Baurecht

Nutzungsuntersagung für eine Lagerhalle

Aktenzeichen  M 1 K 17.2807

Datum:
12.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 38660
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 76 S. 2
BauNVO § 4 Abs. 3 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Rechtsgrundlage für eine Duldungsanordnung ist entweder Art. 76 S. 1 oder S. 2 BayBO, je nachdem, ob es um die Vollstreckbarkeit einer Beseitigungsanordnung oder Nutzungsuntersagung geht (vgl. VGH München BeckRS 2007, 29670 und BeckRS 2004, 33979). (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Durch die Unterbringung von drei zusätzlichen Gewerbebetrieben sowie der Erhöhung von einem auf ca. neun Beschäftigte wird die Variationsbreite der genehmigten Nutzung einer Lagerhalle überschritten, so dass eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vorliegt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klagen werden abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu je 1/4 zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1. Die zulässigen Klagen haben in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin zu 4) ist als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns dem Verfahren gem. § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 239, 246 ZPO beigetreten. Als Rechtsnachfolgerin ist sie kraft Gesetzes Partei des Rechtsstreits geworden.
Die erhobenen Klagen sind gem. §§ 86 Abs. 3, 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass nur die Aufhebung der den jeweiligen Kläger betreffenden Nummer des Bescheides begehrt wird. Gemäß § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Fassung der Anträge gebunden, sondern muss das Klagebegehren von Amts wegen ermitteln. Das Klagebegehren ergibt sich dabei aus dem gesamten Vortrag der Kläger, insbesondere aus der Klagebegründung sowie aus etwa beigefügten Bescheiden (vgl. BVerwGE 156, 94; 60, 144). Auch wenn sich anwaltliche Vertretene eher an ihren Anträgen festhalten lassen müssen als nicht anwaltlich Vertretene, ist das Gericht auch dann nicht strikt an den Antragswortlaut gebunden, wenn die Klagebegründung, die beigefügten Bescheide oder sonstige Umstände eindeutig erkennen lassen, dass das wirkliche Klageziel von der Antragstellung abweicht (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 88 Rn. 9). Die Kläger werden durch ein und denselben Prozessbevollmächtigten vertreten. Dieser beantragt im Namen der Kläger die Aufhebung des Bescheides. Dem Antrag wurde der Bescheid des Landratsamts beigefügt, in welchem jeweils differenziert nach den Klägern einzelne Anordnungen getroffen werden. Dadurch ist erkennbar, dass sich die Klagen nur auf die den jeweiligen Kläger betreffenden Anordnungen beschränken sollen. Die Klagebegehren sind deshalb so auszulegen, dass sich die Kläger zu 1) bis 3) gegen die ihnen gegenüber erlassenen Nutzungsuntersagungen sowie die Zwangsgeldandrohungen, die Klägerin zu 4) gegen die Duldungsanordnung und die damit in Zusammenhang stehende Zwangsgeldandrohung wendet.
Die Klagen sind unbegründet. Die Anordnungen in Nr. 1 bis 4 und Nr. 6 bis 9 des Bescheides sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Die Anordnungen in Nr. 1 bis Nr. 4 des Bescheides sind rechtmäßig. Die Nutzungsuntersagungen gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) sowie die Duldungsanordnung gegenüber der Klägerin zu 4) konnten zulässigerweise gem. Art. 76 Satz 2 BayBO erlassen werden, weil die Maschinenhalle in Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt wird.
aa) Rechtsgrundlage für die Anordnungen in Nr. 1 bis 4 des Bescheides ist Art. 76 Satz 2 BayBO.
(1) Die in Nr. 1 bis 3 des Bescheides gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) getroffenen Anordnungen sind von der Befugnisnorm des Art. 76 Satz 2 BayBO umfasst.
Gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung von Anlagen untersagen, wenn diese im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Es gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie bei einer Beseitigungsanordnung, jedoch mit dem Unterschied, dass durch die Nutzungsuntersagung grundsätzlich keine irreparablen Zustände geschaffen werden, da der Betroffene lediglich daran gehindert wird, eine Nutzung auszuüben, zu deren Aufnahme er mangels Baugenehmigung (noch) nicht berechtigt ist (vgl. BayVGH, U.v. 29.9.1981, BayVBl. 1982, 51; U.v. 6.2.1980, BayVBl. 1980, 246; HessVGH, B.v. 10.11.1994 – 4 TH 1894/94 – BauR 1995, 679). Die Anordnung nach Art. 76 Satz 2 BayBO begründet die umfassende Verpflichtung, alles zu tun, was erforderlich ist, um die besagte Nutzung aufzugeben, und alles zu unterlassen, wodurch die Nutzung fortgesetzt werden würde. Insbesondere kann von Art. 76 Satz 2 BayBO auch die Räumung einer baulichen Anlage gedeckt sein, wenn die Nutzungsuntersagung nur durch Entfernung sämtlicher in oder auf der Anlage gelagerten Gegenstände realisiert werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 19.11.2007 – 25 B 05.12 – juris Rn. 24; U.v. 15.5.1986, BayVBl. 1987, 150; VGH BW, U.v. 6.3.1985 – 3 S 1606/84 – VBlBW. 1985, 457). Im Bescheid vom 22. Mai 2017 ist die Beseitigung der in der Halle gelagerten Gegenstände angeordnet. Nach dem Wortlaut und der Begründung der Anordnung sieht das Landratsamt die rechtswidrige Nutzung gerade auch im Vorhandensein der gelagerten Gegenstände. Die Befugnisnorm des Art. 76 Satz 2 BayBO umfasst somit auch die gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) angeordnete Verpflichtung, die gelagerten Gegenstände und Maschinen aus der Halle und vom Grundstück zu beseitigen. In ihr ist daher im konkreten Fall keine von der Nutzungsuntersagung abzugrenzende Beseitigungsanordnung zu sehen.
(2) Rechtsgrundlage für die in Nr. 4 getroffene Duldungsanordnung ist ebenfalls Art. 76 Satz 2 BayBO.
Zweck einer Duldungsanordnung ist es, Dritte zu verpflichten, die ihre Rechte berührende Vollziehung der Ausgangsverfügung zu dulden. Sie stellt einen Rechtseingriff dar und bedarf folglich einer Ermächtigungsgrundlage. Welche Norm die Rechtsgrundlage für eine Duldungsanordnung bildet, ist umstritten. Während teilweise die baurechtliche Generalklausel, Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO, als richtige Rechtsgrundlage für die Duldungsanordnung herangezogen wird (vgl. BVerwG, B.v. 13.7.1994 – 4 B 129.94 – BauR 1994, 740; ThürOVG, B.v. 27.2.1997 – 1 EO 235.96 – juris Rn. 56 – DÖV 1997, 555; VGH BW, B.v. 11.6.1990 – 3 S 1036/90 – NVwZ-RR 1991, 458), ist nach anderer Auffassung die Duldungsanordnung auf Art. 76 Satz 1 oder Satz 2 BayBO zu stützen, je nachdem, ob es um die Vollstreckbarkeit einer Beseitigungsanordnung oder Nutzungsuntersagung geht (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2007 – 14 CS 07.275 – juris Rn. 15; B.v. 30.9.2004 – 20 CS 04.2260 – juris Rn. 13; B.v. 2.10.2001 – 15 ZS 01.2101 – juris Rn. 15). Letzterer Auffassung ist zuzustimmen. Um eine Duldungsanordnung gegenüber einem Inhaber privater Rechte erlassen zu können, ist es erforderlich, dass dieser zum Kreis der „Störer“ gehört, an den sich auch eine behördliche Anordnung nach Art. 76 BayBO richten könnte. Mit anderen Worten: eine Duldungsanordnung kann nur gegenüber solchen Adressaten ergehen, denen gegenüber auch eine Anordnung nach Art. 76 BayBO erlassen werden könnte. Da die Anordnung der Duldung einer nach Art. 76 BayBO verfügten Maßnahme aber ein Minus zu der Maßnahme selbst ist, folgt hieraus („argumentum a maiore ad minus“), dass die Befugnisnorm für eine Duldungsanordnung diejenige Norm sein muss, die zur Handlung selbst berechtigt, mithin Art. 76 BayBO. Eines Rückgriffs auf die allgemeine Generalklausel bedarf es daher nicht. Richtige Rechtsgrundlage für die Duldungsanordnung ist somit Art. 76 Satz 2 BayBO, da es um die Vollstreckbarkeit der gegenüber den Kläger zu 1) bis 3) erlassenen Nutzungsuntersagungen geht. Gemäß Art. 54 Abs. 2 Satz 3 BayBO gilt die gegenüber dem Ehemann erlassene Duldungsanordnung auch gegenüber der Klägerin zu 4) als dessen Rechtsnachfolgerin.
bb) Die Nutzungsuntersagungen und die Duldungsanordnung aus Nr. 1 bis 4 des Bescheides sind in formell und materiell rechtmäßiger Weise erfolgt.
