Baurecht

Schutzgrad für Wohnnutzung betreffend Lärm in gewerblich geprägter Gemengelage

Aktenzeichen  AN 9 K 15.00819

Datum:
10.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 2, § 7 Abs. 2 u. 3, § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 2,

 

Leitsatz

Bei der Bestimmung des Schutzgrades einer Wohnung können im Hinblick auf die gewerbliche Nutzung der Nachbarschaft die im Kerngebiet geltenden Regelungen durchaus als Anhaltspunkte herangezogen werden. Allerdings führt dies nicht zu einer quasi schematischen Übernahme der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm, denn die in jedem Verfahren vorzunehmende Einzelfallprüfung kann aufgrund der Eigenart der Umgebung zu Abweichungen führen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen.
3. Das Urteil ist in Ziffer 2) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der vollstreckbaren Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die mit der Klage angegriffene Baugenehmigung der Beklagten vom 22. April 2015 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Kläger als Nachbar kann die Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn sie rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich gerade aus der Verletzung solcher Normen ergibt, die nicht nur im Interesse der Allgemeinheit erlassen sind, sondern gerade seinem Schutz zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; st.Rspr., vgl. BVerwG, U. v. 26.9.1991 – 4 C 5.87; BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017, m. w. N. – alle juris). Hinzu kommt, dass nur ein solcher Verstoß gerügt werden kann, zu dem die Baugenehmigung auch Feststellungen trifft (vgl. BayVGH, a. a. O.). Dies ist davon abhängig, ob die entsprechende Vorschrift im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen war, da im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle mehr stattfindet. Die Prüfung ist darauf beschränkt, ob durch die angegriffene Baugenehmigung Vorschriften verletzt sind, die dem Nachbarn einen öffentlich-rechtlichen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, und die im konkreten Fall zum Prüfungsmaßstab und damit auch zum Regelungsinhalt der Baugenehmigung gehören.
Wenn es sich bei dem angefochtenen Bescheid um eine Änderungsgenehmigung bezüglich eines bereits früher genehmigten Vorhabens handelt wie hier, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG v. 17.6.1993, 4 C 17/91) das (Gesamt-)Vorhaben in der geänderten Form Gegenstand der bauplanungsrechtlichen Beurteilung, wenn es sich nicht um ein selbstständiges, abtrennbares Vorhaben handelt und die Änderung oder Erweiterung zugleich den Bestand der vorhandenen baulichen Anlage verändert. Dies kann durch einen Eingriff in die bestehende Anlage, durch eine aus der Erweiterung resultierende Qualitätsveränderung des Bestandes oder im Fall einer Änderung der Immissionslage angenommen werden, so dass dann eine isolierte Beurteilung der Erweiterung nicht möglich ist (vgl. BVerwG a. a. O., juris, Nr. 16). Die Prüfung des Gesamtvorhabens in der geänderten Form im Rahmen des Änderungsgenehmigungsverfahrens bedeutet aber nicht, dass sich diese Prüfung auf alle Voraussetzungen der bebauungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erstrecken müsste. Sie muss sich nur auf die Voraussetzungen erstrecken, die durch sie berührt werden, denn das Prüfprogramm bei der Entscheidung über eine Änderungsgenehmigung wird durch den Genehmigungsgegenstand bestimmt; sind für ihn nur einzelne bebauungsrechtliche Anforderungen einschlägig, so ist die Prüfung auf diese beschränkt (BVerwG v. 4.2.2000 – 4 B 106/99 – juris, Nr. 2).
Im vorliegenden Verfahren ergibt sich daraus, dass es sich bei den mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. April 2015 genehmigten Änderungen zwar nicht um ein eigenständiges und losgelöst vom Gesamtbetrieb beurteilbares Vorhaben handelt, so dass Gegenstand der baurechtlichen Prüfung der Betrieb der Beigeladenen in der geänderten Form ist. Allerdings war hier nicht eine umfassende Prüfung aller bebauungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Gesamtvorhaben, also quasi der einer Neuerteilung der Baugenehmigung für das Gesamtvorhaben entsprechende Prüfungsumfang geboten.
