Baurecht

Mitwirkungspflichten des Abfallbesitzers bei einem Holsystem

Aktenzeichen  W 10 K 19.1685

Datum:
16.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28970
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KrWG § 3 Abs. 9, 17 Abs. 1 S. 1, S. 20
BayAbfG Art. 7 Abs. 1 S. 1, S. 2
BayGO Art. 22 Abs. 1, Art. 24, Art. 27 Abs. 1, Art. 88 Abs. 6
BayVwVfG Art. 1 Abs. 4, Art. 28 Abs. 1, Art. 39 Abs. 1 S. 2, Art. 40
VwGO § 43 Abs. 1, § 86 Abs. 3, § 88, § 91 Abs. 1, § 103 Abs. 3, § 114 S. 1

 

Leitsatz

1. Anknüpfend an den Begriff des Abfallbesitzers in § 3 Abs. 9 KrWG bedeutet die Überlassungspflicht, dass dem Entsorgungsträger die tatsächliche Sachherrschaft an den erfassten Abfällen eingeräumt werden muss, was bei einem Holsystem grundsätzlich erst mit dem Entleeren der Abfalltonnen in das Abholfahrzeug durch die Beauftragten des Entsorgungsträgers geschieht.  (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Lage und Beschaffenheit des Grundstücks, auf welchem die Abfälle anfallen, einschließlich der dort befindlichen Transportwege sind Umstände, welche in der Verantwortungssphäre des Überlassungspflichtigen liegen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Den Abfallbesitzer kann im Rahmen seiner Überlassungspflicht auch bei einem Holsystem eine gesteigerte Mitwirkungspflicht treffen, etwa die Verpflichtung, die Abfallgefäße zur Abholung an einen – nicht grundstücksfernen – Abholort außerhalb des Grundstücks zu bringen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Das Bereitstellen der Abfallgefäße zur Abholung ist noch nicht Bestandteil der Entsorgungspflicht des Entsorgungsträgers, sondern dieser vorgelagert und fällt somit in die Verantwortungssphäre des Abfallbesitzers (ebenso BayVGH BeckRS 2018, 32954). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
5. Aus dem schlichten Dulden des bisherigen Abholortes kann der Kläger keine rechtliche Bindung der Beklagten zu seinen Gunsten, etwa im Wege des Vertrauensschutzes, für die Zukunft ableiten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
6. Der Satzungsgeber darf zur Konkretisierung des Abholortes, soweit es um den Unfallschutz und damit den Arbeitsschutz seiner Beschäftigten geht, die Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der Berufsgenossenschaften ergänzend heranziehen(ebenso BayVGH BeckRS 2018, 32954). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die Klage gegen den Bescheid vom 11. Dezember 2019 zur Festlegung des Abholortes der Bio- und Restmülltonnen ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist mit dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Soweit der Kläger darüber hinaus (sinngemäß) die Verurteilung der Beklagten begehrte, die Bio- und Restmülltonne auch künftig von ihrem Standort auf dem Grundstück abzuholen, hat er diesen Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten (§ 103 Abs. 3 VwGO). Eine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO ist darin nicht zusehen, weil der Antrag nach sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) auf dasselbe Begehren wie der Anfechtungsantrag hinausläuft. Wird auf die Anfechtungsklage hin der Bescheid zur Festlegung des Abholortes rechtskräftig aufgehoben, so bleibt es – vorbehaltlich einer erneuten anderweitigen Festlegung durch die Beklagte – bei dem bisherigen Standort als Abholort. Für eine Verpflichtungsklage auf Festlegung des Standortes der Mülltonnen als zukünftigen Abholort gemäß § 15 Abs. 6 Satz 4 der Abfallwirtschaftssatzung der Stadt Bad Kissingen (AbfS) vom 26. November 2014 (KGAMBl. Nr. 27) fehlte es an der (nicht nachholbaren) Zugangsvoraussetzung eines entsprechenden vorherigen Antrags bei der Behörde (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Für eine vorbeugende Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO fehlte es jedenfalls an dem erforderlichen qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis, weil es dem Kläger im Falle der rechtskräftigen gerichtlichen Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheides zumutbar ist, gegebenenfalls gegen eine – derzeit nicht absehbare – erneute Festlegung des Abholortes durch die Beklagte erneut im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen. Eine von vorneherein unzulässige Antragstellung durfte dem nicht anwaltlich vertretenen Kläger daher nicht angesonnen werden (§ 86 Abs. 3 VwGO).
