Baurecht

Heranrückende Wohnbebauung – Erfolgloser Eilantrag einer Abfindungsbrennerei

Aktenzeichen  9 CS 18.1102

Datum:
24.7.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17178
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3, § 113 Abs. 1 S. 1, § 146 Abs. 4 S. 6
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 5 Abs. 2 Nr. 3, § 15 Abs. 1 S. 2
AlkStG § 9

 

Leitsatz

1 Im Rahmen des Rücksichtnahmegebots muss es ein Bauherr hinnehmen, dass Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2 Dem entspricht es im Gegenzug, dass der Bauherr Emissionen nur aus einem ordnungsgemäßen und dem Stand der Technik entsprechenden Betrieb einer emittierenden Anlage hinzunehmen hat. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 5 S 18.394 2018-04-30 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller betreibt auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung R* … eine Abfindungsbrennerei und wendet sich gegen die den Beigeladenen vom Landratsamt M* …- … mit Bescheid vom 13. November 2017 erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Doppelcarport auf den westlich gelegenen Nachbargrundstücken FlNr. … und … (nach Verschmelzung zwischenzeitlich nur noch …*) Gemarkung R* …
Gegen die Baugenehmigung vom 13. November 2017 erhob der Antragsteller Klage (W 5 K 17.1446), über die noch nicht entschieden ist. Seinen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 30. April 2018 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Antragsteller weder auf einen Gebietsbewahrungsanspruch noch auf das Gebot der Rücksichtnahme zur Abwehr der geplanten Wohnbebauung berufen könne. Der Antragsteller sei nicht schutzwürdig, weil für die Brennerei keine Baugenehmigung bestehe und der Betrieb (wohl) nicht dem Stand der Technik und dem immissionsschutzrechtlichen Vermeidungsgrundsatz entsprechend betrieben werde.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Ansicht, das Bauvorhaben nehme nicht die gebotene Rücksicht auf die bereits vorhandene Nutzung der Brennerei. Das Heizen mit Holz sei üblich und die Rauchentwicklung aufgrund harzhaltiger Schichten unvermeidbar. Zudem komme es beim Brennen zu Geruchsemissionen beim Abkühlen der Maische sowie zu Geräuschemissionen. Seine seit 1973 betriebene Brennerei sei entsprechend der Vermerke des Hauptzollamtes und des Zollkommissariates geprüft und genehmigt und werde auch dem Stand der Technik entsprechend betrieben. Durch die Nutzungsänderung eines Abstellraumes in eine Brennerei werde die Genehmigungsfrage in bodenrechtlicher Hinsicht nicht neu aufgeworfen, da sich an der Gebäudehülle und der landwirtschaftlichen Funktion nichts geändert habe. Jedenfalls sei die Brennerei in dem Dorfgebiet genehmigungsfähig, so dass hieraus passiver Bestandsschutz und ein störungspräventiver Abwehranspruch folge.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 30. April 2018 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der am 15. Dezember 2017 eingereichten Klage des Antragstellers gegen den Antragsgegner (auf Aufhebung der vom Landratsamt Main-Spessart den Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 13. November 2017 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beigeladenen machen geltend, dass die Beschwerde zurückzuweisen ist. Sie sind der Ansicht, dass ihr Wohnbauvorhaben nicht dem Gebietscharakter widerspricht. Ein Umkippen des Gebietes sei aufgrund der vorhandenen weiteren landwirtschaftlichen Betriebe nicht ersichtlich. Im Übrigen seien die Behauptungen des Antragstellers zu störenden Auswirkungen seiner Brennerei nicht belegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz im Ergebnis zu Recht abgelehnt, weil die Klage im Hauptsacheverfahren voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die angefochtene Baugenehmigung vom 13. November 2017 verstößt, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Das Bauvorhaben der Beigeladenen ist in dem hier von den Beteiligten unstreitig angenommenen faktischen Dorfgebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO seiner Art nach bauplanungsrechtlich ohne weiteres zulässig. Infolgedessen kann sich der Antragsteller nicht auf einen Gebietsbewahrungsanspruch berufen. Abzustellen ist daher auf das Gebot der Rücksichtnahme, hier gem. