Baurecht

Nachbareilantrag gegen Baugenehmigung,

Aktenzeichen  M 11 SN 20.2657

Datum:
30.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 17009
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3,
BayBO Art. 6 Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 2, S. 3, S. 4, Abs. 6 S. 1, Abs. 8 Nr. 3, Abs. 9 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Dem Abstandsflächenrecht kann nicht entnommen werden, dass im Falle einer nachträglichen Grundstücksteilung die ursprünglich auf dem ungeteilten Grundstück liegenden Abstandsflächen auf das abgetrennte Grundstück automatisch übernommen werden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,– Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt Eilrechtsschutz gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung.
Mit Bescheid vom 12. Februar 2020 erteilte das Landratsamt … den Beigeladenen eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück Flurnummer … der Gemarkung … (Vorhabengrundstück). Dem Antragsteller, der Eigentümer des östlich angrenzenden Grundstücks Flurnummer … ist, wurde die Baugenehmigung am 18. Februar 2020 zugestellt.
Mit Telefax vom „10.02.2020“, bei dem unklar ist, ob es noch vor oder erst nach Bescheidserlass im Landratsamt einging – das vom Telefaxgerät automatisch generierte Datum „22/02/2008“ ist offensichtlich unrichtig -, wandte sich der Antragsteller an das Landratsamt. Er habe den Eingabeplan von den Architekten der Beigeladenen erhalten. Gegen das Vorhaben bestünden aber, wie er näher ausführte, abstandsflächenrechtliche Bedenken.
Der Antragsteller ließ anschließend durch einen Prüfsachverständigen für Vermessung im Bauwesen am 19. Februar 2020 einen Plan mit Höhenangaben zum natürlichen Gelände fertigen. Diese Höhenangaben weichen von denjenigen des mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauplans ab. Außerdem ließ der Antragsteller durch ein Architekturbüro am 27. Februar 2020 einen Abstandsflächenplan erstellen, wonach die nordöstliche und die südöstliche Außenwand des geplanten Gebäudes Abstandsflächen werfen, die zum Teil, wenn auch in eher geringem Umfang, auf dem Grundstück des Antragstellers zum Liegen kommen.
Das Landratsamt führte daraufhin am 2. März 2020 eine Baukontrolle durch, bei der festgestellt wurde, dass das natürliche Gelände an den 4 Ecken des geplanten Gebäudes um Werte zwischen 9 cm und 46 cm niedriger sei, als in der Baugenehmigung angegeben.
Am 12. März 2020 erhob der Antragsteller Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom 12. Februar 2020 (M 11 K 20.1116).
Unter dem 20. März 2020 stellten die Beigeladenen einen Tekturantrag, wobei ihr Architekt in einem Begleitschreiben vom gleichen Tag darauf hinwies, dass das Gebäude vollkommen gleich geblieben sei und sich lediglich die Höhenlage, die in den ursprünglichen Plänen falsch dargestellt gewesen sei, geändert habe.
Mit Bescheid vom 9. April 2020 erteilte das Landratsamt den Beigeladenen die Tekturgenehmigung. Der Bescheid wurde dem Antragsteller am 18. April 2020 zugestellt.
Der Antragsteller erhob auch gegen die Tekturgenehmigung am 6. Mai 2020 Anfechtungsklage (M 11 K 20.1944).
