Baurecht

Inanspruchnahme des Eigentümers eines Oberliegergrundstücks wegen Felssturzgefahr

Aktenzeichen  10 CS 20.839

Datum:
4.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16880
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3, Art. 9 Abs. 2
BayStrWG Art. 29
BBodSchG § 10
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

1. § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG stellt keine die sicherheitsrechtliche Generalklausel verdrängende Spezialvorschrift dar. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es bedarf hinreichender Ermessenserwägungen der Behörde, ob sie bei Gefahrerforschungseingriffen die entsprechenden Anordnungen an den (Zustands-)Störer richtet oder sie im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht zunächst selbst tätig wird und erst auf der Ebene der Kostentragung den Verursacher der tatsächlichen Gefahr in Anspruch nimmt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei nachteiligen Wirkungen auf eine Straße, die ausschließlich durch Naturvorgänge verursacht sind, wird die Zustandsverantwortlichkeit für das Grundstück gegenüber einer Sicherungspflicht des Straßenbaulastträgers zurücktreten, wenn erst das Hinzukommen der Straße und des Verkehrs die gefahrbedrohte Situation geschaffen hat. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer an Belastungen zugemutet werden darf, kann als Anhaltspunkt der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sanierung dienen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 4 S 20.185 2020-03-18 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. März 2020 wird geändert und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragsstellers gegen Nrn. 1, 2 und 4 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2020 wiederhergestellt bzw. angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2020 weiter.
Mit diesem Bescheid hat die Antragsgegnerin ihn verpflichtet, für die auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück Fl.Nr. 341 liegenden Felsformationen mit den im Begehungsprotokoll zum Gutachten vom 3. Juli 2019 unter den laufenden Nrn. 6, 9 und 14 genannten Felswänden durch ein fachlich qualifiziertes Büro eine Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung erstellen zu lassen, aus der die Gefährdungen durch Felssturz sowie Steinschlag für die Unterlieger, insbesondere das Unterliegergrundstück Fl.Nr. 196 der Gemarkung P* … als auch für die im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. 341 der Gemarkung P* … befindliche Gemeindeverbindungs straße hervorgehen (Nr. 1.1) und auf der Grundlage der Ergebnisse der geforderten Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung, eine baureife Planung zur Sicherung der gefährdeten Bereiche (Nr. 1.2) sowie eine Kostenberechnung für Sicherungsmaßnahmen und eine Verträglichkeitsprüfung gemäß § 34 BNatSchG erstellen zu lassen (Nr. 1.3) und diese der Antragsgegnerin spätestens acht Wochen nach Zustellung des Bescheids vorzulegen (Nr. 2). Nr. 4 des Bescheids enthält eine Zwangsgeldandrohung für die nicht fristgerechte Vorlage der geforderten Unterlagen.
Die Antragsgegnerin stützt sich hierbei auf das Gutachten des Baugrundinstituts St. vom 3. Juli 2019, das der Eigentümer der Fl.Nr. 196 im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahren vorgelegt hatte, sowie das Schreiben des Bayerischen Landesamtes für Umwelt vom 10. Oktober 2019.
Das Gutachten vom 3. Juli 2019 kommt zum Ergebnis, dass von den Bereichen 6, 9 und 13 ein gewisses Risiko für das Baufeld ausgehe, weil eine akute Gefährdung durch Steinschlag bestehe. Im Bereich 14 sei mit einer latenten Gefährdung zu rechnen. Durch die Herstellung eines Steinschlagschutzzaunes oberhalb des Grundstücks Fl.Nr. 196 wäre grundsätzlich eine Sicherung des geplanten Baufeldes möglich. Im Schreiben vom 10. Oktober 2019 rät das Bayerische Landesamt für Umwelt dringend zu einer Sicherung des auf dem Grundstück Fl.Nr. 196 bestehenden Anwesens, unabhängig von dem aktuellen Bauantrag. Von einer zusätzlichen Neubebauung im Schutz von zu errichtenden Schutzbauten werde zudem abgeraten.
