Baurecht

Nachbarklage, Baugenehmigung, Eigenart der näheren Umgebung, Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  15 ZB 22.269

Datum:
8.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 9286
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BauNVO § 22 Abs. 3
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RN 6 K 19.244 2021-11-23 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen (Grundstücksnachbarin) vom Landratsamt erteilte Baugenehmigung (Bescheid vom 9.1.2019 über den Neubau eines Wohnhauses). Wegen der Einzelheiten der Baugenehmigung wird auf den Bescheid und die mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen Bezug genommen
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat die auf Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids gerichtete Klage mit Urteil vom 23. November 2021 abgewiesen. Die der Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren (Art. 59 BayBO) erteilte Baugenehmigung verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Bauvorhaben der Beigeladenen, das an der Grenze zum klägerischen Grundstück an die Stelle des auf dem Baugrundstück bisher vorhandenen (kleineren) Wohnhauses treten soll und der Wandhöhe des klägerischen Gebäudes entspreche, sei nach Maßgabe des § 34 BauGB bauplanungsrechtlich zulässig und zwar unabhängig davon, ob es nach Maßgabe der insoweit in sich widersprüchlichen Bauvorlagen grenzständig oder mit einem Abstand von ca. 20 cm zum klägerischen – ebenfalls grenzständigen bzw. grenznahen – Gebäude errichtet werde, weil die Eigenart der näheren Umgebung entweder durch eine geschlossene Bauweise oder zumindest durch eine regellose Bebauung geprägt und damit eine grenzständige Bebauung ebenso wie ein geringfügiger Grenzabstand zulässig sei. Das Bauvorhaben sei gegenüber der Klägerin auch dann nicht rücksichtslos, wenn tatsächlich vorhandene Fenster (im Obergeschoss) des klägerischen Gebäudes „zugebaut“ würden, weil Fenster in dieser Gebäudewand nach den genehmigten Bauplänen des Rechtsvorgängers der Klägerin (= grenzständige Brandwand ohne Fenster) nicht vorgesehen seien und außerdem „kein Aufenthaltsraum ohne Fenster“ entstehe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Rechtssache weise außerdem besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts könne aufgrund der widersprüchlichen Darstellung der Grenzbebauung in den Bauvorlagen der Beigeladenen nicht ausgeschlossen werden, dass die Baugenehmigung zulasten der Klägerin rechtswidrig sei. Es könne auch nicht offenbleiben, ob eine regellose oder eine geschlossene Bauweise vorliege, da bei einem Abstand von 20 cm eine Abweichung von der geschlossenen Bauweise erforderlich gewesen wäre (§ 22 Abs. 3 BauNVO). Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei im Übrigen vorliegend das Gebot der Rücksichtnahme zulasten der Klägerin tatsächlich verletzt, da „Lichteinfall von Osten insoweit nicht mehr vorhanden wäre“ und das seinerzeit von den Eltern der Klägerin errichtete klägerische Gebäude zu einem anderen Nachbargrundstück hin selbst Rücksicht darauf genommen habe, dass dort vorhandene Fenster nicht zugemauert würden. Ferner habe das Verwaltungsgericht auch nicht berücksichtigt, dass ein von der Klägerin und der Beigeladenen gemeinsam benutzter „Dachseier“, welcher der ordnungsgemäßen Entwässerung (Regenwasser) diene, bei Errichtung des Bauvorhabens der Beigeladenen seinen Zweck nicht mehr erfüllen könne und es deshalb an einer ausreichenden gesicherten Erschließung des streitgegenständlichen Bauvorhabens fehle. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 7. Februar 2022 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin wird durch die Genehmigung des Bauvorhabens der Beigeladenen nicht in ihren Rechten verletzt. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Lediglich ergänzend ist zu bemerken:
Mit ihrem Vorbringen im Zulassungsverfahren wendet sich die Klägerin gegen die erstinstanzliche Würdigung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht, ohne damit jedoch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils begründen zu können.
a) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die widersprüchliche Darstellung in den Bauvorlagen der Beigeladenen zur Grenzbebauung bzw. zur Beibehaltung des bisherigen (geringfügigen) Abstands des bestehenden alten (sowie des geplanten neuen) Wohngebäudes der Beigeladenen im Verhältnis zum klägerischen Wohngebäude nicht zum Erfolg der Klage führt, weil ein Grundstücksnachbar die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit der Baugenehmigung nur insoweit geltend machen kann, als dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen den Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 11.3.2022 – 15 ZB 21.2871 – juris Rn. 12 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber zutreffend ausgeführt, dass die angefochtene Baugenehmigung nachbarschützende Vorschriften nicht verletzt und zwar auch dann nicht, wenn das Bauvorhaben „ca. 20 cm abgerückt vom klägerischen Gebäude erstellt würde“. Das Verwaltungsgericht weist in diesem Zusammenhang zu Recht daraufhin, dass das (unveränderte) Vorhandensein einer Traufgasse zwischen dem (alten und dem geplanten neuen) Wohngebäude der Beigeladenen sowie dem klägerischen Wohngebäude an der Grundstücksgrenze der Annahme nicht entgegensteht, dass die Eigenart der näheren Umgebung (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) durch eine geschlossene Bauweise geprägt ist (vgl. hierzu z.B. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 1.8.2021, § 22 BauNVO Rn. 38 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Klägerin erfordert somit die vorliegend vorhandene Bebauung keine Abweichung von der geschlossenen Bauweise im Sinne des § 22 Abs. 3 BauNVO. Das Verwaltungsgericht weist ferner zu Recht darauf hin, dass unabhängig von der Frage, ob die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorliegend durch eine geschlossene oder eine regellose Bauweise geprägt ist, sich das Bauvorhaben in Bezug auf die Situierung des Gebäudes zum klägerischen Nachbargrundstück (grenzständige Bebauung) in die Umgebungsbebauung einfügt und deshalb ohne Einhaltung von Abstandsflächen an die Grundstücksgrenze gebaut werden darf (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO).
b) Die Einwände der Klägerin gegen die Wertung des Verwaltungsgerichts, das Bauvorhaben der Beigeladenen verletze das Gebot der Rücksichtnahme nicht, greifen ebenfalls nicht durch. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus, dass vom Bauvorhaben der Beigeladenen keine unzumutbaren Beeinträchtigungen zulasten der Klägerin ausgehen und die Klägerin auch keinen Vertrauensschutz dahingehend genießt, dass die im ersten Obergeschoss ihres Wohngebäudes ohne Genehmigung (planabweichend von der mit Bescheid des Landratsamts vom 26.5.1976 erteilten Baugenehmigung) errichteten Fenster durch ein Bauvorhaben der Grundstücksnachbarin (der Beigeladenen) nicht zugebaut werden. Die Beigeladene hat vielmehr ein schutzwürdiges Interesse daran, ihr Grundstück entsprechend den planungsrechtlichen Vorgaben ebenso wie die Klägerin zu nutzen (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 24.4.2015 – 9 ZB 12.1318 – juris Rn. 7 m.w.N.). Auf die Frage, ob die Klägerin ihrerseits gegenüber einem anderen Nachbargrundstück Rücksicht darauf genommen hat, dass dort vorhandene Fenster nicht zugemauert werden, kommt es demgegenüber nicht an. Ebenso ist nicht von Bedeutung, ob und ggf. auf welche Weise ein von der Klägerin und der Beigeladenen bisher gemeinsam benutzter „Dachseier“ an die künftige Bebauung angepasst werden muss und ob Befürchtungen der Klägerin über etwaige Schäden an ihrem Gebäude (etwa bei der Ausführung des Bauvorhabens der Beigeladenen oder durch eine „Vernässung“ ihres Grundstücks) begründet sind oder nicht, da die Baugenehmigung – wie das Verwaltungsgericht zu Recht feststellt – insoweit keine Regelungswirkung entfaltet und unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt wird (Art. 68 Abs. 5 BayBO). Substantiierte Anhaltspunkte dahingehend, dass die Klägerin durch die Behandlung des Niederschlagswassers auf dem Baugrundstück oder sonst durch das Bauvorhaben der Beigeladenen unzumutbar beeinträchtigt werden könnte, hat die Klägerin demgegenüber auch im Zulassungsverfahren nicht vorgetragen.
2. Die Rechtssache weist nach alledem keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Entgegen der Ansicht der Klägerin bedarf es der Durchführung eines Berufungsverfahrens nicht, um (erneut) gerichtlich aufzuklären bzw. zu beurteilen, ob „ein Spalt zwischen den Gebäuden belassen wird“ oder das „Verschließen von Fensteröffnungen dem Gebot der Rücksichtnahme noch entspricht oder nicht“ und inwieweit in diesem Zusammenhang „die erforderliche Belichtung genommen wird oder nicht“.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, weil sie sich im Zulassungsverfahren keinem eigenen Kostenrisiko aussetzt und kein Grund ersichtlich ist, der es gebieten würde, ihre außergerichtlichen Kosten ausnahmsweise als erstattungsfähig anzusehen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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