Baurecht

Nachbarklage gegen Bau eines Wohn- und Pflegeheims in Ortsrandlage

Aktenzeichen  9 ZB 16.270

Datum:
1.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 3040
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 1 Abs. 3, § 35 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Für den Erfolg einer Baunachbarklage ist – unabhängig von der Wirksamkeit eines Bebauungsplans – allein die Verletzung nachbarschützender Rechte maßgebend. Daher bietet das Recht des Nachbarn, sich gegen ein Vorhaben im Außenbereich zur Wehr zu setzen, grundsätzlich keine Handhabe, auf die Aufstellung eines Bebauungsplans hinzuwirken; umgekehrt kann einem Außenbereichsvorhaben ein eventuell bestehendes objektiv-rechtliches Planungsgebot grundsätzlich nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerwG BeckRS 9998, 30125). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 15.157 2015-12-16 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten im Zulassungsverfahren selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen vom Landratsamt A… mit Bescheid vom 8. Januar 2015 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Pflegeheimes mit Generationenwohnungen.
Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung A… Das Grundstück befindet sich in einem als allgemeines Wohngebiet festgesetzten Teil des Bebauungsplans Nr. 2 „Hühneräcker“ der Gemeinde A… und lag bisher am Rand zum Außenbereich.
Mit Unterlagen vom 20. Dezember 2013, zuletzt geändert am 18. Dezember 2014, beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung zum Neubau eines Pflegeheims mit Generationenwohnungen auf den zwischenzeitlich aus dem ehemaligen Grundstück FlNr. … Gemarkung A… herausgemessenen Grundstücken FlNr. …, …, …, … und … Gemarkung A… Vorgesehen sind 46 Pflegeplätze in 38 Einzelzimmern und vier Doppelzimmern sowie in räumlicher Verbindung ein Generationenhaus mit 15 Wohnungen. Das Bauvorhaben wird unmittelbar südlich des klägerischen Grundstücks verwirklicht und liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „G…“ der Gemeinde A… in der Fassung vom 28. Mai 2014, bekannt gemacht am 17. Oktober 2014, der dort ein Sondergebiet „Wohn- und Pflegeheim“ festsetzt.
Mit Bescheid vom 8. Januar 2015 erteilte das Landratsamt die Baugenehmigung zum Neubau eines Pflegeheims mit Generationenwohnungen sowie eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „G…“ hinsichtlich der Zufahrt zu den Stellplätzen. Hiergegen erhob der Kläger Klage und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, den das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 20. April 2015 (Az. AN 9 S 15.00314) ablehnte; die Beschwerde hiergegen blieb erfolglos (VGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115).
Mit Nachtragsbescheid vom 12. November 2015 ergänzte das Landratsamt die Baugenehmigung vom 8. Januar 2015 um Auflagen zum Lärmschutz im Bereich nördlich des Bauvorhabens, in dem sich nach Umplanung sechs Garagen, davon drei an der Grenze zum klägerischen Grundstück, befinden.
Das Verwaltungsgericht wies die Klage darauf mit Urteil vom 16. Dezember 2015 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass – unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans „G…“ – das Bauvorhaben gegenüber dem Kläger nicht rücksichtslos sei. Insbesondere unter Berücksichtigung des Nachtragsbescheids vom 12. November 2015 seien keine unzumutbaren Lärmimmissionen zu erwarten. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Der Kläger beruft sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Der Kläger ist der Ansicht, dass der Bebauungsplan „G…“ an Ermittlungs- und Abwägungsfehlern leide und der Umfang des Bauvorhabens ohne verbindliche Bauleitplanung nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar sei. Die Wirksamkeit des Bebauungsplans könne daher nicht offen bleiben, weil der Kläger im Bebauungsplanverfahren umfangreiche Verfahrens- und Beteiligungsrechte habe, aus denen sich im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans und bei Erteilung der Genehmigung nach § 35 BauGB eine Verletzung in materiellen Rechten ergebe. Zudem verstoße die Baugenehmigung gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil die Randlage des klägerischen Grundstücks vorrangig schutzwürdig sei, der Kläger unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt sei und das Bauvorhaben eine erdrückende und einmauernde Wirkung habe. Aus diesem Zulassungsvorbringen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.
