Baurecht

Klage auf Feststellung des Bestandsschutzes für ein Wohngebäude

Aktenzeichen  4 A 248/20 MD

Datum:
24.1.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG Magdeburg 4. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:VGMAGDE:2022:0124.4A248.20MD.00
Normen:
§ 43 VwGO
§ 43 VwGO
Spruchkörper:
undefined

Leitsatz

Statthafte Klage zur Klärung der Frage, ob eine Bebauung Bestandsschutz genießt, ist die Feststellungsklage.(Rn.23)

Tenor

Es wird festgestellt, dass die Nutzung des Wohnblocks als Wohngebäude auf dem Grundstück Flur 7, Flurstück 227, K. T. 5, im O. a. B., Ortsteil A-Stadt, Bestandsschutz genießt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten durch die Kläger im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Feststellung, dass die beabsichtigte Wohnnutzung des Wohnblocks auf dem streitgegenständlichen Grundstück Bestandsschutz genießt.
Die Kläger sind Miteigentümer des streitbefangenen Grundstücks Flur 7, Flurstück 227, K. T. 5, im O. a. B., Ortsteil A-Stadt, welches mit einem einheitlichen Wohnblock bebaut ist, für das 2 Hausnummern, nämlich Nummer 4 und Nummer 5, vergeben worden sind. Nach interner Absprache nutzen die Kläger die Haushälfte mit der Nummer 5 und der weitere Miteigentümer die Haushälfte mit der Hausnummer 4.
Das streitgegenständliche Grundstück mit aufstehendem Wohnhaus ist Bestandteil der früheren Wohnsiedlung des Kalkwerkes A-Stadt, jetzt Felswerke G.. Seit der damaligen Gründung des Kalkwerkes A-Stadt im Jahr 1906 entstand in der Folgezeit die Wohnsiedlung (Betriebswohnungen) für die hier seinerzeit beschäftigten Werksangehörigen der Kalkwerke A-Stadt. Der Bau des konkreten Wohnhauses sowie dessen entsprechende Nutzung zu Wohnzwecken wurde mit dem Bauschein vom 23.05.1952 des Rats des Landkreises Wernigerode genehmigt, und zwar als „Bau eines Wohnhauses mit Ledigenheim“. Das Wohnhaus wurde bis zum Jahr 1996 von wechselnden, aber sämtlich beim Einwohnermeldeamt gemeldeten Bewohnern genutzt. In den Folgejahren wurde nach Auskunft des zuständigen Einwohnermeldeamts kein Bewohner mehr melderechtlich erfasst. Nichtsdestotrotz wurde das streitgegenständliche Objekt in den weiteren Jahren rein tatsächlich ununterbrochen zu Wohnzwecken genutzt, bis die Kläger es schließlich im Jahr 2012 zusammen mit einem weiteren Miterwerber erwarben und seither selbst darin wohnen.
Die Kläger beantragten am 20.06.2018 die nachträgliche Erteilung eines Bauvorbescheids zur „Wiederbelebung eines leerstehenden Wohnblocks zu Wohnzwecken/ein Treppenhausbereich“. Die Bauvoranfrage beinhaltete die Fragestellung, „ob die Wiederaufnahme der Wohnnutzung in dem leer stehenden Wohnblock A-Straße zulässig [sei].“ Nachdem die Stadt O. a. B. von dem Beklagten zur Stellungnahme aufgefordert worden war, verweigerte sie das gemeindliche Einvernehmen für das bezeichnete Bauvorhaben.
Mit Bescheid vom 17.01.2019 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte er aus: Das Grundstück befinde sich im unbeplanten Außenbereich. Es handele sich um eine zusammenhangslose Streubebauung. Das Vorhaben sei nicht privilegiert i.S.v. § 35 Abs. 1 BauGB. Auch die Beurteilung als teilprivilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 4 BauGB sei nicht möglich. Eine Zulassung im Einzelfall gem. § 35 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 BauGB scheide ebenfalls aus. Die Erschließung sei nicht gesichert, da die in Teilen für den Gemeingebrauch ungewidmete Zufahrtsstraße nicht für einen Anschluss an das öffentliche Straßennetz ausreiche. Das Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange, da es gegen die Darstellungen des Flächennutzungsplans verstoße und die Verfestigung bzw. die Erweiterung der Splittersiedlung befürchten lasse. Zudem seien unwirtschaftliche Aufwendungen zur Erreichung der Sicherheit im Straßenverkehr zu erwarten. Auch die Löschwasserversorgung sei nicht gewährleistet.