Am 15. Mai 2020 begründete der Antragsteller die Klage vom 6. Mai 2020 näher. Durch den Bescheid vom 9. April 2020 werde nur die Höhenlage tektiert. Bei dem streitgegenständlichen Bescheid handele es sich ausdrücklich um einen Tekturgenehmigungs- und nicht um einen Änderungsgenehmigungsbescheid, sodass der Inhalt des Bescheids vom 9. April 2020 für die Bauherren nur eine Möglichkeit sei, aber kein „Muss“. Ausweislich der Messergebnisse des Ingenieurbüros O., die mit Genehmigungsstempel versehen worden seien, steige das Gelände auf dem Vorhabengrundstück von Nordwesten in Richtung Südwesten an. Zugleich falle das Vorhabengrundstück von Westen nach Osten leicht ab. Es bestünden weiterhin erhebliche Zweifel an der Darstellung der Abstandsflächen. Die Eingabeplanung zeige Maßangaben in „m über NN“ auf, die im Rahmen der Ermittlung des Ingenieurbüros O. nicht ermittelt worden seien. Diese Maßangaben als richtig unterstellt, wäre das Gelände an allen 4 Gebäudeecken unterschiedlich beschaffen. Gleichwohl werde eine absolut rechteckige Abstandsfläche von 3,00 m vor den jeweiligen Längsseiten des Gebäudes und eine ebensolche Abstandsfläche von 7,09 m in südlicher Richtung auf das Grundstück des Klägers angegeben. Es bestünden erhebliche Bedenken gegen die Maßangaben zu dem westlich des Bauvorhabens angrenzenden Gebäude auf Flurnummer … Auch die Abstandsfläche dieses Gebäudes sei firstseitig als rechteckige Fläche angegeben, obwohl das natürliche Gelände ausweislich der Ergebnisse des Ingenieurbüros O. entlang der Außenfassade um 16 cm differiere. Es sei auch ausgeschlossen, dass dieses Nachbargebäude in Richtung des Vorhabengrundstücks das 16-Meter-Privileg in Anspruch nehmen könne, weil es in südöstlicher Richtung Abstandsflächen auf das Vorhabengrundstück werfe. Ohne eine entsprechende halbierte Abstandsfläche komme es jedoch mit dem Bauvorhaben zu einer Abstandsflächenüberdeckung. Diese könne das Bauvorhaben nur vermeiden, wenn es weiter nach Osten rücke, wodurch es Abstandsflächen auf das Grundstück des Antragstellers werfen würde.
Das Landratsamt erwiderte mit Schriftsatz vom 15. Juni 2020 auf die Klage vom 6. Mai 2020. Die Geländehöhen seien im Eingabeplan angegeben worden. Eine Überprüfung dieser Angaben auf ihre Richtigkeit könne vor Erteilung der Baugenehmigung durch das Landratsamt nicht erfolgen, sondern sei erst vor Baubeginn nachzuweisen. Die Baugenehmigung vom 12. Februar 2020 enthalte hierfür die Auflage Nummer 10.3. Diese Auflage gelte aufgrund von Auflage 83 der Tekturgenehmigung auch für diese. Die Abstandsflächen des geplanten Gebäudes seien dargestellt und lägen auf dem Baugrundstück selbst. Das Grundstück Flurnummer … grenze nicht an das Grundstück des Antragstellers, sodass dessen nachbarliche Belange nicht berührt seien. Die angesprochene mögliche zukünftige Verschiebung des Baukörpers würde einen neuen Bauantrag nach sich ziehen, bei dem die Einhaltung der Abstandsflächen neu nachzuweisen wären. Eine vorsorgliche Klage hiergegen sei im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens nicht zulässig.
Mit Schriftsatz vom 3. Juni 2020, der am 17. Juni 2020 bei Gericht einging, beantragte der Antragsteller,
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 6. Mai 2020 gegen den Bescheid des Landratsamts vom 9. April 2020 anzuordnen.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Klagebegründung vom 15. Mai 2020 Bezug genommen. Die in dieser Begründung aufgezeigten Bedenken wögen schwer und würden dazu führen, dass sich das Bauvorhaben nicht im Baufortschritt verfestigen dürfe. Der Bau müsse ruhen, damit keine unverrückbaren Fakten geschaffen würden. Die Bauarbeiten hätten begonnen. Als Beleg wurden Fotos vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen
II.
Der Antrag ist nicht begründet.