Zur Begründung ihrer mit Sofortvollzug versehenen Anordnungen führt die Antragsgegnerin aus, Rechtsgrundlage für den Erlass des Bescheides sei Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG. Es bestehe die konkrete Gefahr, dass sich oberhalb des Anwesens N* … 8 Felsbrocken lösten, herabstürzten und Menschen getroffen und verletzt oder getötet würden. Der Antragsteller sei Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. 341, auf dem sich Felsen befänden, von denen nach dem vorliegenden Gutachten sowohl akute als auch latente Gefahren ausgingen. Um feststellen zu können, welche konkreten Sicherungsmaßnahmen erforderlich würden und um über die Kostentragung entscheiden zu können, benötige die Antragsgegnerin weitere Unterlagen in Form einer aussagekräftigen Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung zu den Gefährdungen, die von den auf dem Grundstück Fl.Nr. 341 liegenden Felsformationen ausgingen. Der Antragsteller sei Zustandsstörer nach Art. 9 Abs. 2 LStVG. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei beachtet. Vorliegend gehe es darum, weitere Unterlagen zur Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung zu erhalten.
Den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die im Bescheid getroffenen Anordnungen wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. März 2020 ab. Weder das Bodenschutzgesetz noch Art. 29 BayStrWG stellten eine den Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG verdrängende Spezialvorschrift dar. Zielrichtung des Bodenschutzgesetzes sei der Schutz der Funktionen des Bodens. Art. 29 BayStrWG sei keine Befugnisnorm für Einzelanordnungen, sondern stelle eine gesetzlich normierte Duldungs- und Unterlassungspflicht des Eigentümers eines Oberliegergrundstücks auf. Die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG lägen hinsichtlich der getroffenen Anordnungen vor. Für das Grundstück Fl.Nr. 196 ergebe sich eine potentielle Gefahr von Steinschlägen. Dies werde auch durch das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten vom 16. August 2019 nicht widerlegt. Dies reiche aus, um einen Gefahrenverdacht zu begründen, welcher sog. Gefahrerforschungseingriffe rechtfertige. Es stehe dann im Ermessen der Behörde, von Amts wegen tätig zu werden oder einen potentiellen Verantwortlichen zu verpflichten, nähere Erkenntnisse zu Umfang und Auswirkung der Gefahrenlage vorzulegen. Der Antragsteller als Eigentümer des Grundstücks könne als Zustandsverantwortlicher herangezogen werden. Die streitgegenständlichen Anordnungen seien auch nicht unverhältnismäßig.
Im Beschwerdeverfahren beantragt der Antragsteller:
Unter Aufhebung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 18. März 2020 wird die aufschiebende Wirkung der Klage vom 7. Februar 2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. Januar 2020 wiederhergestellt.
Zur Begründung seiner Beschwerde bringt er vor, entgegen der Auffassung des Erstgerichts habe die Anordnung nicht auf die Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt werden können, da sie durch die spezialgesetzliche Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG verdrängt werde. Im Hinblick auf die Gesetzesbegründung könne keine Rede davon sein, dass, wie das Erstgericht annehme, das Bodenschutzgesetz von vornherein nicht die Gefahrenabwehr durch Steinschlag erfasse. Entsprechendes habe beispielsweise das Verwaltungsgericht Freiburg bereits im Jahr 2002 entschieden. Der Begriff der schädlichen Bodenveränderung sei nicht auf solche Veränderungen beschränkt, die auf menschlichen Eingriffen beruhten. Selbst wenn aber Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG nicht durch die spezialgesetzliche Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG verdrängt werde, so stehe der Inanspruchnahme des Antragstellers als Zustandsstörer der Rechtsgedanke des Art. 29 BayStrWG entgegen. Art. 29 BayStrWG stelle zwar keine zu einer Einzelanordnung ermächtigende Befugnisnorm dar, er stehe jedoch einer Inanspruchnahme des Eigentümers eines Hanggrundstücks als Zustandsstörer zum Schutz einer benachbarten Straße insoweit entgegen, als der Gesetzgeber für den Fall, dass Straßen durch Natureinwirkungen betroffen werden, eine Regelung getroffen und damit seinen Willen zum Ausdruck gebracht habe, dass Einrichtungen zum