Baurecht

Nachbar, Vorbescheid, Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung, Fehlende Bestimmtheit bei unbekannten Lärmauswirkungen, Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  M 8 K 19.5289

Datum:
13.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49252
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BauNVO § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Vorbescheid der Beklagten vom 2. September 2019 (PlanNr. … * …*) wird insoweit aufgehoben als darin die Vorbescheidsfragen Nrn. 1, 6.1, 7 und 8.2 positiv beantwortet wurden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.  Die Beklagte hat 2/3 und die Klägerin 1/3 der Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.   
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage der Klägerin gegen den der Beigeladenen zu den Fragen 1, 2, 3, 6.1, 7 und 8.2 erteilten Vorbescheid vom 2. September 2019 ist nur insoweit begründet als sie sich auf die Vorbescheidsfragen Nrn. 1, 6.1, 7 und 8.2 bezieht. Insofern ist der Vorbescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen ist sie unbegründet.
Streitgegenstand ist der Vorbescheid vom 2. September 2019 infolge der Konkretisierung des Klagebegehrens in der mündlichen Verhandlung nur insoweit, als die Fragen 1, 2, 3, 6.1, 7 und 8.2 positiv beantwortet wurden. Mit der so zu verstehenden Klage kann die Klägerin als Nachbarin nur dann Erfolg haben, wenn der Vorbescheid im angefochtenen Umfang rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Ein solcher Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften ist nur hinsichtlich der Beantwortung der Fragen Nrn. 1, 6.1, 7 und 8.2 gegeben (1. und 2.). Die positive Beantwortung der Fragen 2 und 3 verletzt demgegenüber keine Vorschriften, die dem Schutz der Klägerin dienen (3.).
1. Die positive Antwort auf Frage 1 des Vorbescheidsantrags, mit der die Art der baulichen Nutzung bauplanungsrechtlich uneingeschränkt für zulässig erklärt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Es kann dahinstehen, ob sich eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die Antwort auf Frage 1 auch aus der Verletzung des sogenannten Gebietserhaltungsanspruchs ergibt. Unabhängig davon stellt die Antwort aufgrund der fehlenden Bestimmtheit in Bezug auf die von der zugelassenen Nutzungsart auf das Anwesen der Klägerin einwirkenden Immissionen eine Nachbarrechtsverletzung in Form eines Verstoßes gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot dar. Dieser führt bereits für sich genommen zur Aufhebung des Vorbescheids in diesem Punkt. Daher ist weder über das Bestehen eines Gebietserhaltungsanspruchs zu entscheiden, noch über die Auffassung der Beigeladenen zu befinden, die Klägerin könne sich nicht auf eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans zur Begründung eines Gebietserhaltungsanspruchs berufen.
Offen bleiben kann für die Entscheidung über eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots infolge der Unbestimmtheit des Vorbescheids auch, ob der Bebauungsplan insgesamt oder teilweise unwirksam ist. Unabhängig davon, ob sich das Gebot der Rücksichtnahme im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO oder aus § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m § 15 Abs. 1 BauNVO ableitet, hat in Bezug auf die Frage der zumutbaren Immissionsbelastung der Klägerin im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden (BayVGH, B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 2).
Mit der Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung ist ungeachtet dessen, ob das Vorhaben nach § 30 Abs. 1 BauGB oder infolge der behaupteten Unwirksamkeit des Bebauungsplans nach § 34 BauGB zu beurteilen ist, zugleich über das Gebot der Rücksichtnahme zu entscheiden. Es kann aus der Prüfung der Art der baulichen Nutzung nicht ausgeklammert werden (vgl. auch BayVGH, U.v. 9.9.1999 – 1 B 96.3475 – juris Rn. 21 ff.; U.v. 14.10.2008 – 2 BV 04.836 – juris; B.v. 16.8.2016 – 15 B 14. 1625 – juris Rn. 14; B.v.15.9.2020 – 15 ZB 19.2405 – juris Rn. 38; Decker, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL September 2021, Art. 71 Rn. 73). Eine solche, das Gebot der Rücksichtnahme ausklammernde Vorbescheidsfrage wäre nicht selbstständig beurteilbar und stellte eine unzulässige Vorbescheidsfrage dar (Decker, in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL September 2021, Art. 71 Rn. 73; BayVGH, B.v. 15.9.2020 – 15 ZB 19.2405 – juris Rn. 38 m.w.N.). Die uneingeschränkte Bejahung der Vorbescheidsfrage zur zulässigen Art der baulichen Nutzung im streitgegenständlichen Bescheid beinhaltet daher eine bindende Feststellung der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots. Für eine derartige uneingeschränkte Feststellung fehlt es indes an einer hinreichenden Bestimmtheit der Bauvorlagen hinsichtlich der mit der Art der Nutzung verbundenen Lärmimmissionen. Eine mit der positiven Antwort einhergehende Bindungswirkung des Vorbescheids hinsichtlich der Zumutbarkeit der von der beantragten Nutzung ausgehenden Immissionen für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren verletzt die Rechte der Klägerin.