1. Soweit der Kläger geltend macht, das Verwaltungsgericht habe die Wirksamkeit des Bebauungsplans nicht offen lassen dürfen, weil sich seine Rechtsverletzung bereits allein aus einer Verletzung der Planungspflicht als ungeschriebener öffentlicher Belang i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ergäbe, führt dies nicht zum Erfolg.
Auf Klage des Nachbarn gegen die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung kann diese nur aufgehoben werden, wenn die Baugenehmigung rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Für den Erfolg der Klage ist deshalb – unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans – allein die Verletzung nachbarschützender Rechte maßgebend. Das im Zulassungsvorbringen geltend gemachte Planerfordernis steht in engem Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 BauGB, wobei § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB jeglichen Rechtsanspruch auf Bauleitplanung ausschließt. Daher bietet das Recht des Nachbarn, sich gegen ein Vorhaben im Außenbereich zur Wehr zu setzen, grundsätzlich keine Handhabe, auf die Aufstellung eines Bebauungsplans hinzuwirken; umgekehrt kann einem Außenbereichsvorhaben ein eventuell bestehendes objektiv-rechtliches Planungsgebot grundsätzlich nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1997 – 4 B 65.97 – juris Rn. 3). Die in der Zulassungsbegründung angeführte Rechtsprechung betrifft (Verpflichtungs-) Klagen des Bauherrn und Ausnahmefälle der Beeinträchtigung der Planungshoheit einer Gemeinde, die hier nicht einschlägig sind (vgl. VGH BW, B.v. 7.8.2014 – 10 S 1853/13 – juris Rn. 13 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht hat damit zu Recht festgestellt, dass sich der Nachbarschutz des Klägers, dessen Grundstück außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans „G…“ liegt, hier nur nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO für den beplanten Innenbereich bzw. – bei unterstellter Unwirksamkeit des Bebauungsplans für die dann gegebene Außenbereichslage des Baugrundstücks – nach dem in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB und der besonderen Ausformung in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB enthaltenen Rücksichtnahmegebot (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 11) bestimmt.
2. Das Verwaltungsgericht hat unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil das Bauvorhaben gegenüber dem Kläger weder im Hinblick auf die zu erwartenden Lärmimmissionen noch hinsichtlich einer bedrängenden bzw. erdrückenden Wirkung noch hinsichtlich einer geltend gemachten Minderung des Wertes und der Wohnqualität rücksichtslos ist (UA S. 18 ff.). Hiergegen ist auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens nichts zu erinnern.
a) Soweit sich der Kläger auf eine vorrangig schützenswerte Randlage seines Grundstücks beruft, weil er die mehrfache Zusicherung seitens der Gemeinde erhalten habe, dass aufgrund einer 220-kV-Stromleitung keine Bebauung des südlich angrenzenden Grundstücks erfolgen werde, ergeben sich hieraus keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass kein Anspruch auf Erhalt einer Ortsrandlage bestehe und es für die Wirksamkeit und Bindungswirkung der geltend gemachten Zusicherung an der erforderlichen Schriftform des Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG fehle. Hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht auseinander. Im Übrigen lässt sich aus einer Baugenehmigung, die zur Ausnutzung eines bloß augenblicklichen Lagevorteils am Rand des Außenbereichs Gelegenheit bietet, kein Schutz vor einer Verschlechterung der freien Aussicht oder vor Einsichtnahmemöglichkeiten von später genehmigten Gebäuden herleiten (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 24).
