Aktenzeichen 15 CS 22.1152
Leitsatz
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt R. erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnkomplexes mit 20 Wohneinheiten und Stellplätzen.
Die Beigeladene ist Bauherrin eines dreiteiligen Gebäudekomplexes mit Tiefgarage und oberirdischen Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung N. Das Landratsamt erteilte hierzu mit Bescheid vom 8. Oktober 2020 eine Baugenehmigung für die Errichtung von 18 Wohneinheiten, 27 Tiefgaragenplätzen und 10 Stellplätzen, mit Bescheid vom 29. September 2021 eine Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung für die Errichtung einer Lärmschutzwand und mit Bescheid vom 9. Dezember 2021 eine Nachtrags- (Tektur-) Genehmigung betreffend die Ergänzung um zwei Wohneinheiten, zwei Tiefgaragenstellplätze und einen Stellplatz außen. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des südlich an das Baugrundstück angrenzenden, mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung N. Ihr Grundstück liegt gegenüber dem Baugrundstück ca. 5 m tiefer.
Gegen die Baugenehmigung vom 8. Oktober 2020 erhob die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg (RO 2 K 21.2081) und bezog die Nachtrags(Tektur-) Genehmigungen vom 29. September 2021 und vom 9. Dezember 2021 jeweils mit ein. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Mit Schriftsatz vom 4. November 2021 erhob die Antragstellerin Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (RO 2 S 21.2198), auf den hin das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Januar 2022 die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die mit Bescheid vom 8. Oktober 2020 erteilte Baugenehmigung in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29. September 2021 und vom 9. Dezember 2021 angeordnet hat. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass einiges dafür spreche, dass das Vorhaben gegenüber der Antragstellerin aufgrund von Lärmimmissionen wegen der Anordnung von zehn Stellplätzen an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin hin, der auf der der Antragstellerin zugewandten Seite vorgesehenen Ein- bzw. Ausfahrt zur Tiefgarage und der aus den Plänen ersichtlichen Zufahrtssituation über die im Osten des Vorhabens befindliche Zufahrt und entlang der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin zu den Stellplätzen, rücksichtlos sei.
Mit Schriftsatz vom 24. Januar 2022 beantragte das Landratsamt R. die Abänderung dieses Beschlusses. Verwiesen wurde auf eine fachliche Stellungnahme des zuständigen Umweltschutzingenieurs vom 20. Januar 2022, die zu dem Ergebnis komme, dass mit der genehmigten Lärmschutzwand dem Gebot der Rücksichtnahme ausreichend Rechnung getragen werde. Die Beigeladene beantragte darüber hinaus anzuordnen, dass die unterste Ebene des Bauvorhabens fertiggestellt und hinterfüllt werden dürfe, um den Erddruck aus dem Hang sicher ableiten zu können und so die Sicherheit gegen einen Böschungsbruch zu erhöhen. Das Landratsamt R. ergänzte seinen Antrag um den Hilfsantrag, den Beschluss vom 14. Januar 2022 zumindest insoweit abzuändern, als die Fertigstellung des Tiefgaragengeschosses von der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ausgeschlossen ist.
Das Verwaltungsgericht Regensburg änderte mit Beschluss vom 13. April 2022 seinen Beschluss vom 14. Januar 2022 in Ziffer I. ab und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die mit Bescheid vom 8. Oktober 2020 der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in der Fassung der Änderungsbescheide vom 29. September 2021 und vom 9. Dezember 2021 mit Ausnahme der Errichtung der Wände und Decken und der Hinterfüllung des Tiefgaragengeschosses an. Im Übrigen wurden die Anträge abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass auch unter Berücksichtigung der immissionsschutzfachlichen Stellungnahmen rechtliche Bedenken bestünden, ob die verkehrliche Gesamtsituation im Süden des Baugrundstücks an der Grenze zur Antragstellerin, die den dortigen rückwärtigen Ruhebereich betrifft, das Gebot der Rücksichtnahme bewahre. Die Erstellung der Wände und der Decke des Tiefgaragengeschosses sowie die Hinterfüllung der Wände sei sachgerecht, um es der Beigeladenen zu ermöglichen, der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht bezüglich der durch den Baubeginn entstandenen Böschung nachzukommen. Der Antrag der Beigeladenen, anzuordnen, dass die unterste Ebene des Bauvorhabens fertiggestellt und hinterfüllt werden dürfe, sei abzulehnen, da ihm teilweise im Rahmen des Antrags nach § 80 Abs. 5 bzw. Abs. 7 VwGO Rechnung getragen werden könne und darüber hinaus keine Grundlage und kein Rechtsschutzbedürfnis ersichtlich seien.
