Baurecht

Normenkontrolleilantrag, Änderung Planentwurf nach Auslegung, Ermittlungsdefizit, Abwasserbeseitigung

Aktenzeichen  9 NE 21.1262

Datum:
2.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22593
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 13b
BauGB § 4a Abs. 3
BauGB § 2 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Der am 23. Dezember 2020 bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. … „Am M …“ der Antragsgegnerin wird bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug gesetzt.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen den am 23. Dezember 2020 bekanntgemachten Bebauungsplan und Grünordnungsplan Nr. … „Am M …“ der Antragsgegnerin.
Das ca. 1,3 ha große Plangebiet befindet sich am westlichen Ortsrand im Ortsteil S … der Antragsgegnerin und fällt von Westen nach Osten und Norden hin ab. Zur bedarfsgerechten Entwicklung von Wohnbauflächen setzte die Antragsgegnerin dort ein allgemeines Wohngebiet fest, das im Süden und Osten an ein Dorfgebiet und im Norden und Westen an landwirtschaftliche Nutzflächen angrenzt. Das Baugebiet wird durch die südlich verlaufenden Ortsstraßen Am M … und B … straße erschlossen, von denen die Erschließung der Wohnbauflächen über eine Stichstraße mit Wendeanlage erfolgt. Der Bebauungsplan wurde unter Einbeziehung von Außenbereichsflächen im beschleunigten Verfahren aufgestellt.
Der Antragsteller hat am 22. April 2021 einen Normenkontrollantrag (Az. 9 N 21.1232) gestellt, über den noch nicht entschieden ist. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Er macht geltend, dass sein Grundstück FlNr. … Gemarkung S … im Plangebiet liege und durch die Umgestaltung zur Verkehrsfläche in sein Eigentumsrecht eingegriffen werde. Zudem grenzten seine Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung S … unmittelbar ans Plangebiet und er sei in abwägungserheblichen Belangen betroffen. Der Bebauungsplan leide an formellen Mängeln, weil Planänderungen ohne Bürgerbeteiligung und ohne Auslegung erfolgt seien, zudem verstoße der Bebauungsplan gegen das Entwicklungsgebot und stelle eine Gefälligkeitsplanung dar, weil die tatsächlichen Planungsabsichten durch unzählige Planänderungen verschleiert worden seien. Die wegemäßige Erschließung des Plangebiets sei auch über die B … straße möglich, weshalb es einer Inanspruchnahme der schmalen Straße Am M … nicht bedürfe; schon jetzt könnten die Müllabfuhr oder der Räumdienst nicht in die Straße einfahren. Die Oberflächenwasserproblematik und Hochwasserauswirkungen seien nicht gelöst, weil bei Starkregen Wasser in die Keller und Garagen der bestehenden Häuser einzulaufen drohe. Die weitere Versiegelung des Bodens verringere die dringend benötigten Auffangflächen für Niederschlagswasser. Der vorhandene Schmutzwasserkanal der Straße Am M … sei nur für die vorhandene Bebauung ausgelegt. Nachteile würden auch bei der Strom- und Telekommunikationsversorgung befürchtet. Das im Plan nicht vermerkte Biotop auf FlNr. … Gemarkung S … werde zugeschüttet und die Festsetzungen zu den Pflanzgeboten seien unklar. Da nunmehr eine Bebauung erfolgen könne, sei der Antrag dringlich.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan und Gründordnungsplan Nr. … „Am M …“ der Antragsgegnerin vom 23. Dezember 2020 außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das Grundstück FlNr. … Gemarkung S … des Antragstellers liege nicht im Plangebiet und der Antragsteller habe keine fehlerhafte Abwägung abwägungsrelevanter Belange dargelegt. Durch den Ringschluss der Straßen Am M … und B … straße sei künftig eine Durchfahrt sowohl für Müllfahrzeuge als auch für größere Fahrzeuge möglich. Die Erschließungsplanung für Kanal und Wasser laufe parallel zum Bebauungsplan. Aus den Stellungnahmen der Träger öffentlicher Belange hätten sich keine Hindernisse ergeben. Die Topographie zeige, dass eine Gefährdung des Baugebiets durch den G …bach mit Sicherheit auszuschließen sei. Auswirkungen der Versiegelung seien im Rahmen der Abwägung, z.B. durch die Festsetzungen zur Geschossflächenzahl, berücksichtigt worden; Gefährdungen von Unterliegern seien nicht zu befürchten. Das Oberflächenwasser werde nach Norden in ein Rückhaltebecken abgeleitet. Dadurch ergebe sich für Unterlieger sogar eine Verbesserung der Situation, weil bisher das Wasser bei wassergesättigtem tonigem oder gefrorenem Boden vollständig den unterhalb liegenden Grundstücken zufloss. Das kartierte Biotop befinde sich vollständig außerhalb des Plangebiets.
Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Planaufstellungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat Erfolg.
1. Der nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthafte Antrag ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist der Antragsteller antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 VwGO ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie hier – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstücke außerhalb des Bebauungsplangebiets liegen (mittelbar Betroffener). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 19).
a) Das Grundstück FlNr. … Gemarkung S … ist, ebenso wie die Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung S …, entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht im Plangebiet belegen.
Zwar ist dem Antragsteller zuzugestehen, dass die Planzeichnung der von der Antragsgegnerin beschlossenen Fassung vom 29. September 2020 im Gegensatz zur ausgelegten Entwurfsfassung vom 30. Juli 2019 in der zeichnerischen Darstellung des Geltungsbereichs an mehreren Grundstücksecken ungenau ist, weil die Linie des Geltungsbereichs abgeschrägt dargestellt wird, so dass der Eindruck entsteht, Ecken von Grundstücken seien teilweise innerhalb, teilweise außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans. Abgesehen davon, dass es sich aufgrund der übrigen zeichnerischen Darstellung hierbei um eine offensichtliche Ungenauigkeit handelt, weil das Grundstück FlNr. … Gemarkung S … im Bereich der durch die Abschrägung betroffenen nordöstlichen Ecke „weiß“ dargestellt ist und sich die Darstellungsungenauigkeit in den weiteren „Ecken“ des Geltungsbereichs in unterschiedlicher Form wiederholt, ergibt sich der Geltungsbereich jedenfalls eindeutig aus der Planbegründung. Denn in Nr. 2 der Begründung des Bebauungsplans Nr. … „Am M …“ sind die in den Geltungsbereich einbezogenen Grundstücke mit Flurnummern exakt erfasst und angegeben. Das Grundstück FlNr. … Gemarkung S … ist dort gerade nicht angeführt.
b) Der Antragsteller kann sich auf abwägungserhebliche Belange berufen, hinsichtlich derer eine Rechtsverletzung nicht offensichtlich und eindeutig ausscheidet.
Der Antragsteller macht geltend, dass die Oberflächen- und Niederschlagswasserbeseitigung im Bebauungsplan nicht ausreichend gelöst sei und er durch die Versiegelung im Bereich des Bebauungsplans aufgrund seiner Unterliegerposition von abfließendem Wasser gefährdet sei. Der Belang des Schutzes seines Grundeigentums, hier der Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung S …, die unmittelbar östlich an das Plangebiet anschließen, vor Niederschlagswasser, das aus dem Plangebiet abfließt, ist grundsätzlich abwägungserheblich. § 1 Abs. 7 BauGB verlangt, dass der Bauleitplanung eine Erschließungskonzeption zugrunde liegt, nach der das im Plangebiet anfallende Niederschlagswasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbetroffenen – auch außerhalb des Plangebiets – keinen Schaden nehmen. Eine tatsächliche Gefährdung des Grundstücks des Antragstellers durch unkontrolliert abfließendes Niederschlagswasser ist hier auch nicht offensichtlich ausgeschlossen. Denn der Boden im Plangebiet ist nach Vortrag der Antragsgegnerin tonig, das Plangebiet liegt erhöht und fällt sowohl nach Norden als auch nach Osten in Richtung der Grundstücke des Antragstellers ab. Das genügt hier für die Antragsbefugnis (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 – juris Rn. 13), zumal auch unklar ist, auf welcher Basis die Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägung überhaupt davon ausging, die Oberflächen- und Niederschlagswasserproblematik könne mit der Erschließungsplanung gelöst werden. Abgesehen davon, dass der Bebauungsplan keinerlei Festsetzungen zur Oberflächen- und Niederschlagswasserbeseitigung enthält, datiert die vorgelegte Erschließungsplanung erst vom Januar 2021 und ist nicht Gegenstand der Planaufstellungsakten. Gleiches gilt im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachte Überlastung und nicht ausreichende Dimensionierung des in der Straße Am M … vorhandenen Abwasserkanals bei Anschluss des geplanten Baugebiets.
