Baurecht

Nachbarklage gegen Bauvorbescheid wegen neu zu schaffender Parkplätze und Unbestimmtheit der Bauvorlagen

Aktenzeichen  AN 3 K 15.01363 (1), AN 3 K 15.01364 (2), AN 3 K 15.01365 (3), AN 3 K 15.01366 (4)

Datum:
17.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132305
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 71

 

Leitsatz

1 Entstehen durch – aufgrund gesetzlicher Verpflichtung – neu zu schaffende Parkplätze und durch deren Benutzung bislang nicht vorhandene Lärmimmissionen, ist im Regelfall von einer Vermutung der Nachbarverträglichkeit auszugehen. Der Grundstücksnachbar hat die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 111) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine unter Verstoß gegen die Anforderungen des Gesetzes betreffend Bauvorlagen erteilte Baugenehmigung kann von Grundstücksnachbarn nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und infolgedessen eine Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Bauvorhabens nicht ausgeschlossen werden kann. (Rn. 132) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässigen Klagen sind nicht begründet.
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung eines Vorbescheides haben Nachbarn nicht schon dann, wenn der Vorbescheid objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung des Vorbescheids weiter voraus, dass der Nachbar durch ihn zugleich in seinen Rechten verletzt ist, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutze des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, mithin drittschützende Wirkung hat.
Die Kläger werden durch den streitgegenständlichen Vorbescheid vom 7. Juli 2015 nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Teilweise beziehen sich die von den Klägern vorgetragenen vermeintlichen Mängel auf gesetzliche Regelungen, welche den Klägern keine Rechte verleihen, die mithin nicht ihrem Schutz dienen (nachfolgend 1.). Soweit ein Drittschutz auf Grund möglicher Verletzung von Nachbarrechten in Betracht kommt, sind diese Nachbarrechte im vorliegenden Fall tatsächlich nicht verletzt (nachfolgend 2.). Eine Rechtsverletzung der Kläger als Nachbarn ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der streitgegenständliche Vorbescheid zu unbestimmt ist (nachfolgend 3.). Darüber hinaus müssen sich die Kläger teilweise den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB entgegenhalten lassen (nachfolgend 4).
1. Ein Großteil der von den Klägern geltend gemachten Mängel im Vorbescheidsverfahren betrifft gesetzliche Bestimmungen, die den Klägern keinen Drittschutz vermitteln.
Die Nachbarbeteiligung des Art. 66 BayBO vermittelt den Klägern keinen Schutz.
Selbst bei Zugrundelegung, dass das Schreiben des Architekten … vom 8. September 2014 an die Kläger zu 3) nicht den gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 66 BayBO entsprechen würde, lässt sich hieraus keine Rechtsverletzung der Kläger ableiten. Die Rechtsfolge bei Verletzung der Nachbarbeteiligung ist lediglich, dass die nicht ordnungsgemäß beteiligten Nachbarn ihre Klagebefugnis aufrecht erhalten.
Die Kläger können sich zudem nicht auf eine mangelnde Beteiligung der Gemeinde … am Vorbescheidsverfahren berufen. Die Gemeinde … stellte mit Beschluss des Gemeinderats vom 20. Mai 2015 ihr Einvernehmen in Aussicht. Ob die Gemeinde eine ausreichende Entscheidungsgrundlage für diesen Beschluss innehatte, wie es die Kläger anzweifeln, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist dies eine Angelegenheit der Gemeinde … Die Kläger können hieraus keine Verletzung von sie schützenden Rechten herleiten.
Ohne Erfolg machen die Kläger einen Verstoß gegen Art. 71 Satz 4, 64 Abs. 1 Satz 1 BayBO i.V.m. der Bauvorlagenverordnung geltend.
Selbst bei Unterstellung, dass die vorzulegenden Bauvorlagen unvollständig gewesen sind, können die Kläger allein aus dieser Unvollständigkeit keine Verletzung von sie schützenden Rechten geltend machen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.04.2006 – 1 ZB 04.3506, Rnr. 14), vgl. hierzu auch nachfolgend Ziffer 3.