1. Nach § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Nachbarn, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine vorläufige Prüfung des Nachbarrechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird.
Gemessen daran ergibt die im Eilverfahren mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakten sowie der vorliegenden Behördenakten, dass die Klage des Antragstellers aller Voraussicht nach keinen Erfolg haben wird, weil die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung den Antragsteller voraussichtlich nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zu berücksichtigen ist dabei, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn eine Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. z.B. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42 Rn. 89 ff. m. w. N.). Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (vgl. BayVGH, Beschluss vom 24. März 2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m. w. N.).
a) Das genehmigte Vorhaben verletzt voraussichtlich keine dem Schutz des Antragstellers dienenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts.
aa) Als erforderliche Abstandsflächentiefen sind vor den beiden Traufseiten des Gebäudes (Nordost- und Südwestwand) jeweils H/2 (mindesten 3 m) und vor den beiden Giebelseiten (Nordwest- und Südostwand) jeweils H zugrunde gelegt worden. Das steht grundsätzlich mit Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Einklang, da (auch) die beiden Traufseiten mit jeweils 11,5 m Länge kürzer als 16 m sind.
bb) Für die beiden Traufseiten gilt als Wandhöhe das Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut (Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO). Die Höhe des Daches bleibt auf den beiden Traufseiten außer Betracht, weil die Neigung des symmetrischen Satteldaches ausweislich der Schnittdarstellung des Bauplans 44,91° beträgt und somit 45° nicht übersteigt (Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO). Nicht zu berücksichtigen ist auf den beiden Traufseiten auch die dort jeweils vorgesehene Gaube. Beide Gauben sind untergeordnete Dachgauben im Sinne des Art. 6 Abs. 8 Nr. 3 BayBO, da ihre jeweilige Breite (3,00 m) nicht mehr als ein Drittel der Breite der entsprechenden Außenwand (11,5 m) in Anspruch nimmt, die jeweilige Ansichtsfläche (3,98 m²) nicht mehr als 4 m² und die jeweilige Höhe (1,325 m) nicht mehr als 2,5 m beträgt. Für die beiden Giebelseiten ist nach Art. 6 Abs. 4 Satz 4 BayBO zusätzlich die Höhe des Giebeldaches, die auf beiden Seiten 3,25 m (so die Darstellung in den Ansichten Nordost, Südost, Nordwest) oder – so die Ansicht Südwest – 3,255 m beträgt, zu einem Drittel (d. h. ca. 1,085 m) der sich aus Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO ergebenden Wandhöhe (Maß von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut) hinzuzurechnen.
cc) Davon ausgehend, liegt die erforderliche Abstandsfläche vor der nordöstlichen Außenwand voraussichtlich vollständig auf dem Vorhabengrundstück.
Im Erdgeschossgrundriss sind insoweit als Geländeniveau für die Ostecke des Gebäudes ein Wert von 555,955 und für die Nordecke ein Wert von 555,875 eingetragen. Diese Angaben decken sich mit den Geländeniveau-Eintragungen in der Ansicht Nordost, die im Bauplan im Gegensatz zur Ansicht Südwest nicht eigens bezeichnet, aber an dem eingezeichneten Dachflächenfenster zu erkennen ist, das sich ausweislich des Dachgeschossgrundrisses auf der nordöstlichen Seite des Satteldaches befindet. Diese beiden Werte finden sich auch in den beiden Giebelseiten-Ansichten Nordwest und Südost an den entsprechenden Positionen.