2. Der Antrag ist begründet. Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung ist aus einem wichtigen Grund dringend geboten.
Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen geboten ist. Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen. Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen, also so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist (vgl. BVerwG, B.v. 30.4.2019 – 4 VR 3.19 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 29.9.2020 – 9 NE 20.770 – juris Rn. 21). Ausgehend von diesen Maßstäben hat der Antrag Erfolg.
a) Bedenken gegen die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags im Hauptsacheverfahren bestehen nicht. Insbesondere wurde der Normenkontrollantrag fristgerecht erhoben (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
b) Der Antrag im Hauptsacheverfahren hat voraussichtlich Erfolg.
aa) Es erscheint bereits fraglich, ob der Bebauungsplan unter Einbeziehung von Außenbereichsflächen im beschleunigten Verfahren nach § 13b BauGB aufgestellt werden konnte.
Nach § 13b Satz 1 BauGB gilt bis zum 31. Dezember 2019 § 13a BauGB entsprechend für Bebauungspläne mit einer Grundfläche im Sinne des § 13a Abs. 1 Satz 2 BauGB von weniger als 10.000 m2, durch die die Zulässigkeit von Wohnnutzungen auf Flächen begründet wird, die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen. Die Voraussetzung eines „Anschließens an im Zusammenhang bebaute Ortsteile“ erscheint hier fraglich, weil einerseits in einem wesentlichen Bereich südlich des Baugebiets unbebaute Flächen vorhanden sind (FlNr. … … Gemarkung S…) und andererseits die vom bisherigen Ortsrand am weitesten entfernte ausgewiesene Bauparzelle im Nordwesten des Grundstücks FlNr. … Gemarkung S… kaum mehr in städtebaulich-räumlichen Zusammenhang mit dem bisherigen Siedlungsbereich, an den anzuschließen ist, stehen dürfte (vgl. BayVGH, B.v. 4.5.2018 – 15 NE 18.382 – juris Rn. 30). Eine genauere Prüfung müsste jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, kann hier jedoch im Hinblick auf weitere formelle und materielle Fehler des Bebauungsplans Nr. … „Am M…“ offen bleiben.
bb) Der Bebauungsplan leidet voraussichtlich an einem beachtlichen Fehler der Öffentlichkeitsbeteiligung.
Nach § 13b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist gegeben oder wahlweise die Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt werden. Die Antragsgegnerin hat hier den Entwurf des Bebauungsplans in der Fassung vom 30. Juli 2019 vom 26. September 2019 bis 31. Oktober 2019 öffentlich ausgelegt und der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hierbei hat sie in der Bekanntmachung vom 18. September 2019 darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan nach § 3 Abs. 2 BauGB bekannt gegeben wird, mithin die Öffentlichkeitsbeteiligung nach diesem Verfahren durchgeführt werden soll. Nach Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde der Planentwurf jedoch geändert und von der Antragsgegnerin zunächst ein Planentwurf vom 23. Juni 2020, mit Satzungsbeschluss vom 29. September 2020 dann ein Planentwurf mit gleichem Datum beschlossen, wobei sich der Entwurf vom 23. Juni 2020 nach summarischer Prüfung offenbar nicht vom Entwurf vom 29. September 2020 unterscheidet.
Die Änderung des Planentwurfs vom 30. Juli 2019 nach erfolgter Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 3 Abs. 2 BauGB erfordert allerdings nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB eine erneute Auslegung und Einholung von Stellungnahmen. Dies gilt auch im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB (vgl. Jaeger in Spannowsky/Uechtritz, Beck‘scher Online-Kommentar BauGB, Stand Februar 2021, § 13 Rn. 43, 33.1) und hier über die Verweisung des § 13b Satz 1, § 13a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB auch im beschleunigten Verfahren. Da der Entwurf die Grundlage für die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB bildet, muss der Bürger einmal Gelegenheit erhalten, zu dem Planentwurf in seiner letzten Fassung Stellung zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2010 – 4 BN 42.09 – juris Rn. 12). Dies ist hier nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin hat vielmehr den Planentwurf vom 30. Juli 2019 geändert und dann, ohne der Öffentlichkeit erneute Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, über den Planentwurf vom 23. Juni 2020 bzw. 29. September 2020 entschieden.
