entwicklung zu sichern, das charakteristische Siedlungsbild zu bewahren und eine unverträgliche Nachverdichtung zu verhindern“.
Die Einschränkung der Zahl der Wohneinheiten, die Reduzierung der höchstzulässigen Grundflächenzahl und die Festsetzungen zu den Höhen der Gebäude dienen dazu, die städtebauliche Entwicklung und Ordnung entsprechend den Zielvorstellungen der Beigeladenen zu sichern. Ausweislich der Planbegründung sollen die Geschossigkeit sowie die zulässige Zahl der Wohneinheiten pro Wohngebäude aus Gründen einer sozialverträglichen Nachbarschaft begrenzt werden. Ferner soll mit der Begrenzung auf maximal zwei Wohneinheiten eine übermäßige Verdichtung, die dem bestehenden und angestrebten Charakter des reines Wohngebietes sowie der vorhandenen und geplanten Erschließung nicht entspricht, vermieden werden.
Dass die Straße „… …“ nicht so schmal ist wie etwa die … oder die …, führt nicht dazu, dass die Beigeladene für die dort anliegenden Grundstücke keine entsprechenden Festsetzungen treffen durfte. Vielmehr sind das festgesetzte Wohngebiet und die dortige Erschließungssituation sowie der vorherrschende Verkehr als Gesamtes zu betrachten.
Darüber hinaus ist es nach der oben genannten Rechtsprechung ohne Belang, ob die Beigeladene den Bauantrag des Klägers erst zum Anlass ihrer Bauleitplanung und Veränderungssperre genommen hat (vgl. hierzu bereits VG Ansbach, U.v. 1.2.2018 – AN 3 K 16.01528 – juris).
Der Bebauungsplan wurde darüber hinaus für ein weitreichendes Gebiet erlassen und enthält nicht lediglich für das …, in welchem das klägerische Grundstück sowie im Übrigen auch weitere Flurnummern liegen, einschränkende Festsetzungen. So wurde unter anderem die Beschränkung der Zahl der Wohnungen auf maximal zwei Wohneinheiten pro Gebäude unter Ziffer B 2.6 für sämtliche Wohngebiete festgesetzt. Wäre es der Beigeladenen ausschließlich darum gegangen, das klägerische Vorhaben zu verhindern, hätte sie wohl kaum ein solch großes Gebiet mit den vorliegenden Festsetzungen überplant.
Darüber hinaus ist entgegen dem Vorbringen in dem von der Klägerseite vorgelegten Gutachten (vgl. S. 14 f.) für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen kein Bebauungsplan erforderlich. Gemäß § 125 Abs. 2 BauGB genügt hierfür auch ein bebauungsplanersetzender Beschluss dahingehend, dass die endgültig herzustellende Erschließungsanlage den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entspricht. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass die Beigeladene den Bebauungsplan Nr. … ausschließlich aufgestellt hat, um Erschließungsbeiträge erheben zu können.
Weitere „Ewigkeitsmängel“ nach §§ 214 i.V.m. 215 BauGB sind weder klägerseits vorgetragen noch sonst ersichtlich, mithin ist von der Wirksamkeit des hier einschlägigen bestandskräftigen Bebauungsplans der Beigeladenen auszugehen.
bb) Im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans ist ein Vorhaben zulässig, wenn es den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht und die Erschließung gesichert ist, § 30 Abs. 1 BauGB.
Vorliegend verstößt das beabsichtigte Vorhaben des Klägers jedenfalls gegen die Festsetzung in Ziffer B 2.6 des streitgegenständlichen Bebauungsplans der Beigeladenen, wonach in sämtlichen Wohngebieten (WA1, 2 und 3) maximal zwei Wohneinheiten pro Wohngebäude zulässig sind.
Nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB kann in einem Bebauungsplan aus städtebaulichen Gründen die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden festgesetzt werden. Dies setzt – wie jede Bauleitplanung – eine städtebauliche Begründung voraus. Insbesondere muss jede städtebauliche Planung mit Argumenten begründet werden, die sich aus der jeweiligen konkreten Planungssituation ergeben. Das „Besondere“ an den städtebaulichen Gründen besteht nicht notwendig darin, dass sie ein größeres oder zusätzliches Gewicht haben müssen. Vielmehr ist mit „besonderen“ städtebaulichen Gründen gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für diese Beschränkung der baulichen Ausnutzbarkeit der betroffenen Grundstücke geben muss. Die konkrete Begründung dieses Spezifikums ist mit Ausnahme des Grunderfordernisses, dass es sich um städtebauliche Gründe handeln muss, weder vorgegeben noch beschränkt. Auch verkehrliche oder ökologische Gesichtspunkte, die in einem Plangebiet gegeben sind, können daher eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 BauGB rechtfertigen; denn es sind Faktoren, denen nach den konkreten Verhältnissen in einem Plangebiet besondere städtebauliche Bedeutung zukommen kann (BVerwG, B.v. 9.11.1994 – 4 NB 34.94 – juris).
Nach diesen Maßstäben sind die von der Beigeladenen für die inmitten stehende Festsetzung in der Begründung des Bebauungsplans Nr. … angeführten Gründe – nämlich insbesondere die Eingrenzung der sich immer stärkeren Nutzungsintensivierung – hinreichend spezifisch. Die Planbegründung erschöpft sich insbesondere nicht lediglich in Hinweisen auf die Leitsätze und Belange in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB, sondern resultierten aus der konkreten Situation des Plangebiets, seiner Entwicklung und den zum Planungszeitpunkt festzustellenden Veränderungen heraus.
Nachdem bereits das Bestandsgebäude unbestritten mehr als zwei Wohneinheiten aufweist und durch das beabsichtigte Vorhaben des Klägers zusätzlich noch zwei weitere Wohnungen hinzukommen würden, liegt insoweit ein Verstoß gegen die inmitten stehende Bebauungsplanfestsetzung in Ziffer B 2.6 vor.
cc) Die vom Kläger beantragte Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB wurde hier von dem Beklagten zu Recht abgelehnt.
Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung von der Festsetzung in Ziffer B 2.6 des streitgegenständlichen Bebauungsplans der Beigeladenen, wonach in sämtlichen Wohngebieten (WA1, 2 und 3) maximal zwei Wohneinheiten pro Wohngebäude zulässig sind, liegen bereits tatbestandlich nicht vor, weshalb es auf die städtebauliche Vertretbarkeit oder ein ordnungsgemäß ausgeübtes Ermessen seitens des Beklagten nicht ankommt.
Nach Wortlaut und Sinn des § 31 Abs. 2 BauGB gilt für alle drei Fallgruppen der Vorschrift, dass eine Befreiung nicht schon erteilt werden kann, wenn die jeweiligen speziellen Voraussetzungen einer der Nrn. 1 – 3 vorliegen, sondern dass zusätzlich die Grundzüge der Planung nicht berührt werden dürfen (vgl. BVerwG, B.v. 1.11.1999 – 4 B 3.99 – juris; BayVGH, U.v. 9.5.2018 – 1 B 14.2215 – juris).
Unter dem Begriff „Grundzüge der Planung“ i.S.d. § 31 Abs. 2 BauGB ist die sog. planerische Grundkonzeption zu verstehen, die den Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplanes zugrunde liegt (BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35/04 – juris), mithin also das den Festsetzungen zu entnehmende gemeinsame und diese insoweit miteinander verklammernde Planungskonzept. Für einen Ausschluss der Befreiungsmöglichkeit reicht es dabei schon aus, wenn die Grundzüge lediglich berührt sind, d.h. wenn die konkrete Abweichung geeignet ist, die Planungskonzeption derart zu verlassen, dass sich die Planungsfrage neu stellt. Dabei gilt, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2019 – 1 ZB 17.2289 – juris; BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris; B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – juris).
Wie bereits erörtert, besteht die planerische Konzeption vorliegend darin, der sich abzeichnenden Intensivierung der Grundstücksnutzung in dem Plangebiet Grenzen zu setzen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Planbegründung zum Bebauungsplan Nr. … Angesichts des stetig steigenden Siedlungsdrucks, von dem auch die Beigeladene betroffen ist, sah diese den Gebietscharakter des Plangebietes gefährdet. Vordergründiges Ziel des Bebauungsplanes war es damit, den Gebietscharakter des Plangebiets zu sichern und damit der unerwünschten Entwicklung entgegenzuwirken. Die inmitten stehende Festsetzung über die höchstzulässige Zahl von Wohneinheiten pro Wohngebäude ist für dieses Planungskonzept tragend. Schon nach dem Willen des Plangebers soll gerade auch die Begrenzung der Wohneinheiten – als eine von mehreren Festsetzungen – der Intensivierung der baulichen Nutzung entgegenwirken. Insoweit handelt es sich bei den einzelnen Festsetzungen gerade um das typische Geflecht ineinander greifender Festsetzungen, die sich wechselseitig ergänzen und nur in der Kumulation die Verwirklichung der planerischen Zielsetzungen gewährleisten (vgl. VG Sigmaringen, U.v. 23.5.2017 – 3 K 3383/15 – juris).
