Baurecht

Nachbarrechtsbehelf, fehlerhafte Planunterlagen, unsubstantiierter Vortrag, Abweichung von Abstandsflächen, Rücksichtnahmegebot

Aktenzeichen  W 4 S 21.348

Datum:
23.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 43238
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 6
BayBO Art. 63
BauGB § 34

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Schweinfurt vom 24. Februar 2021, mit welchem der Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit integrierter Halle und Teilumnutzung des Nebengebäudes zu einer Dachterrasse erteilt wurde.
1. Der Antragsteller ist Eigentümer des unter anderem mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung H … Südlich angrenzend hieran befindet sich das Baugrundstück der Beigeladenen, Fl.Nr. … der Gemarkung H … Das Baugrundstück ist aktuell unter anderem mit einem Wohnhaus bebaut, welches nahe der nördlichen Grundstücksgrenze zum Grundstück des Antragstellers hin gelegen ist und welches abgerissen werden soll.
Mit Formblatt vom 17. August 2020 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienwohnhauses mit integrierter Halle und Teilumnutzung des Nebengebäudes zu einer Dachterrasse. Ausweislich der Planunterlagen entspricht die Lage des geplanten Vorhabens derjenigen des aktuell auf dem Grundstück befindlichen Bestandsgebäudes und weist eine im Wesentlichen vergleichbare Grundfläche auf, überragt dieses jedoch in der Firsthöhe um 0,39 m. Darüber hinaus wurde mit gesondertem Formblatt ein Antrag auf Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächen zum Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung H … gestellt.
Das gemeindliche Einvernehmen zu dem beantragten Bauvorhaben wurde mit Beschluss der Gemeinde W … vom 8. Oktober 2020 erteilt.
Mit Bescheid vom 24. Februar 2021 erteilte das Landratsamt Schweinfurt die beantragte Baugenehmigung (Ziffer I). Zudem wurde bezüglich der Nichteinhaltung der Abstandsflächen nach Norden eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO zugelassen (Ziffer II). Hinsichtlich des Inhalts wird auf den Bescheid Bezug genommen.
2. Mit Schriftsatz vom 10. März 2021 – eingegangen bei Gericht am 11. März 2021 – erhob der Antragsteller gegen die erteilte Baugenehmigung Klage, die unter dem Aktenzeichen W 4 K 21.347 geführt wird und über die noch nicht entschieden ist. Zugleich beantragte der Antragsteller im hiesigen Verfahren sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Begründet wurde der Antrag im Wesentlichen damit, dass das Bauvorhaben in der Höhe über den aktuellen Bestand hinausgehe und dadurch die Belichtung und Besonnung seines Grundstücks nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben sei. Auch seien die Planunterlagen fehlerhaft.
3. Mit Schreiben vom 19. März 2021 beantragte das Landratsamt Schweinfurt für den Antragsgegner:
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, der Antrag sei unbegründet, da die erteilte Baugenehmigung rechtmäßig sei und den Antragsteller nicht in dessen subjektiven Rechten verletze, sodass auch keine Erfolgsaussichten in der Hauptsacheklage bestünden. Das Vorhaben füge sich in die nähere Umgebung ein. Überdies seien zur Erhaltung der innerörtlichen Wohnnutzung und der Revitalisierung der Ortskerne neue Wohnbebauungen als Ersatz von Altgebäuden von erheblicher Bedeutung. Aufgrund des Vorbringens des Antragstellers hinsichtlich der Fehlerhaftigkeit der Planungsunterlagen habe das Landratsamt nochmals ein genaues Aufmaß durch den Planfertiger veranlasst, welches ergeben habe, dass die Firsthöhe des geplanten Vorhabens die Firsthöhe des Bestandsgebäudes um 0,39 m übersteige. Dies sei durch technische Anforderungen etwa an Isolierung und Installation bedingt. Bei der Entscheidung bezüglich der Abweichung sei die Neuregelung des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu berücksichtigen. Im Rahmen der Planung sei durch eine tiefere Einstellung des geplanten Gebäudes auf die Belange des Nachbarn Rücksicht genommen worden. Die noch verbleibende Erhöhung verursache keine unzumutbaren Beeinträchtigungen.