Schutz der Straße von Natureinwirkungen durch den Träger der Straßenbaulast errichtet werden sollten und den Eigentümer eines benachbarten Grundstücks lediglich eine Duldungspflicht treffe. Eine sicherheitsrechtliche Inanspruchnahme des Eigentümers eines benachbarten Grundstücks als Zustandsstörer würde diese Regelung aushöhlen und dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen. Die streitgegenständlichen Anordnungen dienten nicht nur dem Schutz der Wohnbebauung auf dem Unterliegergrundstück. Dies ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Anordnung, wonach gemäß Ziffer 1.1 des Bescheides eine Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung auch für die im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. 341 befindliche Gemeindeverbindungs straße erstellt werden solle. Dies ergebe sich zudem aus dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten des Sachverständigenbüros Dr. H. sowie aus dem Schreiben des Landratsamtes K* … vom 18. Oktober 2019, wonach eine Gefährdung durch Steinschlag für die vor dem Anwesen vorbeiführende Straße bzw. die Staats straße … nicht ausgeschlossen werden könne. Eine sicherheitsrechtliche Inanspruchnahme des Antragstellers als Eigentümer des benachbarten Grundstücks stehe damit der Rechtsgedanke des Art. 29 Abs. 1 BayStrWG entgegen. Dies dürfte erst recht gelten, weil der Antragsteller die für den Straßenbau erforderlichen Flächen gerade zum Zweck des Straßenbaus verkauft habe und nunmehr dafür in Anspruch genommen werden solle, die Sicherheit der im Anschluss errichteten Straße zu gewährleisten. Zudem sei die Störerauswahl des Antragstellers als Zustandsstörer ermessensfehlerhaft. Die Gefahr für die Bewohner des Wohnhauses auf dem Unterliegergrundstück werde gerade erst durch die Errichtung dieses Wohnhauses begründet. Insofern hätte es nahegelegen, Ermessenserwägungen im Hinblick auf die Inanspruchnahme des Unterliegers als Handlungsstörer anzustellen. Ermessenserwägungen zur Störerauswahl gebe es im Bescheid keine. Ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zur Störerauswahl scheide im Falle des Ermessensnichtgebrauchs aus. Im Hinblick darauf, dass der Straßenbaulastträger grundsätzlich für die Sicherheit der Straße verantwortlich sei, hätte es zudem nahegelegen, über eine Inanspruchnahme des Straßenbaulastträgers nachzudenken. Schließlich sei bei der Ermessensentscheidung im Hinblick auf das „Ob“ der Inanspruchnahme unberücksichtigt geblieben, dass der Antragsteller das Grundstück nicht wirtschaftlich nutze, sondern es in Wahrung öffentlicher Aufgaben zur Förderung des Vereinszweckes für Zwecke des Naturschutzes brachliegen lasse. Zudem habe sich die Antragsgegnerin keine Gedanken darüber gemacht, dass die Zustandsverantwortlichkeit auf den Grundstückswert begrenzt sei. Der Verkehrswert des Hanggrundstückes betrage allenfalls 5.367,20 Euro. Die im Bescheid vom 28. Januar 2020 getroffenen Anordnungen dürften mit diesem Betrag kaum zu bewerkstelligen sein. Ohne Anerkennung einer Rechtspflicht wäre der Antragsteller allerdings sogar bereit, der Antragsgegnerin den ermittelten Grundstückswert zur Verfügung zu stellen, wenn im Gegenzug die Anordnung zurückgenommen werde und sie die notwendigen Maßnahmen selbst ergreife.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts und verweist darauf, dass vom Straßenbaulastträger nicht der Schutz der Bebauung des „zwischenliegenden“ Privatgrundstücks verlangt werden könne. Die Annahme, die lediglich im Sinne einer Exploration geforderten Maßnahmen würden den Grundstückswert übersteigen, sei spekulativ.
Ergänzend wird auf die vorgelegten Behördenakten und die Gerichtsakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Aufgrund des Beschwerdevorbringens, auf dessen Überprüfung der Senat im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 18. März 2020 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin im tenorierten Umfang wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu treffende Abwägungsentscheidung führt dazu, dass das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die im Bescheid vom 28. Januar 2020 unter Nr. 1 und 2 getroffenen Anordnungen bis zur Entscheidung in der Hauptsache das Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der streitgegenständlichen Anordnungen überwiegt.