Nicht in Einklang mit diesen Werten stehen die beiden Geländeniveau-Eintragungen in der Schnittdarstellung des Bauplans. Von der Ansicht her entspricht die Schnittdarstellung der im Bauplan nicht eigens gekennzeichneten Ansicht Südost, wie an dem unterschiedlichen Neigungsgrad der beiden Dachgauben und an der Situierung des Treppenhauses im Schnitt zu erkennen ist. Die beiden Geländeniveau-Eintragungen in der Schnittdarstellung (555,875 und 555,825) sind wohl seitenverkehrt. Das auf der Seite des an der südwestlichen Außenwand gelegenen Treppenhauses dort eingetragene Geländeniveau von 555,875 findet sich in den anderen Darstellungen (Erdgeschoss-Grundriss und Ansichten Nordwest und Nordost) an der Nordecke des Hauses. Umgekehrt findet sich im Schnitt der auf der dem Treppenhaus gegenüberliegenden Seite (nordöstliche Außenwand) eingetragene Wert (555,825) in den anderen Darstellungen (Erdgeschoss-Grundriss und Ansichten Nordwest und Südwest) an der Westecke des Hauses. Auch als Mittelwerte ergeben die beiden Eintragungen im Schnitt jedenfalls an der nordöstlichen Seite keinen Sinn, weil die aus den anderen Darstellungen sich ergebenden beiden Eckwerte für die Nordostseite (Nordecke und Ostecke) jeweils höher sind als der Eintrag im Schnitt. Das Gericht geht deshalb vorläufig davon aus, dass es sich um einen bloßen Eintragungsfehler handelt, weil die anderen Geländeeintragungen in den vier Ansichten und im Erdgeschoss-Grundriss in sich stimmig sind.
Legt man diese Geländeniveaus zugrunde, ergibt sich, wie aus den Ansichten Nordost und Südost hervorgeht, an der Ostecke des Gebäudes – bei der das Dach die Abstandsflächentiefe auf der nordöstlichen Gebäudeseite nicht erhöht (siehe oben) – eine Wandhöhe von 5,895 m. In Bezug auf die andere Ecke der nordöstlichen Außenwand, der Nordecke, sind die Darstellungen im genehmigten Bauplan nicht stringent. Obwohl für die Nordecke sowohl in der Ansicht Nordwest als auch in der Ansicht Nordost das gleiche Höhenniveau angegeben ist (555,875), sind für diese Ecke unterschiedliche Wandhöhen in den beiden Ansichten angegeben (Ansicht Nordost: 5,925 m; Ansicht Nordwest: 5,975 m). Zutreffend ist wohl der höhere Wert, weil in diesem Fall das absolute Höheniveau des Schnittpunkts der Wand mit der Dachhaut an den beiden Gebäudeecken gleich ist (555,955 + 5,895 = 555,875 + 5,975). Auch dieser höhere Wert liegt aber jedenfalls unter 6 m, sodass bei Zugrundelegung von H/2 die erforderliche Abstandsflächentiefe vor der nordöstlichen Außenwand an keiner Stelle mehr als das geforderte Mindestmaß von 3,0 m beträgt. Nach dem aus dem ErdgeschossGrundriss hervorgehenden Abstand des Gebäudes zur nordöstlichen Grundstücksgrenze liegt damit die erforderliche Abstandsfläche vor der nordöstlichen Außenwand vollständig auf dem Vorhabengrundstück. Das deckt sich auch mit dem von den Beigeladenen nunmehr vorgelegten Absteckplan ihres Prüfsachverständigen vom 23. Juni 2020, wonach die nordöstliche Außenwand durchgängig 3,0 m + 0,19 m = 3,19 m von der nordöstlichen Außenwand entfernt liegt.