Im vorliegenden Fall würde die begehrte Abweichung von der Festsetzung in Ziffer B 2.6 des streitgegenständlichen Bebauungsplans der Beigeladenen dem planerischen Grundkonzept der Beigeladenen zuwiderlaufen. Die für alle Wohngebiete geltende Festsetzung der Maximalzahl zulässiger Wohneinheiten besitzt insoweit auch ein eigenständiges Förderpotenzial in Bezug auf die dargestellte planerische Konzeption, obwohl die Beigeladene auch noch andere Festsetzungen zur Erreichung der planerischen Ziele getroffen hat (VG Sigmaringen, U.v. 23.5.2017 – 3 K 3383/15 – juris). Das beantragte Vorhaben würde durch die beiden zusätzlichen Wohneinheiten eine weitere Nachverdichtung auslösen, welche dem eindeutigen bauplanerischen Willen der Beigeladenen widerspricht.
Die mit der Befreiung bewirkte Abweichung fiele auch ins Gewicht. Zwar geht es vorliegend „nur“ um zwei weitere Wohneinheiten, die auf die äußere Kubatur des Gebäudes keinen Einfluss mehr hätte. Mit gleicher Argumentation könnte aber auf sämtlichen benachbarten Grundstücken eine Erhöhung von zwei auf mehr Wohneinheiten verlangt werden, was die städtebauliche Konzeption der Beigeladenen aushebeln würde. Für benachbarte Grundstücke könnte eine Befreiung zugunsten des Klägers Präzedenzwirkung entfalten.
Soweit die Klägervertreterin darauf verweist, dass die für den Erlass des Bebauungsplans angegebenen Gründe für das klägerische Vorhaben gerade nicht greifen würden, da die erforderliche Anzahl an Stellplätzen für das klägerische Vorhaben auf dem streitgegenständlichen Grundstück – wie unbestritten – vorhanden ist, geht dieser Einwand fehl. Gegenstand der Planungskonzeption des vorliegenden Bebauungsplans ist nicht allein die Parkplatzsituation in dem Plangebiet, sondern die mit der Nachverdichtung im Geltungsbereich verbundenen Problematiken insgesamt sowie eine sozialverträgliche Nachbarschaft. Darüber hinaus könnte dieser Einwand auch von anderen Grundstückseigentümern mit entsprechenden (potenziellen) Flächen für weitere Stellplätze auf ihrem Grundstück geltend gemacht werden und hierdurch die Planungskonzeption ausgehebelt werden.
Indem das klägerische Vorhaben in dem Bestandsgebäude die Errichtung zweier weiterer Wohnungen beabsichtigt, berührt es mithin die Grundzüge der Planung. Bereits aus diesem Grund sind somit die Voraussetzungen für eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB nicht gegeben.
Insofern gehen der Hinweis des Klägers auf mögliche Bezugsfälle hinsichtlich der Bebauung südlich der Straße am … und eine damit einhergehende Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie der Verweis auf die Eigentumsbildung weiter Kreise der Bevölkerung und die Anforderungen kostensparenden Bauens gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 2 sowie auf den sparsamen und schonenden Umgang mit Grund und Boden gemäß § 1 a Abs. 2 Satz 1 BauGB fehl, da derartige Überlegungen erst im Rahmen des Ermessens zu prüfen wären (vgl. bereits VG Ansbach, B.v. 16.7.2018 – AN 3 S 18.01095 – juris).
Nachdem hier bereits ein Verstoß gegen die festgesetzte Begrenzung der Anzahl der Wohneinheiten pro Wohngebäude vorliegt, kommt es auf die weitere Frage, ob das Vorhaben darüber hinaus trotz unveränderter Geschosszahl, Wandhöhen, etc. auch im Hinblick auf die hierzu getroffenen Festsetzungen des Bebauungsplans der Beigeladenen bauplanungsrechtlich unzulässig ist, nicht an.