Hiergegen richtet sich die Beigeladene mit ihrer Beschwerde. Die Beigeladene ist der Ansicht, das Bauvorhaben verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das Baugrundstück gehe im Osten 15 m über das Grundstück der Antragstellerin hinaus; in diesem Bereich befänden sich zwei Stellplätze, so dass sich nur acht Stellplätze an der Grundstücksgrenze zur Antragstellerin und zudem hinter einer Lärmschutzwand befänden. Bei 62 m Zufahrtslänge ergebe sich auch nur ein Gefälle von 6,1 v.H. Die Stellplätze östlich der Tiefgaragenein- bzw. -ausfahrt könnten ebenerdig angeordnet werden. Die bisherige Pension auf dem Baugrundstück habe einen deutlich höheren Zu-/Abfahrts- und Lieferverkehr verursacht. Zudem gehe das Verwaltungsgericht nicht darauf ein, dass das Gebiet im Einwirkungsbereich der Bahn liege. Die Lärmschutzwand löse auch keine Abstandsflächenproblematik aus, da es sich um eine geschlossene Einfriedung handle, die bis zu 2 m zulässig sei.
Einen ausdrücklichen Antrag stellt die Beigeladene nicht.
Das Landratsamt R. hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das Verwaltungsgericht verlange zu Recht eine genaue Prüfung des Störpotentials, was im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich sei. Die Positionierung und ebenerdige Anordnung von Stellplätzen könne nicht erst in der Werksplanung erfolgen. Maßgeblich für die Tiefgaragenzufahrt sei nicht das rechnerische Gefälle, sondern das tatsächliche Gefälle in einzelnen Abschnitten, das teilweise bei bis zu 20 v.H. liege. Zur Beurteilung der Lärmimmissionen bedürfe es eines Geländemodells. Dass das Gebiet im Einwirkungsbereich der Bahn liege, sei nicht entscheidungserheblich, weil keine Addition erfolge. Die Stellungnahmen des Umweltingenieurs gingen bei den Fahrbewegungen von unzutreffenden Annahmen aus und widersprächen der üblichen Praxis, auch bei Parkplätzen eine Prognoseberechnung zum Lärm zu veranlassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zwar hat die Beigeladene im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt, nach dem erkennbaren Rechtsschutzziel lässt sich die Begründung der Beschwerde im Schriftsatz vom 13. Mai 2022 gem. § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass in der Sache beantragt wird, den von der Antragstellerin gem. § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO gestellten Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 8. Oktober 2020 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 29. September 2021 und vom 9. Dezember 2021 unter Abänderung der Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 14. Januar 2022 und vom 13. April 2022 im Ganzen abzulehnen. Die von der Beigeladenen in der so verstandenen Beschwerde dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses. Das Verwaltungsgericht hat den Änderungsantrag des Antragsgegners sowie den Antrag der Beigeladenen nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 7 VwGO, soweit sie über den tenorierten Umfang hinausgehen, zu Recht abgelehnt. Die Interessenabwägung fällt damit zu Lasten der Beigeladenen aus.
a) Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass – auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Umweltingenieurs beim Landratsamt R. vom 20. Januar, 22. Februar und 31. März 2022 – weiterhin rechtliche Bedenken bestünden, ob die verkehrliche Gesamtsituation im Süden des Baugrundstücks an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin, die den dortigen rückwärtigen Ruhebereich des Grundstücks betrifft, das Gebot der Rücksichtnahme wahre (BA S. 12). Es sei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären, ob der Umweltingenieur tatsächlich durchwegs von zutreffenden Annahmen ausgegangen sei (BA S. 14). Betroffen seien Fragen der Steigung der Zufahrt, des Höhenverlaufs der Lärmschutzwand und der Höhenlage der Lärmschutzwand. Die Ansätze bzw. Einschätzungen seien zudem von der Antragstellerin substantiiert in Frage gestellt worden.
