Baurecht

Nachbarschutz gegen eine baurechtliche Genehmigung

Aktenzeichen  9 CS 18.2305

Datum:
12.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2299
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BayBO Art. 6, Art. 59
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3 S. 2

 

Leitsatz

1. Das Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018 ist nach § 6 dieses Gesetzes am 1. September 2018 in Kraft getreten (GVBl. 2018, S. 523) und entfaltet keine Rückwirkung.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Bauplanungsrecht schützt Nachbarn grundsätzlich nicht vor Einsichtnahmemöglichkeiten von den angrenzenden Grundstücken. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 17 S 18.1680 2018-10-10 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben die Kosten der Beschwerdeverfahren einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Der Streitwert der Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. August 2018, der den Beigeladenen den Ausbau eines Dachgeschosses einschließlich des Aufbaus einer Dachgaube sowie den Anbau eines Balkons mit zugehöriger Außentreppe auf dem Grundstück S …, FlNr. … der Gemarkung E baurechtlich genehmigt. Das Grundstück der Antragsteller FlNr. … derselben Gemarkung grenzt nordwestlich an das Vorhabengrundstück an. Es ist, ebenso wie das der Beigeladenen, mit einem Wohnhaus bebaut.
Die Antragsteller erhoben am 24. August 2018 gegen die Baugenehmigung Klagen zum Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden ist. Zudem beantragten sie, die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen anzuordnen.
Das Verwaltungsgericht hat diese Anträge mit Beschluss vom 10. Oktober 2018 abgelehnt. Die Klagen der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung seien voraussichtlich nicht erfolgreich. Auf einen Verstoß gegen Abstandsflächenrecht könnten sich die Antragsteller nicht berufen. Es gehöre nicht zum Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO 2007. Das im unbeplanten Innenbereich liegende Vorhaben verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Dies gelte auch in Bezug auf die geltend gemachten Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Antragsteller.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Antragsteller. Sie wenden ein, das Verwaltungsgericht habe hinsichtlich des Prüfprogramms des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens fehlerhaft nicht auf die neue Rechtslage durch die Gesetzesänderung zum 10. Juli 2018 abgestellt. Die Abstandsflächen seien deshalb zu prüfen und nicht eingehalten. Das streitgegenständliche Grundstück liege im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans … Der „inhaltliche Beschrieb“ des Bebauungsplans weise aus, dass er für ein Gebiet „zwischen der E …straße und der Straße Z … hier östlich der E …- T …- und W …straße“ gelte. Die zeichnerische Umsetzung des Bebauungsplangebietes nach Erlass entspreche nicht dem Umfang, den es zum Zeitpunkt der Erstellung habe haben sollen. Das Vorhaben füge sich nicht ein, weil es ein weiteres Vollgeschoss erhalte. Zudem sei das Gebot der Rücksichtnahme vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt. Das Baugrundstück liege niedriger als das Grundstück der Antragsteller. Aus der panoramafensterartigen Dachgaube und dem Balkon resultiere in einer Höhe von 3 m oberhalb der Grundstückskante der Antragsteller eine zur Wohn- und Aufenthaltsnutzung geschaffene Fläche mit direkter Einsicht in den Garten sowie in die maßgeblichen Wohnräume des Hauses der Antragsteller. Ihre private Wohnsphäre werde wegen der besonderen Grundstückssituation, aus der sich eine größere Nähe der Dachgaube zum Grundstücksniveau der Antragsteller mit gerader Einblicksmöglichkeit ergebe, über das Normalmaß hinaus verletzt. Im Rahmen der Interessenabwägung sei nicht berücksichtigt worden, dass die Dachgaube auch auf der anderen Seite des Hauses hätte errichtet werden können.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. Oktober 2018 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen beantragen jeweils,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des Verwaltungsgerichts für zutreffend und führen hierzu aus.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat die Anträge der Antragsteller nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zu Recht abgelehnt, weil die angefochtene Baugenehmigung bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, nicht gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften verstößt, die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen sind.