Von der erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung konnte hier voraussichtlich auch nicht abgesehen werden, weil die nach öffentlicher Auslegung vorgenommene Ergänzung einer Festsetzung lediglich klarstellende Bedeutung hatte oder der Entwurf nach der Auslegung nur in Punkten geändert wurde, zu denen die betroffenen Bürger, Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange zuvor bereits Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, die Änderungen auf einem ausdrücklichen Vorschlag eines Betroffenen beruhten und Dritte hierdurch nicht abwägungsrelevant berührt werden (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2018 – 4 BN 41.17 – juris Rn. 6). Ein Verzicht auf ein neuerliches Beteiligungsverfahren ist – auch im Hinblick auf den Normzweck – auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. SächsOVG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 33/14 – juris Rn. 26). Zwar sind insoweit die Änderung der Nummerierung bei den Pflanzgeboten und die zusätzlichen Hinweise bezüglich Solaranlagen und Zaunsockel ohne rechtliche Relevanz. Dies gilt jedoch nicht für die Verkleinerung des Plangebiets, zumal sich damit das Gewicht der abzuwägenden Belange, insbesondere für den Antragsteller geändert hat (vgl. BVerwG, U.v. 29.1.2009 – 4 C 16.07 – juris Rn. 41), und die Änderungen im Bereich der örtlichen Bauvorschriften, insbesondere hinsichtlich Kniestock und Dachneigung.
Dieser Verstoß gegen § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB ist gem. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 BauGB beachtlich. Der Mangel wurde mit Schriftsatz vom 22. April 2021 auch gem. § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch Übermittlung des Begründungsschriftsatzes an die Antragsgegnerin innerhalb der Jahresfrist (vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 – 4 CN 5.10 – juris Rn. 27) fristgerecht gerügt, in dem der Antragsteller sich auf erfolgte Planänderungen ohne erneute Öffentlichkeitsbeteiligung berufen hat.
cc) Der angefochtene Bebauungsplan dürfte darüber hinaus an beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsmängeln nach § 2 Abs. 3 BauGB oder Abwägungsfehlern (§ 1 Abs. 7 BauGB) leiden, weil im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses die Realisierbarkeit des Erschließungskonzepts hinsichtlich der ordnungsgemäßen Abführung von Oberflächen- und Niederschlagswasser sowie des Schmutz- und Abwassers nicht hinreichend ermittelt und bewertet wurde.
Die Abwasserbeseitigung und damit auch die Beseitigung des Niederschlagswassers gehören zu den Belangen, die nach Lage der Dinge regelmäßig in die nach § 1 Abs. 7 BauGB gebotene Abwägung einzustellen sind (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1, Nr. 7 Buchst. e BauGB). Abwasser, zu dem auch das Niederschlagswasser gehört (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG), ist so zu beseitigen, dass das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird (§ 55 Abs. 1 WHG). Der Planung muss daher eine Erschließungskonzeption zugrunde liegen, nach der das im Plangebiet anfallende Niederschlagswasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbetroffenen diesseits und jenseits der Plangrenzen keinen Schaden nehmen. Überschwemmungen und Wasserschäden als Folge der Planverwirklichung müssen die Nachbarn des Plangebiets ebenso wenig hinnehmen, wie die Bewohner des Plangebiets selbst (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 – 4 CN 14.00 – juris Rn. 15).
Ob und gegebenenfalls welche rechtlichen Mittel die Gemeinde zur Beseitigung des im Plangebiet anfallenden Niederschlagswassers einzusetzen hat, hängt von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall, insbesondere von den abwasserwirtschaftlichen und abwassertechnischen Erfordernissen sowie von den topografischen Gegebenheiten ab. Bei Erlass des Satzungsbeschlusses muss die Gemeinde aber davon ausgehen können, dass das für das Baugebiet notwendige Entwässerungssystem in dem Zeitpunkt tatsächlich vorhanden und funktionstüchtig sein wird, in dem die nach dem Plan zulässigen baulichen Anlagen fertiggestellt und nutzungsreif sein werden (vgl. BVerwG, U.v. 21.3.2002 a.a.O. – juris Rn. 16; BVerwG, B.v. 16.12.2014 – 4 BN 25/14 – juris Rn. 8; BayVGH, U.v. 10.5.2016 – 9 N 14.2674 – juris Rn. 37).