Mit Schreiben vom 04.02.2019 erhoben die Kläger Widerspruch. Zur Begründung führten sie aus: Die für das Vorhaben ursprünglich erteilte Baugenehmigung sei weiterhin wirksam. Insbesondere sei keine Erledigung durch den Verzicht des Begünstigten auf seine Rechtswahrnehmung aus der ursprünglichen Baugenehmigung eingetreten. Die dafür erforderliche dauerhafte und endgültige Aufgabe der Wohnnutzung sei zu keiner Zeit ausdrücklich erklärt oder auch nur in schlüssiger Weise erfolgt.
Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt wies den Widerspruch mit Bescheid vom 16.04.2020 zurück. Zur Begründung hieß es ergänzend: Bei den in der früheren Wohnsiedlung des Kalkwerkes A-Stadt gelegenen baulichen Anlagen handele es sich um eine Splittersiedlung, da sie ihrer Struktur nach keine städtebauliche Funktion erfüllten, sondern zu einer unerwünschten Zersiedlung des Außenbereichs führten. Ferner könnten die Kläger keinen Bestandsschutz hinsichtlich der baulichen Anlage nebst ihrer Nutzung geltend machen. Der Bestandschutz entfalle nach einer gewissen Wartezeit mit der faktischen Beendigung der genehmigten Nutzung. Der maßgebliche Zeitraum bestimme sich durch die Verkehrsauffassung und liege zwischen einigen Monaten und vielleicht drei Jahren. Die von den Klägern in der Widerspruchsbegründung dargelegte, unangemeldete tatsächliche Wohnnutzung des Wohnblocks ab 2003 stelle bereits selbst eine ungenehmigte Nutzung dar, die den Bestandsschutz nicht wiederaufleben lasse.
Die Kläger haben am 25.05.2020 Klage erhoben. Sie nehmen Bezug auf die Widerspruchsbegründung vom 14.10.2019 und tragen ergänzend vor: Es sei verkannt worden, dass das streitgegenständliche Wohngebäude nicht erst wieder ab 2003, sondern seit dem Erlass der Baugenehmigung durchgängig tatsächlich zu Wohnzwecken genutzt worden sei. Es komme in Hinblick auf den Bestandsschutz nur auf die tatsächliche und nicht auf die beim Einwohnmeldeamt gemeldete Wohnnutzung an. Für die Annahme eines Verzichtswillens bei der bloßen Nutzungsunterbrechung müssten nach der Verkehrsanschauung weitere Umstände hinzutreten, die auf die endgültige Aufgabe des Nutzungswillens schließen ließen. Solche Umstände – wie etwa der Verfall des Objektes, ein Teilabbruch o.ä. – lägen hier nicht vor. Abgesehen von einem etwaigen Bestandsschutz sei die Wohnnutzung des Gebäudes aber auch bauplanungsrechtlich zulässig.
Die Kläger haben zunächst beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 16.04.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Nunmehr beantragen die Kläger schriftlich,
den Bescheid des Beklagten vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 14.04.2020 aufzuheben,
festzustellen, dass die beabsichtigte Nutzung des Wohnblocks als Wohngebäude auf dem in Rede stehenden Grundstück Bestandsschutz genießt und
die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die angegriffenen Bescheide und trägt ergänzend u.a. vor: Eine nicht gemeldete Wohnnutzung nach der letzten amtlich nachweisbaren Abmeldung aus dem Melderegister im Jahr 1996 sei planungsrechtlich unbeachtlich. Demnach sei ab dem Jahr 1996 die Nutzung als aufgegeben anzusehen, insbesondere in Hinblick auf den langen Zeitraum, der bis zur Antragstellung der Kläger vergangen sei.
Die Beteiligten haben mit Schriftsatz vom 06.10.2021 und vom 24.01.2022 ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage, über die das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat teilweise Erfolg.
Der zuletzt schriftsätzlich gestellte Antrag ist hinsichtlich des Feststellungsbegehrens zulässig und begründet (hierzu unter 1.). Soweit daneben die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 14.04.2020 begehrt wird, ist die Klage bereits unzulässig (hierzu unter 2.).
Soweit die Kläger ihren Klageantrag nach einem Hinweis des Gerichts umgestellt haben, kann im Übrigen dahinstehen, ob darin eine Klageänderung im Sinne des § 91 VwGO lag oder ob es sich lediglich um eine Beschränkung des Klageantrages i.S.d. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO gehandelt hat. Eine Klageänderung wäre gemäß § 91 Abs. 1 Alt. 2 VwGO jedenfalls zulässig, weil sie sachdienlich ist. Denn der Prozessstoff wird nicht erweitert und das Verfahren führt zur endgültigen Beilegung des streitigen Rechtsverhältnisses.