Im Hinblick auf die materiell-rechtlichen Anforderungen ist zu beachten, dass der Erlass einer Nutzungsuntersagung grundsätzlich schon dann gerechtfertigt ist, wenn das genehmigungspflichtige Vorhaben ohne entsprechende Baugenehmigung ausgeführt wird (formelle Baurechtswidrigkeit). Da die Nutzungsuntersagung – insofern der Baueinstellung (Art. 75 Abs. 1 BayBO) entsprechend – in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine wegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften über die Genehmigungspflicht formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht untersagt werden, wenn diese offensichtlich genehmigungsfähig ist. Auch wenn die Folgen einer Nutzungsuntersagung für den Betroffenen in der Regel weniger gravierend sind als die einer Beseitigungsanordnung, ist es in der Regel unverhältnismäßig, eine offensichtlich materiell legale Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher – vergeblich – aufgefordert zu haben, einen Bauantrag zu stellen (Art. 76 Satz 3 BayBO), oder ohne über einen bereits gestellten Bauantrag entschieden zu haben (vgl. BayVGH, B.v. 30.8.2007 – 1 CS 07.1253 – juris Rn. 18; U.v. 5.12.2005 – 1 B 03.2608 – BayVBl. 2006, 702).
(1) Die Nutzung der Halle durch drei weitere Gewerbebetriebe als Lager stellt eine genehmigungspflichtige, aber ungenehmigte Nutzungsänderung dar. Die formelle Baurechtswidrigkeit ist somit gegeben.
Eine Nutzungsänderung i.S.v. Art. 55 Abs. 1 BayBO liegt vor, wenn die jeder Nutzung eigene Variationsbreite überschritten wird und der neuen Nutzung aus dem Blickwinkel der maßgeblichen öffentlich-rechtlichen Vorschriften eine andere Qualität zukommt als der bisherigen Nutzung (vgl. BayVGH, U.v. 20.12.1999 – 2 B 99.2118 – juris Rn. 19). Dies ist insbesondere der Fall, wenn die bisherige und geänderte Nutzung in unterschiedlichen Rechtsvorschriften geregelt sind oder wenn sich aus derselben Norm abweichende Anforderungen hinsichtlich der Zulässigkeit der neuen Nutzung ergeben können. Nicht erforderlich ist, dass tatsächlich andere Anforderungen an die geänderte Nutzung gestellt werden, sondern nur, dass derartige Anforderungen in Betracht kommen können und die Frage, ob dies tatsächlich der Fall ist, in einem Genehmigungsverfahren geprüft werden muss. Hierbei ist es unerheblich, ob die für die neue Nutzung in Betracht kommenden anderen Vorschriften tatsächlich zum Genehmigungsmaßstab in einem für die Nutzungsänderung durchzuführenden Genehmigungsverfahren gehören. Zu vergleichen ist die gegenwärtige mit der ursprünglich genehmigten Nutzung (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand 135. EL Dezember 2019, Art. 55 Rn. 28; Robl in Spannowsky/Manssen, BeckOK BayBO, Stand 1.9.2019, Art. 55 Rn. 9).
Genehmigt wurde mit der Baugenehmigung vom 11. März 1999 die Nutzung als Maschinenhalle für den Baggerbetrieb des verstorbenen Ehemanns der Klägerin zu 4). In der Baubeschreibung zum Bauantrag wurde unter Nr. 7 „Gewerbliche Anlage“ die Zahl der Beschäftigten mit „1“, die Art der gewerblichen Tätigkeit mit „Baggerbetrieb“ sowie Art und Zahl der Maschinen mit „Bagger/Lader, landwirtschaftliche Geräte“ angegeben. Gegenwärtig wird die Halle noch zu ca. 1/4 als Lager für die Geräte des ehemaligen Baggerbetriebs genutzt. Der übrige Teil des Gebäudes wurde an die Kläger zu 1) bis 3) vermietet, welche die Räumlichkeiten als Lager für ihre Handwerksbetriebe nutzen. Laut Angaben der Kläger zu 1) und 2) sind in den Betrieben jeweils ca. drei Mitarbeiter tätig. Die Hauptaufgabe der Mitarbeiter auf dem Grundstück FlNr. 974 liege im Be- und Entladen der angelieferten Baumaterialien. Hierzu setze man auch Gabelstapler ein. Der An- und Ablieferverkehr betrage beim Kläger zu 1) durchschnittlich drei Lkw mit über 7,5 Tonnen pro Woche sowie drei Transporter/Pritschenwagen mit unter 7,5 Tonnen pro Tag. Zusätzlich werde der Abfallcontainer neben der Halle ca. ein- bis zweimal pro Monat abgeholt. Beim Kläger zu 2) betrage der An- und Ablieferungsverkehr einen Lkw an maximal drei Tagen pro Woche sowie maximal fünf Fahrten der Mitarbeiter zur Halle pro Tag. Der An- und Abfahrtsverkehr des Klägers zu 3) ist nach der Angabe des Klägers zu 2) mit seinem vergleichbar.
