Baurecht

Erweiterung eines Wohnhauses – Nachbarunterschrift

Aktenzeichen  9 ZB 19.2469

Datum:
6.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 11004
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 22

 

Leitsatz

1. Es gibt keinen Rechtssatz, wonach die gegenseitige Prägung i.S.d. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB stets vom Straßengeviert und der gegenüberliegenden Bebauung begrenzt wird; bei Wohnbauvorhaben entspricht dies jedoch der ständigen Rechtsprechung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Maßstab für die Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung ist enger zu ziehen als bei der Ermittlung des Gebietscharakters der näheren Umgebung. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Nachbar, der einem Bauvorhaben zustimmt, verzichtet auf Einwendungen, die ihm aufgrund von auch seine Rechte schützenden Vorschriften gegen das Vorhaben zustehen könnten. Die Zustimmung führt jedoch nicht dazu, dass nachbarschützende Vorschriften nicht mehr angewendet oder geprüft werden dürfen. Die Behörde muss vielmehr die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum Genehmigungsmaßstab gehöhrenden drittschützenden Vorschriften auch dann prüfen, wenn der Nachbar den Bauvorlagen zugestimmt hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 K 17.1230 2019-10-17 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung ihres Wohnhauses sowie die Errichtung eines Carports auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W … Ihren dahingehenden Bauantrag vom 22. Januar 2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13. September 2017 ab. Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 17. Oktober 2017 abgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass sich der geplante Anbau an das bestehende Gebäude nicht in die nähere Umgebung einfüge, weil er zum Entfallen des derzeit noch vorhandenen Doppelhauscharakters führe. Mit Ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel hier nicht.
Die Klägerin ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe den Rahmen der näheren Umgebung nach § 34 Abs. 1 BauGB zu eng gezogen. Zudem sei die Auffassung des Verwaltungsgerichts falsch, das geplante Bauvorhaben füge sich nicht in die nähere Umgebung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein, weil es der offenen Bauweise widerspreche. Denn in dem maßgebenden Quartier seien Anbauten verschiedener Größen und mit verschiedenen Abständen vorhanden. Dieses Vorbringen führt jedoch nicht zum Erfolg des Antrags auf Zulassung der Berufung.
Das Verwaltungsgericht hat für die maßgebliche nähere Umgebung auf das Straßengeviert zwischen S …straße und B …straße im Norden begrenzt durch die D …straße und im Süden begrenzt durch die C …straße sowie die dem Baugrundstück gegenüberliegende westliche Straßenseite der S …straße abgestellt. Zwar gibt es keinen Rechtssatz, dass die gegenseitige Prägung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB stets vom Straßengeviert und der gegenüberliegenden Bebauung begrenzt wird (vgl. BayVGH, B.v. 22.12.2017 – 9 CS 17.2033 – juris Rn. 21), bei Wohnbauvorhaben entspricht dies jedoch der ständigen Rechtsprechung (vgl. BayVGH, U.v. 24.7.2014 – 2 B 14.1099 – juris Rn. 20; B.v. 1.12.2011 – 14 CS 2577 – juris Rn. 26; U.v. 10.7.1998 – 2 B 96.2819 – juris Rn. 25). Hinzu kommt, dass eine Bebauung außerhalb des Straßengevierts und nicht mehr entlang des Straßenzugs, an dem sich das klägerische Grundstück befindet, für das Einfügungsgebot nach der Bauweise regelmäßig nicht mehr berücksichtigt werden kann, weil der Maßstab für die Bestimmung des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung enger zu ziehen ist als bei der Ermittlung des Gebietscharakters (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 1 ZB15.1039 – juris Rn. 7; BVerwG, B.v. 13.5.2014 – 4 B 38.13 – juris Rn. 7). Dem Zulassungsvorbringen, das lediglich die gegenteilige Auffassung der Klägerin wiedergibt, lässt sich nichts dafür entnehmen, dies hier anders zu beurteilen. Eine substantiierte Auseinandersetzung mit der vom Verwaltungsgericht ausführlich aufgrund der Augenscheinnahme in den Urteilsgründen bewerteten näheren Umgebung erfolgt insoweit nicht.
Das Verwaltungsgericht setzt sich ferner umfangreich mit der vorhandenen und beim Augenschein festgestellten Bebauung auseinander und kommt nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck zu dem Ergebnis, dass die im Zuge des Bauvorhabens entstehenden zwei grenzständig errichteten Baukörper dem Gepräge der offenen Bauweise in der näheren Umgebung widersprechen würden und zugleich das nachbarschaftliche Austauschverhältnis einseitig aufgegeben würde. Es stellt darauf ab, dass rückwärtige Anbauten entweder einen Abstand zur gemeinsamen Grundstücksgrenze von drei Metern einhalten oder spiegelbildlich bzw. profilgleich an die gemeinsame Grundstücksgrenze angrenzen. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Soweit das Zulassungsvorbringen das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung W … für eine regellose Bebauung anführt, genügt dies den Darlegungsanforderungen nicht. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass die Bebauung auf den Grundstücken FlNr. … und … Gemarkung W … nicht als in der Umgebung vorhandenes Vorbild für eine Aufgabe der offenen Bauweise dienen könne. Vielmehr handle es sich hier um eine Bebauung, die aufgrund des erheblichen einseitigen Grenzanbaus und des daraus resultierenden ausgeprägten Missverhältnisses erheblich aus dem Rahmen falle und in auffälligem Kontrast zur übrigen Bebauung stehe, weshalb von einem Fremdkörper auszugehen sei. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen, das wiederum lediglich die gegenteilige Auffassung der Klägerin wiedergibt, nicht substantiiert auseinander. Auch zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, dass eine Regelmäßigkeit auch dann noch angenommen werden könne, wenn sie ganz überwiegend vorhanden sei und nur in wenigen Ausnahmefällen nicht, verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht.
Der Vortrag, das Verwaltungsgericht habe die Zustimmungswirkung der Nachbarunterschrift verkannt und die zustimmende Unterschrift des Nachbarn auf den Bauvorlagen führe dazu, dass das Rücksichtnahmegebot nicht verletzt sei und auf die Geltendmachung drittschützender Rechte verzichtet werde, trifft nur insoweit zu, als der Nachbar, der einem Bauvorhaben zustimmt, auf Einwendungen verzichtet, die ihm aufgrund von auch seine Rechte schützenden Vorschriften gegen das Vorhaben zustehen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 16.5.2017 – 1 ZB 06.1180 – juris Rn. 13). Die Zustimmung des Nachbarn führt jedoch nicht dazu, dass nachbarschützende Vorschriften nicht mehr angewendet oder geprüft werden dürfen, denn die Beachtung dieser Vorschriften steht nicht zur Disposition des Nachbarn. Die Behörde muss vielmehr die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum Genehmigungsmaßstab gehöhrenden drittschützenden Vorschriften auch dann prüfen, wenn der Nachbar den Bauvorlagen zugestimmt hat (vgl. BayVGH, B.v. 15.7.2019 – 1 ZB 18.1668 – juris Rn. 4).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG. Sie entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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