Ob das Klagebegehren mit Blick auf die Ausführungen der Kläger zur Genehmigungsfähigkeit ihres Vorhabens dahingehend zu verstehen war, dass hilfsweise zur erhobenen Feststellungsklage eine Verpflichtungsklage auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung gestellt werden sollte, mag ebenfalls dahinstehen. Denn die Kläger haben bereits mit der – rechtsschutzintensiveren – Feststellungsklage Erfolg.
1. Die auf Feststellung gerichtete Klage ist zulässig (hierzu unter a) und begründet (hierzu unter b).
a) Die Kläger begehren die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses. Hierunter sind die rechtlichen Beziehungen zu verstehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben, kraft derer eine der beteiligten Personen etwas Bestimmtes tun muss, kann oder darf oder nicht zu tun braucht. Hierzu gehört auch die Frage, ob die streitgegenständliche Bebauung Bestandsschutz genießt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 07.05.2019 – 2 A 2995/17 -, juris Rn. 35 ff. m.w.N.). Darum geht es hier. Genießt das streitbefangene Objekt mit einer Nutzung als Wohngebäude baurechtlichen Bestandsschutz, können die Kläger das Objekt weiter zu diesem Zweck nutzen.
Die Kläger haben auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung im Sinne des § 43 VwGO. Hierzu genügt jedes nach der Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 02.11.1990 – 5 B 100.90 -, juris Rn. 5). So liegt es hier. Denn die Kläger wollen die streitgegenständliche bauliche Anlage zu Wohnzwecken nutzen. Darüber hinaus können sie mit Berufung auf den Bestandsschutz etwaigen ordnungsbehördlichen Maßnahmen wegen illegaler Grundstücksnutzung entgehen.
Schließlich können die Kläger nicht gemäß § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO darauf verwiesen werden, dass sie ihre behaupteten Rechte aus dem Bestandsschutz mit einer rechtsschutzintensiveren Gestaltungs- oder Leistungsklage geltend machen können. Eine vorrangige Klageart besteht insoweit nicht. Insbesondere kommt die Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) auf Erteilung einer Baugenehmigung nicht in Betracht. Diese würde einen entsprechenden Anspruch voraussetzen. Der baurechtliche Bestandsschutz, der die historische Baurechtskonformität einer baulichen Anlage betrifft, vermittelt aber nach gefestigter Rechtsprechung keine bauaufsichtlichen Zulassungsansprüche (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.08.1998 – 4 C 5/98 -, juris Rn. 20: „Bestandsschutzgrundsätze haben daneben [neben §§ 30, 34, 35 BauGB] als Zulassungsmaßstab keinen Platz”; ebenso BayVGH, Beschluss vom 19.03.2002 – 2 ZB 98.3415 -, juris sowie Urteil der Kammer vom 13.01.2015 – 4 A 67/31 MD -, n.v.).
b) Die Kläger haben einen Anspruch auf die Feststellung, dass die Wohnnutzung des streitgegenständlichen Objekts weiterhin Bestandsschutz genießt.
Der eigentumsrechtliche, aus Art. 14 GG abgeleitete Bestandsschutz schützt ein Gebäude, das baurechtlich rechtmäßig errichtet wurde im Umfang seines vorhandenen baulichen Bestands und in seiner Funktion. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gebäude materiell rechtmäßig errichtet wurde, d.h. es muss bei seiner Errichtung oder zumindest zu einem Zeitraum während seiner Existenz baurechtlich genehmigungsfähig gewesen sein. Es reicht aber auch aus, wenn das Gebäude seinerzeit bei seiner Errichtung formell-rechtmäßig war, d.h. für seine Errichtung eine Baugenehmigung erteilt worden war. Dabei ist unerheblich, ob die Genehmigung auch materiell-rechtmäßig erteilt worden war. Denn eine bauliche Anlage ist auch bei materieller Illegalität zulässigerweise errichtet worden, wenn sie baurechtlich genehmigt ist (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15.05.2018 – 3 A 395/15 -, juris Rn. 37 m.w.N.).
Der Bau des streitgegenständlichen Wohnhauses sowie dessen entsprechende Nutzung zu Wohnzwecken wurde mit dem im Klageverfahren vorgelegten Bauschein vom 23.05.1952 des Rats des Landkreises Wernigerode genehmigt. Insofern wurde das Gebäude seinerzeit zumindest formell-rechtmäßig errichtet (zur Bestandskraft von zu DDR-Zeiten erteilten Baugenehmigungen siehe im Übrigen OVG LSA, Beschluss vom 12.02.2004 – 2 L 927/03 -, juris Rn. 10 ff.).