4. Mit Beschluss des Gerichts vom 11. März 2021 wurde Frau R … W … als Bauherrin zum Verfahren beigeladen. Die Beigeladene äußerte sich bislang nicht zum Verfahren und stellte auch keinen Antrag.
5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren W 4 K 21.347 sowie auf die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Im Rahmen der Begründetheitsprüfung ist in erster Linie auf die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache erhobenen Nachbarrechtsbehelfs abzustellen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – BayVBl 1991, 720). Hat die Anfechtungsklage des Nachbarn – wie hier – mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris).
Bezüglich der Frage nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist zudem zu berücksichtigen, dass sich ein Nachbar nur dann mit Erfolg gegen die einem Dritten erteilte bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens zur Wehr setzen kann, wenn hierbei öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die zumindest auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind, oder wenn das Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – BVerwGE 89, 69; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Nur in diesen Fällen wäre nämlich der Nachbar durch die Rechtswidrigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Hinsichtlich der Frage nach der möglichen Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften durch die angefochtene Baugenehmigung ist schließlich der eingeschränkte Prüfungsrahmen im Baugenehmigungsverfahren zu berücksichtigen. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3; VG Würzburg, U.v. 8.11.2016 – W 4 K 16.418 – juris Rn. 17).
1. Soweit sich der Antragsteller auf eine etwaige Fehlerhaftigkeit der Planungsunterlagen beruft, kann er mit seinem dahingehenden Vorbringen – auch unter Berücksichtigung seiner entsprechenden Ausführungen im Rahmen der Begründung der Hauptsacheklage vom 15. März 2021 – nicht durchdringen. Der Antragsteller bemängelt insoweit eine fehlerhafte Darstellung der Traufhöhe des noch abzureißenden Bestandsgebäudes in den Plänen (Ansicht Nord) von 6,16 m bzw. 7,02 m, sowie des Gefälles seines Hofes. Das Vorbringen des Klägers, wonach die Traufhöhe des Bestandsgebäudes nach dessen eigenen Messungen lediglich 6,05 m bzw. 6,50 m betrage, erschöpft sich jedoch lediglich in einer pauschalen Behauptung ohne jegliche Substantiierung. Ebenso unsubstantiiert sind die Ausführungen des Antragstellers hinsichtlich des Ausmaßes des Hofgefälles, welches nach Messungen desselben lediglich ca. 0,45 m und nicht, wie in den Plänen eingezeichnet, 0,86 m betrage. Das im Rahmen der Klagebegründung vorgelegte Lichtbild vom 12. März 2021, auf welchem augenscheinlich eine entsprechende Konstruktion zur Messung des Hofgefälles abgebildet ist, ist dahingehend nicht aussagekräftig. Zum einen ist schon zweifelhaft, ob durch eine derartige Behelfskonstruktion eine exakte Messung überhaupt möglich ist. Zum anderen befindet sich die Konstruktion nicht – entsprechend der Einzeichnung des Maßes von – 0,86 m in den Planunterlagen – am östlichen Abschluss des Hauptgebäudes, sondern weiter hofaufwärts, sodass von dieser ein Teil des hofabwärts befindlichen Gefälles nicht erfasst werden kann. Nach alledem genügt das Vorbringen des Antragstellers somit nicht, um ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Planzeichnungen zu begründen, sodass das Gericht im Rahmen der im Eilverfahren lediglich vorzunehmenden summarischen Prüfung von der Richtigkeit der Planunterlagen ausgeht. Dafür spricht auch das vonseiten des Landratsamts infolge der hiesigen Rechtsstreitigkeit nochmals in Auftrag gegebene genaue Aufmaß des Planfertigers, welches die in den Plänen enthaltenen Angaben und insbesondere die sich daraus ergebende Höhendifferenz des Neubaus zum Altbestand von 0,39 m bestätigt.
2. Auch die erteilte Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von der Einhaltung der Abstandsflächen des Bauvorhabens Richtung Norden zum Grundstück des Antragstellers hin ist aus Sicht der erkennenden Kammer infolge einer summarischen Prüfung nicht zu beanstanden.