Unter Zugrundelegung dieser Angaben handelt es sich nicht nur um eine Nutzungsintensivierung, sondern um eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung i.S.v. Art. 55 Abs. 1 BayBO, für die keine Verfahrensfreiheit gem. Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO angenommen werden kann. Durch die Unterbringung von drei zusätzlichen Gewerbebetrieben sowie der Erhöhung von einem auf ca. neun Beschäftigte wurde die Variationsbreite der genehmigten Nutzung überschritten. Für die neue Nutzung kommen andere öffentlich-rechtliche Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht. Die Betriebsabläufe haben sich mit der Nutzung der Halle als Lagergebäude verändert. Denkbar ist es deshalb, dass sich durch den An- und Abfahrtsverkehr die Immissionen erhöht haben und folglich z.B. die Zumutbarkeit der Gewerbebetriebe für Nachbarn anders zu bewerten ist. Während nämlich ursprünglich der Betriebsablauf des genehmigten Einmannbetriebs so ausgestaltet war, dass der Ehemann der Klägerin zu 4) mit seinen Maschinen auf die Baustelle und zurück zur Halle gefahren ist, sieht die derzeitige Nutzung einen regelmäßigen Anlieferungsverkehr für drei aktive Betriebe mit Baumaterialen sowie Be- und Entladetätigkeiten in größerem Umfang vor. Der Anlieferungsverkehr beträgt, wenn man die Angaben der Kläger zu 1) und 2) aus deren Stellungnahmen zugrunde legt, etwa neun Lkw und 15 Transporter/Pritschenwagen pro Woche. Hinzu kommt der An- und Abfahrtsverkehr durch die Mitarbeiter der Betriebe, welcher vom Kläger zu 2) mit maximal fünf Anfahrten täglich angegeben wurde und beim Kläger zu 3) ähnlich sein soll. Weiter ist im Rahmen der derzeitigen Nutzung zu berücksichtigen, dass die nicht mehr verwertbaren Baumaterialen in zwei Abfallcontainern an der nordwestlichen Ecke neben der Lagerhalle entsorgt und regelmäßig von einem Lkw abgeholt werden. Aufgrund der geänderten Nutzung der Maschinenhalle und der Erhöhung der Gewerbebetriebe ist die bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Zulässigkeit möglicherweise anders zu beurteilen. Für die gegenwärtige Nutzung könnten möglicherweise auch andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Bezug auf die erforderlichen Stellplätze in Betracht kommen. Gemäß der textlichen Festsetzung in Nr. B.2.6 des Bebauungsplans „S…“ ist für Lagerräume ein Stellplatz je 90 m2 Nutzfläche oder je drei Beschäftigte vorgesehen. Da die Halle nicht mehr durch den Baggerbetrieb als Einmannbetrieb, sondern durch drei Handwerksbetriebe mit jeweils ca. drei Mitarbeitern als Lagerräume genutzt wird, dürfte sich die Zahl der erforderlichen Stellplätze nun erhöht haben. Auch insoweit wäre eine unterschiedliche Beurteilung der Zulässigkeit der Halle möglich. Ebenfalls denkbar ist eine andere Bewertung im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung. Der Bebauungsplan „S…“ setzt gemäß Nr. B.1.1. als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet fest. In einem solchen sind nur nicht störende Handwerksbetriebe gem. § 4 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zulässig bzw. ausnahmsweise zulässig. Entscheidend für die Zulässigkeit ist das Störpotential des Handwerksbetriebs. Da sich im Vergleich zur ursprünglich genehmigten Nutzung die Betriebsabläufe und die Anzahl der Gewerbetriebe verändert haben, könnte die planungsrechtliche Zulässigkeit ebenfalls anders zu bewerten sein.