Der Bestandschutz ist auch nicht erloschen. Dieser erlischt mit der Beseitigung des Gebäudes sowie durch Änderung der Funktion des Gebäudes auf Grund einer Nutzungsänderung (vgl. EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 35 Rn. 179 m.w.N.). Ferner kann der Bestandsschutz auch durch die vollständige Aufgabe der Nutzung des Gebäudes erlöschen. Dabei ist die vollständige Nutzungsaufgabe von einer bloßen Nutzungsunterbrechung abzugrenzen. Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, dass das Baurecht keine Pflicht zur Ausnutzung einer Baugenehmigung kennt oder für den Fall der Nichtweiternutzung des genehmigten Gebäudes keine unmittelbar wirkenden Sanktionen vorsieht. Entscheidend ist in der Regel, ob die Unterbrechung der Nutzung des Gebäudes als einen dauerhaften Verzicht im Sinne einer Aufgabe der Nutzung des Gebäudes anzusehen ist. Dies kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Eine entsprechende Anwendung des sog. Zeitmodells i.S.d. § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB, wie sie das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 18.05.1996 (- 4 C 20.94 -, juris, dort zur Frage der „alsbaldigen“ Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten zerstörten Gebäudes) zunächst vertreten, kommt vorliegend nicht in Betracht. Dieses Modell (hierzu auch EZBK/Söfker, 142. EL Mai 2021, BauGB § 35 Rn. 179) findet für Fälle, in denen es um die Frage der Beendigung materiellen Bestandsschutzes einer baulichen Anlage durch Nutzungsunterbrechung ging, jedenfalls in den Fällen keine Anwendung, in denen die bisherige Nutzung baurechtlich genehmigt wurde (OVG LSA, Beschluss vom 05.03.2014 – 2 M 164/13 -, juris Rn. 32). Es ist vielmehr darauf abzustellen, ob ein ausdrücklich erklärter oder sich aus einem schlüssigen Verhalten ergebender Verzicht auf die weitere Ausübung der Nutzung vorliegt. Die bloße Nichtweiterführung der genehmigten Nutzung gerade bei fortbestehender Nutzungstauglichkeit der baulichen Anlagen ohne zusätzliche weitere Anhaltspunkte lassen nicht auf einen dauerhaften Verzichtswillen schließen (VGH BW, Urteil vom 04.03.2009 – 3 S 1467/07 -, juris).
Das streitgegenständliche Wohnhaus wurde bis zum Jahr 1996 von wechselnden, aber sämtlich beim Einwohnermeldeamt gemeldeten Bewohnern genutzt. Auch in den Folgejahren wurde das Objekt nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Kläger weiterhin ununterbrochen zu Wohnzwecken genutzt. Es fand über die Jahre hin auch keine Nutzungsänderung statt. Laut Bauschein vom 23.05.1952 war der „Bau eines Wohnhauses mit Ledigenheim“ genehmigt worden. An der Nutzungsform des Objekts als „Wohnhaus“ hat sich insoweit nichts geändert.
Es kommt auch nicht darauf an, dass sich die letzten Nutzer der Wohneinheiten im Jahr 1996 „amtlich abgemeldet“ haben, wie es in den angegriffenen Bescheiden heißt. Denn es wäre jederzeit die Wiederaufnahme der Wohnnutzung zulässig gewesen. Die von der Widerspruchsbehörde im Widerspruchsbescheid in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.03.1988 (- 4 C 21/85 -, juris) ist hier nicht einschlägig. Denn dort ging es um einen Fall, in dem der Berechtigte in dem Gebäude eine andersartige Nutzung aufgenommen hatte und dies nach außen sichtbar wurde (a.a.O. Rn. 26 f.). Ein solcher Wechsel der Nutzungsart liegt hier offensichtlich nicht vor.
Inwieweit eine bestimmte Art der Nutzung einer baulichen Anlage in ihrem Bestand geschützt ist, richtet sich im Übrigen selbst nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts danach, ob und ggf. in welchem Maße die bebauungsrechtliche Situation nach der Verkehrsauffassung als noch von der Nutzung geprägt erscheint. Vom Standpunkt eines objektiven Beobachters aus gesehen muss die Anlage in ihrer Umgebung für die bisher dort ausgeübte Nutzung noch offen sein (BVerwG, Urteil vom 25.03.1988, a.a.O.). Danach ist es unerheblich, dass ab 1996 keine Anmeldungen beim Einwohnermeldeamt erfolgt sind, da das Gebäude jedenfalls rein tatsächlich durchgängig zu Wohnzwecken nutzbar war und auch in dieser Weise genutzt wurde. In diesem Sinne lag nicht einmal eine nennenswerte Nutzungsunterbrechung vor.
