Baurecht

Nachbarklage gegen erteilte Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 11 K 16.5763

Datum:
12.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56297
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BauGB § 35
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 3
BayVwVfG Art. 46
BayBO Art. 68 Abs. 2 S. 2

 

Leitsatz

1. Die erteilte Baugenehmigung verletzt keine subjektiv-materiellen Rechte der Nachbarn. Die Klage ist folglich ohne Erfolg.   (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich sind formale Grundstücksgrenzen nicht entscheidend. Die Entscheidung sollte auf Basis einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten würdigenden Wertung und Bewertung des im Einzelfall gegebenen konkreten Sachverhalts getroffen werden (vgl. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14).  (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die Klage ist unbegründet. Die Baugenehmigung vom 21. November 2016 in der Fassung, die sie in der mündlichen Verhandlung infolge der Aufhebung der Nebenbestimmung Nummer III. 1 und der Neufassung der Nebenbestimmung Nummer IV.3 erhalten hat, verletzt keinen der Kläger in seinen Rechten, so dass sie die Aufhebung der Baugenehmigung nicht beanspruchen können (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Die Kläger können zum einen die Aufhebung dieses Bescheids nicht daraus herleiten, dass – zumindest ursprünglich – die Baugenehmigung wohl nicht in einer Art. 68 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO entsprechenden Weise begründet worden ist. Ob, wie der Beklagte meint, der Fehler nach Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG durch das Vorbringen in der Klageerwiderung oder durch das Schreiben des Landratsamts an die Regierung vom 2. November 2017, das den Klägern mit der Klageerwiderung zugeleitet wurde, ordnungsgemäß geheilt worden ist, kann dahinstehen. Jedenfalls können die Kläger einen Aufhebungsanspruch auf diesen formellen Fehler nach Art. 46 BayVwVfG nicht stützen, weil in der Sache keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können. Es stand und steht hier keine Ermessensentscheidung im Raum. Vielmehr handelte es sich bei der erteilten Baugenehmigung um eine gebundene Entscheidung, die der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt.
b) Die Baugenehmigung verletzt auch keine materiellen Rechte der Kläger.
aa) Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich nach § 35 BauGB zu beurteilen, da es nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB und auch nicht im Umgriff eines Bebauungsplans liegt.
Der Vorhabenstandort liegt nicht innerhalb eines Bebauungszusammenhangs. Ein Bebauungszusammenhang ist gegeben, soweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz vorhandener Baulücken den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5/14 – juris Rn. 11 m.w.N.). Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich auf die formalen Grundstücksgrenzen nicht ankommt (vgl. z. B. BVerwG, Urteil vom 6. November 1968 – BVerwG 4 C 47.68 – Buchholz 406.11 § 19 BBauG Nr. 20, st. Rspr.). Es ist durchaus möglich, dass nur ein Teil eines Grundstücks im Innenbereich liegt, der andere Teil jedoch im Außenbereich. Im vorliegenden Fall liegt zwar das im südlichen Bereich des Vorhabengrundstücks gelegene Wohnhaus des Beigeladenen (Hausnummer 63 a) noch in einem Bebauungszusammenhang. Das gilt jedoch nicht für die nordöstlich sich anschließende Freifläche dieses Grundstücks, auf der das Vorhaben realisiert werden soll. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass diese Freifläche rundum von Bebauung umgeben ist. Erforderlich wäre vielmehr, dass die Freifläche selbst einen Bestandteil des Zusammenhangs bildet, selbst also an dem Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit teilnimmt. Ob das der Fall ist, ist nicht nach geographischmathematischen Maßstäben, sondern auf der Basis einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten würdigenden Wertung und Bewertung des im Einzelfall gegebenen konkreten Sachverhalts zu entscheiden (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 30.6.2015 a.a.O. – juris Rn. 16).