(2) Das gem. Art. 76 Satz 2 BayBO für die Entscheidung eingeräumte Ermessen wurde ordnungsgemäß und ermessensfehlerfrei ausgeübt.
Im Hinblick auf die Ermessensentscheidung ist zu beachten, dass das öffentliche Interesse grundsätzlich ein Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände im Wege der Nutzungsuntersagung gebietet. Dem Ermessen in Art. 76 Satz 2 BayBO ist deshalb die Tendenz zu eigen, die in der Natur der Sache liegende Pflicht zum Einschreiten zu verwirklichen (sog. intendiertes Ermessen). Die Anordnung einer Nutzungsuntersagung stellt daher grundsätzlich eine ermessensgerechte Entscheidung dar (vgl. BVerwG, U.v. 6.6.2019 – 4 C 10.18 – juris Rn. 28; BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 35; U.v. 16.2.2015 – 1 B 13.648 – NVwZ-RR 2015, 607).
Mangels atypischer Fallkonstellation ist der Erlass der Nutzungsuntersagungen gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) sowie der Duldungsanordnung gegenüber der Klägerin zu 4) ermessensfehlerfrei erfolgt.
Die bestehende Nutzung ist weder offensichtlich genehmigungsfähig noch genießt sie Bestandsschutz.
(a) Die Anordnungen in Nr. 1 bis Nr. 3 sind verhältnismäßig, weil die derzeitige Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig ist.
Die Lagerhalle liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „S…“. Der Bebauungsplan setzt als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO fest. Allgemeine Wohngebiete dienen nach ihrer Typisierung überwiegend dem Wohnen (vgl. § 4 Abs. 1 BauNVO). Gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO sind die der Versorgung des Gebietes dienenden nicht störenden Handwerksbetriebe zulässig. Handwerksbetriebe, bei denen der Gebietsbezug nicht gegeben ist, können nur ausnahmsweise gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO zugelassen werden. Bei den Betrieben der Kläger zu 1) bis 3) handelt es sich nicht um nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässige Handwerksbetriebe. Voraussetzung dafür wäre zunächst die Ortsansässigkeit des jeweiligen Handwerkbetriebs. Daran fehlt es hier jedoch, da die Betriebsstellen der Kläger zu 1) bis 3) etwa 1,3 bis 2,4 km von der Lagerhalle und damit außerhalb des (Plan-)Gebiets liegen. Die Handwerksbetriebe können somit – wenn überhaupt – nur als sonstige nicht störende Gewerbebetriebe gem. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO durch Erteilung einer Ausnahme zugelassen werden. Die Entscheidung über die Ausnahme liegt im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Typischerweise schließt jedoch das Bestehen eines Ermessensspielraums die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit einer Nutzung aus, da sich in einem solchen Fall die materiell-rechtliche Zulassungsfähigkeit nicht geradezu aufdrängt (vgl. OVG LSA, B.v. 27.8.1997 – B 2 S 84/97 – NUR 1999, 230; Decker in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 76 Rn. 303). Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit wäre in einem solchen Fall nur denkbar, wenn eine Ermessensreduktion auf null vorläge. Dann könnte die Bauaufsichtsbehörde nämlich nur eine einzige Entscheidung ermessensfehlerfrei treffen. Hiervon ist im Fall der Handwerksbetriebe jedoch nicht auszugehen, weil der aus der Nutzung als Lagerhalle resultierende An- und Abfahrtsverkehr Beeinträchtigungen für die umliegenden Wohngebäude hervorrufen kann.
Im Übrigen spricht viel dafür, dass es sich um störende und damit in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässige Gewerbebetriebe handelt. Zur Beurteilung des Störgrades ist grundsätzlich eine typisierende Betrachtungsweise anzustellen und zu prüfen, ob das Vorhaben generell geeignet ist, das Wohnen in einem allgemeinen Wohngebiet zu stören. Gegenstand der Betrachtung sind alle Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art, insbesondere nach seinem räumlichen Umfang und der Größe seines betrieblichen Einzugsbereichs, der Art und Weise der Betriebsvorgänge, dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr sowie der Dauer dieser Auswirkungen und ihrer Verteilung auf die Tages- und Nachtzeiten, ausgehen (vgl. Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 135. EL September 2019, § 4 BauNVO Rn. 73). Bei dem beabsichtigten Vorhaben handelt es sich um eine Lagerhalle für drei Handwerksbetriebe. Der Nutzung als Lagerhalle wohnt es inne, dass ein regelmäßiger An- und Ablieferungsverkehr von Baumaterialien mittels Lkw sowie Be- und Entladetätigkeiten anfallen. Da dadurch typischerweise Lärm entsteht, ist das Vorhaben generell geeignet, das Wohnen in einem allgemeinen Wohngebiet zu stören. Es ist somit mindestens zweifelhaft, ob die Handwerksbetriebe die Voraussetzungen § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO erfüllen. Jedenfalls fehlt es aber an einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit, die es für eine ermessensfehlerhafte Entscheidung bräuchte.
