Baurecht

Notwendigkeit einer eigenen Baugenehmigung bei planabweichender Errichtung eines Anbaus

Aktenzeichen  9 ZB 14.2684

Datum:
9.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 50838
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1, Art. 63 Abs. 1
BauGB § 31 Abs. 2
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2, S. 4

 

Leitsatz

1 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils, die zur Zulassung der Berufung führen, sind nicht erkennbar, wenn das Gericht feststellt, dass anstelle einer genehmigten Grenzgarage iSd Art. 6 Abs. 9 S. 1 Nr. 1 BayBO ein so wesentlich abweichender Bau errichtet wurde, dass kein Zusammenhang mit dem ursprünglich genehmigten Garagenanbau mehr erkennbar ist, sondern ein anderes Bauvorhaben vorliegt, das die Zulässigkeitsfrage insgesamt neu aufwirft. (redaktioneller Leitsatz)
2 Auch wenn eine Behörde einen von der Baugenehmigung abweichenden Bau über mehrere Jahre duldet, führt dies zu keinem Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung, da das Nichteinschreiten keinen rechtlichen Erklärungswert aufweist (ebenso VGH München BeckRS 2015, 44305). (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 K 13.01920 2014-10-14 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens gesamtschuldnerisch zu tragen.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Kläger sind Eigentümer des im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten gelegenen Grundstücks FlNr. …, Gemarkung E. Das Grundstück ist mit einem Wohngebäude sowie einem grenzständigen Anbau bebaut.
Die Kläger begehren die nachträgliche bauaufsichtliche Genehmigung des von der Baugenehmigung der Beklagten vom 7. Juli 2004 planabweichend errichteten Anbaus an ihr Wohnhaus. Die Beklagte lehnte den Bauantrag der Kläger mit Bescheid vom 2. Oktober 2013 ab, weil der noch nicht abschließend fertiggestellte Anbau planabweichend errichtet worden sei und weder eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans, noch eine Abweichung hinsichtlich der erforderlichen Abstandsflächen erteilt werden könne. Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 14. Oktober 2014 ab. Hiergegen richtet sich der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Kläger berufen sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Kläger sind der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass für den streitgegenständlichen Anbau bereits 2004 eine Baugenehmigung erteilt worden sei, von der die Kläger 2007 Gebrauch gemacht hätten. Sie meinen, dass der Anbau zwar vom genehmigten Bauvorhaben abweiche, aber kein „aliud“ darstelle. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts handle es sich – wie 2004 genehmigt – um eine Grenzgarage i. S. d. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO, deren Länge und Höhe – ohne Brüstung – der 2004 erteilten Baugenehmigung entspreche. Hinsichtlich der planabweichenden Bauweise sei deshalb nur eine Tekturgenehmigung erforderlich. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils lassen sich daraus nicht ableiten.
Das Verwaltungsgericht hat bei der Prüfung, ob das von den Klägern beantragte Vorhaben ein „aliud“ gegenüber dem im Jahr 2004 genehmigten Vorhaben darstellt, zutreffend darauf abgestellt, ob der bereits errichtete Anbau von der ursprünglich für den Anbau erteilten Baugenehmigung so wesentlich abweicht, dass ein Zusammenhang mit dem ursprünglich genehmigten Garagenanbau nicht mehr erkennbar ist und damit nicht das genehmigte, sondern ein anderes Bauvorhaben erstellt wurde, für das sich die Zulässigkeitsfrage insgesamt neu stellt (vgl. BayVGH, B. v. 26.7.1991 – 20 CS 89.1224 – BayVBl 1992,88). Seine Sachverhaltswürdigung einer fehlenden Identität zwischen den Vorhaben hat es zu Recht vor allem mit erheblichen Abweichungen der für die Identität eines Bauvorhabens wesentlichen Merkmale „Bauvolumen, Höhe, Dachneigung, Kubatur“ sowie dem durch eine große Fensterfront an der Südseite des Anbaus veränderten Erscheinungsbild des Bauvorhabens begründet. Weiterhin hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass zum Dachraum des Anbaus – wie im Augenscheinstermin festgestellt wurde – kein Treppenaufgang vom EG-Raum existiert und der Dachraum nur vom Haus aus betreten werden kann, so dass es sich daher bei dem über der Garage befindlichen Dachraum nicht um einen der Garage funktionell zugeordneten Nebenraum i. S. d. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO handelt. Mit diesen Argumenten setzt sich das Zulassungsvorbringen der Kläger nicht substantiiert auseinander. Allein die Behauptung, das tatsächlich ausgeführte Bauvorhaben entspreche „darüber hinaus“ der genehmigten Grenzgarage, genügt hierfür nicht. Insoweit fehlt es bereits an nachvollziehbaren Ausführungen, welche Übereinstimmungen zwischen dem errichteten Anbau und der Baugenehmigung von 2004 existieren und welche Bedeutung ihnen bei der Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Anbaus zukommen soll.
Soweit die Kläger weiterhin angeben, sie hätten „mit der Umsetzung der Baugenehmigung 2004 begonnen, bevor es zur Abweichung der dortigen Festsetzungen gekommen ist“, bleibt unklar, warum dieses Vorbringen gegen ein „aliud“ sprechen und dadurch eine erneute Prüfung des gesamten Vorhabens auf seine Genehmigungsfähigkeit ausgeschlossen sein soll. Im Übrigen setzt sich das Zulassungsvorbingen weder mit den Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts zum Verstoß gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften des Abstandsflächenrechts, noch mit der im Urteil verneinten Frage, ob eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung vorliegt, die Voraussetzung für die Zulassung einer Abweichung ist, auseinander. Ob der durch eine Abweichung erfolgende Eingriff in öffentlichrechtlich geschützte nachbarliche Belange hier vertretbar erscheint, ist demnach ohne Belang.
2. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils lassen sich auch nicht mit dem Vorbringen begründen, die Beklagte hätte sich durch die 2004 erteilte Genehmigung im Hinblick auf die nun vorliegende Planung selbst gebunden und im Übrigen „durch das jahrelange Dulden und Bestätigen des Baus bei den erfolgten Baukontrollen ebenfalls der ausgeführten Planung zugestimmt“.
Die Genehmigungserteilung von 2004 kann schon in Hinblick auf die seit dieser Genehmigungserteilung veränderten Umstände und die erhebliche Änderung des nunmehr zur Genehmigung gestellten Bauvorhabens nicht zu einer irgendwie gearteten Selbstbindung der Beklagten bezüglich eines späteren Genehmigungsverfahrens führen. Aber auch durch das behauptete jahrelange „Dulden und Bestätigen des Baus“ kann sich kein Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigung ergeben. Einen rechtlichen Erklärungswert hat die bloße Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde in Hinblick auf ein Nichteinschreiten gegen eine baurechtswidrige Anlage nicht (vgl. BayVGH, B. v. 7.4.2015 – 9 CS 15.394 – juris Rn. 14). Dem Zulassungsvorbringen lassen sich auch keine Anhaltspunkte für ein zur bloßen Untätigkeit der Bauaufsichtsbehörde hinzukommendes besonderes Verhalten entnehmen, aufgrund dessen die Kläger annehmen durften, die Behörde bestätige den Bau und wolle sich nicht mehr auf die formelle Illegalität des Vorhabens berufen (vgl. BayVGH, B. v. 29.5.2015 – 9 ZB 14.2580 – juris Rn. 19).
3. Soweit sich die Kläger auf einen Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … der Beklagten unter § 2 des Bebauungsplans berufen und darauf hinweisen, dass durch das errichtete Bauvorhaben im Vergleich mit dem 2004 genehmigten Bauvorhaben keine zusätzlichen Auswirkungen im Hinblick auf den Gebäudeabstand, die Belichtung oder Belüftung der benachbarten Wohngebäude entstünden, ergeben sich ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die Beurteilung der Genehmigungsfähigkeit des Bauvorhabens nicht von einem Anspruch der Kläger auf Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB abhängig gemacht. Das Vorliegen von Befreiungsgründen war damit für das Verwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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