Dem tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Soweit die Beschwerde anführt, die Steigung der Tiefgaragenzufahrt betrage bei einer Gesamtlänge von 62 m nur 6,1 v.H., ist damit die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Tiefgaragenzufahrt entlang der südlichen Grundstücksgrenze bereits ab der Tiefgarage Richtung Osten auf einer Länge von 25 m eine Steigung von ca. 8 v.H. aufweise, nicht entkräftet. Zu Recht weist die Antragstellerin insoweit darauf hin, dass die Beschwerde – anders als das Verwaltungsgericht – nicht einzelne Teilabschnitte betrachtet. Auf den Höhenverlauf der Lärmschutzwand und die vom Verwaltungsgericht angeführten Unklarheiten bei der Höhenlage geht die Beschwerde nicht weiter ein. Der Vortrag der Beigeladenen, das Verwaltungsgericht berücksichtige die Lärmimmissionen der Bahn und die Ausführungen des Umweltingenieurs, dass die neuen Stellplätze insoweit keine Rolle spielten, nicht, genügt für eine Abänderung des Beschlusses nicht. Denn das Verwaltungsgericht hat die Plausibilität der Annahmen in Frage gestellt, womit sich die Beschwerde aber nicht auseinandersetzt.
b) Das Verwaltungsgericht hat ferner ausgeführt, dass keine nähere Beurteilung der gemittelten Beurteilungspegel durch den Umweltingenieur erfolgt sei. Aufgrund der örtlichen Verhältnisse und der Gesamtzahl der genehmigten Stellplätze erscheine dem Verwaltungsgericht eine Überschreitung der Beurteilungspegel, zumindest in der lautesten Nachstunde, nicht von vornherein ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht beanstandet insoweit das Fehlen eines Lärmgutachtens mit fundierter Prognose, beruhend auf entsprechenden Berechnungen unter Zugrundelegung eines Geländemodells (BA S. 15). Hiermit setzt sich das Beschwerdevorbringen nicht auseinander.
c) Schließlich stellt das Verwaltungsgericht darauf ab, dass der rückwärtige Gartenbereich des Wohngrundstücks und schutzwürdige Räume der Antragstellerin auf deren straßenabgewandter Seite durch das Bauvorhaben bzw. dessen Stellplätze betroffen seien. Durch das Bauvorhaben komme es zu einer neuen Größenordnung hinsichtlich der Betroffenheit von Parklärm. Auf die beengten Zufahrtsverhältnisse, die ein erhebliches Rangieraufkommen erwarten ließen, und weitere Aspekte, die vermeidbare besondere Belästigungen durch den Fahr- und Parklärm befürchten ließen, wie sie das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 14. Januar 2022 angeführt habe, gingen die Beigeladene und der Antragsgegner nicht weiter ein.
Dem tritt das Beschwerdevorbringen ebenfalls nicht substantiiert entgegen. Der Hinweis auf eine mögliche ebenerdige Anordnung der Stellplätze und eine Klärung im Rahmen der Werkplanung ist nicht ausreichend, da maßgebend die angefochtene Genehmigung ist. Das Verwaltungsgericht berücksichtigt im Rahmen der Bewertung der Zumutbarkeit zudem – entgegen dem Beschwerdevorbringen – auch die bisherige Verkehrsbelastung (BA S. 16). Auf die vom Verwaltungsgericht angeführte besondere Situation einer Betroffenheit des rückwärtigen Grundstücksbereichs geht die Beschwerde jedoch nicht ein.
d) Hinsichtlich der von der Beschwerde angeführten Einstufung der Lärmschutzwand als geschlossene Einfriedung, wird diese vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss nicht thematisiert. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Privilegierung gem. Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 BayBO der Lärmschutzwand wohl nicht zugutekommen dürfte und es für die Frage einer gebäudeähnlichen Wirkung i.S.d. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO auf die Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ankommt (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2022 – 15 CS 22.1033 – juris Rn. 24).
e) Den Antrag der Beigeladenen, die unterste Ebene des Bauvorhabens fertigstellen und hinterfüllen zu dürfen, hat das Verwaltungsgericht abgelehnt, weil über die erfolgte Änderung des Beschlusses vom 14. Januar 2022 hinaus, keine Grundlage und kein Rechtsschutzbedürfnis der Beigeladenen ersichtlich sei. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).