1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das Abstandsflächenrecht zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Baugenehmigung nicht vom Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO a.F. umfasst war. Das Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften vom 10. Juli 2018, welches u.a. die (Neu-)Aufnahme der Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO in das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO regelt, ist nach § 6 dieses Gesetzes erst am 1. September 2018 in Kraft getreten (GVBl. 2018, S. 523). Es entfaltet insoweit keine Rückwirkung. Die Frage, ob die abstandsflächenrechtlichen Vorschriften durch das Bauvorhaben eingehalten werden, stellt sich folglich nicht.
2. Das Verwaltungsgericht hat auch nicht den räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans … der Antragsgegnerin falsch bewertet. Nach § 9 Abs. 7 BauGB setzt der Bebauungsplan die Grenzen seines räumlichen Geltungsbereichs fest. Die Grenzen dürfen sowohl zeichnerisch dargestellt als auch textlich beschrieben werden (BVerwG, U.v. 7.5.2014 – 4 CN 5/13 – juris Rn. 19). Hier ist diese Festsetzung durch zeichnerische Darstellung unter Verwendung des Planzeichens Nr. 15.13 der Anlage 1 zur Planzeichenverordnung (PlanZV) erfolgt, aus der sich eindeutig ergibt, dass das Baugrundstück nicht im Planbereich liegt. Soweit im Beschwerdevorbringen auf die Bezeichnung des Bebauungsplans verwiesen wird, lautet diese vollständig: „Für ein Teilgebiet zwischen der E …strasse und der Strasse ´Z …´ östlich der E …-, T …- und W …straße“. Die zeichnerische Darstellung der räumlichen Grenzen des Geltungsbereichs des Bebauungsplans steht hierzu nicht im Widerspruch.
3. In Bezug auf das hier somit in Rede stehende Innenbereichsvorhaben kann das Beschwerdevorbringen zum fehlenden Einfügen wegen der angeblichen Errichtung eines weiteren Vollgeschosses schon deshalb nicht zum Erfolg führen, weil § 34 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt, sondern es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten der Antragsteller allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26 m.w.N; B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 8 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat das Gebot der Rücksichtnahme auch im Hinblick auf die von Antragstellerseite angeführten Möglichkeiten der Einsichtnahme in ihr Grundstück und Wohnhaus berücksichtigt und seine Verletzung verneint. Es hat dabei darauf abgestellt, dass das Bauplanungsrecht Nachbarn grundsätzlich nicht vor Einsichtnahmemöglichkeiten von den angrenzenden Grundstücken aus schützt und sich allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen etwas anderes ergeben kann (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 1.3.2018 – 9 ZB 16.270 – juris Rn. 18). Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht einen solchen Ausnahmefall verneint hat. Es hat hierzu darauf hingewiesen, dass wegen der aus den Bauunterlagen ersichtlichen großen Abstände zwischen der Dachgaube bzw. dem Balkon und dem Wohngebäude der Antragsteller sowie der versetzten Lage der betreffenden Hauptbaukörper zueinander nicht von über das übliche Maß hinausgehenden Belastungen ausgegangen werden kann. Dem haben die Antragsteller mit ihrem Beschwerdevorbringen, die Besonderheit sei darin zu sehen, wegen der tieferen Lage des Vorhabengrundstücks könnten Garten und Wohnräume in gerader Linie eingesehen werden, nichts Durchgreifendes entgegenzusetzen.
4. Bei seiner Interessenabwägung hat das Verwaltungsgericht zu Recht maßgeblich auf die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs abgestellt, weil sich bei einem mehrpoligen Rechtsverhältnis, bei dem ein Verwaltungsakt mit Doppelwirkung Gegenstand einer Anfechtungsklage ist, konkrete Rechtspositionen Privater entgegenstehen, die grundsätzlich gleichrangig sind (vgl. BVerfG, B.v. 1.10.2008 – 1 BvR 2466/08 – juris Rn. 18, 21).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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