Gemäß Art. 71 Satz 4, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist ein Vorbescheid zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben, soweit seine Zulässigkeit mit dem Vorbescheid abgefragt wird, keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind. Dies setzt voraus, dass die einzelnen Vorbescheidsfragen auf der Grundlage des Vorbescheidsantrags und der Bauvorlagen (Art. 71 Satz 4, Art. 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BayBO) am Maßstab der heranzuziehenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften geprüft werden können. Denn Art. 71 Satz 4, Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO bestimmen ohne Einschränkung, dass mit dem Vorbescheidsantrag alle für die Beurteilung der gestellten Vorbescheidsfragen und die Bearbeitung des Vorbescheidsantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen sind. Art, Umfang und Inhalt der vorzulegenden Bauvorlagen ergeben sich dabei aus der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), Art. 80 Abs. 4 BayBO. Nach § 5 BauVorlV sind im Rahmen eines Verfahrens auf Erteilung eines Vorbescheids diejenigen Bauvorlagen vorzulegen, die zur Beurteilung der durch den Vorbescheid zu entscheidenden Fragen des Bauvorhabens erforderlich sind. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen dabei vollständig, richtig und eindeutig sein (vgl. Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL September 2021, Art. 64 Rn. 75; VG München, U.v. 24.11.2014 – M 8 K 13.5076 – juris Rn. 20; U.v. 11.4.2016 – M 8 K 14.4953 – juris Rn. 23; U.v. 29.2.2016 – M 8 K 15.3184 – juris Rn. 26). Soweit Gegenstand der bauaufsichtlichen Prüfung im Rahmen des Vorbescheidsverfahrens die bauliche Anlage in ihrer durch die Nutzung bestimmten Funktion als Einheit ist, ist im Vorbescheidsantrag auch die Nutzung des Vorhabens festzulegen und kommt es hinsichtlich der Angaben über die Nutzung besonders auf Eindeutigkeit und Klarheit der Bauvorlagen an (vgl. Gaßner/Reuber in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 144. EL September 2021, Art. 64 Rn. 75, 100).
Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bau- bzw. Vorbescheidsantragsteller einwandfreie und vollständige Bauvorlagen einreicht. Nachbarrechte können aber dann verletzt sein, wenn infolge der Unbestimmtheit der Bauvorlagen der Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung bzw. des Vorbescheids nicht eindeutig festgestellt und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass das (hinsichtlich einzelner Fragen vorab) genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützendes Recht verstößt (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1775 – juris Rn. 11 m.w.N.; B.v. 25.7.2019 – 1 CS 19.821 – juris Rn. 14; VGH BW, B.v. 23.11.2017 – 3 S 1933/17 – juris Rn. 8; VG München, U.v. 24.11.2014 – M 8 K 13.5076 – juris Rn. 24). Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.10.2016 – 15 B 16.1001 – juris Rn. 4; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 13 jeweils m.w.N.). Sofern eine Immissionskonfliktlage besteht, bedarf es zur abschließenden Bejahung der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots damit eines Nachweises in den Bauvorlagen, dass die maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze in der Nachbarschaft nicht überschritten wird, oder hinreichender Regelungen in der Genehmigung, die sicherstellen, dass die Nachbarschaft keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt ist (VG München, Urteil v. 12. Oktober 2020 – M 8 K 18.3809 – juris Rn. 38 m.w.N.). Etwas anderes würde nur gelten, wenn aufgrund der örtlichen Verhältnisse keine Immissionskonfliktlage ersichtlich ist oder der Vorbescheid aufgrund seines durch die Antragsunterlagen eingeschränkten Prüfungsumfangs noch keine abschließende Entscheidung über die Zumutbarkeit der von der zugelassenen Nutzung ausgehenden Immissionen ermöglicht.