2. Die Klage ist auch begründet, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2019 ist wegen des Vorliegens von Ermessensfehlern rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 1 VwGO).
a) Der streitgegenständliche Bescheid ist formell rechtmäßig ergangen, insbesondere war die Beklagte gemäß Art. 22 Abs. 1 der Bayer. Gemeindeordnung (BayGO) in Verbindung mit § 22 Abs. 1 AbfS sachlich und gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 des Bayer. Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) örtlich für dessen Erlass zuständig. Für die Beklagte hat deren Servicebetrieb gehandelt, welcher als Regiebetrieb gemäß Art. 88 Abs. 6 BayGO innerhalb der allgemeinen (Stadt-)Verwaltung geführt wird und damit als deren Behörde im Sinne von Art. 1 Abs. 4 BayVwVfG tätig wird. Ferner hat die Kammer keine Bedenken hinsichtlich des durchgeführten Verwaltungsverfahrens. Der Kläger hatte in dem der angegriffenen Behördenentscheidung vorausgegangenen ausführlichen Schrift- bzw. Emailverkehr ausreichende Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG, womit sich die Beklagte auch auseinandergesetzt hat. Auch enthält der Bescheid eine Begründung gemäß Art. 39 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG, welche (noch) die wesentlichen Erwägungen mitteilt, welche die Behörde zu ihrer Entscheidung veranlasst haben, und somit dem Gericht die Nachprüfung der Ermessensentscheidung erst ermöglicht.
b) Die Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist materiell rechtswidrig, weil das der Beklagten bei der Festlegung des Abholortes gemäß § 15 Abs. 6 Satz 4 AbfS eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt wurde (§ 114 Satz 1 VwGO).
aa) Der angegriffene Verwaltungsakt stützt sich auf die Rechtsgrundlage in § 15 Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 AbfS und Art. 27 Abs. 1 BayGO. Gemäß § 15 Abs. 6 Satz 4 AbfS kann der Standort der in Satz 1 derselben Vorschrift benannten Abfallbehältnisse für Bio- und Restmüll von der Stadt bestimmt werden. Nach § 22 Abs. 1 AbfS kann die Beklagte zur Erfüllung der nach ihrer Abfallwirtschaftssatzung bestehenden Verpflichtungen Anordnungen für den Einzelfall erlassen. Gemäß Art. 27 Abs. 1 BayGO können die Gemeinden im eigenen und im übertragenen Wirkungskreis die zur Durchführung von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Satzungen notwendigen Verfügungen an bestimmte Personen erlassen und unter Anwendung der gesetzlichen Zwangsmittel vollziehen.
bb) Die Rechtsgrundlage für die Festlegung des Standortes der Bio- und Restmülltonne in § 15 Abs. 6 Satz 4 AbfS beruht ihrerseits auf einer wirksamen, dem Gesetzesvorbehalt gemäß Art. 20 Abs. 3 GG genügenden Ermächtigungsgrundlage. Nach Art. 7 Abs. 1 des Bayer. Gesetzes zur Vermeidung, Verwertung und sonstigen Bewirtschaftung von Abfällen in Bayern (BayAbfG) regeln die entsorgungspflichtigen Körperschaften (im Folgenden: öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger) durch Satzung den Anschlusszwang gemäß Art. 18 der Bayer. Landkreisordnung – BayLKrO und Art. 24 BayGO und die Überlassungspflicht gemäß § 17 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG). Sie können insbesondere bestimmen, in welcher Art, in welcher Weise, an welchem Ort und zu welcher Zeit ihnen die Abfälle zu überlassen sind.