(b) Die Kläger können sich nicht auf einen ihnen gegenüber bestehenden Bestandsschutz berufen.
Vom Bestandsschutz können zwar neben dem Bestand der Anlage auch die mit der Anlage genehmigte Nutzung umfasst sein. Bei Nutzungsänderungen kommt der Bestandsschutz jedoch nicht in Betracht, sobald die jeder Nutzung eigene tatsächliche Variationsbreite überschritten und der neuen Nutzung unter städtebaulichen Gesichtspunkten eine andere Qualität zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 18.5.1990 – 4 C 49.89 – NVwZ 1991, 264). Tritt neben eine genehmigte und bestandsgeschützte Nutzung eine weitere (ungenehmigte und nicht genehmigungsfähige) Nutzung, so hängt die Frage des Bestandsschutzes davon ab, ob die bisher zulässige Nutzung für sich oder nur zusammen mit der unzulässigen Nutzung als Einheit betrachtet werden kann. Lassen sich die Nutzungen voneinander trennen, dann sind sie auch einem „selbständigen“ Bestandsschutz zugänglich. In diesem Fall genießt die genehmigte Nutzung Bestandsschutz, die ungenehmigte Nutzung hingegen nicht (vgl. BVerwG, U.v. 7.9.1979 – 4 C 45.77 – BauR 1980, 53; Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand 135. EL Dezember 2019, Art. 76 Rn. 122). Durch die Nutzung der Halle als Lager für die Handwerksbetriebe der Kläger zu 1) bis 3) wird, wie bereits dargestellt, die Variationsbreite der ursprünglichen Nutzung verlassen. Da die neue Nutzung bauplanungsrechtlich anders beurteilt werden kann, etwa im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung oder die Zumutbarkeit der Immissionen für Nachbarn, liegt eine genehmigungspflichtige und damit nicht dem Bestandsschutz unterfallende Nutzungsänderung vor. Der Bestandschutz ist zudem nicht einheitlich für beide Nutzungen zu beurteilen, weil die Nutzung durch die Handwerksbetriebe von der genehmigten Nutzung der Halle als Baggerbetrieb abgegrenzt werden kann. Beide Nutzungen sind einem selbständigen Bestandschutz zugänglich, was dazu führt, dass die gegenwärtige ungenehmigte Nutzung durch die drei Handwerksbetriebe keinen Bestandsschutz genießt.
(c) Sonstige Ermessensfehler, etwa im Hinblick auf die richtige Störerauswahl, sind nicht ersichtlich. Es ist insbesondere sachgerecht, die Kläger zu 1) bis 3) als Handlungsstörer im Rahmen des Auswahlermessens vor der Klägerin zu 4) als Zustandsstörer in Anspruch zu nehmen (vgl. Decker in Simon/Busse, BayBO, Stand 135. EL Dezember 2019, Art. 76 Rn. 179), und letztgenannte zur Duldung der gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) getroffenen Anordnungen zu verpflichten.
b) Die Zwangsgeldandrohungen in Nr. 6 bis 9 des Bescheides sind rechtmäßig, da die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind. Die gegenüber den Klägern zu 1) bis 3) erlassenen Nutzungsuntersagungen samt Verpflichtung zur Beseitigung der gelagerten Gegenstände stellen – wie oben darstellt – eine einheitliche Anordnung dar. Der Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG wurde somit gewahrt und es durfte ein einheitliches Zwangsgeld angedroht werden (vgl. VG München, U.v. 11.12.2018 – M 1 K 18.1185 – juris Rn. 23). Im Übrigen bestehen weder gegen die gesetzte Frist für die Beseitigung der gelagerten Gegenstände noch gegen die Höhe der Zwangsgelder rechtliche Bedenken.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO.
3. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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