Dies zugrunde gelegt, hätte es im vorliegenden Fall bei Beantwortung der Frage 1 aufgrund der bereits sehr ins Detail gehenden Planunterlagen mit Darstellung der Betriebsabläufe sowie des Bestehens einer Immissionskonfliktlage solcher Bauvorlagen bedurft, die die Einhaltung des Rücksichtnahmegebots trotz der durch die zugelassene Art der baulichen Nutzung am Anwesen der Klägerin zu erwartenden Immissionen belegen. Nachdem die Beklagte sich im Rahmen der Beantwortung der Vorbescheidsfrage die Möglichkeit späterer Auflagen und Nutzungsbeschränkungen nicht vorbehalten hat, stellt die uneingeschränkte Bindungswirkung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung wegen der ungeklärten Auswirkungen auf das Rücksichtnahmegebot eine Rechtsverletzung der Klägerin dar.
Der Vorbescheidsantrag besitzt eine Planungstiefe, die eine Immissionsbetrachtung möglich macht und diese zur Beurteilung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots auch erfordert. Mit den Antragsunterlagen hat die Beigeladene bereits Betriebsbeschreibungen für die beiden Hauptnutzungsarten vorgelegt und den künftigen Betriebsablauf dargestellt. Insbesondere umfasst der Vorbescheidsantrag damit eine Hotelnutzung mit 162 Zimmern im 24-Stunden-Betrieb sowie die Nutzung eines als großflächiger Einzelhandel einzuordnenden Supermarkts mit ausdrücklich abgefragten Anlieferzeiten zur Nachtzeit. Neben der detaillierten Betriebsbeschreibung hat die Beigeladene darüber hinaus Planunterlagen vorgelegt, die den mit der Nutzung verbundenen An- und Abfahrtsverkehr vergleichbar einer Planung im Baugenehmigungsverfahren örtlich festlegen. Insbesondere ist die Errichtung einer Tiefgarage mit 79 Stellplätzen und deren Lage sowie die Situierung von 47 oberirdischen Stellplätzen umfasst. Sowohl die Tiefgaragenzufahrt als auch die Zufahrt zu den oberirdischen Stellplätzen werden bereits mit den genehmigten Plänen festgelegt. Gleiches gilt für die Anlieferzone des Supermarkts. Sowohl deren Lage als auch Umfang und Art der Einhausung werden planlich dargestellt. Damit werden die Rahmenbedingungen für eine von der geplanten Nutzungsart für die Nachbarschaft durch den An- und Abfahrtsverkehr hervorgerufene Lärmbelastung bereits mit dem streitgegenständlichen Vorbescheid verbindlich festgelegt.
