Baurecht

Rückbau einer baulichen Anlage (Vordach) im Lichtraumprofil einer Gemeindestraße – Auslegung der Baugenehmigung

Aktenzeichen  8 ZB 15.50

Datum:
31.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 51761
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 18 Abs. 1, Art. 18a Abs. 1, Art. 21 S. 1
BayBO Art. 68
StVZO § 32 Abs. 2 S. 1
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

Der Inhalt einer Baugenehmigung ist durch Auslegung nach den auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen entsprechend anzuwendenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist der erklärte Wille der Behörde, wie er bei objektiver Würdigung vom Standpunkt des Adressaten zu verstehen ist. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

2 K 14.41 2014-10-28 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I. Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2013, der dem Kläger aufgibt, das Vordach einer landwirtschaftlichen Maschinenhalle so weit zurückzubauen, dass dieses nicht mehr in das Lichtraumprofil einer Gemeindestraße hineinragt.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
II. Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe wurden entweder schon nicht hinreichend dargelegt oder liegen nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 VwGO, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Aus dem Vorbringen des Klägers ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechts-sätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B. v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83; B. v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B. v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B. v. 24.2.2006 – 1 ZB 05.614 – juris Rn. 11; B. v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2). Nach diesem Maßstab bestehen hier keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
1.1 Das Verwaltungsgericht ist entgegen klägerischer Auffassung zu Recht davon ausgegangen, dass der auf Art. 18a Abs. 1 BayStrWG gestützte Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2013 nicht deshalb rechtswidrig ist, weil sich der Kläger hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Vordachs auf eine hierfür nach Art. 68 BayBO erteilte Baugenehmigung berufen kann (formelle Verfahrenskonzentration). Die Vorschrift des Art. 21 Satz 1 BayStrWG zum Vorrang des Baugenehmigungsverfahrens bzw. der erteilten Baugenehmigung gegenüber der Erlaubniserteilung nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG greift vorliegend mangels einer das verfahrensgegenständliche Vordach betreffenden und nach Inkrafttreten des Art. 21 BayStrWG erteilten Baugenehmigung nicht ein. Insoweit bedürfte es vorliegend für die Benutzung der Gemeindestraße über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung), wie sie sich aus dem den Luftraum über der Verkehrsfläche der Straße in Anspruch nehmenden Vordach ergibt (vgl. hierzu auch Ziff. 1.2), einer Erlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG, über die der Kläger nicht verfügt.
Eine Auslegung der insoweit von Klägerseite in Bezug genommenen Baugenehmigung des Landratsamts T. vom 18. Januar 2010 ergibt, wie auch vom Erstgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend dargelegt (vgl. Urteilsumdruck, S. 14 f.), dass sich die Baugenehmigung (nur) auf eine Nutzungsänderung des Untergeschosses der landwirtschaftlichen Maschinenhalle zur Schreinerwerkstatt bezieht. Das im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung bereits im Bestand vorhandene verfahrensgegenständliche Vordach ist demgegenüber kein Regelungsgegenstand der Baugenehmigung. Eine anderweitige Baugenehmigung hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Anwesens wurde dem Kläger seit dem Inkrafttreten der Vorschrift des Art. 21 BayStrWG mit Wirkung vom 1. Januar 2008 nicht erteilt. Eine mit Bezug auf das Vordach der Maschinenhalle gegebenenfalls zu einem Zeitpunkt vor dem 1. Januar 2008 erteilte Baugenehmigung vermag eine fehlende straßenrechtliche Erlaubnis nach Art. 18 Abs. 1 BayStrWG nicht zu ersetzen.
Der Inhalt einer Baugenehmigung ist durch Auslegung nach den auf öffentlich-rechtliche Willenserklärungen entsprechend anzuwendenden Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln. Maßgebend ist der erklärte Wille der Behörde, wie er bei objektiver Würdigung vom Standpunkt des Adressaten zu verstehen ist. Bei der Ermittlung des objektiven Erklärungswerts der Baugenehmigung sind in erster Linie die Bezeichnung und die Regelungen im Baugenehmigungsbescheid einschließlich der in Bezug genommenen Bauvorlagen und weiteren Unterlagen, aber auch sonstige den Beteiligten bekannte oder erkennbare Umstände heranzuziehen (vgl. BayVGH, B. v. 7.10.2015 – 15 ZB 12.2042 – juris Rn. 13 m. w. N.). Vorliegend wurde mit Bescheid vom 18. Januar 2010 eine Baugenehmigung zur „Nutzungsänderung des Untergeschosses der landw. Maschinenhalle als Schreinerwerkstatt“ erteilt. Der Genehmigungsbescheid enthält zudem ausschließlich Nebenbestimmungen, die sich auf vom Betrieb der Schreinerei ausgehende Geräuschbelastungen beziehen. Änderungen im Dachbereich des Gebäudes wurden im Zuge der Nutzungsänderung im Untergeschoss demgegenüber weder vom Kläger beantragt noch vom Landratsamt genehmigt.