Grundsätzlich nicht drittschützend, weil das Maß der baulichen Nutzung betreffend, sind zudem die Festsetzungen hinsichtlich der Grundflächenzahl (GRZ) und Geschossflächenzahl (GFZ), sowie der Dachform.
2. Durch die Feststellungen des streitgegenständlichen Vorbescheides werden die Kläger nicht in sie schützenden Rechten verletzt. Insbesondere liegt keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vor, die Festsetzungen des Bebauungsplanes enthalten keinen Drittschutz und der Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch sind nicht verletzt.
a) Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme, auf welches sich die Kläger grundsätzlich berufen können, ist vorliegend nicht verletzt.
Grundsätzlich ist zu beachten, dass allein die Art der baulichen Nutzung, nicht jedoch das Maß der baulichen Nutzung Drittschutz vermittelt (vgl. BayVGH, Urteil vom 27.03.2013 – Az. 14 B 12.192).
Das Rücksichtnahmegebot, welches sich im vorliegenden Falle aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ergibt, ist hier nicht verletzt, weil die von den Klägern behaupteten Lärmimmissionen nicht unzumutbar sind. Zudem besitzt das Bauvorhaben keine erdrückende oder abriegelnde bzw. einmauernde Wirkung. Dass das Bauvorhaben der Beigeladenen zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung des Grundstücks der Kläger führen wird, ist weder ersichtlich noch von den Klägern vorgetragen.
Das Rücksichtnahmegebot ist nicht auf Grund der zu befürchtenden Lärmimmissionen durch die herzustellenden Parkplätze/Carports auf dem Bauvorhabengrundstück verletzt.
Die Beigeladene ist gesetzlich verpflichtet, eine entsprechende Anzahl an Parkplätzen im Rahmen des Bauverfahrens nachzuweisen. Entstehen durch neu zu schaffende Parkplätze und deren Benutzung bislang nicht vorhandene Lärmimmissionen, ist im Regelfall dennoch von einer Vermutung der Nachbarverträglichkeit auszugehen. Der Grundstücksnachbar hat die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 18.09.2008 – Az. 1 ZB 06 2294).
Bei einer zulässigen Wohnbebauung ist es daher auch hinzunehmen, dass eine entsprechende Anzahl an Parkplätzen vorhanden ist.
Im vorliegenden Falle liegen die Parkplätze bzw. Carports alle auf den Baugrundstücken entlang der mittig geplanten Erschließungsstraße. Entsprechend sind die Carports bzw. Parkplätze grundsätzlich nach innen und damit in Entfernung zur Grundstücksgrenze liegend geplant.
Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes durch eine erdrückende bzw. einmauernde Wirkung des geplanten Bauvorhabens ist nicht ersichtlich. Nach Ansicht des Bayer. Verwaltungsgerichtshofs kann eine solche Wirkung nur bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen. In der obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies bislang dann angenommen bei einem 12-geschossigem Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus oder beispielsweise bei drei 11,0 m hohen Siloanlagen in Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.04.2006 – Az. 1 ZB 04.3506, Rn. 18). Das geplante Vorhaben der Beigeladenen hält das sehr groß angelegte Baufenster des Bebauungsplanes ein. Die vier Doppelhaushälften sollen jeweils mit zwei Vollgeschossen ausgeführt werden. Zudem erhalten sie ein Flachdach. Der schematischen Fassadenabwicklung des Architekten …, dem Schreiben vom 15. Oktober 2014 an die Verwaltungsgemeinschaft … beigefügt (S. 22 der Behördenakte), ist zu entnehmen, dass die Doppelhaushälften jeweils eine Gesamthöhe von etwa 5 m aufweisen werden. Je Geschoss ist dieser Zeichnung ein Maß von einem Zentimeter zu entnehmen. Bei einem Maßstab von 1 : 250 ist damit von einer Höhe von 2,50 m pro Geschoss auszugehen und damit von einer Gesamthöhe der Gebäude von je 5 m. Dem Auszug aus dem Katasterkartenwerk im Maßstab von 1 : 1000, in welchem das geplante Bauvorhaben auf dem Grundstück der Beigeladenen eingezeichnet ist, lässt sich wiederum entnehmen, dass sich die geplanten vier Doppelhaushälften innerhalb der Baufenster befinden. Die kürzeste Entfernung einer der geplanten Doppelhaushälften im Südwesten des Baugrundstücks zu einem der Grundstücke der Kläger, hier zum Wohnhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. … (Kläger zu 2), beträgt in etwa 7 – 8 m. Ob damit Abstandsflächen im Sinne der BayBO eingehalten werden, ist unerheblich, da diese mangels Prüfung nicht Maßstab sind. Bei einer Gebäudehöhe von 5 m und einem Abstand von mindestens 7 m zu einem anderen Wohnhaus ist jedoch nicht von einer erdrückenden Wirkung durch einen übergroßen Baukörper auszugehen. Auch die geplante Gebäudelänge von etwa 8 bis 9 m lässt keine andere Entscheidung zu.