b) Aus dem Zulassungsvorbringen ergibt sich auch keine Rücksichtslosigkeit aufgrund unzumutbarer Lärmimmissionen.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass weder hinsichtlich des zu erwartenden Verkehrsaufkommens noch aufgrund der Nutzung der grenzständigen Garagen unzumutbare Lärmimmissionen zu erwarten seien (UA S. 19). Die pauschale Behauptung im Zulassungsvorbringen, ein durch Besucher, Lieferanten und Angestellte erhöhtes Verkehrsaufkommen bleibe außer Betracht, tritt dem nicht substantiiert entgegen. Soweit vorgebracht wird, die Nachtragsgenehmigung vom 12. November 2015 gewährleiste nicht die Einhaltung der maßgeblichen Lärmwerte beim Kläger, weil das Betriebskonzept nicht geändert worden sei, ist dem nicht zu folgen. Bereits aus der Stellungnahme des Sachgebiets Technischer Umweltschutz (Immissionsschutz) des Landratsamts vom 4. Dezember 2014 (Bl. 19 der Behördenakte) ergibt sich, dass aus fachtechnischer Sicht keine Bedenken gegen das Bauvorhaben bestehen, wenn der Lieferverkehr auf der Nordseite des Vorhabens auf die Zeit von 6:00 Uhr bis 22:00 Uhr eingeschränkt bleibt. Dem wird durch entsprechende Nebenbestimmungen im Nachtragsbescheid vom 12. November 2015 Rechnung getragen; auch hiermit setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht substantiiert auseinander. Der Einwand, das in der Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 2. Dezember 2014 (Bl. 20 der Behördenakte) zugrundegelegte nächtliche Nutzungsverbot für die Parkplätze im Norden des Bauvorhabens sei nicht umgesetzt worden, trägt nicht, weil die Stellplätze anschließend in Garagen umgeplant wurden und die hierzu ergangene Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 7. Januar 2015 (Bl. 53 der Behördenakte) feststellt, dass eine Überschreitung des Spitzenpegels während der Nachtzeit bei Nutzung der drei Garagen südlich des Wohnhauses des Klägers nicht zu erwarten ist. Zudem beinhaltet der Nachtragsbescheid vom 12. November 2015 die Nebenbestimmung, dass die Garagen in der Zeit von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr nur im Rahmen der Wohnnutzung genutzt werden dürfen. Inwieweit deswegen zur Nachtzeit Parksuchverkehr im für den Kläger sensiblen Bereich auf den Flächen nördlich des Bauvorhabens ausgelöst werden soll, erschließt sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht. Der in der Stellungnahme des Immissionsschutzes vom 2. Dezember 2014 genannte Mindestabstand von 28 m zur Wohnbebauung bezieht sich ferner nur auf die – nicht genehmigte und durch Umplanung zu Garagen ohnehin obsolet gewordene – Stellplatznutzung in der Nacht. Ferner ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen keine Anhaltspunkte dafür, dass Rettungswageneinsätze hier ausnahmsweise nicht als sozialadäquate Lärmimmissionen hinzunehmen sind (vgl. bereits BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 16).
c) Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen, vom Bauvorhaben gehe eine erdrückende Wirkung aus.
Das Verwaltungsgericht hat – wie bereits im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes – im Rahmen einer Gesamtwürdigung darauf abgestellt, dass es zwar zu Beeinträchtigungen des Klägers kommt, diese aber noch hinzunehmen sind (UA S. 22 ff.). Hiergegen ist – auch unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens – nichts zu erinnern. Der Senat hat bereits ausgeführt, dass dem Kläger trotz der Gesamtbreite des Bauvorhabens von 47 m eine Sichtachse nach Südwesten und Südosten verbleibe und die Einhaltung der landesrechtlichen Abstandsflächen, die hier zum Prüfungsmaßstab der Baugenehmigung gehören (Art. 60 BayBO), ein Indiz dafür darstellten, dass keine erdrückende Wirkung vorliegt (BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris Rn. 13 f.). Die örtliche Situation mag im Ergebnis für den Kläger unbefriedigend sein, „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird er von dem Vorhaben der Beigeladenen jedoch nicht.
Das Gebot der Rücksichtnahme schützt ferner grundsätzlich nicht vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht nehmen zu können (vgl. BayVGH, B.v. 20.12.2016 – 9 CS 16.2088 – juris Rn. 19). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Ausnahmesituation zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, zumal neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten nicht aus sich heraus eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots begünden. Schließlich ergeben sich die vom Kläger behaupteten „massiven Aufschüttungen“ nicht aus den genehmigten Plänen und sind bei dem entsprechend der Darstellung in den genehmigten Plänen leicht von West nach Ost abfallenden Baugrundstück über eine Länge von ca. 57 m mit einer maximalen Aufschüttung im östlichen Bereich von unter einem Meter auch nicht nachvollziehbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Zulassungsverfahren keinen Beitrag geleistet hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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