Fraglich ist bereits, ob es vorliegend überhaupt einer solchen Abweichung bedurft hatte. Denn bei einer unmittelbar an die Grundstücksgrenze geplanten Errichtung des Bauvorhabens spricht aus Sicht des Gerichts einiges dafür, dass vor der entsprechenden Außenwand gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO Abstandsflächen ohnehin nicht erforderlich gewesen wären. Jedoch lässt sich den Planunterlagen nicht eindeutig entnehmen, ob das Bauvorhaben entsprechend Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO unmittelbar grenzständig geplant ist. Der in der Behördenakte befindliche Auszug aus dem Liegenschaftskataster (BA Blatt 13 und Blatt 60) deutet jedoch an, dass die – insoweit „nicht festgestellte“ – Flurstücksgrenze im Bereich des Hauptgebäudes geringfügig Richtung Norden versetzt ist, sodass das geplante Vorhaben voraussichtlich nicht unmittelbar an der Grenze, sondern mit einem geringen Grenzabstand errichtet wird, sodass Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht einschlägig wäre. Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, da selbst dann, wenn das Vorhaben eine Abstandsflächenpflicht zum Grundstück des Antragstellers hin auslösen würde, die diesbezüglich erteilte Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO rechtmäßig erteilt wurde und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt.
Hierbei gilt es zunächst zu beachten, dass es sich um eine Abweichung von einer nachbarschützenden Vorschrift handelt, sodass sich der Antragsteller dem Grunde nach nicht nur auf eine unzureichende Würdigung seiner Interessen, sondern auf jedweden (objektiven) Verstoß gegen Art. 63 Abs. 1 BayBO berufen kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.07.2007 – 1 CS 07.1340 – juris).
Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauordnungsrechtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
2.1. Der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, kann regelmäßig nur dann erreicht werden, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, wurden in der Rechtsprechung bisher für die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht vorausgesetzt, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterschied und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung sowie eine Verringerung der freien Flächen des Baugrundstücks im konkreten Fall als vertretbar erscheinen ließen (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris). Es musste sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regelung nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln.
Ob an dem Erfordernis einer Atypik mit Blick auf den seit dem 1. September 2018 neu eingefügten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO festgehalten werden kann (vgl. zum Streitstand etwa: Weinmann in BeckOK, BayBO, 17. Edition, Stand: 1.6.2020, Art. 63 Rn. 42.1), kann im hiesigen Verfahren offenbleiben, da eine solche atypische Grundstückssituation vorliegend gegeben ist. Diese ergibt sich hier aus der auf dem Baugrundstück vorhandenen baulichen Situation und der die Umgebung prägenden historisch gewachsenen städtebaulichen Struktur. Das Bauvorhaben stellt einen Ersatzbau für ein aktuell auf dem Grundstück befindliches Bestandsgebäude dar, welches an identischer Stelle verwirklicht wird. Des Weiteren bezieht es die Bausubstanz des ebenfalls bereits auf dem Grundstück befindlichen Nebengebäudes derart mit ein, dass dieses zu einer Dachterrasse umgenutzt wird, welche vom Obergeschoss des geplanten Bauvorhabens aus zugänglich ist. Zwar vermag die bloße Einbeziehung der Bausubstanz eines Altbestandes isoliert betrachtet nicht eine atypische Situation zu begründen. Jedoch stellt das Vorhandensein eines Altbestandes nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs eine objektive Gegebenheit dar, die bei Hinzutreten weiterer objektiver Umstände – z.B. Anforderungen der Stadtgestaltung – im Einzelfall eine atypische Sondersituation begründen kann (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8). Gerade derartige weitere objektive Anforderungen der Stadtgestaltung sind vorliegend gegeben. Das Ortsbild in der Umgebung des Baugrundstücks ist ausweislich des in den Behördenakten enthaltenen Auszugs aus dem Liegenschaftskataster geprägt von einer dichten innerörtlichen Bebauung, bei welcher sich an ein grenzständig bzw. grenznah errichtetes Hauptgebäude in L-förmiger Weise Nebengebäude anschließen. Der durch diese Bauweise entstehende Hof wird sodann regelmäßig durch ein wiederum grenzständig bzw. grenznah errichtetes Hauptgebäude auf dem Nachbargrundstück abgeschlossen. Die Lage des geplanten Vorhabens entspricht dieser geschilderten Umgebungsstruktur und trägt dieser historisch gewachsenen städtebaulichen Situation unter Einbeziehung des vorhandenen Baubestandes Rechnung. Eine atypische Situation ist damit gegeben.
2.2. Auch ist die Abweichung unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz – wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme – eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (vgl. BayVGH, B. v. 17.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17).