b) Die Befreiungen hinsichtlich der Vollgeschosszahl und betreffend die Dachform verletzen die Kläger ebenfalls nicht in ihren Rechten. Nachbarliche Interessen im Sinne des § 31 Abs. 2 BauGB sind durch diese Befreiungen nicht verletzt.
Die Erhöhung der Anzahl der Vollgeschosse auf insgesamt zwei betrifft allein das Maß der baulichen Nutzung, die Festsetzung der Dachform im Bebauungsplan ist gestalterischer Art und ebenfalls nicht drittschützend. Letzteres ist jedoch grundsätzlich nicht nachbarschützend. Allein in Betracht kommende nachbarliche Interessen, wie beispielsweise eine hieraus resultierende erdrückende Wirkung des Bauvorhabens oder eine Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung des Nachbargrundstücks, sind nach den obigen Feststellungen nicht gegeben. Zu Recht hat der Beklage zudem den Umstand, dass bereits zwei der angrenzenden Nachbargrundstücke (Grundstück Fl.Nr. … – Kläger zu 1) – und Grundstück Fl.Nr. … – Kläger zu 3)) mit je zwei Vollgeschossen und einem Flachdach bebaut sind, in die Abwägung der nachbarlichen Interessen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB einfließen lassen.
Eine Verletzung von Nachbarrechten auf Grund einer Befreiung betreffend das Maß der baulichen Nutzung kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn sich aus den zeichnerischen oder textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans oder aus dessen Begründung ergibt, dass diese Festsetzungen nachbarschützend bzw. drittschützend sein sollen (vgl. BayVGH, Urteil vom 27.03.2013 – Az. 14 B 12.192).
Ein solcher Drittschutz der genannten Festsetzungen liegt im vorliegenden Fall nicht vor.
Der Begründung des Bebauungsplanes ist in keinem Absatz zu entnehmen, dass Festsetzungen drittschützende Wirkung erhalten sollen.
Dem Vortrag der Kläger, dass den zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Bebauungsplanes zu entnehmen sei, dass eine derartige Nachverdichtung, wie sie das Vorhaben der Beigeladenen zeitigt, nicht gewollt sei, ist nicht zu folgen. Im Gegenteil sieht der Bebauungsplan für das Baugrundstück ein sehr großes Baufenster vor. Die Baugrenzen werden von dem geplanten Vorhaben eingehalten. Die geplante Dachform als Flachdach betrifft eine Abweichung von einer gestalterischen Festsetzung, die grundsätzlich keinen Drittschutz verleiht. Dem Bebauungsplan ist nicht zu entnehmen, inwiefern die Festsetzung „Satteldach“ ausnahmsweise dennoch Drittschutz verleihen würde.