Die Einwendungen des Antragstellers zur Bodenversiegelung sowie unzureichenden Niederschlags- und Oberflächenentwässerung hat die Antragsgegnerin, ebenso wie die Entwässerung des Schmutzwassers über die Straße Am M…, mit Beschluss vom 23. Juni 2020 abgewogen. Sie hat dabei ausgeführt, dass eine ordnungsgemäße Entwässerung der Straße Am M… gewährleistet werden soll und das Oberflächenwasser über einen Regenwasserkanal in nordöstlicher Richtung zum G…bach hin entwässert werde. Aufgrund der sehr lockeren Bebauung gebe es keine Verschlechterung für die Unterlieger. Die Entwässerung des Schmutzwassers sei nur über die Straße Am M… möglich; Details regle die Erschließungsplanung. Dies genügt jedoch nicht den o.g. Anforderungen.
Abgesehen davon, dass der Bebauungsplan keinerlei Festsetzungen zur Abwasserbeseitigung trifft, ist auch nicht ersichtlich, dass dem Satzungsbeschluss der Antragstellerin vom 29. September 2020 ein tragfähiges Erschließungskonzept zugrunde lag. Der Antragsgegnerin war in Anbetracht des im Bebauungsplan aufgenommenen Hinweises zum Hangwasserabfluss (vgl. Hinweise D. 1. auf der Planurkunde) die Problematik bewusst. Gleichwohl finden sich in den Planaufstellungsakten keinerlei Hinweise auf eine vorläufige Prüfung oder Erläuterungen zur Realisierbarkeit der angedachten Abwasserbeseitigung; der von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 15. Juli 2021 vorgelegte Entwurf der Erschließungsplanung datiert vom 22. Januar 2021 und ist damit deutlich nach dem Satzungsbeschluss vom 29. September 2020 erstellt worden. Auch Aussagen zur (fehlenden) Versickerungsfähigkeit ergeben sich erst aus dem Geotechnischen Gutachten der Dr. S* … GmbH vom 4. Dezember 2021. Besteht jedoch – wie hier aufgrund der Einwendungen des Antragstellers, der Topographie sowie der problematischen Versickerungsfähigkeit tonigen Bodens – Anlass, einem bestimmten, in seiner Tragweite nicht ausreichend erforschten abwägungserheblichen Gesichtspunkt nachzugehen, so ist eine ohne diese Aufklärung getroffene Abwägungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt eines Ermittlungs- bzw. Bewertungsdefizits i.S.d. § 2 Abs. 3 BauGB fehlerhaft (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 9 NE 17.1222 – juris Rn. 39). Das gilt sowohl für die Ableitung von Niederschlagswasser als auch für die Frage der ausreichenden Dimensionierung des Abwasserkanals in der Straße Am M…
Diese vom Antragsteller rechtzeitig gerügten Mängel (§ 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB) sind gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB beachtlich, denn sie sind nach den Planunterlagen offensichtlich. Angesichts des unvollständigen und unklaren Entwässerungskonzepts besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 9 NE 17.1222 – juris Rn. 42 m.w.N.). Insbesondere lässt allein das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine andere Entscheidung grundsätzlich keinen hinreichend sicheren Rückschluss darauf zu, welches Planungsergebnis ohne den Fehler zustande gekommen wäre (vgl. BVerfG, B.v. 16.12.2015 – 1 BvR 685/12 – juris Rn. 23). Die Abwägungsfehler bezüglich Niederschlags-, Oberflächen- und Abwasserbeseitigung haben voraussichtlich die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. … „Am M…“ zur Folge, da das Entwässerungskonzept das gesamte Plangebiet betrifft.
c) Nachdem der Normenkontrollantrag im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach zulässig und begründet ist, spricht bereits indiziell überwiegendes dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2015 – 4 VR 5.14 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 9 NE 17.1222 – juris Rn. 44). Im Übrigen hat der Antragsteller unwidersprochen vorgetragen, dass bereits mit Erschließungsarbeiten begonnen worden sei. Der weitere Vollzug des Bebauungsplans lässt somit hinsichtlich der Oberflächenwasser- und Abwasserbeseitigung Nachteile befürchten, die auch unter Berücksichtigung der Interessen Dritter so gewichtig sind, dass die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans Nr. … „Am M* …“ des Antragsgegners unaufschiebbar erscheint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 und 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Entsprechend § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ist die Nr. I der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss vom Antragsgegner in derselben Weise veröffentlicht werden wie der angegriffene Bebauungsplan.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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