Eine unzulässige Abstandsflächenüberlappung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sich auf dem nördlich vom Grundstück des Antragstellers gelegenen Nachbargrundstück Flurnummer … grenzständig an der nordöstlichen Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks ein Gebäude befindet. Da dieses Gebäude eine eigene Hausnummer (101a) hat, kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass es abstandsflächenrechtlich ein zulässiges Grenzgebäude i. S. v. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayBO ist. Es ist aber weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass wegen dieses Gebäudes zulasten des Vorhabengrundstücks eine Abstandsflächenübernahmeerklärung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO erfolgt oder eine Abstandsflächendienstbarkeit eingetragen ist. Aufgrund der Flurnummernbezeichnungen lässt sich zwar nicht ausschließen, dass das Vorhabengrundstück und das Grundstück … früher unselbständige Teile eines größeren Grundstücks waren. Unabhängig davon, ob die beiden Grundstücke bei Errichtung des grenzständigen Gebäudes mit der Haunummer 101a schon geteilt waren oder nicht, führt jedoch die grenzständige Errichtung ohne eine Abstandsflächenübernahmeerklärung nicht dazu, dass sich die Abstandsflächen dieses grenzständigen Gebäudes auf das benachbarte Vorhabengrundstück erstrecken. Waren die Grundstücke bei Errichtung bereits geteilt, hat eine unter Missachtung des Abstandsflächenrechts erfolgte grenzständige Errichtung nicht dazu geführt, dass sich die Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück, d.h. hier das Vorhabengrundstück, erstrecken. Vielmehr endet die Abstandsfläche an der Grundstücksgrenze (Simon/Busse/Dhom, BayBO, Art. 6 Rn. 70 u. 136, Stand Januar 2019; Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Art. 6 Rn. 87, Stand Januar 2019, Rn. 104, Stand November 2016). Im Ergebnis nicht anders ist es, falls die Grundstücke nach Errichtung des Gebäudes geteilt worden sein sollten. Dem Abstandsflächenrecht kann nicht entnommen werden, dass in einem solchen Fall einer nachträglichen Grundstücksteilung die ursprünglich auf dem ungeteilten Grundstück liegenden Abstandsflächen auf das abgetrennte Grundstück automatisch übernommen werden. Der Gesetzgeber hat mit § 1 Nr. 7 des Gesetzes vom 12. April 1994 (GVBl S. 210) die damals bestehende bauaufsichtliche Teilungsgenehmigungspflicht (Art. 11 BayBO damaliger Fassung) ersatzlos aufgehoben. Nach Art. 11 Abs. 1 Satz 3 BayBO damaliger Fassung durfte die Teilungsgenehmigung „versagt werden, wenn durch die Teilung des Grundstückes Verhältnisse geschaffen werden, die Vorschriften dieses Gesetzes oder aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zuwiderlaufen“. Ein Hauptanwendungsfall dieser Regelung waren Fallgestaltungen, in denen durch die Teilung die erforderliche Abstandsfläche nicht mehr auf dem Grundstück selbst eingehalten werden konnte (vgl. Schwarzer, BayBO, 2. Aufl. 1992, Nr. 6 zu Art. 11 a. F.). Daraus folgt, dass nach damaliger Rechtslage eine nachträgliche Grundstücksteilung nicht zur automatischen Übernahme der Abstandsflächen führte, ansonsten wäre es nicht erforderlich gewesen, auf solche Fallgestaltungen Art. 11 Abs. 1 Satz 3 BayBO a. F. anzuwenden. Da der Gesetzgeber 1994 die bauaufsichtliche Teilungsgenehmigungspflicht einerseits ersatzlos aufgehoben hat, andererseits das Abstandsflächenrecht aber weder damals noch mit nachfolgenden Änderungen inhaltlich ausdrücklich so umgestaltet hat, dass die Abstandsflächen im Falle einer nachträglichen Grundstücksteilung automatisch übernommen werden, muss man daraus schließen, dass das aktuelle Abstandsflächenrecht diesbezüglich nicht anders auszulegen ist als das damalige.