Alleine der Umstand, dass sich in der näheren Umgebung eine villenartige Wohnbebauung befindet, widerspricht nicht einer nachträglichen Nachverdichtung. Entsprechende Festsetzungen, die gerade dem Erhalt der bisherigen villenartigen Bebauung des Plangebietes dienten, sind von der allein zur Planung berechtigten Gemeinde nicht, auch nicht nachträglich, getroffen worden. Von der Festsetzung des Bebauungsplanes betreffend die Flächen für Parkplätze bzw. Carports (Ziff. 11 der textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans) ist bislang keine Befreiung beantragt und erteilt worden. Auch hier verbleibt es jedoch bei der oben getroffenen Feststellung, dass Verkehrslärm durch Anwohner als sozialadäquat hinzunehmen ist. Nicht erkennbar ist darüber hinaus, dass die Festsetzung der Parkflächen dem Nachbarschutz dienen soll.
Diese Ausführungen gelten auch für den Vortrag der Kläger betreffend die Grundflächenzahl und die Geschossflächenzahl. Hinsichtlich der Grundflächenzahl ist bereits deshalb keine Verletzung von Nachbarrechten gegeben, da eine Befreiung hiervon ausdrücklich nicht erteilt ist. Eine Befreiung von den Festsetzungen der Geschossflächenzahl ist ausweislich des Vorbescheides nicht ausdrücklich gegeben. Da die Festlegung der Geschossflächenzahl das Maß der baulichen Nutzung betrifft, ist eine Verletzung nachbarschützender Rechte hier regelmäßig nicht vorstellbar. Im Ergebnis muss bezüglich der Geschossflächenzahl dasselbe gelten, wie bezüglich der Anzahl der Vollgeschosse. Da nach den obigen Feststellungen aus diesen keine Rechtsverletzung der Kläger resultiert, ist betreffend die Geschossflächenzahl dies hier heranzuziehen.
c) Der Gebietserhaltungsanspruch der Kläger ist vorliegend nicht verletzt.
Der einschlägige Bebauungsplan setzt ein allgemeines Wohngebiet fest. Das geplante Vorhaben der Beigeladene sieht vier Doppelhaushälften vor und entspricht in dieser Hinsicht dem Bebauungsplan und der Art der baulichen Nutzung. Aus dem Umstand, dass statt eines einzelnen Wohnhauses vier Doppelhaushälften oder, dass die geplanten Wohngebäude zwei Vollgeschosse aufweisen sollen, lässt sich keine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs entnehmen.
Ein Umschlagen der Gebietsart aufgrund des geplanten Vorhabens ist vorliegend nicht gegeben. Wie bereits festgestellt, werden die Doppelhaushälften jeweils eine Höhe von etwa 5 m aufweisen. Die Quadratmeterfläche des größten der geplanten Doppelhaushälften wird 78 m² aufweisen. Auch die Grundflächenzahl wird jeweils eingehalten werden. Hierzu sind keine Befreiungen erteilt worden (vgl. oben). Daher kann allein aus dem Umstand, dass hier vier kleinere anstelle eines größeren Wohnhauses geplant sind, keine Verletzung von Nachbarrechten herrühren. Eine ausnahmsweise Unzulässigkeit der geplanten Doppelhäuser im vorliegenden Typus Allgemeines Wohngebiet ist nicht ersichtlich.
d) Auch ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch, sofern er anerkannt wird, führt nicht zu einem Erfolg der Klagen.
Um die gesetzgeberische Wertung, dass allein die Art der baulichen Nutzung zu einer Verletzung drittschützender Rechte führen kann, nicht zu umgehen, kann sich auch der Gebietsprägungserhaltungsanspruch nur dann auswirken und verletzt sein, wenn er sich auf die Art, und nicht das Maß der baulichen Nutzung bezieht.
Nach diesem speziellen Gebietsprägungserhaltungsanspruch könnte ein allgemein oder ausnahmsweise zulässiges, also im Einklang mit den Vorgaben der Baunutzungsverordnung zur Gebietsart stehendes Vorhaben dennoch unzulässig sein aufgrund Widerspruchs des Vorhabens zur allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebiets (vgl. Decker, JA 2007, 55, 57). Ein solches an sich zulässiges, aber gebietsunverträgliches Vorhaben könnte damit vom Nachbarn ohne konkrete und individuelle Betroffenheit abgewehrt werden. Erforderlich ist dabei ein Umschlagen von Quantität in Qualität, mithin darf die an sich zulässige Wohnbebauung aufgrund der „Intensität“ der Bebauung nicht mehr der für das Gebiet festgesetzten Art entsprechend.