In § 17 Abs. 1 Satz 1 KrWG ist die Überlassungspflicht der Erzeuger oder Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger geregelt, soweit diese zu einer Verwertung der Abfälle gemäß §§ 7 Abs. 2, 15 Abs. 1 KrWG auf den von ihnen im Rahmen der privaten Lebensführung genutzten Grundstücken nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen. Damit korrespondierend hat der Abfallerzeuger oder -besitzer ein Recht auf Überlassung seiner Abfälle. Anknüpfend an den Begriff des Abfallbesitzers in § 3 Abs. 9 KrWG, welcher das Innehaben der tatsächlichen Sachherrschaft voraussetzt, bedeutet die Überlassungspflicht, dass dem Entsorgungsträger die tatsächliche Sachherrschaft an den erfassten Abfällen eingeräumt werden muss (Beckmann in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand Februar 2020, § 17 KrWG Rn. 13; Karpenstein in: Jarass/Petersen, KrWG, 1. Aufl. 2014, § 17 Rn. 60 m.w.N.), was bei einem Holsystem grundsätzlich erst mit dem Entleeren der Abfalltonnen in das Abholfahrzeug durch die Beauftragten des Entsorgungsträgers geschieht (Karpenstein in: Jarass/Petersen a.a.O., Rn. 60). Mit der Einräumung der tatsächlichen Sachherrschaft über die Abfälle an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger geht damit die Verantwortlichkeit auf diesen über und enden die Pflichten des Abfallerzeugers beziehungsweise bisherigen Abfallbesitzers. Die Modalitäten der Überlassung, insbesondere die Entscheidung zwischen einem Hol- oder einem Bringsystem, regelt der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger gemäß Art. 7 Abs. 1 BayAbfG in seiner Abfallwirtschaftssatzung. Den Abfallerzeuger beziehungsweise -besitzer oder bei Bestehen eines Anschluss- und Benutzungszwangs – wie hier durch § 6 AbfS – auch den Grundstückseigentümer beziehungsweise -besitzer kann aber im Rahmen seiner Überlassungspflicht auch bei einem Holsystem – wie hier der Bio- und Restmüllabfuhr gemäß §§ 3, 4 AbfS – eine gesteigerte Mitwirkungspflicht treffen, etwa die Verpflichtung, die Abfallgefäße zur Abholung an einen – nicht grundstücksfernen – Abholort außerhalb des Grundstücks zu bringen. Eine solche Mitwirkungspflicht kann etwa dann bestehen, wenn tatsächliche oder rechtliche Hindernisse der Anfahrt des Grundstücks durch die Beauftragten des Entsorgungsträgers bestehen, wobei sich solche rechtlichen Hindernisse auch aus straßenverkehrsrechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Anforderungen ergeben können (BVerwG, U.v. 25.8.1999 – 7 C 27.98 – juris Rn. 8; B.v. 17.3.2011 – 7 B 4.11 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 20 ZB 18.957 – juris Rn. 14; B.v. 8.5.2019 – 20 ZB 17.579 – juris Rn. 4; Karpenstein in: Jarass/Petersen a.a.O., § 17 Rn. 65; Dippel in: Giesberts/Reinhardt, BeckOK Umweltrecht, Stand 1.7.2020, § 20 KrWG Rn. 1). Denn die Lage und Beschaffenheit des Grundstücks, auf welchem die Abfälle anfallen, einschließlich der dort befindlichen Transportwege sind Umstände, welche in der Verantwortungssphäre des Überlassungspflichtigen liegen (Beckmann in: Landmann/Rohmer a.a.O., § 17 KrWG Rn. 21). Entsprechende Mitwirkungspflichten sind deshalb durch die Satzungsermächtigung des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG gedeckt und verstoßen nicht gegen die bundesrechtlich vorgegebene Pflichtenverteilung in §§ 17, 20 KrWG (vgl. Beckmann in: Landmann/Rohmer a.a.O., § 17 KrWG Rn. 20). Innerhalb dieses bundesrechtlichen Rahmens ist es die Aufgabe des Satzungsgebers, zwischen den beiden Pflichtenkreisen des Überlassungspflichtigen und des Entsorgungsträgers eine angemessene Lastenverteilung herzustellen (Beckmann in: Landmann/Rohmer a.a.O., § 17 KrWG Rn. 21). Der so gesteckte Rahmen wird erst dann verlassen, wenn den Überlassungspflichtigen solche Tätigkeiten auferlegt werden, welche Bestandteil der dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 KrWG obliegenden Verwertungsbeziehungsweise Beseitigungspflichten – einschließlich des Einsammelns und Beförderns der Abfälle bei einem bestehenden Holsystem – sind (BVerwG, B.v 17.3.2011 a.a.O., Rn. 8; BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 20 ZB 18.957 – juris Rn. 14).