Sollten die Grundstücke … und das Vorhabengrundstück nach Errichtung des Gebäudes mit der Hausnummer 101a geteilt worden sein, ist eine andere Bewertung auch nicht deshalb angezeigt, weil Grundstücksteilungen im Einzelfall der Gedanke des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden kann (vgl. z. B. BayVGH, Beschluss vom 1. März 2016 – 1 ZB 15.1560 – juris, Rn. 5 f.). Eine solche Situation liegt hier unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nicht vor. Die Belange des Antragstellers an ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung werden hier nicht einseitig in einer Weise beeinträchtigt, dass der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs gerechtfertigt wäre. Das Vorhaben hält zum Grundstück des Antragstellers nach Nordosten hin H/2 und nach Südosten die volle Abstandsflächentiefe H ein. Das geplante Gebäude ist nicht besonders groß und steht auch seitlich versetzt zum Wohngebäude des Antragstellers. Die Interessen des Antragstellers an ausreichender Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Anwesens sind ohne weiteres gewahrt.
dd) Auch die von der südöstlichen Außenwand geworfene erforderliche Abstandsfläche liegt unter Zugrundelegung des Umstands, dass vor dieser Wand die volle Abstandsflächentiefe H eingehalten werden muss (siehe oben), voraussichtlich vollständig auf dem Vorhabengrundstück. Nach der Ansicht Südost beträgt die Wandhöhe der südöstlichen Außenwand zwischen 5,925 m und 5,895 m. Da zusätzlich das Dach mit einem Drittel d. h. mit ca. 1,085 m, zu Buche schlägt (siehe oben), erhöhen sich diese Werte auf ca. 7,01 m bzw. auf 6,98 m. Die Messung mit dem Lineal im Plan Erdgeschoss-Grundriss ergibt, dass der Abstand der südöstlichen Außenwand zur südöstlichen Grundstücksgrenze an der Stelle mit dem geringsten Abstand mehr als 7,1 m beträgt und deshalb die Abstandsflächen noch eingehalten sind.
Dass im Bauplan insoweit eine erforderliche Abstandsflächentiefe von 7,09 m eingetragen ist, ändert an diesem Ergebnis nichts. Wie der Wert 7,09 m zustande gekommen ist, der auch für die nordwestliche Außenwand zugrunde gelegt wurde, ist selbst dann nicht vollständig nachvollziehbar, wenn man die größte Wandhöhe in der Nordecke des Gebäudes zugrunde legt und durchgängig mit auf zwei Stellen abgerundeten Teilwerten rechnet (6,02 + 3,25/3 = 7,10). Jedenfalls ist aus dem Erdgeschoss-Grundriss ersichtlich, dass vor der südöstlichen Außenwand auch eine Abstandsfläche mit einer durchgängigen Tiefe von 7,09 m oder 7,10 m noch vollständig auf dem Baugrundstück läge. Das deckt sich auch mit dem von den Beigeladenen nunmehr vorgelegten Absteckplan ihres Prüfsachverständigen vom 23. Juni 2020, wonach die südöstliche Außenwand an der knappsten Stelle 7,09 m + 0,065 m = 7,155 m von der südöstlichen Außenwand entfernt liegt.
ee) Auch die erforderliche Abstandsfläche vor der nordwestlichen Außenwand des Gebäudes ist eingehalten.
Nach der Ansicht Nordwest beträgt die Wandhöhe der nordwestlichen Außenwand zwischen 6,025 m (Westecke) und 5,975 m (Nordecke). Die in der Ansicht Nordost für die Nordecke angegebene Wandhöhe (5,925 m) dürfte unzutreffend sein (siehe oben cc). Da zusätzlich das Dach mit einem Drittel d. h. mit ca. 1,085 m, zu Buche schlägt (siehe oben), erhöhen sich diese Werte je nach Rundung auf 7,11 m in der Nordecke und auf 7,06 m in der Ostecke. Die Messung mit dem Lineal im Plan Erdgeschoss-Grundriss ergibt, dass der Abstand der nordwestlichen Außenwand zur nordwestlichen Grundstücksgrenze knapp 7,2 m beträgt und deshalb die Abstandsflächen gerade noch eingehalten sind. Das deckt sich wiederum mit dem von den Beigeladenen nunmehr vorgelegten Absteckplan ihres Prüfsachverständigen vom 23. Juni 2020, wonach die nordwestliche Außenwand an der knappsten Stelle 7,09 m + 0,04 m = 7,13 m von der nordwestlichen Außenwand entfernt liegt.
