Baurecht

Funktionslosigkeit bauplanerischer Festsetzungen – Grenzbebauung

Aktenzeichen  AN 3 K 18.01687

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 32103
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 45 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)
2. Umfasst die maßstabbildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise (vgl. § 22 Abs. 4 S. 1 BauNVO) eingestuft werden kann, hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen. Vorbehaltlich der Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme darf in diesen Fällen an die seitlichen Grenzen bzw. an eine seitliche Grenze gebaut werden. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fenster in einer Grenzwand müssen nicht in jedem Fall erhalten bleiben; vielmehr ist auch mit ihrem Verlust zu rechnen, wenn beidseitig in etwa deckungsgleich an die Grenze angebaut wird. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
4. Es wäre unbillig, einen Nachbarn den von den grenznahen baulichen Anlagen des anderen Nachbarn ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Vorbescheid vom 13. August 2018 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, die Vorbescheidsfragen 1 und 2 (jeweils Befreiung nicht erforderlich) sowie 3, 4 und 5 positiv zu beantworten.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist hinsichtlich der Vorbescheidsfragen, wie sie in der mündlichen Verhandlung ihren Niederschlag gefunden haben, begründet, da den Klägern insoweit ein Rechtsanspruch auf eine positive Beantwortung zusteht, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
Nach Art. 71 Satz 1, Satz 4, 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist auf Antrag vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid im Sinne der positiven Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfrage zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben hinsichtlich der gestellten Frage keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
1. Hiernach ist zu der Frage 1 „Ist im Hinblick auf die im Bebauungsplan vorgesehene Verkehrsfläche im Bereich des zu bebauenden Grundstücks eine Befreiung erforderlich?“ ein positiver Vorbescheid dahingehend zu erteilen, dass eine Befreiung von der bauplanerisch festgesetzten Verkehrsfläche (Straßenfläche) nicht erforderlich ist, da die diesbezügliche Festsetzung im Bebauungsplan Nr. … funktionslos geworden ist.
Eine bauplanerische Festsetzung tritt wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sich die Festsetzung bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt und die Erkennbarkeit dieser Tatsache einen Grad erreicht hat, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt. Entscheidend ist dabei, ob die jeweilige Festsetzung überhaupt noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten (vgl. BVerwG, B.v. 9.10.2003 – 4 B 85.03 – juris; BayVGH, B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 12.1544 – juris; U.v. 14.12.2016 – 2 B 16.1574 – juris).
Nach diesem Maßstab ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr damit zu rechnen, dass der Bereich, der in dem vorliegend einschlägigen Bebauungsplan Nr. … als Verkehrsfläche festgesetzt worden ist und in dem sich das klägerische Vorhaben zum überwiegenden Teil befindet, noch in einer der Zweckbestimmung entsprechenden Weise bebaut und genutzt werden wird.
Wie den Akten und auch aus dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten zu entnehmen ist, entsprechen die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … bezüglich der inmitten stehenden Verkehrsfläche nicht mehr den aktuellen städtebaulichen Zielvorstellungen der Beklagten, so dass die Fläche nicht mehr für die ursprünglich beabsichtigte Verbindungsstraße freigehalten werden muss.
Die in dem Bebauungsplan dargestellte Verbindungsstraße ist letztlich auch faktisch nicht mehr realisierbar, da hierfür mehrere Bestandsgebäude abgerissen werden müssten.
2. Infolgedessen ist auch im Hinblick auf die Frage 2 „Ist eine Befreiung von der im Bebauungsplan festgelegten Baugrenze erforderlich?“ ein positiver Vorbescheid dahingehend zu erteilen, dass eine Befreiung von der auf dem klägerischen Grundstück bauplanerisch festgesetzten Baugrenze nicht erforderlich ist, da die bauplanerische Festsetzung diesbezüglich ebenfalls funktionslos geworden ist.
Wie den Akten zu entnehmen ist, entsprechen auch die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … bezüglich der Baugrenze nicht mehr den aktuellen städtebaulichen Zielvorstellungen der Beklagten.
