Baurecht

Nachbarschutz – Nutzungsänderung eines Verkaufsgebäudes in ein Fitnessstudio

Aktenzeichen  M 1 K 16.4438

Datum:
9.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 129362
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2
BImSchG § 22
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
VwZVG Art. 4

 

Leitsatz

Fitnessstudios sind Sportanlagen im Sinne des § 1 der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV). (Rn. 21)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 23. August 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte und der Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Die einmonatige Frist für die Erhebung der Klage nach § 74 VwGO ist gewahrt. Für die Zustellung der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 23. August 2016 an die Klägerin hat die Beklagte die Zustellung mittels Übergabe-Einschreiben nach Art. 4 Abs. 1 Alt. 1 VwZVG gewählt. Die Sendung wurde am 24. August 2016 abgesandt. Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 VwZVG galt die Sendung damit grundsätzlich am dritten Tag danach, also am 27. August 2016 als zugestellt, so dass die erst am 30. September 2016 erhobene Klage verfristet gewesen wäre. Allerdings kam die Sendung am 6. September 2016 an die Beklagte durch die Deutsche Post mit dem Bemerken zurück, dass die Sendung nicht abgeholt worden sei; die Sendung wurde von der Beklagten am selben Tag erneut an die Klägerin verschickt. Ein Übergabe-Einschreiben ist erst mit Übergabe der Sendung an den Adressaten oder, falls dies nicht möglich ist, mit Abholung der Sendung durch diesen zugestellt; eine Pflicht zur Abholung von Einschreibesendungen nach Erhalt eines Benachrichtigungsscheines über die Möglichkeit der Abholung innerhalb von sieben Tagen bei der Poststelle besteht grundsätzlich nicht (Harrer/Kugele/Thum/Tegethoff, Verwaltungsrecht in Bayern, Stand: August 2017, Art. 4 VwZVG Anm. 5 a) m.w.N.). Ausnahmsweise kann aber bei Nichtabholung der Sendung die Berufung auf die nicht erfolgte Zustellung rechtsmissbräuchlich sein (Harrer u.a. a.a.O.). Diese Ausnahmetatbestände brauchen vorliegend nicht geprüft zu werden, da die Klägerin unwiderlegt vorgetragen hat, einen Benachrichtigungsschein nicht erhalten zu haben. Da gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 3 VwZVG die zustellende Behörde die Beweislast für den Zugang der Sendung und dessen Zeitpunkt trägt, ist der Klägerin die Baugenehmigung nicht am 27. August 2016, sondern erst nach dem 6. September 2016 zugestellt worden, so dass die am 30. September 2016 erhobene Klage nicht verfristet ist.
2. Die Klage ist auch begründet.
Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren nachbarlichen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Ein Nachbar hat einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung nicht schon dann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr ist Voraussetzung, dass er durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BayVGH, B.v. 2.9.2014 – 14 ZB 13.1193 – juris Rn. 11).
a. Drittschützende Wirkung kommt dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme zu.
Im hier gegebenen unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB ist dieses Gebot Bestandteil des Einfügensgebotes nach § 34 Abs. 1 BauGB. Richtet sich wie hier die Beurteilung der Art der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nach den Baugebietsvorschriften der BauNVO, ist das Gebot der Rücksichtsnahme insofern im Rahmen des anzuwendenden § 15 Abs. 1 BauNVO zu prüfen (Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Mai 2017, § 34 Rn. 48 ff. m.w.N.) Nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO sind Anlagen unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die für die Umgebung nach der Eigenart des Gebietes unzumutbar sind. Bei Lärmimmissionen ist Maßstab für die Zumutbarkeit von Belastungen § 22 BImSchG in Verbindung mit dem jeweils einschlägigen technischen Regelwerk zur Ermittlung und Beurteilung der Immissionssituation, etwa in Gestalt der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BImSchG, Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) oder der Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV).