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat die Beklagte in § 15 Abs. 6 Sätze 1 bis 3 AbfS Anforderungen an die Erreichbarkeit der Müllgefäße von der Straße sowie an deren Standplatz, den Transportweg und die Verkehrssicherheit aufgestellt. Gemäß § 15 Abs. 6 Satz 1 AbfS sind die Abfallbehältnisse für Bio- und Restmüll so aufzustellen, dass sie von der Straße aus leicht und auf kürzestem Wege zu erreichen sind. Nach Satz 2 derselben Vorschrift müssen sich Standplätze und Transportwege auf dem Grundstück in verkehrssicherem Zustand befinden, frei von Hindernissen und ausreichend beleuchtet sein. Nach Satz 3 schließlich müssen die Transportwege ausreichend breit und befestigt sein und sollen eine Länge von 15 Metern nicht überschreiten. Satz 4 derselben Vorschrift verleiht der Beklagten schließlich in Verbindung mit § 22 Abs. 1 AbfS die Befugnis, den Abholort durch eine einzelfallbezogene Ermessensentscheidung festzulegen. Aus dem regelungstechnischen Zusammenhang ergibt sich, dass die Befugnis zur Festlegung des Abholortes im Einzelfall der Einhaltung der durch § 15 Abs. 6 Satz 1 bis 3 AbfS konkretisierten Anforderungen an die Überlassung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 KrWG zu dienen hat. Dies schließt die Bestimmung eines Abholortes außerhalb des Grundstücks ein. Das Bereitstellen der Abfallgefäße zur Abholung ist noch nicht Bestandteil der Entsorgungspflicht des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers, sondern dieser vorgelagert und fällt somit in die Verantwortungssphäre des Abfallerzeugers beziehungsweise -besitzers oder Grundstückseigentümers beziehungsweise -besitzer. (BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 20 ZB 18.957 – juris Rn. 14 m.w.N.).
cc) Gemessen an diesen Grundsätzen durfte die Beklagte gemäß § 15 Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 AbfS einen Abholort für die Bio- und Restmülltonne des Klägers an einem anderen Ort als deren Standort auf dem Grundstück festlegen. Zu beanstanden ist aber die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung zur Festlegung des konkreten Abholortes. Das durch § 15 Abs. 6 Satz 4 AbfS eröffnete Ermessen gemäß Art. 40 BayVwVfG umfasst ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen. Im Ermessen der Beklagten steht somit sowohl die Entscheidung, von der Befugnis zur Festlegung des Abholortes überhaupt Gebrauch zu machen, als auch die Auswahl des Abholortes unter mehreren in Betracht kommenden Alternativen. Indessen ist das Verwaltungsgericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO auf die Nachprüfung beschränkt, ob die Ermessensentscheidung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind (Ermessensüberschreitung) oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Ermessensfehlgebrauch). In § 114 Satz 1 VwGO nicht ausdrücklich erwähnt, aber ebenfalls erfasst sind die weiteren in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik allgemein anerkannten Ermessensfehler des Ermessensausfalls und der Ermessensunterschreitung, wenn also entweder eine Ermessensbetätigung gänzlich fehlt, weil die Behörde ohne Erwägung von Alternativen davon ausgeht, so und nicht anders handeln zu müssen, oder wenn die Behörde die Bandbreite ihrer Handlungsmöglichkeiten unterschätzt (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 114 Rn. 17 m.w.N.). Dagegen ist es dem Gericht nicht erlaubt, die von der Beklagten getroffene Entscheidung durch eine eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen.
Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, dass die Beklagte angesichts der im Vorfeld des Bescheidserlasses bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und der Beklagten hinsichtlich des Abholortes von der ihr in § 15 Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 AbfS eingeräumten Befugnis Gebrauch gemacht und einen Abholort für die Bio- und Restmülltonne festgelegt hat. Ungeachtet des Umstandes, dass sich die Ermessenserwägungen im Teil (I.) der Bescheidsgründe und damit in der Sachverhaltsdarstellung, nicht dagegen in den unter (II.) dargestellten rechtlichen Erwägungen finden, wird daraus doch (noch) deutlich, dass sich die Beklagte ihres Ermessenspielraumes bewusst war und Ermessen ausgeübt hat, weshalb kein Fall des Ermessensausfalls vorliegt. Die konkrete Ausübung des Entschließungsermessens ist auch nicht zu beanstanden. Einen Anspruch auf Beibehalten des bisherigen Standortes der Müllgefäße als Abholort hat der Kläger nicht, ungeachtet der Tatsache, dass dies unstreitig so über Jahrzehnte hinweg praktiziert worden ist (vgl. VG München, U.v. 21.1.2010 – M 10 K 09.2244 – juris Rn. 46). Aus dem schlichten Dulden des bisherigen Abholortes kann der Kläger keine rechtliche Bindung der Beklagten zu seinen Gunsten, etwa im Wege des Vertrauensschutzes, für die Zukunft ableiten. Vielmehr bestand die Ermächtigung der Entsorgungsträger gemäß Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayAbfG, in ihren Abfallwirtschaftssatzungen entsprechende Regelungen zu Art und Weise, Ort und Zeit der Abholung zu treffen, bereits vor dem Inkrafttreten der hier maßgeblichen Satzung am 1. Januar 2015 (vgl. § 23 Satz 1 AbfS). Ein entgegenstehendes Gewohnheitsrecht konnte somit entgegen der Auffassung des Klägers schon deshalb nicht entstehen, weil die erforderliche gemeinsame Rechtsüberzeugung aller an dem Rechtsverhältnis Beteiligten fehlt. Mangels gesetzlicher Ausschluss-, Verjährungs- oder Verwirkungsfristen kann aus einer nicht erfolgten Ausübung hoheitlicher Befugnisse in der Vergangenheit kein schutzwürdiges Vertrauen darauf entstehen, dass diese Befugnis auch zukünftig nicht ausgeübt wird. Mit anderen Worten durfte der Kläger nicht darauf vertrauen, dass die Beklagte von der ihr eingeräumten Befugnis zur Standortfestlegung auch mit Wirkung für die Zukunft keinen Gebrauch machen würde.
Dagegen ist die zur Festlegung des konkreten Abholortes getroffene Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat zum einen in Bezug auf die in § 15 Abs. 6 Satz 1 bis 3 AbfS genannten Anforderungen der Breite und der Beleuchtung des Transportweges einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt beziehungsweise diesen schon nicht ausreichend ermittelt (Ermessensfehlgebrauch). Zum anderen berücksichtigt die Ermessensentscheidung der Beklagten die maßgeblichen Vorschriften, zu denen auch die Unfallverhütungsvorschriften (UVV) gehören, sowie die entgegenstehenden Belange des Klägers nicht in ausreichendem Maße, was sich auch auf das Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden Belange auswirkt. Der betreffende Absatz unter Ziffer (I.) der Bescheidsgründe erschöpft sich in den letztlich inhaltsleeren Formeln, dass das Interesse an der Sicherstellung eines gefahrlosen Entsorgungsablaufs überwiege und dass den Kläger keine unzumutbare Härte treffe, und lässt damit keine Abwägung der widerstreitenden Belange auf Seiten des Klägers und der Beklagten erkennen (Ermessensunterschreitung).
So geht die Beklagte zunächst zu Recht davon aus, dass die auf dem Transportweg vorhandenen Treppen (einmal zwei und einmal drei Stufen) ein Hindernis darstellen, welches den UVV widerspricht. Gemäß § 15 Abs. 6 Satz 2 AbfS müssen die Transportwege „in verkehrssicherem Zustand und frei von Hindernissen“ sein, eine Regelung zu Treppen ist dort jedoch nicht getroffen. Die Beklagte orientiert sich in ihrer Entscheidung an § 16 Nr. 5 UVV. Danach darf bei Behältern mit einem Inhalt von 110 Litern oder mehr kein Transport über Treppen erforderlich sein. Der konkrete Inhalt des Abfallgefäßes ist aber nicht gleichbedeutend mit dessen satzungsmäßig vorgegebenem Fassungsvermögen. Für die Biomüllabfuhr lässt die Beklagte nur eine Biotonne mit 120 Litern Fassungsvermögen zu (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 AbfS), für die Restmüllabfuhr dagegen je nach Bedarf eine Restmülltonne mit 60, 80 oder 120 Litern beziehungsweise einen Restmüllcontainer mit 1.100 Litern Fassungsvermögen (§ 14 Abs. 2 Nr. 2 AbfS). Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte hinsichtlich der Anforderungen an die Verkehrssicherheit die einschlägigen UVV heranzieht. Die konkreten Anforderungen an die Verkehrssicherheit der Standorte und Transportwege für die regelmäßige Abholung der Müllgefäße zur Leerung durch den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger beziehungsweise dessen Beauftragte sind zwar, wie der Kläger zu Recht ausführt, nicht beziehungsweise nur teilweise in der Abfallwirtschaftssatzung der Beklagten geregelt. Der Satzungsgeber darf aber zur Konkretisierung dieser Anforderungen, soweit es um den Unfallschutz und damit den Arbeitsschutz seiner Beschäftigten beziehungsweise Beauftragten geht, die Unfallverhütungsvorschriften (UVV) der Berufsgenossenschaften ergänzend heranziehen (BayVGH, B.v. 29.10.2018 – 20 ZB 18.957 – juris Rn. 16 m.w.N.). Zwar werden die UVV von den Unfallversicherungsträgern auf der Grundlage des § 15 SGB VII (Siebtes Buch des Sozialgesetzbuchs) erlassen und bilden damit autonomes Satzungsrecht dieser öffentlich-rechtlichen Körperschaften, dem grundsätzlich nur interne Bindungswirkung, nicht aber rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Kläger als an der gesetzlichen Unfallversicherung Unbeteiligtem zukommt. Dessen ungeachtet ist es aber dem Abfalldienst der Beklagten nicht zumutbar, gegen UVV zu verstoßen und sich dadurch im Schadensfalle Ersatzforderungen der geschädigten Arbeitnehmer auszusetzen (BayVGH a.a.O., m.w.N.). Darauf hat der Kläger im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Benutzungsverhältnisses, welches durch das Recht und die Pflicht zum Anschluss an den Abholdienst und zur Überlassung der Abfälle an denselben gemäß §§ 5 Abs. 1 und 2, 6 Abs. 1 und 2 AbfS begründet wird, Rücksicht zu nehmen (vgl. § 242 BGB).
Es begegnet daher keinen Bedenken, dass die Beklagte angesichts der Regelung in § 16 Nr. 5 UVV hinsichtlich der Biomülltonne mit einem Fassungsvermögen von 120 Litern von besonderen Hindernissen in der Gestalt der auf dem Transportweg vorhandenen Treppen ausgeht. Da es nicht praktikabel wäre, den konkreten Inhalt der jeweiligen Mülltonne vor der Leerung zu messen, bleibt der Beklagten bei lebensnaher Betrachtung nur die Möglichkeit, von der Annahme auszugehen, dass das jeweilige Fassungsvermögen einer Mülltonne bei der Abholung ausgeschöpft ist. Ein Satzungsgeber verstößt nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Bayer. Verfassung normierten Gleichheitssatz, wenn er im Rahmen der Regelung eines Lebenssachverhaltes von den typischen Gegebenheiten ausgeht und dabei nicht ins Gewicht fallende, geringfügige Abweichungen in die eine oder andere Richtung im Einzelfalle ausblendet. Von einer derartigen Typisierung geht auch die Bemessung der Müllgefäße in § 14 Abs. 2 AbfS aus. So betrachtet liegt aber der Inhalt der Biomülltonne des Klägers über dem in § 16 Nr. 5 UVV für den Transport über Treppen vorgegebenen maximalen Inhalt.
Allerdings berücksichtigt die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung nicht, dass die Breite des Transportweges auf dem klägerischen Grundstück unstreitig die Anforderungen des § 15 Abs. 6 Satz 3 AbfS in Verbindung mit § 16 Nr. 7 der einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) erfüllt. Nach der Satzungsvorschrift des § 15 Abs. 6 Satz 3 AbfS müssen die Transportwege „ausreichend breit“ sein. Dazu sieht § 16 Nr. 7 UVV vor, dass bei Eimern oder Tonnen eine Breite von 1 m ausreichend ist. Der Transportweg beträgt hier aber unstreitig mindestens 1 m (nach Auffassung des Klägers genau 1 m, nach Auffassung der Beklagten „weniger als 1,2 m“). Lassen die UVV aber, wie hier, eine bestimmte Breite des Transportweges ausreichen, und legt die Satzung keine davon abweichenden (strengeren) Vorschriften fest, so muss die Beklagte in ihrer Ermessensentscheidung darlegen, weshalb im vorliegenden Falle ausnahmsweise eine größere Wegbreite erforderlich ist.