Insbesondere orientiert sich die auf dem klägerischen Grundstück verlaufende Baugrenze ganz eindeutig an der festgesetzten Verkehrsfläche. Nachdem diese nicht mehr verwirklicht werden kann, ist somit auch die entsprechend der geplanten Verkehrsführung festgesetzte Baugrenzenziehung hinfällig geworden.
3. Bezüglich der Frage 3 „Ist eine Büronutzung in Zusammenhang mit einem nicht störenden Handwerksbetrieb der Art nach möglich?“ ist ebenfalls ein positiver Vorbescheid zu erteilen.
In dem Bebauungsplan Nr. … ist das Gebiet westlich der Verkehrsfläche als Mischgebiet festgesetzt. In diesem Mischgebiet liegt eine Teilfläche im Westen des Vorhabengrundstücks.
Ob der Bebauungsplan Nr. … insgesamt und damit auch die Festsetzung als Mischgebiet im gegenständlichen Bereich unwirksam ist, kann letztlich dahingestellt bleiben, da im Falle einer Gesamtunwirksamkeit die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks jedenfalls als faktisches Mischgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO zu qualifizieren ist.
Gemäß § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Nach § 6 Abs. 2 BauNVO sind Bürogebäude sowie sonstige (nicht wesentlich störende) Gewerbebetriebe zulässig.
Mithin ist im vorliegenden Fall eine Büronutzung in Zusammenhang mit einem nicht störenden Handwerksbetrieb der Art nach möglich.
Überdies ist auch nach dem am 4. Dezember 2018 gefassten Aufstellungsbeschluss für ein
„3. Deckblatt zum Bebauungsplan Nr. … und 1. Deckblatt zum Bebauungsplan Nr. … der Stadt … – …straße“ weiterhin eine „gewerbliche Nutzung auf den Grundstücken westlich der …straße für kleine, nicht störende Gewerbebetriebe“ geplant, so dass die inmitten stehende Art der baulichen Nutzung auch nach wie vor den Planungszielen der Beklagten entspricht.
4. Auch zu der Frage 4 „Ist eine dreiseitige Grenzbebauung möglich?“ ist ein positiver Vorbescheid zu erteilen.
a) Ein Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO liegt nicht vor.
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf.
Entsprechend den obigen Ausführungen zu der festgesetzten Verkehrsfläche sowie zu der Baugrenzenfestsetzung ist aufgrund der tatsächlichen Entwicklung in dem inmitten stehenden Gebiet westlich der …straße insoweit von einem Funktionsloswerden der Festsetzung zur offenen Bauweise gemäß § 22 BauNVO auszugehen, so dass sich die Bauweise nach § 34 Abs. 1 BauGB bestimmt. Ausweislich der Behördenunterlagen hält die Beklagte eine geschlossene Bauweise aufgrund der Lage zu Bahn und Autobahn sogar für sinnvoll.
Der BayVGH führt hierzu in seiner Entscheidung vom 25. November 2013 – 9 B 09.952 – juris Folgendes aus:
„Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans hängt die Zulässigkeit der Errichtung eines Gebäudes mit oder ohne seitlichen Grenzabstand von der nach § 22 BauNVO festzusetzenden Bauweise ab. Entsprechendes gilt im nicht beplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Ergibt die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende, „Fremdkörper“ außer Betracht lassende Bestandsaufnahme des Vorhandenen, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand umfasst, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) eingestuft werden kann, dann hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen. Vorbehaltlich der Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme darf daher in diesen Fällen mit den in Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 geregelten abstandsflächenrechtlichen Folgen nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die seitlichen Grenzen bzw. an eine seitliche Grenze gebaut werden (BayVGH, U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – juris Rn. 25).