1.2 Entgegen klägerischer Darstellung hat das Verwaltungsgericht es bei seiner Entscheidung nicht dahinstehen lassen, ob es durch das Vordach der Maschinenhalle zu einer Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs – und damit zu einer mindestens möglichen Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs – kommt. Das Erstgericht hat in seiner Entscheidung vielmehr ausdrücklich ausgeführt, dass die Beklagte zu Recht davon ausgeht, dass das in den Luftraum über der Fahrbahn der Gemeindestraße hineinreichende Vordach der Maschinenhalle die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigt. Nicht näher aufgeklärt hat das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund lediglich, ob das verfahrensgegenständliche Vordach speziell Rettungsfahrzeuge, die Feuerwehr, die Müllabfuhr oder den Winterdienst beeinträchtigt (vgl. Urteilsumdruck, S. 11).
An der Ergebnisrichtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Annahme, wonach vorliegend der Gemeingebrauch an der Gemeindestraße beeinträchtigt werden kann, hat der Senat im Übrigen keine durchgreifenden Zweifel. Wie der Kläger im Zulassungsverfahren selbst darlegt, wird durch das verfahrensgegenständliche Vordach – das sich über dem Verkehrsraum der Straße befindet – lediglich eine Durchfahrtshöhe von 3,5 Metern (bzw. jedenfalls maximal 3,80 Metern) eingehalten. Dies schränkt die Benutzung der Straße durch Kraftfahrzeuge, für die § 32 Abs. 2 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) eine höchstzulässige Höhe von 4,0 Metern vorsieht, maßgeblich ein (vgl. zum Ganzen auch Wiget in Zeitler, BayStrWG, 26. Ergänzungslieferung, Oktober 2015, Art. 18 Rn. 15). Gleichzeitig ist nicht ersichtlich, dass es die Breite der Gemeindestraße – wie wohl der Kläger meint – vorliegend ohnedies ausschlösse, dass diese von bestimmten großen Fahrzeugen benützt werden kann. Der Kläger spricht im Zulassungsverfahren von einer Breite der Straße von „weniger als 3 m“. Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVZO sind jedoch ohnedies nur Fahrzeugbreiten bis zu 2, 55 Metern allgemein zulässig. Für den überwiegenden Teil zugelassener Kraftfahrzeuge reicht die Breite der Straße mithin jedenfalls aus. Lediglich land- bzw. forstwirtschaftliche Gerätschaften und Fahrzeuge mit angebauten Geräten für die Straßenunterhaltung dürfen eine Breite von bis zu 3,0 Metern erreichen (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVZO).
1.3 Schließlich vermag der Kläger auch keine durchgreifenden Defizite der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung der seitens der Beklagten getroffenen Ermessensentscheidung darzulegen. Namentlich trifft es entgegen klägerischer Darstellung nicht zu, dass das Verwaltungsgericht keine Würdigung des konkreten Einzelfalls vornimmt. Richtig ist vielmehr, dass das Erstgericht in hinreichender Tiefe die aus seiner Sicht im vorliegenden Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte darlegt (vgl. Urteilsumdruck, S. 16 f.). Dass der Kläger im Zulassungsverfahren bestimmte weitere Gesichtspunkte besonders hervorhebt, macht die Darlegungen des Verwaltungsgerichts nicht defizitär. Gleichzeitig ist nicht ersichtlich, dass die Begründung der Entscheidung der Beklagten nicht jedenfalls den Mindestanforderungen genügt, die an die Begründung einer Ermessensentscheidung zu stellen sind.
2. Der Rechtsstreit weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), die die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern. Die aufgeworfenen Fragen können – wie die Ausführungen unter Ziff. 1 deutlich machen – ohne nennenswerten Aufwand im Zulassungsverfahren geklärt werden (zum Maßstab vgl. BayVGH, B. v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147/149 m. w. N.).
3. Ebenso wenig hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die vom Kläger insoweit für klärungsbedürftig erachtete Frage, ob die Erteilung einer Baugenehmigung ausscheidet, wenn im bauaufsichtlichen Verfahren zugleich über eine (befristete und widerrufliche) Sondernutzungserlaubnis zu entscheiden ist (offengelassen von BayVGH, U. v. 11.11.2014 – 15 B 12.2765 – juris Rn. 21 und 26), stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Die insoweit in Betracht zu ziehende Baugenehmigung vom 18. Januar 2010 trifft – wie unter Ziff. 1.1 bereits näher dargelegt – hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Vordachs keine Regelung, sondern regelt (nur) eine Nutzungsänderung im Untergeschoss des Gebäudes. Mithin wurde im hier inmitten stehenden bauaufsichtlichen Verfahren keine Entscheidung über die Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis getroffen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 sowie § 52 Abs. 1 GKG.


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