ff) Ob in Bezug auf die dem Grundstück des Antragstellers abgewandte südwestliche Gebäudeseite objektivrechtlich die erforderlichen Abstandsflächen eingehalten sind, kann offenbleiben. Eine etwaige Abstandsflächenunterschreitung auf dieser Seite würde den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen. Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – Großer Senat – vom 17. April 2000 (BayVBl 2000, 562 ff.), wonach das 16-Meter-Privileg keine Anwendung findet, wenn die volle Abstandsflächentiefe H vor mehr als 2 Außenwänden unterschritten wird. Das ist hier voraussichtlich gerade nicht der Fall, da das Vorhaben vor der nordwestlichen und vor der südöstlichen Außenwand jeweils die volle Abstandsflächentiefe H wahrt (siehe oben dd und ee).
Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass objektivrechtlich eine Verletzung des Abstandsflächenrechts wohl nur gegeben wäre, wenn zulasten des Grundstücks eine Abstandsflächenübernahmeerklärung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO vorliegen würde oder eine Abstandsflächendienstbarkeit eingetragen wäre und es außerdem zu einer Überlappung der durch die südwestliche Außenwand geworfenen Abstandsflächen mit dem durch die Übernahmeerklärung bzw. Dienstbarkeit gesperrten Bereich käme.
Nach derzeitiger Aktenlage ist eher nicht anzunehmen, dass eine solche Übernahmeerklärung oder Dienstbarkeit existiert. Zwar wurde in den beiden Bauanträgen angegeben, dass eine solche Abstandsflächenübernahmeerklärung zugunsten des Grundstücks … vorhanden sei (Bl. 9 Akte erster Bauantrag, Bl. 10 Akte zweiter Bauantrag). Das Landratsamt hat jedoch mit E-Mail vom 30. Juni 2020 mitgeteilt, dass ihm keine Abstandsflächenübernahme bekannt sei. Der Architekt der Beigeladenen hat mit E-Mail vom 30. Juni 2020 erklärt, er sei ursprünglich davon ausgegangen, dass eine solche Abstandsflächenübernahme existiere, was sich jedoch als falsch herausgestellt habe. Das Grundstück sei lastenfrei und es existiere keine Abstandsflächenübernahme.
Ohne die Existenz einer solchen Übernahmeerklärung oder Dienstbarkeit fallen jedoch die Abstandsflächen des Gebäudes auf der Flurnummer … nicht auf das Vorhabengrundstück, unabhängig davon, wann es zur Teilung der beiden Grundstücke gekommen ist. Es gilt insoweit das unter cc in Bezug auf das Gebäude mit der Hausnummer 101 a Ausgeführte. Auch insoweit ist nichts dafür ersichtlich, dass der Teilung der Grundstücke … und … vom Antragsteller der Gedanke des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden könnte.
Fallen keine Abstandsflächen des Gebäudes auf Flurnummer … auf das Vorhabengrundstück, ist offensichtlich, dass die südwestliche Gebäudeseite einen Abstand von H/2 bzw. mindestens 3 m zum Nachbargrundstück einhält, ohne dass es auf eine zentimetergenaue Berechnung der Wandhöhe ankäme. Rechtlich zulässig ist auch, dass die Beigeladenen das Garagengebäude, das nach den Plänen etwa 7,5 m lang und 2,84 m hoch ist, an einer Stelle errichten, an der es zu einer Überlappung etwaiger Abstandsflächen der Garage mit den vor der südwestlichen Gebäudeseite einzuhaltenden Abstandsflächen des Hauses käme. Denn das Garagengebäude genügt den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nummer 1 BayBO.