Dies gilt – wie der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs in dieser den Beteiligten übermittelten Entscheidung vom 23. März 2010 des weiteren überzeugend ausgeführt hat – entgegen einer in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs früher vielfach vertretenen, inzwischen aber wohl nicht mehr überwiegenden Auffassung auch dann, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden mit und ohne seitlichem Grenzabstand „regellos“ erscheint. Der Auffassung, Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 müsse im Hinblick auf vom Abstandsflächenrecht verfolgte „eigenständige Ziele“ in der Weise einschränkend ausgelegt werden, dass ein Grenzanbau nur dann im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 zulässig sei, wenn die vorhandene Bebauung in Bezug auf Grenzanbauten ein bestimmtes „Ordnungssystem“ erkennen lasse (so aber die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts, UA S. 18), ist der 1. Senat nicht gefolgt. Die für sie ins Feld geführten Gründe, dass das Abstandsflächenrecht nicht nur eine ausreichende Versorgung der Räume mit Tageslicht bezwecke, sondern auch ein verträgliches Wohnklima gewährleisten solle, seien nicht so zwingend, dass sie eine vom eindeutigen Wortlaut abweichende Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 geböten. Denn der Belang gesunder Wohnverhältnisse sei auch ein bauplanungsrechtlicher Belang (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB); wenn er nicht ausreichend gewahrt sei, müsse die Gemeinde dem nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB mit den Mitteln der Bauleitplanung begegnen (BayVGH, U.v. 23.3.2010 a.a.O. – juris Rn. 25).
Der vorstehenden Auffassung des 1. Senats hat sich – wie schon früher der 15. Senat (B.v.25.1.2008 – 15 ZB 06.3115 – juris) – auch der 14. Senat (vgl. U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616 – juris Rn. 31, unter Aufgabe seiner anderslautenden früheren Rechtsprechung) angeschlossen. Auch der erkennende Senat, der diese Frage in seinem Urteil vom 4. Januar 2011 (Az. 9 B 10.1828 – juris Rn. 17 und 18) noch offen lassen konnte, ist ihr in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mittlerweile gefolgt (vgl. B.v. 8.10.2013 – 9 CS 13.1636 – juris Rn.11). Hieran ist festzuhalten. Im vorliegenden Fall ist daher davon auszugehen, dass das Vorhaben des Beigeladenen keine Abstandsflächen einhalten muss, weil es nach Planungsrecht zwar nicht an die Grenze gebaut werden muss, aber im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998 bzw. des nunmehrigen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO gebaut werden darf.“
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe muss das inmitten stehende Bauvorhaben keine Abstandsflächen einhalten, da nach Planungsrecht zwar nicht an die Grenze gebaut werden muss, aber gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO gebaut werden darf. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen weist die bereits vorhandene Bebauung im Umgriff des klägerischen Vorhabens Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand auf. Es existiert auch im Bereich westlich der …-straße gerade keine vorherrschende Bebauung, sondern eine „regellose“ Mischung von Gebäuden mit und ohne Grenzabstände.
b) Das Vorhaben der Kläger erweist sich im Hinblick auf die grenzständige Bebauung auch nicht als rücksichtslos gegenüber dem Eigentümer des Nachbargrundstücks FlNr. … der Gemarkung … Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 17.10.2013 – W 4 S 13.987 – juris).
Für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit ist ferner unerheblich, ob das Gebäude eines Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den baurechtlichen Bestimmungen errichtet worden ist und Bestandsschutz genießt (BayVGH, B.v. 9.10.2006 – 26 ZB 06.1926 – juris; VGH Baden-Württemberg, B.v. 20.1.1997 – 5 S 3088/96 – juris).
In ständiger Rechtsprechung vertritt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ferner die Auffassung, dass Fenster in einer Grenzwand nicht in jedem Fall erhalten bleiben müssen, sondern vielmehr auch mit ihrem Verlust zu rechnen ist, wenn beidseitig in etwa deckungsgleich an die Grenze angebaut wird. Dieser Rechtssatz zieht nicht automatisch immer ein Anbaurecht auf der anderen Seite nach sich, sondern ist Ausdruck der Überlegung, dass derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung von Grenzabständen selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen kann. Diese regelhafte Interessengewichtung ist jedoch offen für Sonderfälle, in denen ein besonderer Vertrauensschutz des Nachbarn begründet ist oder bodenrechtlich absolut unhaltbare Zustände durch den fensterverbauenden Grenzanbau ausgelöst würden (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris)
Vorliegend würden zwar die von der Beklagten mit Bescheid vom 17. Juli 1975 genehmigten Glasbausteinelemente im Vorbereitungsraum der Autolackiererei in der zum Klägergrundstück hin grenzständig errichteten Brandschutzwand auf dem Anwesen FlNr. … der Gemarkung … durch das inmitten stehende Vorhaben weitgehend zugemauert werden und hierdurch letztlich eine tatsächliche Verschlechterung der baulichen Situation auf diesem Nachbargrundstück entstehen. Dieser Umstand führt jedoch nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da es sich bei der betroffenen Wand um eine Grenzwand handelt und insbesondere keine notwendigen Fenster gemäß Art. 45 Abs. 2 und 3 BayBO betroffen sind, so dass die Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten des Eigentümers des Nachbargrundstücks nicht überschritten ist.