Es sprechen gute Gründe dafür, dass die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 28. Januar 2020 insoweit erfolgreich sein wird, weil die Antragsgegnerin jedenfalls nicht alle relevanten Tatsachen angemessen berücksichtigt und in ihre Entscheidung zur Inanspruchnahme des Antragstellers als Zustandsstörer (Art. 9 Abs. 2 LStVG) eingestellt hat.
Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht sind zwar zu Recht davon ausgegangen, dass Anordnungen, wie die Antragsgegnerin sie getroffen hat, grundsätzlich auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG gestützt werden können. § 10 Abs. 1 Satz 1 BBodSchG stellt insoweit keine diese Befugnisnorm verdrängende Spezialvorschrift dar. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist Zweck des Bundesbodenschutzgesetzes die in § 2 Abs. 2 BBodSchG genannten Funktionen des Bodens nachhaltig zu sichern oder wiederherzustellen. § 2 Abs. 2 Nr. 3 BBodSchG nennt hierbei auch die Nutzungsfunktion des Bodens als Fläche für Siedlung und Erholung. Die Siedlungsfunktion richtet sich auf das Zurverfügungstellen von Baugrund für sämtliche Ansiedlungen (Erbguth/Schubert in BeckOK Umweltrecht, Stand 1.7.2019, § 2 Rn. 10). Mit dem Begriff der Beeinträchtigung stellt der Gesetzgeber auf eine nachteilige Veränderung eines vorhandenen Zustandes ab. Bezugspunkte sind die in § 2 Abs. 2 BBodSchG angeführten Bodenfunktionen, nicht der Boden an sich, sondern grundsätzlich dessen Funktionen müssen mithin negativ beeinflusst sein. Der Begriff Bodenveränderung umfasst sowohl stoffliche Einträge wie auch Veränderungen der Bodenphysik und die Flächenversiegelung (BT-Drs. 13/6701, S. 29; Landmann/Rohmer, UmweltR, Stand September 2019, BBodSchG § 2 Rn. 17, 18). Bei einem drohenden Steinschlag handelt es sich aber um keine Bodenveränderung in diesem Sinne. Zweck der behördlichen Anordnung ist die Gefahrenabwehr für Personen, die sich auf dem Grundstück Fl.Nr. 196 bzw. der Staats straße aufhalten, und nicht der Schutz der jeweiligen Grundstücksfläche vor nachteiligen Veränderungen im oben dargelegten Sinn. Nichts anderes ergibt sich aus dem Zitat des Antragstellers in der Beschwerdebegründung zur Zustandsverantwortlichkeit des Grundstückseigentümers (Schriftsatz vom 27.4.2020, S. 4). Gemeint ist damit, dass der Grundstückseigentümer Bodenabtragungen zu verhindern hat, um die natürliche Funktion des Bodens auf seinem Grundstück zu erhalten.
Die Anwendbarkeit der sicherheitsrechtlichen Generalklausel aus Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG ist auch nicht durch Art. 29 BayStrWG ausgeschlossen, da diese Vorschrift keine Befugnisnorm darstellt, die Art. 7 Abs. 2 LStVG verdrängt (VG München, U.v. 24.2.2011 – M 22 K 10.5503 – juris Rn. 15 m.w.N.).
Der Eigentümer eines Grundstücks kann damit grundsätzlich im Wege der Zustandsstörerhaftung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG i.V.m. Art. 9 Abs. 2 LStVG in Anspruch genommen werden, wenn von seinem Grundstück Felsen auf ein Unterliegergrundstück zu stürzen drohen (BVerwG, U.v. 31.7.1998 – 1 B 229-97 – NJW 1999, 231; BayVGH, B.v. 4.3. 1997 – 24 CS 96.3366 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 26.9.1995 – 21 B 95.1527 – BayVBl. 1996, 437). Der Bescheid der Antragsgegnerin weist aber gleichwohl rechtliche Mängel auf, die einen Erfolg der Klage des Antragstellers als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen.