Entsprechend diesen Grundsätzen und dem Eindruck der Kammer beim Augenschein stellt sich diese Freifläche nicht als Teil eines Bebauungszusammenhangs dar. Zu beachten ist dabei, dass die unbebaute nordwestliche Teilfläche des Vorhabengrundstücks Teil einer insgesamt unbebauten Fläche ist, zu der auch noch das unbebaute Grundstück Flurnummer 3024, das sich nordöstlich des Vorhabengrundstücks anschließt, und große Teile des Grundstücks Flurnummer 2924, das sich nordwestlich des Vorhabengrundstücks anschließt, gehören. Die Freifläche hat in Nordwest-Südost-Richtung, gerechnet vom Wohnhaus Hausnummer 10 auf der Flurnummer 2924 bis zum Wohnhaus des Klägers zu 1 (Hausnummer 65 auf Flurnummer 2919) etwa eine Ausdehnung von 110 m. Auf dem Vorhabengrundstück Flurnummer 2917 befinden sich nördlich vom Wohnhaus des Beigeladenen (Hausnummer 63 a) und an der Grenze zu den Grundstücken Flurnummer 2914/1 und Flurnummer 2924 zwei nicht prägende Nebengebäude. Gerechnet vom Wohnhaus des Beigeladenen bis zum Wohnhaus auf der Flurnummer 3024/1 (Hausnummer 48), hat die Freifläche dort, wo das Vorhaben realisiert werden soll, in Südwest-NordostRichtung eine Ausdehnung von über 90 m. Auch weiter nordwestlich, auf Höhe des Anwesens des Klägers zu 2, hat die Freifläche, wenn man nicht prägende Nebenanlagen außer Betracht lässt, in Südwest-Nordost-Richtung ungefähr diese Ausdehnung (gerechnet vom Wohnhaus des Klägers zu 2 auf Flurnummer 2914/1 bis zum Wohnhaus auf Flurnummer 3022/3, Hausnummer 46 d). Nach dem beim Augenschein gewonnenen optischen Eindruck wird die Teilfläche, auf der das Vorhaben realisiert werden soll, nicht mehr durch die umliegende Bebauung, die weder durch eine besonders große Höhenentwicklung – die Kubatur beträgt überwiegend „E + 1 + D“ – noch durch besonders große Grundflächen in Erscheinung tritt, geprägt. Die zur Bebauung vorgesehene Teilfläche nimmt nicht mehr am Eindruck der Zusammengehörigkeit und Geschlossenheit der umgebenden Bebauung teil. Das gilt selbst dann, wenn man unterstellt, dass das nördlich vom Vorhabengrundstück gelegene unbebaute Grundstück Flurnummer 3024 für sich genommen noch an diesem Bebauungszusammenhang teilnimmt und eine echte Baulücke bildet.
bb) Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist daher an § 35 BauGB zu messen.
aaa) Ob das Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB privilegiert ist, was von den Klägern in Abrede gestellt wird, kann dahinstehen. Auf eine Verletzung dieser nicht drittschützenden Vorschrift können die Kläger den Erfolg ihrer Klage nicht stützen. § 35 BauGB ist keine allgemein nachbarschützende Norm (z. B. BVerwG, Beschluss vom 3. April 1995 – 4 B 47/95 – juris).
bbb) Ebenso wenig kann der Einwand der Kläger, das Vorhaben verletze ihren Gebietserhaltungsanspruch, Erfolg haben. Ein Gebietserhaltungsanspruch besteht nur im Innenbereich und nur dann, wenn das Grundstück des Nachbarn und das Vorhabengrundstück sich im selben Gebiet befinden. Daran fehlt es hier von vornherein schon deshalb, weil sich im Gegensatz zu den Grundstücken der Kläger das Vorhabengrundstück im Außenbereich befindet und deshalb das für den Gebietserhaltungsanspruch typisch wechselseitige Verhältnis einer bodenrechtlichen Austauschund Schicksalsgemeinschaft nicht vorhanden ist (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 15 CS 17/2575 – juris).
ccc) Das Vorhaben verletzt gegenüber den Klägern nicht das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme. Sie sind durch das Vorhaben keinen unzumutbaren Immissionen im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB ausgesetzt.