Insbesondere wäre eine Berufung auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch den geplanten Grenzanbau missbräuchlich, da der Eigentümer des Nachbargrundstücks FlNr. … der Gemarkung … durch eine eigene Grenzbebauung selbst gegen dieses Gebot verstößt; die ungünstige Belichtungssituation beruht letztlich insbesondere auf der Ausgestaltung der Bebauung des rückwärtigen Teils des Grundstücks. Insoweit gilt hier nichts anderes als bei einem wechselseitigen Verstoß gegen Abstandsflächenvorschriften. Es wäre unbillig, einen Nachbarn den von den grenznahen baulichen Anlagen des anderen Nachbarn ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren (vgl. hierzu auch VG München, U.v. 29.7.2013 – M 8 K 12.5568 – juris; VG Würzburg, B.v. 8.8.2012 – W 5 S 12.630 – juris; VG Würzburg, B.v. 17.10.2013 – W 4 S 13.987 – juris).
5. Schließlich ist auch hinsichtlich der Frage 5 „Wird der dargestellten Stellplatzanordnung laut Plan zugestimmt?“ ein positiver Vorbescheid zu erteilen.
Gemäß Anlage 1 (Richtzahlenliste) zur Satzung über die Herstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen (Stellplatzsatzung) der Beklagten vom 31. Mai 2010 in der Fassung vom 7. Oktober 2016 sind nach Ziffer 2.1 je 35 qm Büroräume ein Stellplatz, nach Ziffer 9.1 je 60 qm Handwerksbetrieb ein Stellplatz sowie nach Ziffer 9.2 je 90 qm Lagerfläche ein Stellplatz erforderlich.
Gemäß § 2 Abs. 1 der Stellplatzsatzung ist entsprechend der jeweiligen Nutzung rechnerisch auf zwei Stellen hinter dem Komma die jeweilige Stellplatz- und Fahrradabstellplatzzahl zu ermitteln und durch Auf- bzw. Abrundung auf eine ganze Zahl festzusetzen. Aufzurunden ist, wenn die nachfolgende Dezimalstelle mindestens oder größer als 5 ist; andernfalls ist abzurunden. Bei Vorhaben mit unterschiedlichen Nutzungen ist der Bedarf an Stellplätzen und Fahrradabstellplätzen jeder einzelnen Nutzung zunächst ohne Anwendung der Rundungsregel nach Satz 3 auf zwei Dezimalstellen nach dem Komma zu ermitteln. Die so ermittelten Werte sind zu addieren und dann entsprechend Satz 3 als ganze Zahl festzusetzen.
Die dem Vorbescheidsantrag beigefügten Planzeichnungen sehen zwei Büroflächen in Höhe von insgesamt 102,56 qm sowie eine Werkstattfläche von 253,16 qm, wovon laut Angaben der Kläger im Vorbescheidsantrag ca. 150 qm auf den Handwerksbetrieb sowie ca. 100 qm auf das Lager entfallen, vor. Hieraus ergibt sich unter Zugrundelegung der oben genannten Richtzahlen und Rundungsregelungen ein Gesamtbedarf an sieben Stellplätzen.
Gegen die Anordnung der Stellplätze bestehen dem Grunde nach keine Bedenken. Die von der Beklagten im behördlichen Verfahren geäußerten Vorbehalte im Hinblick auf eine Eingrünung sowie die Abgrenzung zur …straße (z.B. mittels Zaun oder Hecke) können einer Regelung im Rahmen der endgültigen Baugenehmigung vorbehalten bleiben.
Nach alledem war der Verpflichtungsklage hinsichtlich der Vorbescheidsfragen, wie sie in der mündlichen Verhandlung ihren Niederschlag gefunden haben, vollumfänglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2, 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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