Der Antragsteller moniert in diesem Zusammenhang, dass durch die Verwirklichung des Bauvorhabens die Belichtung und Besonnung seines Grundstücks nicht mehr in ausreichendem Maß gewährleistet sei und dies zu einer Minderung der Wohnqualität und einer Abwertung seines Anwesens führe. Diesbezüglich gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass das Grundstück des Antragstellers – wie dieser im Rahmen der Klagebegründung vom 15. März 2021 selbst ausführt – bereits in der Vergangenheit durch das an identischer Stelle befindliche Bestandsgebäude einer Verschattung ausgesetzt war und insoweit als vorbelastet anzusehen ist. Zwar geht das geplante Bauvorhaben ausweislich der Planunterlagen um 0,39 m in der Firsthöhe über den aktuellen Baubestand hinaus. Jedoch folgt aus dieser lediglich geringfügigen Erhöhung keine Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation am Anwesen des Antragstellers derart, dass die Grenze des gegenseitig Zumutbaren überschritten wäre. Dies insbesondere auch mit Blick auf den Abstand des geplanten Bauvorhabens zum Wohngebäude des Antragstellers von ca. 6 m, welcher ein ausreichendes Mindestmaß an Belichtung und Belüftung in den Wohnbereichen des Antragstellers gewährleistet. Selbiges gilt für die vonseiten des Antragstellers vorgetragene, den Altbestand um 0,3 m überschreitende Länge des Neubaus entsprechend. Zu berücksichtigen ist auch, dass durch die tiefere Einstellung des geplanten Bauvorhabens bereits auf die Belange des Antragstellers Rücksicht genommen wurde und dass im Rahmen der Planung versucht wurde, das Haus so niedrig wie möglich zu halten (vgl. Stellungnahme des Planungsbüros, BA Blatt 41). Die trotz alledem verbleibende Erhöhung im Vergleich zum Bestandsgebäude von 0,39 m ergibt sich ausweislich der plausiblen Ausführungen des Planungsbüros im Schreiben vom 11. Januar 2021 (BA Blatt 41) durch im Vergleich zum Bestandsgebäude geänderte Anforderungen an die Bauweise (insb. bezüglich der Raumhöhe, der Stärke der Decken und der Höhe des Fußbodenaufbaus) sowie aus technischen Anforderungen. Ferner ist auch die hohe Bedeutung der Errichtung von neuen Wohngebäuden als Ersatz für Altbestand mit Blick auf die Ziele der Erhaltung der innerörtlichen Wohnnutzung und der Revitalisierung der Ortskerne in die Gesamtabwägung mit einzustellen. In einer Gesamtschau überwiegen daher die für das Vorhaben streitenden Belange die aus der nur geringfügigen Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation resultierenden Beeinträchtigungen des Antragstellers.
Soweit der Antragsteller darüber hinaus vorbringt, durch die erteilte Abweichung würden sich die Abstandsflächen auf seinem Grundstück vergrößern und die bebaubare Fläche auf seinem Grundstück somit verringern, vermag auch dies keine andere Sichtweise zu rechtfertigen. Denn eine Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen führt nicht dazu, dass diese auf das Nachbargrundstück erstreckt werden (vgl. Schönfeld in BeckOK, BayBO, 17. Edition, Stand: 1.6.2020, Art. 6 Rn. 100). Mit der erteilten Abweichung geht nicht automatisch eine Abstandsflächenübernahme des betroffenen Nachbarn einher, vielmehr hätte eine solche Wirkung der schriftlichen Zustimmung des Nachbarn bedurft, Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO (vgl. VG Würzburg, U.v. 3.11.2020 – W 4 K 19.1623 – n.V.).