Die in den Antragsunterlagen fehlende Untersuchung, ob mit der zugelassenen Nutzung unzumutbare Lärmbelastungen für das Anwesen der Klägerin einhergehen und die aufgrund dessen gegebenenfalls erforderlichen, aber fehlenden Regelungen der Nutzung aus Gründen des Immissionsschutzes führen zur nachbarrechtlich relevanten Unbestimmtheit des Vorbescheids, da die zu erwartende Immissionsbelastung nicht absehbar ist und aufgrund der Lage und der Schutzwürdigkeit der Nutzungen im klägerischen Anwesen eine Überschreitung der Immissionsrichtwerte nicht von vorneherein auszuschließen ist. Das Bestehen einer Immissionskonfliktlage wird insbesondere bei Betrachtung der Zu- und Abfahrt zur Tiefgarage, den oberirdischen Stellplätzen sowie der Anlieferbereiche für den Supermarkt deutlich. Bei der Planvariante A (vgl. Grundriss Erdgeschoss) ist die geplante Tiefgaragenausfahrt sowie die Zufahrt zum Anlieferbereich des Supermarkts auf der dem Anwesen der Klägerin unmittelbar gegenüberliegenden Straßenseite der … straße geplant. Die Entfernung zwischen diesen aus Emissionsgesichtspunkten problematischen Bereichen und dem nächstgelegenen Wohnbereich in der Südwestecke des Anwesens der Klägerin beträgt bei einer Abschätzung anhand des dem Gericht zur Verfügung stehenden Geoinformationssystems „BayernAtlasplus“ ca. 30 m – 35 m, ohne dass es darauf ankommt, ob neben der Wohnnutzung im ersten Obergeschoss auch eine Wohnnutzung im Erdgeschoss stattfindet. Diese Entfernung reicht nicht aus, um bei den von der zugelassenen Nutzung zu erwartenden Immissionen von der sicheren Einhaltung der maßgeblichen Immissionsrichtwerte der TA-Lärm auszugehen (vgl. als Orientierung etwa: Parkplatzlärmstudie; Bayer. Landesamt für Umwelt, 6. Auflage, S. 107 Tab. 37). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um An- und Abfahrtsverkehr einer gewerblich genutzten Anlage handelt und angesichts der Betriebsbeschreibung von der Hotelnutzung (Nutzung der Tiefgarage durch Gäste) und dem Anlieferverkehr des Supermarktes voraussichtlich auch zur Nachtzeit Emissionen ausgehen.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Schutzstatus des Anwesens der Klägerin wohl einem allgemeinen Wohngebiet gemäß Nr. 6.1 Buchst. e) der TA-Lärm nahekommen und damit eine Einhaltung der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm schwieriger sein dürfte als bei Zugrundelegung der durch den Bebauungsplan festgesetzten Gebietsart. Die Kammer hält an der im Urteil vom 27. Oktober 2008 (Az.: M 8 K 08.369) geäußerten Rechtsauffassung fest, wonach für den Bereich des Anwesens der Klägerin von einer Funktionslosigkeit der Kerngebietsfestsetzung im Bebauungsplan auszugehen ist. Im Bereich des klägerischen Anwesens ist aufgrund der in den Obergeschossen ausschließlichen Wohnnutzung nicht zu erwarten, dass die Festsetzung des Bebauungsplans künftig realisiert wird. Vielmehr ist es aufgrund der bestehenden Nutzung und der rechtlichen Konstruktion der Klägerin als Wohnungseigentümergemeinschaft auf Dauer ausgeschlossen, dass eine kerngebietstypische Nutzung in diesem Anwesen stattfindet. Dies ist angesichts der Dauer der bisher bereits ausgeübten Wohnnutzung und des Charakters des Gebäudes auch offensichtlich. Nachdem es sich bei dem Grundstück der Klägerin um einen durch die … straße und die … Allee von den anderen als Kerngebiete festgesetzten Bereichen räumlich und im Übrigen auch planerisch abgesetzten Bereich handelt, folgt aus der Funktionslosigkeit der Festsetzung der Gebietsart in diesem Bereich indes nicht zwingend, dass auch die Festsetzung in den übrigen Kerngebietsbereichen funktionslos ist (vgl. BayVGH, U.v. 02.08.2018 – 2 B 18.742 – juris Rn. 54). Dort ist eine kerngebietstypische Nutzung zum Teil vorhanden oder jedenfalls realisierbar und damit nicht auf Dauer ausgeschlossen. Gleichwohl verbleibt es auch bei einer nur teilweisen Unwirksamkeit der Festsetzung der Gebietsart für das Grundstück der Klägerin angesichts des Gewichts der Wohnnutzung im Anwesen der Klägerin wohl bei dem Schutzstatus eines Allgemeinen Wohngebietes, ohne dass es einer Mittelwertbildung bedarf. Dass die mit Bindungswirkung für das Baugenehmigungsverfahren bejahte Nutzung diesen Schutzstatus wahrt, wird durch den angefochtenen Vorbescheid nicht sichergestellt, weshalb sich die positive Beantwortung von Frage 1 als rücksichtslos erweist.