Aus dem Bescheid wird bereits nicht hinreichend klar, ob die Anordnungen der weiteren Erforschung des Sachverhalts oder der Vorbereitung endgültiger Abwehrmaßnahmen, also der Gefahrenabwehr, dienen. In den Gründen des Bescheides geht die Antragsgegnerin aufgrund des Gutachtens vom 3. Juli 2019 und des Schreibens des Bayerischen Landesamtes für Umwelt vom 10. Oktober 2019 davon aus, dass sich auf dem Grundstück des Antragstellers Fl.Nr. 341 Felsen befinden, von denen sowohl akute als auch latente Gefahren ausgehen. Mit Blick auf die angenommene akute Gefährdung für das Grundstück Fl.Nr. 196 hätte es also nahegelegen, eine konkrete Sicherungsanordnung zur Abwehr dieser akuten Gefahr zu erlassen. In Nr. 1.1 des Bescheids verpflichtet die Antragsgegnerin den Antragsteller jedoch, eine Risikobewertung und Gefahrenbeurteilung für das Grundstück Fl.Nr. 196 und die im Bereich des Grundstücks Fl.Nr. 341 befindliche Gemeindeverbindungs straße erstellen zu lassen. Eine Beschränkung auf den vor dem Grundstück Fl.Nr. 196 vorbeiführenden Teil der Gemeindeverbindungs straße erfolgt dabei gerade nicht. Eine etwaige Gefährdung der Gemeindeverbindungs straße war weder Gegenstand des Gutachtens vom 3. Juli 2019 noch des Schreibens vom 10. Oktober 2019. Lediglich im Schreiben des Landratsamtes K* … vom 18. Oktober 2019 – das die Antragsgegnerin im Bescheid allerdings nicht erwähnt – wird davon gesprochen, dass eine Gefährdung für die am Anwesen vorbeiführende Straße bzw. die Staats straße … (richtig wohl Gemeindeverbindungs straße) nicht ausgeschlossen werden könne. Insoweit spricht daher nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs mehr für eine Anordnung zur Gefahrenerforschung.
Ob auch Anordnungen zur weiteren Gefahrenerforschung, wenn noch keine konkrete Gefahr vorliegt, sondern nur ein sogenannter Gefahrenverdacht, der im Vorfeld der Gefahr liegt und bei dem nicht die scheinbare Gewissheit einer Gefahrensituation wie bei der Anscheinsgefahr besteht, auf sicherheitsrechtliche Generalklauseln (hier: Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG) gestützt werden können, lässt der Senat offen (dafür vgl. Holzner in BeckOK Polizei- und Sicherheitsrecht, Stand 1.2.2019, PAG, Art. 11 Rn. 207; BVerwG, U.v. 25.10.2019 – 6 C 45.16 – juris Rn. 127; BayVGH, U.v. 8.7.2016 – 4 B 15.1285 – juris Rn.17; a. A. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 8. Aufl. 2013, Rn. 88), weil es hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt. Denn bei Gefahrerforschungseingriffen steht es im Ermessen der Behörde, ob die entsprechenden Anordnungen an den (Zustands-)Störer gerichtet werden oder die Behörde im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht (Art. 24 BayVwVfG) zunächst selbst tätig wird und erst auf der Ebene der Kostentragung den Verursacher der tatsächlichen Gefahr in Anspruch nimmt (BayVGH, B.v. 13.5.1986 – 20 CS 86.00338 – juris Rn. 18). Insoweit fehlt es aber an hinreichenden Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin. Das Verwaltungsgericht ist zwar von einer Anordnung zur Gefahrenerforschung ausgegangen und hat die „Störerauswahl“ der Antragsgegnerin als ermessensfehlerfrei angesehen. Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts können aber die von der Antragsgegnerin als Sicherheitsbehörde zu treffenden Erwägungen zur Inanspruchnahme des Zustandsstörers gerade nicht ersetzen.