Somit hat der Beklagte zu Recht die Erteilung der Baugenehmigung für die Nutzungsänderung abgelehnt.
2. Das klägerische Vorhaben ist im Übrigen auch wegen Verstoßes gegen die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO bauordnungsrechtlich nicht zulässig.
Nachdem das inmitten stehende Bestandsgebäude, für dessen nördliche Außenwand die Voraussetzungen der Privilegierung des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO nicht vorliegen, die nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO in Höhe von 10,10 m gebotene nördliche Abstandsfläche zu dem Nachbargrundstück Fl. Nr. …, Gemarkung …, nicht einhält, wäre eine Baugenehmigung für das klägerische Vorhaben darüber hinaus nur dann rechtmäßig, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung einer – zwischenzeitlich vom Kläger beantragten – Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften im Hinblick auf die nach Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO nicht genehmigungsfreie und damit nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung des Dachbodens zu Wohnzwecken vorlägen.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen‚ wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen‚ insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1
BayBO, vereinbar sind.
Der Zweck des Abstandsflächenrechts besteht darin‚ eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für notwendige Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern (z.B. BayVGH‚ U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A.1224 – juris; U.v. 14.12.1994 – 26 B 93.4017 – juris). Dies kann bereits unmittelbar den gesetzlichen Vorschriften des Art. 6 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2‚ Art. 81 Abs. 1 Nr. 6 BayBO entnommen werden. Darüber hinaus ist auch der sog. Wohnfrieden (Sozialabstand) als Zweck des Abstandsflächenrechts anzuerkennen. Hierzu gehört der Schutz der Privatsphäre vor unerwünschten Einblickmöglichkeiten und vor dem unerwünschten Mithören sozialer Lebensäußerungen in der Nachbarschaft (vgl. BayVGH‚ B.v. 20.7.2010 – 15 CS 10.1151 – juris; U.v. 8.5.2008 – 14 B 06.2813 – juris; U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt hierzu in seinem Urteil vom 3. Dezember 2014, 1 B 14.819 – juris, Folgendes aus:
„Diesem Ergebnis steht nicht entgegen‚ dass die amtliche Begründung zur Novellierung der Bayerischen Bauordnung im Jahr 1997 (s. LT-Drs. 13/7008 S. 29 f.) als Regelungszweck noch ein „Mindestmaß an Belichtung‚ Belüftung‚ Besonnung und Sozialabstand“ genannt hatte‚ während dieser Begriff in der amtlichen Begründung zur BayBO-Novelle im Jahr 2007 (s. LT-Drs. 15/7161 S. 43, 73) nicht mehr ausdrücklich enthalten ist. Daraus lässt sich nicht zwingend herleiten‚ dass der Wohnfrieden nun nicht mehr gesetzlich geschützt werden soll. Eher in das Gegenteil weisen die Vorschriften des Art. 6 Abs. 3 Nr. 2 BayBO und des Art. 6 Abs. 9 Nr. 1
BayBO. Nach ersterer Vorschrift dürfen sich Abstandsflächen bei Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 ausnahmsweise nur dann überdecken‚ wenn es sich um Außenwände zu einem fremder Sicht entzogenen Gartenhof handelt. Aus Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO folgt‚ dass grundsätzlich nur Gebäude ohne Aufenthaltsräume unter den dort bestimmten engen Voraussetzungen in den Abstandsflächen eines Gebäudes sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig sind. Aus den Vorschriften lässt sich demnach der Grundsatz herleiten‚ dass die Abstandsflächenvorschriften auch dem Schutz des Wohnfriedens dienen (vgl. zum – zivilrechtlichen – Schutzzweck des Art. 43 AGBGB der Wahrung des Wohnfriedens auch BayVerfGH‚ E.v. 14.12.2011 – Vf.108-VI-10 – BayVBl 2012‚ 332; kritisch neuerdings Happ‚ BayVBl 2014‚ 65) und dass nach der typisierenden Bewertung des Gesetzgebers Aufenthaltsräume in den Abstandsflächen in aller Regel nicht zulässig sind (vgl. BayVGH, U.v. 8.11.1990 – 2 B 89.339 – nicht veröffentlicht).. Eine Abweichung für Aufenthaltsräume in den Abstandsflächen kann daher nur zugelassen werden, wenn im Einzelfall die vom Abstandsflächenrecht geschützten