2. In gleicher Form verletzt auch die Beantwortung der Fragen 6.1, 7 und 8.2 die nachbarlichen Rechte der Klägerin.
Die positive Antwort auf die Vorbescheidsfrage 6.1 erlaubt die konkret in der Planvorlage dargestellte Lage der Tiefgaragenzufahrt und ist damit in Zusammenhang mit der positiven Beantwortung der Art der baulichen Nutzung als Beantwortung der Frage nach der Einhaltung des Rücksichtnahmegebots durch die Nutzung der Tiefgaragenzufahrt anzusehen. Gleiches gilt für die mit Frage 7 beantwortete Frage zur Zufahrt zum Parkplatz des Supermarkts und zur Tiefgarage. Hier ist weder durch die Fragestellung noch durch die Antwort der Beklagten hinreichend klargestellt, dass sich die getroffene Feststellung allein auf die Einhaltung nicht nachbarschützender Vorschriften, etwa zur Verkehrssicherheit, beschränken würde. Deshalb ist davon auszugehen, dass mit der Antwort auf die Frage die gesamte Zulässigkeit der Nutzung mit der Lage der Parkplatzzufahrt positiv beurteilt wird. Gleiches gilt für die Lage der Anlieferung von der … straße aus, die unter 8.2 positiv beschieden wurde. Angesichts der uneingeschränkt positiven Bejahung der Fragen in Verbindung mit der Planvorlage und der Bejahung von Frage 1 des Vorbescheidsantrags lässt sich nicht bestimmen, inwiefern die Bindungswirkung des Vorbescheids auch hinsichtlich der durch die Klägerin hinzunehmenden Lärmimmissionen zu beurteilen ist. Nachdem eine unzumutbare Beeinträchtigung der Klägerin nach dem vorstehend Ausgeführten nicht auszuschließen ist, geht mit der Unbestimmtheit der Planvorlagen zur Frage der Einhaltung der Immissionsrichtwerte eine Verletzung der nachbarlichen Rechte der Klägerin einher.
3. Die Klage bleibt insoweit ohne Erfolg, als sie sich gegen die positive Beantwortung der Fragen 2 und 3 im Vorbescheid vom 2. September 2019 richtet. Die mit dem Vorbescheid in Aussicht gestellten Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zu den überbaubaren Grundstücksflächen (Frage 2) und zum Maß der Nutzung (Frage 3) verletzen keine nachbarlichen Rechte.
Soweit eine Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB erteilt wird, ist hinsichtlich des Nachbarschutzes zu differenzieren, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans oder von nicht drittschützenden Festsetzungen befreit wird. Handelt es sich um eine nachbarschützende Festsetzung, so hat der Nachbar einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (BayVGH, B. v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 3). Entscheidend ist damit nicht nur, ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, sondern auch, ob die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB im konkreten Fall erfüllt sind. Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht drittschützend ist, werden nachbarschützende Rechte nur verletzt, wenn der Nachbar durch die Erteilung der Baugenehmigung unzumutbar beeinträchtigt wird; eine Rechtsverletzung kommt insoweit nur in dem im Begriff der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ verankerten Rücksichtnahmegebot in Betracht (BayVGH, B.v. 6.8.2010 – 15 CS 09.3006 – juris Rn. 26; B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 33, BVerwG, B.v. 9.3.1993 – 4 B 38.93 – juris Rn. 3).
3.1 Die Festsetzungen des Bebauungsplans zur zulässigen Geschossflächen- und Grundflächenzahl, der Zahl der Vollgeschosse sowie der Baugrenzen sind nicht drittschützend. Bei diesen Festsetzungen handelt es sich um Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und der überbaubaren Grundstücksfläche. Diesen kommt grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion zu (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – NVwZ 1996, 888; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 34). Ob diesen Festsetzungen des Bebauungsplans ausnahmsweise gleichwohl Drittschutz zukommt, bestimmt sich danach, ob sie nach dem Willen des Plangebers ausschließlich städtebaulichen Gründen oder ausnahmsweise (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollen (BayVGH, B. v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 4). Ein solcher Wille des Plangebers kann sich aus dem Bebauungsplan oder sonstigen mit der Planaufstellung in Zusammenhang stehenden Umständen ergeben (BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15).