Selbst bei Anerkennung eines derartigen Gebietsprägungserhaltungsanspruchs (zweifelnd etwa BayVGH vom 9. Oktober 2012 – Az. 2 B 11.2653) könnte sich ein derartiger Anspruch jedoch eben allein auf die Art der baulichen Nutzung beziehen (vgl. BayVGH vom 3.2.2014 – Az. 9 CS 13.1915). Abweichungen vom Nutzungsmaß und der hierzu getroffenen Festsetzungen lassen regelmäßig den Gebietscharakter unberührt. Das drittschützende Rücksichtnahmegebot ist hier regelmäßig ausreichend (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 11. Januar 2016 – Az. AN 3 S 15.02435).
3. Der streitgegenständliche Vorbescheid ist nicht derart unbestimmt, dass sich hieraus eine Rechtsverletzung der Kläger ergäbe.
Ein Vorbescheid gemäß Art. 71 BayBO beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die vorweg entschiedenen Zulässigkeitsfragen sind im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Wegen dieser Bindungswirkung ist der Vorbescheid ein Verwaltungsakt gemäß Art. 35 BayVwVfG. Als ein solcher muss er inhaltlich hinreichend bestimmt sein, vgl. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. In diesem Rahmen ist es allerdings unerheblich, ob der Bescheid hinsichtlich derjenigen Merkmale zu unbestimmt ist, die die Kläger als Nachbarn nicht schützen. Eine solche objektive Unbestimmtheit geht zu Lasten des Bauherrn, nicht zu Lasten des Nachbarn. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt bei einer Unbestimmtheit daher nur vor, wenn diese Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (BayVGH, Beschluss vom 18.9.2008 – Az. 1 ZB 06.2294).
Genügen, wie von den Klägern im vorliegenden Fall gerügt, die der Behörde vorgelegten Bauvorlagen objektiv nicht den gesetzlichen Vorgaben, können sich die Kläger als Nachbarn hierauf nicht berufen, da diese Anforderungen an Bauvorlagen keine nachbarschützende Wirkung haben (vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.4.2006 – 1 CB 04.3506). Nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs kann eine unter Verstoß gegen die Anforderungen des Gesetzes betreffend Bauvorlagen erteilte Baugenehmigung von Grundstücksnachbarn nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und infolgedessen eine Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Bauvorhabens nicht ausgeschlossen werden kann (Beschluss vom 10.4.2006 – Az. 1 ZB 04.3506).
Die Kläger konnten im vorliegenden Fall durch Einsichtnahme der behördlichen Akte ausreichend erkennen, ob ihre Rechte durch das geplante Vorhaben der Beigeladenen verletzt zu werden drohen.
Wie bereits festgestellt, konnte den Plänen, welche die Beigeladene im Rahmen des Vorbescheidsverfahrens vorgelegt hat, die Wandhöhe und auch der Umfang der Baukörper hinsichtlich Länge und Breite sowie der Grundflächenzahl entnommen werden. Ebenfalls ist der Abstand der geplanten Doppelhaushälften zu den klägerischen Grundstücken und Wohnhäusern aus den vorgelegten Unterlagen erkennbar. Damit war es den Klägern ohne weiteres möglich, zu prüfen, ob das Vorhaben ihr Rücksichtnahmegebot, ausgeprägt durch den Schutz vor erdrückenden oder abriegelnden Bauten, verletzt würde. Auch die Anzahl der Stellplätze ist eindeutig festgelegt.
Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich der von den Klägern als mangelhaft gerügten Berechnungen betreffend die Grundflächenzahl und die Geschossflächenzahl.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Grundflächenzahl sowie die Geschossflächenzahl das Maß der baulichen Nutzung betreffen. Ein solches ist regelmäßig nicht drittschützend. Abweichendes ergibt sich, wie bereits oben festgestellt, auch nicht aus den textlichen oder zeichnerischen Darstellungen bzw. der Begründung des Bebauungsplanes.
Betreffend die Grundflächenzahl ist zunächst festzuhalten, dass diese gemäß den Vorgaben der BauNVO 1977 von 0,4 sowohl beim Gesamtgrundstück als auch betreffend die jeweils acht neu zu bildenden einzelnen Grundstücke eingehalten wird. Eine Befreiung ist vom Beklagten auch nicht erteilt worden.
Hinsichtlich der Geschossflächenzahl tragen die Kläger vor, dass, betreffend die neu zu bildenden Grundstücke mit den Nummern 6, 7 und 8, auf dem Bauvorhabengrundstück die Geschossflächenzahl von 0,5, welche von der BauNVO 1977 bei einer Wohnbebauung mit einem Vollgeschoss zu Grunde gelegt wird, nicht eingehalten wird. Dies ist jedoch insoweit unerheblich, als die Geschossflächenzahl von 0,8, welche von der BauNVO 1977 bei einer Wohnbebauung mit zwei Vollgeschossen zu Grunde gelegt wird, von jedem Grundstück eingehalten wird. Die Befreiung von der Festsetzung „Ein Vollgeschoss“ des Bebauungsplans zu Gunsten einer zweigeschossigen Bebauung impliziert gleichzeitig, dass es auf die Geschossflächenzahl von 0,8 ankommt. Ausdrücklich wurde hiervon keine Befreiung erteilt durch den Vorbescheid. Insofern findet die BauNVO 1977 Anwendung. Den Klägern war ohne weiteres erkennbar, welche Höhe, welche Breite und welche Länge die geplanten vier Doppelhaushälften haben werden, so dass es auf die ausdrückliche Feststellung des Vorbescheides, dass die gesetzliche Geschossflächenzahl eingehalten werde, nicht ankommt. Eine Festlegung der Geschossflächenzahl wurde nicht verbindlich im Vorbescheid festgestellt. Sollte hierin eine Unbestimmtheit liegen, geht dies zu Lasten der Beigeladenen als Bauherrin, nicht jedoch zu Lasten der Nachbarn. Eine Rechtsverletzung der Kläger kann sich hieraus nicht ergeben.
4. Die Kläger zu 1) und die Kläger zu 3) können sich darüber hinaus nicht auf die Verletzung ihrer Rechte resultierend aus den Befreiungen der Festsetzungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Vollgeschossigkeit und der Dachausführung berufen.
Die Grundstücke der Kläger zu 1) und der Kläger zu 3) sind jeweils mit einem zweigeschossigen Wohnhaus mit Flachdach bebaut. Den Klägern zu 1) wurden entsprechende Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB mit Bescheid des Landratsamtes … vom 24. Juni 2011 gewährt (siehe Behördenakte, Seite 123). Damit entsprechen die Befreiungen betreffend die Wohnhäuser der Kläger zu 1) und der Kläger zu 3) denjenigen Befreiungen, welche die Beigeladene im streitgegenständlichen Vorbescheid gewährt erhalten hat.
Ein Nachbar kann sich jedoch nach Treu und Glauben, vgl. § 242 BGB, gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück den Anforderungen dieser Vorschrift nicht entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin zu untragbaren, als Missstand zu qualifzierenden Verhältnissen führen (siehe BayVGH, Urteil vom 4.2.2011 – Az. 1 BV 08.131). Gegenüber einem Bindungswirkung entfaltenden Vorbescheid muss Gleiches gelten.
Die Abweichungen der Kläger zu 1) und der Kläger zu 3) sowie der Beigeladenen sind gleich und damit gleichgewichtig und führen nicht zu untragbaren Verhältnissen. Der Maßstab der Rücksichtnahme ist für alle beteiligten Grundstücke derselbe.
Die Klagen waren daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus § 709 ZPO.


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