Zwecke nicht oder nur geringfügig beeinträchtigt werden und wenn die Abweichung unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen‚ insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO‚ vereinbar ist. Daraus folgt‚ dass es bei der Zulassung einer Nutzungsänderung unter (erheblicher) Abweichung von den Abstandsflächen – wie hier – maßgeblich sowohl auf die künftige Art der Nutzung als auch auf den Umfang der Abweichung ankommt. Das Interesse des Bauherrn‚ eine bessere wirtschaftliche Nutzung eines Gebäudes‚ insbesondere eine Wohnnutzung‚ herbeizuführen‚ reicht demgegenüber für die Erteilung einer Abweichung grundsätzlich nicht aus.“
Ferner müssen für eine Abweichung objektive Verhältnisse gegeben sein, die den Fall deutlich vom Regelfall unterscheiden, ihn also als atypisch und anormal erscheinen lassen (BayVGH, B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die begehrte Abweichung mit dem Normzweck des Abstandsflächenrechts nicht vereinbar. Zwar hat der Kläger seine Planung zuletzt dahingehend geändert, dass an der kompletten Nordseite des Daches auf die Dachflächenfenster verzichtet wird und somit lediglich an der Südseite des Daches weitere Fenster angebracht werden. Jedoch befindet sich in der westlichen Außenwand des Bestandsgebäudes (in dem vorgesehenen Schlafzimmer der Wohnung 12) ein Fenster mit Blick auf das nordwestlich gelegene Grundstück Fl. Nr. …, Gemarkung …, zu welchem die Abstandsflächen nicht eingehalten werden. Nachdem die Räumlichkeiten bislang nur als Dachboden genehmigt waren und dort nunmehr erstmalig eine Wohnnutzung stattfinden soll, stellt die beabsichtigte Nutzungsänderung und die mit ihr verbundene – aufgrund der Höhe des Gebäudes zudem umfangreiche – Einsichtnahmemöglichkeit auf das inmitten stehende Nachbargrundstück eine Verletzung des Wohnfriedens und damit eine abstandsflächenrelevante Maßnahme dar.
Darüber hinaus liegt die für eine Abweichung erforderliche Atypik nicht vor. Soweit der Kläger einwendet, dass eine geringfügige Abstandsflächenüberschreitung im Norden seit jeher bestanden habe und sich aufgrund der unveränderten äußeren Form des klägerischen Gebäudes im Hinblick auf die Einhaltung der Abstandsflächen durch den Dachgeschossausbau keinerlei Änderungen ergeben wird, stellt dies keinen atypischen Fall im Sinne der Rechtsprechung dar.
So führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Falle einer Abstandsflächenverletzung durch einen bestandsgeschützten Altbestand in seinem Beschluss vom 23. Mai 2005, 25 ZB 03.881 – juris, Folgendes aus:
„Das ist in Bezug auf die Einhaltung der Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO nicht stets allein schon deshalb der Fall, weil das Vorhaben Außenwände eines Altbestands einbezieht, der die Abstandsflächenvorschriften nicht einhält. Die gesetzlichen Ziele, ein bestimmtes Mindestmaß an Belichtung, Belüftung und Wohnfrieden sicherzustellen, gelten vielmehr für Neubauten und Umbauten gleichermaßen. Dass der Bauherr dadurch vor die Wahl gestellt ist, entweder seinen vom Gesetz abweichenden Altbestand im bisherigen Umfang weiter zu nutzen oder bei einer neuen Genehmigung das geltende Recht einzuhalten, ist im Gesetz selbst angelegt und kann nicht als anormaler, nicht bedachter Ausnahmefall angesehen werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass das Vorhandensein eines Altbestandes eine objektive Gegebenheit darstellt, die bei Hinzutreten weiterer objektiver Umstände – z.B. Anforderungen der Stadtgestaltung – im Einzelfall eine atypische Sondersituation begründen kann. Hierzu ist im vorliegenden Fall aber nichts ersichtlich. Das vorhandene Gebäude nutzt die in ihm angelegten wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten bereits jetzt unter Verkürzung der Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken aus. Das neue Bauvorhaben dient der weiteren Optimierung dieses Sachverhalts, ist also nicht etwa die Folge einer durch den Altbestand vorgegebenen Zwangslage.“
Darüber hinaus sind vorliegend keine objektiven Verhältnisse ersichtlich, welche den Fall als atypisch und anormal erscheinen lassen.
