Baurecht

Errichtung von Gebäuden im Außenbereich – landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb

Aktenzeichen  1 ZB 20.2692, 1 ZB 20.2693

Datum:
12.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9408
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34, § 35

 

Leitsatz

1. Ob Straßen oder Wege geeignet sind, einen Bebauungszusammenhang herzustellen, eine trennende Funktion erfüllen oder für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich ohne jegliche Aussagekraft sind, kann stets nur das Ergebnis einer Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts sein. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch Gebäude, die nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässig oder zugelassen worden sind, können zur Entwicklung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils beitragen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 9 K 18.3409 2020-07-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 1 ZB 20.2692 und 1 ZB 20.2693 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Anträge auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
III. Der Kläger hat die Kosten der Zulassungsverfahren zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
IV. Der Streitwert für die Zulassungsverfahren wird auf insgesamt 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Altenteils sowie eines Vorbescheides für die Neuerrichtung einer Maschinenhalle für einen Baggerbetrieb.
Auf dem Vorhabengrundstück wird ein landwirtschaftlicher Ackerbaubetrieb im Nebenerwerb geführt. Die bestehenden Gebäude liegen südlich der Kreisstraße, das am nächsten liegende Wohnhaus mit angebautem größerem Nebengebäude, das derzeit als Maschinenhalle genutzt wird, ist zwischen 40 m und 45 m von der Straße entfernt. Mehrere ehemalige landwirtschaftliche Betriebsgebäude werden bereits gewerblich genutzt. Östlich und südlich des Vorhabengrundstücks folgen landwirtschaftliche Flächen. Westlich durch eine Erschließungsstraße getrennt besteht auf einem größeren Grundstück ein landwirtschaftlicher Betrieb, daran anschließend folgen entlang der Kreisstraße (Wohn-)Gebäude. Nördlich der Kreisstraße besteht auch auf Höhe des Vorhabengrundstücks (Wohn-)Bebauung. Die Maschinenhalle soll auf der freien Fläche zwischen dem Nebengebäude und der Kreisstraße errichtet werden. Eine Wohneinheit für einen Altenteiler soll durch teilweisen Umbau und Aufstockung des Nebengebäudes entstehen.
Die Klagen gegen die Ablehnung der beantragten Vorhaben wies das Verwaltungsgericht mit Urteilen vom 8. Juli 2020 ab. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Vorhaben beurteile sich nach § 35 BauGB, da sich die Vorhaben im bauplanungsrechtlichen Außenbereich befänden. Es bestehe kein Bebauungszusammenhang zwischen der maßgeblichen Bebauung auf dem Vorhabengrundstück (Zweifamilienhaus) und der Bebauung nördlich der Kreisstraße. Während die Wohngebäude im übrigen Ortsteil überwiegend nah zur Kreisstraße lägen, hätten die Wohngebäude auf dem Vorhabengrundstück und dem westlichen Nachbargrundstück einen erheblichen Abstand zur Kreisstraße und zu allen anderen Wohngebäuden in B. Die nördliche Freifläche, die Kreisstraße und der entlang der Kreisstraße führende Graben trennten die Baulichkeiten auf dem Vorhabengrundstück und wohl auch dem westlichen Nachbargrundstück insgesamt vom Innenbereich ab. Die Baulichkeiten auf dem Vorhabengrundstück stellten einen Siedlungssplitter dar. Eine Privilegierung der geplanten Maschinenhalle und des Altenteils scheide aus, insbesondere sei auf der Hofstelle ausreichend Wohnraum vorhanden, um die Wohnbedürfnisse der Familie unter Einschluss der Altenteilergeneration zu befriedigen. Die Vorhaben seien nach § 35 Abs. 2 BauGB unzulässig, da die öffentlichen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 5 und 7 BauGB beeinträchtigt würden.
Mit den Anträgen auf Zulassung der Berufung macht der Kläger geltend, dass sich die bauplanungsrechtliche Beurteilung nach § 34 BauGB richte. Auf den Vortrag in den Schriftsätzen wird Bezug genommen.
II.
Die Verbindung der Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung beruht auf § 93 Satz 1 VwGO.
Die Anträge auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und besonderer rechtlicher und tatsächlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Grundstück, auf dem die Vorhaben verwirklicht werden sollen, im Außenbereich liegt, da der für eine Innenbereichslage gemäß § 34 Abs. 1 BauGB notwendige Bebauungszusammenhang fehlt.
Ein Bebauungszusammenhang im Sinn von § 34 BauGB ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden. Der Bebauungszusammenhang endet regelmäßig am letzten Baukörper. Örtliche Besonderheiten können es im Einzelfall ausnahmsweise rechtfertigen, ihm noch bis zu einem Geländehindernis, einer Erhebung oder einem Einschnitt (Damm, Böschung, Fluss, Waldrand o.ä.) ein oder mehrere Grundstücke zuzuordnen, die unbebaut sind oder trotz des Vorhandenseins von Baulichkeiten sonst nicht zur Prägung der Siedlungsstruktur beitragen (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – ZfBR 2016, 67 m.w.N.). Ob Straßen oder Wege geeignet sind, einen Bebauungszusammenhang herzustellen, eine trennende Funktion erfüllen oder für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich ohne jegliche Aussagekraft sind, kann stets nur das Ergebnis einer Wertung und Bewertung des konkreten Sachverhalts sein (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.1997 – 4 B 11.97 – NVwZ 1997, 899; B.v. 4.1.1995 – 4 B 273.94 – juris Rn. 3). Maßgeblich ist grundsätzlich die tatsächlich vorhandene Bebauung. Deshalb können auch Gebäude, die nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Außenbereich privilegiert zulässig oder zugelassen worden sind, zur Entwicklung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils beitragen. „Bebauung“ im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist indes nicht jede beliebige Anlage. Den Bebauungszusammenhang selbst herstellen oder zu seiner Entwicklung beitragen können nur Bauwerke, die optisch wahrnehmbar sind und ein gewisses Gewicht haben, so dass sie geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt werden oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu einer landwirtschaftlichen, (klein-)gärtnerischen oder sonstigen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (vgl. BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471; U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275).