Den Klägern unzumutbare Geruchsimmissionen entstehen nicht. Das Landratsamt hat eine Berechnung nach der VDI-RL 3894 Blatt 2, Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen, Methode zur Abstandsbestimmung – Geruch -, vorgenommen (vgl. Stellungnahme des Sachgebiets Umwelt – Immissionsschutz vom 14. Juli 2017). Bedenken gegen diese Vorgehensweise bestehen nicht. Das Vorhaben ist unter Berücksichtigung des südlich des Stalles vorgesehenen „Laufhofs“ vom Wohnhaus des Klägers zu 1 etwa 28 m entfernt. Die Entfernung des Wohnhauses des Klägers zu 2 zum Stall beträgt etwa 33 m. Würden die Grundstücke der Kläger in einem allgemeinen Wohngebiet liegen, so wäre somit jedenfalls der nach der VDIRichtlinie in allgemeinen Wohngebieten einzuhaltende Mindestabstand von 25 m gewahrt, bei dessen Unterschreitung schädliche Umwelteinwirkungen in jedem Fall zu vermuten wären. Ob die Anwesen der Kläger tatsächlich in einem allgemeinen Wohngebiet liegen oder nicht vielmehr, wie der Beklagte meint, in einem Dorfgebiet oder in einer Gemengelage, kann offenbleiben. Selbst dann, wenn die Anwesen der Kläger bauplanungsrechtlich in einem faktisch als allgemeines Wohngebiet im Sinne des § 4 BauNVO zu qualifizierenden Gebiet liegen würden, ergäbe sich für die Kläger keine unzumutbare Geruchsbelästigung.
Nach der vorzunehmenden Einzelfallwürdigung stellt sich die Situation im Wesentlichen wie folgt dar: Die Kammer ist überzeugt, dass von dem von den Klägern gerügten Entnahmeschacht keine besonders ins Gewicht fallende Beeinträchtigung für die Kläger ausgeht, da es sich hierbei nicht um eine Dauergeruchsquelle handelt. Entgegen der Ansicht der Kläger ist auch nicht erkennbar, weshalb am Vorhabenstandort ungünstige meteorologische Gegebenheiten herrschen sollten. Zu Lasten der Kläger ist andererseits zum einen zu berücksichtigen, dass sich ihre Grundstücke zum Vorhabengrundstück hin an der Grenze zum Außenbereich befinden und ihnen insoweit daher ein höheres Maß an Geruchsimmissionen zuzumuten ist als dies bei Grundstücken der Fall wäre, die sich nicht in einer solchen Grenzlage befinden.
Zweitens ist zu berücksichtigen, dass sich nach der in der mündlichen Verhandlung neu und nunmehr hinreichend bestimmt formulierten Auflage in den in Bezug auf Geruchsimmissionen kritischeren Monaten Juni bis September nur 10 Großvieheinheiten im Stall befinden dürfen, also weniger als die Hälfte der Großvieheinheiten, die durch den Bescheid grundsätzlich genehmigt worden sind. Drittens ist noch zu beachten, dass es sich selbst dann, wenn man für die Grundstücke der Kläger bauplanungsrechtlich von einem allgemeinen Wohngebiet ausgeht, jedenfalls um ein allgemeines Wohngebiet handelt, das vom optischen Erscheinungsbild her (vgl. die vom Landratsamt im Rahmen eines Ortstermins am 12. Juli 2017 gefertigten Fotos) und wegen bestimmter im Gebiet vorhandener Nutzungen (Rinderhaltung auf dem Anwesen des Beigeladenen, Unterstellung von Traktoren auf dem Anwesen des Klägers zu 1, Pferdehaltung und Eselhaltung auf anderen Grundstücken) noch einen stark „dörflichen“, landwirtschaftsaffinen Charakter besitzt. Nach Ansicht der Kammer sind deshalb den Klägern unter Würdigung dieser Gesamtumstände die auftretenden Geruchsimmissionen zuzumuten.
In Bezug auf die auftretenden Lärmimmissionen gilt nichts anderes. Die TA-Lärm ist nach Nr. 1 Satz 2 Buchstabe c TA-Lärm auf den Betrieb des Beigeladenen nicht anwendbar. Angesichts der Dimensionen des Vorhabens ist nichts dafür ersichtlich, dass unzumutbare Lärmimmissionen auftreten. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass in gewissem Ausmaß Fahrzeugverkehr und andere Arbeiten auch an Sonntagen und Feiertagen und zur Nachtzeit stattfinden werden.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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