Baurecht

Nachbarklage auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen Grenzbebauung mit Glasbausteinfenstern und Terrassenummauerung

Aktenzeichen  9 ZB 17.227

Datum:
14.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 27371
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1

 

Leitsatz

1. Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Sie ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt.   (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (hier verneint im Hinblick auf eine auf dem Nachbargrundstück bestehende Grenzbebauung in Form von Glasbausteinfenstern sowie einer Terrassenummauerung im Obergeschoss). (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 16.219 2016-12-06 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt die Klägerin. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten bauaufsichtliches Einschreiten im Hinblick auf eine auf dem Nachbargrundstück bestehende Grenzbebauung in Form von Glasbausteinfenstern sowie einer Terrassenummauerung im Obergeschoss.
Dem Beigeladenen wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Dezember 2014 die Baugenehmigung für den Gebäudeumbau zu einem Wohngebäude mit insgesamt vier Wohneinheiten einschließlich Nutzungsänderung von Gaststätte zu Wohnen im Erdgeschoss und Fensteränderungen in der Nordfassade auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung A. erteilt. Die Klägerin ist Eigentümerin des südlich gelegenen Grundstücks FlNr. … Gemarkung A.
Mit Schreiben vom 20. Januar 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die Nutzung zu Wohnzwecken, soweit sie Gegenstand der Baugenehmigung vom 11. Dezember 2014 ist, gegenüber dem Beigeladenen zu untersagen. Sie macht insbesondere eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften und der Brandschutzvorschriften geltend. Die Beklagte teilte der Klägerin mit Schreiben vom 2. Februar 2015 mit, dass sich zwischen ihrem Anwesen und dem Nachbargrundstück keine Änderung zum bereits vor Jahren genehmigten Gebäudebestand und der Gebäudesubstanz ergeben hätten.
Die mit Schriftsatz vom 25. Februar 2016 von der Klägerin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Dezember 2016 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Klage bestünden, die Klage aber jedenfalls unbegründet sei und die Klägerin keinen Anspruch auf erneute Ermessensentscheidung über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten habe. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Klägerin.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen der allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich solche Zweifel nicht.
1. Soweit die Klägerin die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Verfristung, zum Rechtsschutzbedürfnis und zur Verwirkung im Rahmen der Zulässigkeit der Klage angreift, geht dies ins Leere, weil diese insoweit nicht entscheidungserheblich sind. Das Verwaltungsgericht hat zwar „erhebliche Bedenken“ an der Zulässigkeit der Klage geäußert, entscheidungstragend aber nur darauf abgestellt, dass die Klage jedenfalls unbegründet sei.
2. Im Übrigen ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass der Klägerin kein Anspruch auf erneute Ermessensentscheidung über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten zusteht.
Macht ein Dritter – wie hier die Klägerin – gegenüber der Bauaufsichtsbehörde geltend, durch eine Anlage i.S.d. Art. 76 BayBO in seinen Rechten verletzt zu sein, so hat er einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über ein bauaufsichtliches Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde sowie auf Art und Weise des Einschreitens. Dabei gelten für die Ermessensausübung der Bauaufsichtsbehörde die allgemeinen Grundsätze (vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 21). Die Frage einer Ermessensreduktion zugunsten eines bauaufsichtlichen Einschreitens ist hierbei auch bei einer Verletzung nachbarschützender Normen von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Sie ist regelmäßig nur dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen baulichen Anlage ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn einen erheblichen Grad erreicht und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der nachbarlichen Interessen ergibt (vgl. BayVGH, B.v. 25.9.2014 – 14 ZB 12.2033 – juris Rn. 16 m.w.N.). Davon ist insbesondere auszugehen, wenn eine unmittelbare, auf andere Weise nicht zu beseitigende Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie Leben oder Gesundheit droht oder sonstige unzumutbare Belästigungen abzuwehren sind (vgl. VGH, B.v. 7.9.2018 – 9 ZB 16.1890 – juris Rn. 6). Von diesen Grundsätzen ist auch das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen.
Unabhängig davon, ob das Verwaltungsgericht zu Recht von der Legalisierungswirkung der früheren Baugenehmigungen und einem Bestandsschutz des Gebäudes ausgegangen ist, bleibt der Antrag auf Zulassung der Berufung erfolglos, weil sich aus dem Zulassungsvorbringen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ermessensreduktion auf Null hinsichtlich des von der Klägerin begehrten bauaufsichtlichen Einschreitens ergeben. Die Klägerin übersieht, dass nicht jede – behauptete – Verletzung drittschützender Normen ohne Weiteres zu einem Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Aufsichtsbehörde führt (vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2015 – 9 ZB 13.1876 – juris Rn. 19). Das Verwaltungsgericht hat hier einen Anspruch verneint, weil nach dem beim Augenschein gewonnenen Eindruck keine schwerwiegenden zusätzlichen Beeinträchtigungen für die Klägerin erkennbar und solche auch nicht substantiiert vorgetragen seien. Dem tritt das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegen. Der pauschale Vortrag, die Terrassenummauerung stelle aufgrund ihrer Höhe und weil nicht klar sei, wie diese verankert sei, eine Gefahr für Leib und Leben dar und die Glasbausteine in der Grenzwand stellten aufgrund der nunmehr zulässigen Wohnnutzung eine erhöhte Brandgefahr dar, genügt nicht. Angesichts der bereits seit langem bestehenden baulichen Gegebenheiten und auch im Hinblick auf erfolgte Baukontrollen (vgl. Behördenakte zur Baugenehmigung vom 11.12.2014 Bl. 49 in Folge des Schreibens der Klägerin vom 14.10.2014, sowie Behördenakte zur Genehmigung einer Abweichung wegen Anbringung einer Wärmedämmung vom 26.11.2012) zeigt das Zulassungsvorbringen nichts auf, woraus sich eine konkrete Einsturzgefahr oder eine Gefährdung der bezeichneten Rechtsgüter ergeben könnte (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2018 – 15 ZB 17.45 – juris Rn. 19). Gleiches gilt im Ergebnis für die geltend gemachten Brandgefahren. Auch insoweit genügt der pauschale Hinweis auf eine Gefährdung von Leib und Leben nicht, zumal sich das Zulassungsvorbringen weder mit früher abweichenden Brandschutzanforderungen noch mit der Frage einer eventuell erforderlichen Neubewertung dieser Aspekte in Folge der Genehmigung vom 11. Dezember 2014 substantiiert auseinandersetzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da der Beigeladene im Zulassungsverfahren keinen rechtlich die Sache förderlichen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und entspricht der Festsetzung des Verwaltungsgerichts gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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