Weder aus dem Bebauungsplan noch dessen Begründung ergeben sich hier Anhaltpunkte dafür, dass die Festsetzungen zur Geschossflächen- und Grundflächenzahl, der Zahl der Vollgeschosse sowie zum Bauraum drittschützend sein sollen. Soweit die Klägerin unterstellt, der Bebauungsplan wolle durch die niedrigen, in der Regel zweigeschossigen gewerblichen Versorgungszentren ein System aus Hoch- und Tiefpunkten schaffen, das eine optimale Belichtung, Belüftung und Grünflächengestaltung des Plangebiets bewirken solle, bleibt schon im Klagevortrag unklar, weshalb ein solcher planerischer Wille bestanden haben soll. Selbst wenn diese Interpretation der Planung durch die Klägerin ein städtebauliches Motiv der Planung gewesen sein sollte, lässt sich daraus kein Wille der Plangeberin ableiten, dass die Anordnung der Baukörper und deren Höhe auf dem Baugrundstück den nachbarlichen Interessen der Klägerin dienen sollte. Vielmehr zeigt die Anordnung der Wohnbaukörper auf dem Klägergrundstück und den weiteren Wohnbaugrundstücken in der unmittelbaren Umgebung, dass die Belichtung derselben gerade nicht durch niedrige Baukörper auf dem Baugrundstück sichergestellt wird. Die langgestreckten Baukörper sind jeweils nach Westen und/oder Süden ausgerichtet und haben auf diesen Seiten jeweils ausreichend Freiflächen auf dem eigenen Grundstück. Einer Sicherstellung der Belichtung und Belüftung durch niedrige Gebäude auf dem Baugrundstück bedarf es nicht, weshalb nicht erkennbar ist, dass die Plangeberin über ihre städtebaulichen Gestaltungsvorstellungen hinaus ein Abwehrrecht des Nachbarn gegen eine die geplante Baukörpergröße überschreitende Bebauung konstituieren wollte.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur nachbarschützenden Wirkung von Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung (vgl. BVerwG, U.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris). Zum einen ist die mit dieser Rechtsprechung für möglich erachtete Ermittlung eines „objektivierten“ planerischen Willens nur bei (übergeleiteten) Bebauungsplänen aus einer Zeit vor dem Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes 1960 möglich, der hier nicht vorliegt (vgl. BayVGH, B.v. 11.08.2021 – 15 CS 21.1775 – juris Rn. 17). Zum anderen ist auch dann eine drittschützende Wirkung von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn durch Auslegung des Bebauungsplans ein wechselseitiges Austauschverhältnis im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu ermitteln ist (vgl. BayVGH, B. v. 22.6.2020 – 2 CS 20.1085 – n.v. Rn. 4). Dies ist hier nach dem vorstehend Ausgeführten gerade nicht der Fall.
3.2 Eine Rechtsverletzung der Klägerin durch die in Aussicht gestellten Befreiungen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche und des Maßes der baulichen Nutzung lässt sich damit – obwohl für das Gericht die objektiv-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von derart umfangreichen Befreiungen nicht erkennbar sind – wegen des fehlenden drittschützenden Charakters der Festsetzungen nur aus einem diesbezüglichen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot ableiten. Das Gebot der Rücksichtnahme verleiht dem Nachbarn als objektiv-rechtliche Anforderung nur dann ein subjektiv-öffentliches Recht, wenn dieser qualifiziert und individualisiert betroffen ist (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 28). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Das Rücksichtnahmegebot ist verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – juris Rn. 22).
In der Rechtsprechung zum Rücksichtnahmegebot ist anerkannt, dass eine Verletzung dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen).
Das streitgegenständliche Vorhaben hat vorliegend keine einmauernde oder erdrückende Wirkung auf das Anwesen der Klägerin. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens, seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9). Eine erdrückende Wirkung scheidet regelmäßig schon aus, wenn der geplante Baukörper nicht erheblich höher ist als der des klagenden Nachbarn (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5). Damit wird deutlich, dass die geplante 8-geschossige Bebauung gegenüber der Bebauung auf dem Grundstück der Klägerin mit 20 Geschossen nicht geeignet ist, eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung zu erzeugen.
Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass bisher gegebene Blickbeziehungen beeinträchtigt würden. Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
4. Die Kosten des Verfahrens waren zwischen der Beklagten und der Klägerin entsprechend ihrem Obsiegen und Unterliegen aufzuteilen (§ 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beigeladene hat keinen Sachantrag gestellt und sich insofern keinem Kostenrisiko unterworfen (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Es entspricht daher der Billigkeit im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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