Die Beklagte hat für das Umnutzungsvorhaben des Beigeladenen zu Unrecht die TA Lärm herangezogen. Denn die TA Lärm gilt gemäß ihrer Nr. 1 Satz 2 Buchstabe anicht für Sportanlagen, die der Sportanlagenlärmschutzverordnung unterliegen. Das gegenständliche Fitnessstudio ist aber eine Sportanlage nach § 1 dieser Verordnung.
Fitnessstudios sind nach fast einhelliger Auffassung in Literatur und Rechtsprechung Sportanlagen im Sinne der 18. BImSchV (siehe etwa Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 18. BImSchV, Stand: Mai 2017, § 1 Rn. 32 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.1995 – 26 CS 95.906 – juris; BayVGH, B.v. 11.11.1998 – 2 B 97.2507 – juris; SächsOVG, B.v. 19.1.2015 – 1 B 286/14 – juris; für die Zivilrechtsprechung etwa OLG Saarbrücken, U.v. 23.5.2006 – 4 U 552/04 – juris). Das erkennende Gericht schließt sich dieser Auffassung an. Trotz des von den Studiobetreibern in aller Regel verfolgten erwerbswirtschaftlichen Interesses und dem neben dem eigentlichen Trainingsbetrieb auch bestehenden Aspekt der Unterhaltung und Geselligkeit geht es in einem solchen Studio um die gesundheitsorientierte körperliche Ertüchtigung im Rahmen des organisierten Freizeitsports, was das wesentliche Merkmal für Sportanlagen im Sinne der 18. BImSchV und Grund für deren immissionsschutzrechtliche Privilegierung durch die 18. BImSchV ist (siehe hierzu Landmann/Rohmer u.a. a.a.O., Rn. 27 und 29).
Auf die unzutreffende Heranziehung der TA Lärm anstatt der 18. BImSchV kann sich ein Nachbar im Sinne einer drittschützenden Position aber nur berufen, wenn die Heranziehung der TA Lärm für ihn ungünstiger ist als die der 18. BImSchV. Wie erwähnt hat der Sportanlagenlärm durch den Verordnungsgeber auf Grund der gesellschaftlichen Bedeutung des Sports eine Privilegierung erfahren. Das bedeutet jedoch nicht, dass im konkreten Einzelfall die Anwendung der 18. BImSchV stets zu einem im Vergleich zur Heranziehung der TA Lärm für den Nachbarn immissionsschutzrechtlich ungünstigeren Ergebnis führen würde und von daher stets keine nachbarliche Rechtsverletzung zu gewärtigen wäre. Die beiden Regelwerke unterscheiden sich in ihrem Inhalt, insbesondere im Ermittlungs- und Beurteilungsverfahren zu den Geräuschimmissionen und den dabei anzuwendenden Methoden und Formeln erheblich voneinander (siehe die Anhänge der Regelwerke). Nur wenn anhand der konkreten Gegebenheiten des Bauvorhabens, an die die Regelwerke bei ihrer immissionsschutzrechtlichen Bewertung anknüpfen, offensichtlich ist, dass die Heranziehung der TA Lärm zu einem für den Nachbarn der Sportanlage günstigeren Ergebnis führt, ist ein nachbarlicher Drittschutz aus der fehlerhaften Heranziehung der TA Lärm zu verneinen; diese Voraussetzung ist vorliegend nicht gegeben, da die Anknüpfungstatsachen nicht hinreichend bestimmt feststehen (siehe dazu unten Buchstabe b).
b. Drittschützende Wirkung kann auch dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Gebot der hinreichenden Bestimmtheit von Baugenehmigungen zukommen.
Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss für die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein (BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris Rn. 18; B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7). Maßgebend sind die Umstände des Einzelfalls, wobei Unklarheiten zu Lasten der Behörde gehen (Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Aufl. 2014, § 37 Rn. 6, 7). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2017, Art. 68 Rn. 472). Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft. Eine Baugenehmigung ist daher aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt werden können und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 16.4.2015 – 9 ZB 12.205 – juris Rn. 7 m.w.N.). Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen konkretisiert wird (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 68 Rn. 34).
Das nachbarrechtlich relevante Merkmal, das dem Bestimmtheitsgebot hier drittschützende Wirkung verleiht, ist das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (siehe hierzu oben Buchstabe a). Der Bauantrag des Beigeladenen sowie die auf seiner Grundlage erteilte streitgegenständliche Baugenehmigung weisen eine Reihe immissionsschutzrechtlich relevanter Unbestimmtheiten auf, so dass für die Klägerin nicht hinreichend ersichtlich ist, mit welchen Lärmimmissionen sie durch den Betrieb des Fitnessstudios zu rechnen hat. Zwar enthält die Baugenehmigung genaue Auflagen zu den einzuhaltenden Immissionsrichtwerten. Angesichts der großen Unsicherheiten bezüglich des Betriebszuschnitts erscheint es jedoch nicht hinreichend sichergestellt, dass diese Werte nach realistischer Betrachtung durch den konkreten Betrieb des Fitnessstudios auch tatsächlich einhaltbar sind. Im Einzelnen:
Nicht bestimmt genug ist die Betriebsbeschreibung des Beigeladenen. Zwar finden sich in den genehmigten Plänen zu einzelnen Trainingsbereichen konkrete Beschreibungen. Völlig unklar bleibt aber z.B., was unter den Nutzungseinträgen „Lady-Bereich“ oder „Funktional-Bereich“ zu verstehen ist. Für die „Geräte-Bereiche“ ist weder aus den Plänen noch sonst aus den Bauvorlagen ersichtlich, welche Geräte an welchen Standorten aufgestellt werden sollen. Die bei den Bauakten befindliche allgemeine Beschreibung zu den Tätigkeitsfeldern der … – Studios gibt keinen Aufschluss darüber, was am hier zu beurteilenden konkreten Standort vorgesehen ist.
Unklar ist die Höchstzahl der Personen, die sich im Studio gleichzeitig aufhalten dürfen. Diese für die Beurteilung des Soziallärms wesentliche Zahl ist in der Baugenehmigung nur für die Trainingsbereiche in den drei Obergeschossen mit 100 bestimmt, wobei unklar ist, ob hierzu auch die Kinder in dem im Bauplan vorgesehenen Kinderbetreuungsbereich zählen. Dieser Bereich ist lärmrelevant, zumal er im 1. Obergeschoss und damit auf derselben Ebene wie die Räumlichkeiten der Klägerin liegt.
Ungeregelt bleibt die Zahl der Personen im Erdgeschoss, obwohl auch diese wegen des offenen Raumverbunds des Studios lärmrelevant sind.
Die Angaben zum lärmrelevanten Gastrobereich sind nicht ausreichend. In der förmlichen Betriebsbeschreibung findet sich hierzu nichts, wohl aber in der allgemeinen …-Konzeption. Unklar bleiben Ausmaß, Konzeption und Situierung dieses Bereichs.
Vor allem bestehen auch Unklarheiten im Hinblick auf die immissionsrelevante Musik im Fitnessstudio. Was unter der von der Beklagten als unbedenklich angeführten „üblichen Hintergrundmusik“ zu verstehen ist, bleibt insbesondere nach Zeit und zulässiger Lautstärkenentwicklung im Unbestimmten, zumal von den Plänen auch Nutzungen umfasst sein können, die üblicher Weise mit lauter Musik einhergehen.
Nach alledem war der Klage stattzugeben. Als Unterlegene tragen die Beklagte und der Beigeladene, der einen eigenen Sachantrag gestellt hat, die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte (§ 154 Abs. 1 VwGO, § 154 Abs. 3 VwGO, § 159 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO); dabei entspricht es der Billigkeit, dass der Beigeladene seine außergerichtlichen Kosten im vollen Umfang selbst und nicht auch die Beklagte trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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