gg) Soweit der Antragsteller Einwände gegen die im Bauplan eingetragenen Geländeniveaus erhebt, sind diese Einwände voraussichtlich unbegründet. Es ist zwar richtig, dass die Geländeniveau-Eintragungen für die vier Gebäudeecken sich weder mit den Geländeniveau-Feststellungen des Landratsamts bei der Baukontrolle am 2. März 2020 decken noch mit den Geländeniveaus, die der vom Antragsteller beauftragte Prüfsachverständige ermittelt hat. Eine Rechtsverletzung zum Nachteil des Antragstellers ist voraussichtlich gleichwohl nicht gegeben, weil jedenfalls die im Bauplan angegebenen Geländeniveaus für die 4 Gebäudeecken sämtlich niedriger angesetzt sind als die für diese 4 Positionen sich aus der Baukontrolle vom 2. März 2020 und dem Plan des vom Antragsteller beauftragten Prüfsachverständigen ergebenden Geländeniveaus. Selbst wenn das natürliche Gelände tatsächlich höher wäre als im Bauplan angegeben, ist aufgrund der Baugenehmigung lediglich eine Errichtung des Hauses auf der Grundlage der im Bauplan angegebenen etwas niedrigeren Geländeniveaus zulässig. Weshalb dies den Antragsteller belasten sollte, ist nicht ersichtlich. Aus der von den Beigeladenen vorgelegten Bescheinigung des Prüfsachverständigen vom 23. Juni 2020 geht im Übrigen hervor, dass das Gebäude auf dem Niveau errichtet wird, wie in der Baugenehmigung angegeben.
hh) Daran, dass kein Abstandsflächenrechtsverstoß vorliegt, der Rechte des Antragstellers verletzt, ändert auch der Umstand nichts, dass – wie vom Antragsteller moniert – die Abstandsflächen als Rechtecke eingezeichnet sind, obwohl für alle 4 Gebäudeecken unterschiedliche Geländeniveaus angegeben sind. Die rechteckige Darstellung ist für die beiden Längsseiten ohne weiteres richtig, weil aufgrund des Umstands, dass H/2 kleiner als 3 m ist, hier der Mindestabstand von 3,0 m einzuhalten ist. Für die Abstandsflächen vor der südöstlichen Außenwand und vor der nordwestlichen Außenwand gilt dies jedoch nicht. Das (geringfügig) unterschiedliche Geländeniveau in den Grundstücksecken führt hier zu einer nicht vollständig rechtwinkligen Abstandsfläche. Eine Rechtsverletzung zum Nachteil des Antragstellers folgt daraus jedoch nur, wenn die Abstandsflächen tatsächlich nicht eingehalten sind. Das ist, wie ausgeführt, aber nicht der Fall.
ii) Soweit der Antragsteller geltend macht, das Vorhaben müsse gegebenenfalls weiter nach Osten, in Richtung des Grundstücks des Antragstellers, „gerückt“ werden, falls es ansonsten zu einer Abstandsflächenüberlappung mit den vom Grundstück auf der Flurnummer … geworfenen Abstandsflächen käme – was von vornherein nur im Falle der Existenz einer Abstandsflächenübernahmeerklärung oder einer Abstandsflächendienstbarkeit der Fall wäre (siehe oben) -, ist dies unerheblich. Mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung (und auch der Erstgenehmigung) wurde ausschließlich der im Bauplan angegebene aktuelle Vorhabenstandort genehmigt.
b) Dass durch die Baugenehmigung andere drittschützende Vorschriften als solche des Abstandsflächenrechts verletzt werden, ist weder dargelegt worden noch ersichtlich. Insbesondere ist das Vorhaben weder aufgrund der angestrebten Nutzungsart (Einfamilienhaus) noch aufgrund seiner Kubatur (Länge 11,50m, Breite 6,52 m, Geschossigkeit E + I + D) gegenüber dem Antragsteller rücksichtslos.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs. Der Streitwert beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren voraussichtlich anzusetzenden Streitwerts.


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