An einem (Ermessens-)Fehler leidet die Anordnung vom 28. Januar 2020 auch deshalb, weil die Antragsgegnerin bezüglich einer (latenten?) Felssturzgefahr für die an dem Grundstück des Antragstellers vorbeiführende Gemeindeverbindungs straße den Rechtsgedanken aus Art. 29 BayStrWG nicht berücksichtigt hat (VG München, U.v. 16.11.2000 – M 17 K 99.2519 – juris; VG München, U.v. 24.2.2011 – M 22 K 10.5503 – juris; Zeitler/Wiget, BayStrwG, Stand März 2019; Art. 29 Rn. 8). Bei nachteiligen Wirkungen auf eine Straße, die ausschließlich durch Naturvorgänge verursacht sind, sind die Verantwortungssphären des Grundstückseigentümers einerseits und des Straßenbaulastträger als Straßenverkehrssicherungspflichtigem andererseits abzugrenzen. Gegenüber einer Sicherungspflicht des Straßenbaulastträgers wird die Zustandsverantwortlichkeit für das Grundstück zurücktreten, wenn erst das Hinzukommen der Straße und des Verkehrs die gefahrbedrohte Situation geschaffen hat (Zeitler/Wiget, BayStrwG, Stand März 2019; Art. 29 Rn. 8). Entgegen dem Vorbringen der Antragsgegnerin umfassen die Anordnungen im Bescheid vom 28. Januar 2020 nicht nur Gefahrenerforschungseingriffe für das „zwischenliegende“ Privatgrundstück Fl.Nr. 196, sondern auch für die direkt an das Grundstück des Antragstellers angrenzende Gemeindeverbindungs straße.
Schließlich hat die Antragsgegnerin nicht berücksichtigt, dass selbst dann, wenn der Antragsteller grundsätzlich zur Gefahrenerforschung und Gefahrenbeseitigung herangezogen werden könnte, seine Inanspruchnahme dann nicht gerechtfertigt wäre, wenn sie ihm nicht zumutbar ist. Zur Bestimmung der Grenze dessen, was einem Eigentümer an Belastungen zugemutet werden darf, kann als Anhaltspunkt der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der Sanierung dienen. Eine diese Grenze überschreitende Belastung kann insbesondere dann unzumutbar sein, wenn die Gefahr, die von dem Grundstück ausgeht, aus Naturereignissen, aus der Allgemeinheit zuzurechnenden Ursachen oder von nicht nutzungsberechtigten Dritten herrührt. In diesen Fällen darf die Sanierungsverantwortlichkeit nicht unbegrenzt dem alle Sicherungspflichten einhaltenden Eigentümer zur Last fallen (BVerfG, B.v. 16.2.2000 – 1 BvR 242/91 – juris Ls 3a und 3b). Vorliegend geht es zwar zunächst nur darum, weitere Erkenntnisse zur besseren Gefahrenbeurteilung zu erhalten und eine Planung zu erstellen, welche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr erforderlich sind und welche Kosten hierbei entstehen. Da aber diese Anordnungen der Vorbereitung endgültiger Maßnahmen zur Gefahrenbeseitigung dienen, hätte die Antragsgegnerin die voraussichtlich entstehenden Kosten der Anordnungen in Relation zum Verkehrswert des Grundstücks setzen müssen. Dies ist offensichtlich unterblieben. Erwägungen hierzu im streitgegenständlichen Bescheid sind nicht deshalb entbehrlich, weil die Antragsgegnerin ein Angebot für die Bewertung der Felssturzgefahren von den Grundstücken Fl.Nr. 340 und 341 eingeholt hat (Bl. 101 ff.; Kosten: 5.967 Euro) und bekannt ist, zu welchem Preis der Antragsteller das Grundstück im Jahr 1973 erworben hat. Diesbezügliche Ausführungen des Verwaltungsgerichts im Beschluss vom 18. März 2020 können aber fehlende Ermessenserwägungen auf Seiten der Antragsgegnerin nicht ersetzen. Dies gilt in gleicher Weise für die Ausführungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 11. März 2020 zu etwaigen Gutachterkosten, die im Übrigen auch nicht belegt sind.
Wird die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Anordnung in Nr. 2 des Bescheids wiederhergestellt, so liegen die Voraussetzungen für die Vollstreckung dieser Anordnung (Art. 19 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG) durch die Androhung eines Zwangsgeldes (Nr. 4 des Bescheids) nicht vor, sodass insoweit die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen ist (Art. 21a VwZVG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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