Des Weiteren ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Beleuchtung des Transportweges auf dem klägerischen Grundstück durch die vorhandene Straßenbeleuchtung und zusätzlich die Sensorlampe nicht ausreichend sein soll. Nach § 15 Abs. 6 Satz 2 AbfS müssen Transportwege ausreichend beleuchtet sein. In Übereinstimmung damit verlangt § 16 Nr. 6 UVV eine Beleuchtung der Transportwege bei Dunkelheit. Aus den vom Kläger angefertigten Lichtbildern ist erkennbar, dass der Transportweg durch die vorhandene Straßenlaterne beleuchtet wird. Des Weiteren tragen die Beteiligten übereinstimmend vor, dass der Sensor der Wegbeleuchtung am Standort der Mülltonnen angebracht ist und somit bei Bewegung in diesem räumlichen Umfeld die Beleuchtung auslöst. Inwiefern dennoch keine ausreichende Beleuchtung gegeben sein soll, legt die Beklagte nicht substantiiert dar.
Schließlich geht die Beklagte in ihrem Bescheid davon aus, dass der Transportweg der Mülltonnen von ihrem Standort auf dem Grundstück des Klägers zum Ort der Entleerung in das Müllfahrzeug 15 m betrage, während der Kläger eine Entfernung von 14,35 m gemessen haben will. Dazu führt die Beklagte aus, dass der Standort am äußersten Rand der zulässigen Entfernung liege. Unabhängig davon, ob die Messung des Klägers zutreffend ist oder ob der Transportweg mit 15 m an der Grenze des Zulässigen liegt, setzt sich die Beklagte jedoch nicht mit der von ihr in der Satzung getroffenen Sollbestimmung auseinander. Nach § 15 Abs. 6 Satz 3 AbfS „sollen“ die Transportwege eine Länge von 15 m nicht überschreiten. Damit ist nach dem juristischen Sprachgebrauch zwar eine verbindliche Festlegung für den Regelfall getroffen, dem Rechtsanwender jedoch in atypischen Fällen eine Abweichungsmöglichkeit eingeräumt. Es bedarf keiner Entscheidung, ob damit – was der Wortlaut bei engem Verständnis nahelegen könnte – nur eine Abweichung „nach oben“, im Sinne der Zulässigkeit eines Überschreitens der normierten Weglänge, unter besonderen Umständen zugelassen werden soll. Nicht ausgeschlossen ist angesichts der einheitlich zu treffenden Ermessensentscheidung anhand aller in der Satzung festgelegten Anforderungen auch das Normverständnis, von dem die Beklagte auszugehen scheint, nämlich dass auch eine geringere Wegstrecke in der Gesamtschau aller örtlichen Gegebenheiten schon zu lang sein kann. Jedenfalls fehlt es an Darlegungen der Beklagten, weshalb im vorliegenden Falle ein Abweichen von dieser Grenze nach unten zu Lasten des Klägers sachgerecht erscheint. Offenbleiben kann dabei auch, ob § 15 Abs. 6 Satz 3 AbfS überhaupt hinreichend bestimmt und damit wirksam ist. Die Satzungsvorschrift bestimmt nicht, wo der Ausgangspunkt einer Messung des Transportweges zur Kontrolle der Einhaltung der 15 m-Grenze liegt. Im Zusammenhang mit Satz 1 derselben Vorschrift wird lediglich deutlich, dass es dabei um die Entfernung „von der Straße“ geht. Bestandteile der Straße sind aber nicht nur die Fahrbahn, wobei sich die Frage stellen würde, ob die Fahrbahnmitte oder der Fahrbahnrand gemeint ist. Vielmehr bildet auch der Gehweg einen Bestandteil der Straße (vgl. Art. 2 Nr. 1 Buchst. b) des Bayer. Straßen- und Wegegesetzes – BayStrWG). Eine Festlegung wie beispielsweise für die Papiertonne in § 15 Abs. 7 Satz 2 AbfS („[…] an der Grenze zur Straße [Gehweg]“) hat die Beklagte in § 15 Abs. 6 Satz 3 AbfS nicht getroffen.
c) Ist somit der Grundverwaltungsakt in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides rechtswidrig, so liegt eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne des Art. 16 Abs. 5 des Bayer. Kostengesetzes (BayKG) vor, weshalb die Kostenentscheidung unter Ziffer 2 ebenfalls als rechtswidrig aufzuheben ist. Unabhängig davon weist das Gericht aber darauf hin, dass der Kläger mit seiner Weigerung, den von der Beklagten vorgeschlagenen Abholort freiwillig zu akzeptieren, den Anlass für die Festlegung durch Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 6 Satz 4 AbfS gegeben hat. Deshalb hätten ihm nach dem Veranlasserprinzip gemäß Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayKG bei richtiger Sachbehandlung auch Kosten (Gebühren und Auslagen) auferlegt werden dürfen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 und § 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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