Nach alledem geht die erkennende Kammer infolge einer summarischen Prüfung davon aus, dass das Vorhaben auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
2.3. Liegen die Voraussetzungen des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO vor, hat die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Zulassung der Abweichung zu entscheiden, Art. 40 BayVwVfG. Angesichts der hohen Anforderungen, die das Gesetz an die Zulassung der Abweichung stellt, hat die Behörde, falls die Voraussetzungen bejaht werden, sich regelmäßig für die Zulassung der Abweichung zu entscheiden, es handelt sich also um einen Fall eines sogenannten intendierten Ermessens (vgl. Dhom/Simon in Busse/Kraus, BayBO, Werkstand: 140. EL, Februar 2021, Art. 63 Rn. 39; Weinmann in BeckOK, BayBO, 17. Edition, Stand: 1.6.2020, Art. 63 Rn. 35). Besondere Umstände, die im vorliegenden Fall abweichend hiervon eine anderweitige Ermessensbetätigung rechtfertigen würden, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
2.4. Nach alledem erweist sich die erteilte Abweichung von der Einhaltung der Abstandsflächen infolge einer summarischen Prüfung als rechtmäßig, der Antragsteller wird hierdurch nicht in seinen Rechten verletzt. Auf die Frage, ob entsprechend der Ausführungen des Landratsamts im Rahmen der Antragserwiderung vom 19. März 2021 ein Fall der Neuregelung des Art. 63 Abs. 1 Satz 2 BayBO gegeben ist, kommt es somit nicht entscheidungserheblich an.
3. Ein Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts liegt ebenso wenig vor.
Das Vorhaben befindet sich im unbeplanten Innenbreich, § 34 Abs. 1 BauGB und fügt sich nach der geplanten Art der baulichen Nutzung (Wohnnutzung) in das vorliegende faktische Dorfgebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 5 BauNVO ein.
Soweit der Antragsteller anführt, das streitgegenständliche Bauvorhaben überschreite die Höhe der in der Umgebung befindlichen Bebauung, so betrifft dies das Maß der baulichen Nutzung. Im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB vermittelt jedoch das Einfügenserfordernis mit Blick auf das Maß der baulichen Nutzung keinen Drittschutz (vgl. BayVGH, B.v. 13.3.2014 – 15 ZB 13.1017 – juris Rn. 7).
Auch der Hinweis des Antragstellers, das Bauvorhaben würde aufgrund der geplanten Höhe auffällig aus der Häuserreihe herausragen, was in der Sichtachse der S … S … störend wirken würde, führt nicht zu einer Verletzung desselben in subjektiven Rechten. Soweit der Antragsteller mit diesem Einwand eine Beeinträchtigung des Ortsbildes nach § 34 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BauGB geltend machen möchte, so ist eine solche Ortsbildbeeinträchtigung mit Blick auf die lediglich geringfügige Erhöhung des Vorhabens über den Altbestand hinaus bereits höchst zweifelhaft. Jedenfalls fehlt es aber auch insoweit an der drittschützenden Wirkung der Vorschrift (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzenberger, BauGB, Werkstand: 140. EL, Oktober 2020, § 34 Rn. 141 m.w.N.).
Letztlich verstößt das geplante Bauvorhaben auch nicht gegen das im Erfordernis des „Einfügens“ (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) enthaltene drittschützende Gebot der Rücksichtnahme. Dieses Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbar insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung der Belichtung und Belüftung seines Grundstücks verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12). Die mit dem geplanten Vorhaben einhergehende geringfügige Verschlechterung der Belichtungs- und Belüftungssituation am Anwesen des Antragstellers überschreitet jedoch nach Ansicht des Gerichts infolge einer Gesamtabwägung nicht die Grenze des Unzumutbaren. Diesbezüglich wird auf die entsprechenden Ausführungen unter Ziffer 2.2. verwiesen. Eine Rücksichtslosigkeit infolge einer „erdrückenden“ Wirkung durch das Bauvorhaben kommt ebenso wenig in Betracht, denn der geplante Neubau ist schon nicht erheblich höher als das Wohngebäude des Antragstellers (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5). Weitere Anhaltspunkte für Verstöße gegen das Rücksichtnahmegebot zulasten des Antragstellers sind weder vorgetragen, noch ersichtlich.
4. Nach alledem kommt das Gericht infolge der vorliegend gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass der mit der Klage angegriffene Bescheid vom 24. Februar 2021 den Antragsteller mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt. Die Klage wird daher aller Vorrausicht nach keinen Erfolg haben. Damit überwiegt auch unter Berücksichtigung der Gesamtumstände das Interesse der Bauherrin an der sofortigen Vollziehbarkeit der ihr erteilten Baugenehmigung das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Der Antrag ist demzufolge unbegründet.
5. Der Antragsteller hat als Unterlegener die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt hat und sich damit auch nicht am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, hat sie ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013).


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