Genießt die Wohnnutzung des streitgegenständlichen Objekts nach dem Vorstehenden weiterhin Bestandsschutz, kommt es auf die Frage, ob das Vorhaben nach den §§ 29 ff. BauGB genehmigungsfähig ist, nicht mehr an.
2. Die auf Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 17.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 14.04.2020 gerichtete Anfechtungsklage, ist unzulässig.
Für diese Klage fehlt den Klägern das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Mit dem angegriffenen Bescheid wurde der Antrag der Kläger auf Erteilung eines Bauvorbescheids abgelehnt. Allein die Aufhebung dieses Bescheides bringt den Klägern keinen rechtlichen Vorteil. Zielführend ist in diesen Fällen vielmehr die (auf Erteilung der Baugenehmigung gerichtete) Verpflichtungsklage. Eine solche Klage haben die Kläger hier aber (nach dem Vorstehenden richtigerweise) nicht mehr erhoben.
Die Aufhebung des angegriffenen Bescheides brächte den Klägern nur dann einen rechtlichen Vorteil, wenn die angegriffenen Bescheide zugleich die (negative) Feststellung enthielten, dass die Nutzung des in Rede stehenden Wohnblocks keinen Bestandsschutz genießt. Denn eine solche Feststellung wäre nach den vorstehenden Ausführungen unzutreffend. Eine solche Feststellung lässt sich dem (Ausgangs-)Bescheid vom 17.01.2019 bereits nicht entnehmen. Dieser Bescheid verhält sich hierzu in keiner Weise. Thematisiert wird diese Frage lediglich im Widerspruchsbescheid. Ob die entsprechenden Ausführungen der Widerspruchsbehörde auf Seite 10 f. des Widerspruchsbescheides allerdings tatsächlich feststellen Charakter i.S.d. § 35 Satz 1 VwVfG haben, ist zweifelhaft, kann letztlich aber auch dahinstehen. Selbst wenn man dies annehmen und zugleich davon ausgehen wollte, die Widerspruchsbehörde sei auch befugt für eine solche Feststellung gewesen, würde dies den Klägern hier nicht weiterhelfen. Denn in diesem Fall würde es sich um eine zusätzliche selbständige Beschwer i.S.d. § 79 Abs. 2 VwGO handeln. Sollten sich die Kläger hierdurch beschwert gefühlt haben, hätten sie ihre Klage deshalb (auch) gegen die Widerspruchsbehörde, also das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt, richten müssen (vgl. Eyermann/Happ, 15. Aufl. 2019, VwGO § 79 Rn. 29). Dies haben sie indes nicht getan.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Dass die Kläger mit ihrer Anfechtungsklage unterlegen gewesen sind, fällt nicht wesentlich ins Gewicht. Deshalb waren die Kosten des Verfahrens dem Beklagten ganz aufzuerlegen.
III. Dem Antrag der Kläger, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu entsprechen. Danach sind Gebühren und Auslagen, soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, nur dann erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Notwendig ist die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren dann, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten ist, das Verfahren selbst zu führen. Zu berücksichtigen sind dabei neben dem Bildungs- und Kenntnisstand des Betreffenden die Schwierigkeit und der Bekanntheitsgrad der einschlägigen Rechtsmaterie, die Intensität der Rechtsbeziehung zwischen dem Bürger und der Behörde und die Frage, ob der Schwerpunkt des Rechtsstreits eher im rechtlichen oder im tatsächlichen Bereich liegt. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwaltes oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte (BVerwG, Beschluss vom 21.08.2003 – 6 B 26/03 -, juris).
In Anwendung dieser Grundsätze war es für die Kläger unzumutbar, im Vorverfahren ihre Rechte gegenüber dem Beklagten ohne rechtskundigen Beistand zu verfolgen. Die Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Bestandsschutz von zu Wohnzwecken genutzten baulichen Anlagen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht stellen können, sind für Rechtsunkundige wie die Kläger ohne Beistand eines Rechtsanwaltes kaum zu überschauen und zu bewältigen. Ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand hätte sich auch in Anbetracht der Bedeutung der Sache eines Rechtsanwaltes bedient, um seine Interessen sachgerecht durchsetzen zu können. Der Bevollmächtigte der Kläger ist im Vorverfahren auch gegenüber dem Beklagten tätig gewesen.
IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 709 S. 1 und 2 ZPO.


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