Diese Maßgaben hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt und ist zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass das Vorhabengrundstück an dem Bebauungszusammenhang im Ortsteil B. nicht mehr teilnimmt. Die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel greifen nicht durch.
Auf die Frage, welche Gebäude auf dem Vorhabengrundstück als Bebauung im Sinn von § 34 BauGB einzustufen sind, kommt es bereits nicht entscheidungserheblich an, da das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat, dass sich alle baulichen Anlagen auf diesem Grundstück im Außenbereich befinden. Es kann auch letztlich dahingestellt bleiben, ob sämtliche Bebauung auf dem westlichen Nachbargrundstück bereits zum Außenbereich zu zählen ist, da jedenfalls die südlich und östlich des Wohnhauses liegenden Nebengebäude nicht geeignet sind, einen Bebauungszusammenhang zu dem Vorhabengrundstück herzustellen. Soweit vorgetragen wird, dass die Gebäude der benachbarten landwirtschaftlichen Hofstelle bereits wegen der Anordnung der Gebäude an allen vier Seiten um einen gepflasterten Hof und ihrer Massivbauweise Hauptgebäude seien, entspricht dies nicht der oben genannten Rechtsprechung. Auch den genannten Entscheidungen des Senats kann eine derartige Rechtsprechung nicht entnommen werden. Im Urteil vom 8. Oktober 2015 (1 BV 14.1795) hat der Senat für das Hofgrundstück einen Bebauungszusammenhang bejaht, da die angrenzenden Grundstücke bebaut waren. Auf die Frage, ob der Wirtschaftsteil der ehemaligen landwirtschaftlichen Hofstelle zum Bebauungszusammenhang beitragen kann, kam es hier nicht an (vgl. 1 BV 14.1795 – juris Rn. 14). Eine mit dem vorliegenden Fall vergleichbare Situation, die der Entscheidung vom 29. Juli 2015 (1 N 12.1189) zugrunde lag, wird weder mit dem Zulassungsantrag dargelegt noch kann diese der Entscheidung entnommen werden. Es kommt jeweils maßgeblich auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass die Gebäude auf dem Vorhabengrundstück deutlich abgesetzt von der Kreisstraße sind, so dass ihnen eine isolierte Stellung auch zu den zu berücksichtigenden Baulichkeiten auf dem Nachbargrundstück FlNr. … zukommt. Diese Einschätzung kann der Senat aus dem Luftbild aus BayernAtlas sowie den von beiden Seiten vorgelegten Bildern nachvollziehen. Das Verwaltungsgericht hat auch gesehen, dass ein Bebauungszusammenhang zwischen einer Bebauung beidseitig einer Straße bestehen kann, dies aber im Bereich des Vorhabengrundstücks aufgrund der erheblichen Entfernung zu der Straße verneint. Es hat nicht nur auf Gebäudeabstände abgestellt (zu dem Kriterium der Entfernung von der Straße vgl. BVerwG, B.v. 30.8.2019 – 4 B 8.19 – juris Rn. 10), sondern ausgeführt, dass die Freifläche sich nach Osten hin zur freien Landschaft öffnet und aus dem Zusammenspiel von Kreisstraße, Graben und Freifläche der Eindruck einer Schneise entsteht, welche die nördlich der Kreisstraße befindliche Bebauung von dem südlich der Kreisstraße liegenden Siedlungssplitter abtrennt (vgl. UA S. 9). Diesen Eindruck vermitteln nicht zuletzt die vorgelegten Bilder. Der Verkehrsdichte auf der Kreisstraße musste das Verwaltungsgericht keine entscheidende Bedeutung zumessen. Soweit darauf hingewiesen wird, dass auch ein kleiner Hausgarten noch zum Innenbereich gehören kann, ist dies immer nur zusammen mit einem im Innenbereich liegenden Wohngebäude möglich. Der kleine umzäunte Bereich innerhalb der Freifläche, der als Hausgarten genutzt wird und auch abgetrennt durch einen Erschließungsweg vom Wohngebäude liegt, kann hier keinen Bebauungszusammenhang zu der nördlich der Kreisstraße liegenden Bebauung herstellen. Die Kreisstraße und der neben ihr bestehende Graben stellen auch keine „topografische“ Zäsur dar, die eine Lückenschließung rechtfertigen, sondern das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Freifläche nicht als Baulücke wirkt, sondern als Beginn der freien Landschaft.
Die rechtliche Würdigung, dass die beantragten Vorhaben als sonstige Vorhaben im Außenbereich im Sinn von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange beeinträchtigen (§ 35 Abs. 3 BauGB) wird mit dem Zulassungsantrag nicht angegriffen.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsachen keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweisen, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Der anzuwendende Maßstab ist hinreichend geklärt; bei der Abgrenzung von Innen- und Außenbereich handelt es sich auch nicht um besonders schwierige Tatsachenfragen.
Der Kläger hat die Kosten der Zulassungsverfahren zu tragen, da seine Rechtsmittel erfolglos geblieben sind (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 1.1.1, 9.1.1.3 i.V.m. 9.2., 9.1.2.6 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht der Addition der vom Verwaltungsgericht für die Einzelverfahren festgesetzten Streitwerte.
Mit der Ablehnung der Zulassungsanträge werden die Urteile des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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