3. Es liegt ferner keine Zusicherung des Beklagten gemäß Art. 38 BayVwVfG mit dem Inhalt vor, dem Kläger die begehrte Baugenehmigung zu erteilen.
Nach der Legaldefinition in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG ist eine Zusicherung eine von der zuständigen Behörde erteilte schriftliche Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Eine Zusicherung liegt nur vor, wenn eine entsprechende Erklärung als hoheitliche Selbstverpflichtung mit Bindungswillen zu dem entsprechenden Verhalten in der Zukunft abgegeben wird.
Der Wille zur materiellrechtlichen Bindung gegenüber dem Adressaten muss dabei unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden. Rechtsverbindliche Zusagen einer Behörde sind ungeachtet dessen, ob sie auf den Erlass eines Verwaltungsakts (Zusicherung) oder auf die Vornahme anderer – „realer” – Handlungen des öffentlichen Rechts gerichtet sind, rechtliche Willenserklärungen. Ihr Erklärungsinhalt ist nach der im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregel des § 133 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist nicht der innere, sondern der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Zusage bei objektiver Würdigung aller maßgeblichen Begleitumstände und des Zwecks der Zusage verstehen konnte. Auszugehen ist hierbei von dem Standpunkt dessen, für den die Erklärung bestimmt ist (BVerwG, U.v. 7.2.1986 – 4 C 28/84 – juris, BVerwG, U.v. 26.9.1996 – 2 C 39/95 – juris; BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 11 ZB 19.1122
– juris; VGH Mannheim, U.v. 28. 10. 1999 – 5 S 2149/97 – juris).
Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist ein solcher unzweideutig zum Ausdruck gebrachter Bindungswille des Beklagten eindeutig weder den Schreiben des Landratsamts vom 21. April 2016 sowie vom 15. August 2016 noch der Abgeschlossenheitsbescheinigung des Landratsamts vom 8. März 2012 zu entnehmen.
a) In dem Schreiben des Landratsamts an die Beigeladene vom 21. April 2016 wurde lediglich festgestellt, dass es sich bei dem Dachgeschoss um kein Vollgeschoss handelt und die vom Kläger vorgelegte Vollgeschossberechnung des Büros … nicht zu beanstanden sei. Ferner wurde die Beigeladene um Mitteilung gebeten, ob eine Ausnahme von der Veränderungssperre zugelassen werden könne.
Eine Selbstverpflichtung des Beklagten, für das klägerische Vorhaben eine Baugenehmigung zu erteilen, kann diesem Schreiben unter keinem denkbaren Gesichtspunkt entnommen werden.
Darüber hinaus war der Kläger bereits nicht Adressat dieses Schreibens, von welchem der damalige Klägervertreter lediglich einen Abdruck erhalten hat.
b) Nichts Anderes gilt hinsichtlich des Schreibens des Landratsamts an den damaligen Klägervertreter vom 15. August 2016. In diesem Schreiben wurde vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen, dass das Vorhaben im damals beabsichtigten Umfang den im künftigen Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zur Dachneigung, zu den Dachaufbauten, zur Grundflächenzahl, zur Geschossflächenzahl sowie zu den Höhen widerspreche und ein kostenpflichtiger Ablehnungsbescheid erlassen werde, falls der Kläger den Antrag auf Baugenehmigung nicht zurücknimmt. Mit diesem Schreiben hat der Beklagte gerade zum Ausdruck gebracht, dass dem Kläger die begehrte Baugenehmigung nicht erteilt wird.
c) Auch der Abgeschlossenheitsbescheinigung vom 8. März 2012 ist eine Selbstverpflichtung des Beklagten zur Genehmigung des klägerischen Vorhabens nicht zu entnehmen. Vielmehr sind darin die Dachräume D1 bis D2 ausdrücklich als „nicht zu Wohnzwecken dienende Räume“ beschrieben.
Unabhängig davon wird im Rahmen der Erteilung einer Abgeschlossenheitsbescheinigung nicht die baurechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens geprüft. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine Bestätigung der Baubehörde gegenüber dem Grundbuchamt dahingehend, dass Wohnungen oder sonstige Räume, an welchen Sondereigentum eingeräumt werden soll, in sich abgeschlossen sind, § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V. m. § 3 Abs. 2 WEG.
Nach alldem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2, 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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