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Dieses soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die dabei vorzunehmende Abwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmebegünstigten ist, desto mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, um so weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Berechtigte Belange muß er nicht zurückstellen, um gleichwertige fremde Belange zu schonen. Dagegen muß er es hinnehmen, daß Beeinträchtigungen, die von einem legal genutzten vorhandenen Bestand ausgehen, bei der Interessenabwägung als Vorbelastungen berücksichtigt werden, die seine Schutzwürdigkeit mindern (BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – juris Rn. 20). Darüberhinaus ist der Schutz des Wohnens in Dorfgebieten geringer als in Wohngebieten (vgl. BayVGH, U.v. 3.1.1995 – 2 B 91.2878 – BayVBl 1995, 347; BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – juris Rn. 32). Dieser Belastung des „hinzutretenden“ Wohnbauvorhabens der Beigeladenen entspricht es im Gegenzug, dass es Emissionen nur aus einem ordnungsgemäßen und dem Stand der Technik entsprechenden Betrieb der Brennerei hinzunehmen hat (vgl. VGH BW, U.v. 4.2.1992 – 3 S 1616/90 – juris Rn. 19), mithin dürfen die Belästigungen oder Störungen der Brennerei nach der Eigenart des Dorfgebietes dort nicht unzumutbar sein (vgl. BayVGH, B.v. 25.1.1991 – 14 CS 90.3271 – BayVBl 1991, 694/695).
Der Antragsteller beruft sich auf eine Schutzwürdigkeit seiner Abfindungsbrennerei (vgl. § 57 BranntwMonG in der bis 31.12.2017 geltenden Fassung bzw. seit 1.1.2018: § 9 AlkStG) vor heranrückender Wohnbebauung aufgrund von Rauch-, Lärm- und Geruchsemissionen seines Betriebes. Unabhängig von der Frage, ob der Betrieb des Antragstellers baurechtlich genehmigt – wofür nichts ersichtlich ist – oder genehmigungsfähig ist, ergeben sich aus dem Vortrag des Antragstellers im Klageverfahren sowie aus dem Beschwerdevorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass die von seinem Betrieb hervorgerufenen Immissionen auf dem Grundstück der Beigeladenen das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß überschreiten, so dass sich auch unter dem Gesichtspunkt des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots keine Abwehr- oder Schutzansprüche begründen (vgl. BVerwG, U.v. 14.1.1993 – 4 C 19.90 – juris Rn. 22).
Bereits nach eigenem Vortrag des Antragstellers wird die Einhaltung der Anforderungen an Feuerungsanlagen durch regelmäßige Überprüfungen des Bezirkskaminkehrermeisters bestätigt, so dass nicht von unzulässigen Emissionen aufgrund des Heizvorgangs auszugehen sein dürfte. Zudem liegt das Bauvorhaben der Beigeladenen auch nach der vom Antragsteller vorgelegten Windverteilung nicht in Hauptwindrichtung. Soweit sich der Antragsteller auf Lärmemissionen seines Betriebes beruft, wird in der Fachtechnischen Stellungnahme des Immissionsschutzes des Landratsamts vom 30. Januar 2018 ausgeführt, dass es sich bei den beschriebenen Geräuschen um Schallemissionen handelt, die zum einen im Rahmen des Vermeidbaren liegen und zum anderen nicht davon ausgegangen werden kann, dass der auf eine Beurteilungszeit von 16 Stunden während des Tages bezogene Immissionsrichtwert der TA Lärm für ein Dorfgebiet überschritten wird. Dieser von fachkundigen Personen erfolgten Beurteilung (vgl. BayVGH, B.v. 30.6.2011 – 22 CS 11.902 – juris Rn. 4) tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Gleiches gilt für die vom Antragsteller angeführten Geruchsemissionen. Insoweit lässt sich der Fachtechnischen Stellungnahme vom 30. Januar 2018 entnehmen, dass bei einer Abdeckung der Maische nach Abdampfen nicht von einer Beaufschlagung mit Geruchsimmissionen außerhalb des zulässigen Rahmens ausgegangen werden kann. Danach spricht überwiegendes dafür, dass die Brennerei des Antragstellers – wenn sie ordnungsgemäß betrieben wird – keine in der Nachbarschaft unzumutbaren Immissionen verursachen dürfte. Gegenteiliges lässt sich auch dem Baukontrollbericht des Landratsamts vom 28. Juni 2018 nicht entnehmen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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