Das mit Bescheid vom 22. April 2015 genehmigte Vorhaben lässt sich nicht losgelöst vom Gesamtbetrieb der Beigeladenen beurteilen. Weder das zu errichtende Vordach über der bestehenden Kundenladezone noch die Nutzungsänderung eines früheren Lagers zur Verkaufsfläche Holzzuschnitt noch der Entfall Verkaufsfläche (Stadtgarten) und die Erweiterung der Freiverkaufsfläche lassen sich losgelöst vom Gesamtbetrieb beurteilen. Denn die einzelnen Baumaßnahmen, die Gegenstand der Änderungsgenehmigung waren, sind mit dem bisherigen Betrieb des Beigeladenen untrennbar verknüpft und nur mit diesem gemeinsam beurteilbar. So ist das zu errichtende Vordach nur sinnvoll im Zusammenhang mit seiner Funktion, die vorhandene Kundenladezone in ihrer Nutzugsmöglichkeit zu verbessern, indem ein Beladen zukünftig unabhängig von Witterungseinflüssen möglich wird. Auch die Änderung und Erweiterung der Lager- und Verkaufsflächen betrifft keinen für sich abgetrennten und isoliert nutzbaren Bereich, sondern ist sowohl baulich als auch von der Nutzung her mit der übrigen Betriebsfläche verbunden und in diese integriert.
Wenn damit das Vorhaben des Beigeladenen in seiner geänderten Form Gegenstand der baurechtlichen Prüfung war, so bedeutet dies jedoch nicht, dass insbesondere die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Gesamtbetriebs erneut zu prüfen gewesen wäre. Denn Gegenstand des hier gegenständlichen Genehmigungsbescheids vom 22. April 2015 und der mit diesem zusammenhängenden baurechtlichen Prüfung war nicht ein insgesamt neues Vorhaben, etwa infolge eines völlig anderen, die Bandbreite der bisher genehmigten Nutzung verlassenden Sortiments, sondern die Fortführung des bereits früher genehmigten Bau- und Gartenmarktes durch einen neuen Betreiber. Dabei geht die Kammer wie die Beklagte und die Beigeladene davon aus, dass zum einen das von der Beigeladenen in ihrem Bau- und Gartenmarkt angebotene Sortiment weder Gegenstand des Änderungsgenehmigungsverfahrens war noch sich am Sortiment tatsächlich in baurechtlich-relevanter Weise etwas geändert hat. Die Auffassung der Beklagten wie der Beigeladenen, diese habe den früheren Betrieb eines Bau- und Gartenmarktes ohne wesentliche Änderung fortgeführt, wird bestätigt durch den von der Beklagten durchgeführten Vergleich des jeweiligen Warensortiments, der keine wesentliche Änderungen im Hinblick auf den bereits zuvor genehmigten Betrieb eines Bau- und Gartenmarktes feststellt. Weder hat die Beigeladene ihr Sortiment im Rahmen des gegenständlichen Bauverfahrens zur Genehmigung gestellt, noch hat die Beklagte darüber eine Entscheidung betroffen, da beide mit Recht davon ausgingen, dass eine genehmigungspflichtige Änderung der Nutzung durch einen insoweit rechtlich relevanten Austausch des Warensortiments nicht vorlag. Soweit der Kläger davon ausgeht, das nunmehr von der Beigeladenen vertriebene Sortiment unterscheide sich insbesondere hinsichtlich der Kundenattraktivität maßgeblich von dem früher von der Firma … vertriebenen, so führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Denn die bloße Steigerung der Attraktivität eines Warenangebots, das sich im Übrigen im Rahmen des üblicherweise von einem Bau- und Gartenmarkt vertriebenen Warenkorbs hält, führt nicht zu einer bauplanungsrechtlich relevanten, eine Neubewertung erfordernden Änderung des Betriebs. Zudem geht insbesondere das vom Kläger vorgelegte Gutachten der S… GmbH vom 21. Mai 2014 von einem Vergleich des Warensortiments eines Betriebs in Ingolstadt mit dem früheren …Baumarkt aus. Damit war nach Auffassung der Kammer insbesondere die Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des hier gegenständlichen Bau- und Gartenmarktes etwa im Hinblick auf die Art der Nutzung nicht Gegenstand der Prüfung und war auch nicht zu prüfen.
Gegenstand der Prüfung war demgegenüber die Beurteilung des Vorhabens in seiner geänderten Form im Hinblick auf die Frage der Einhaltung der hier zulässigen, insbesondere den Nachbarn wie dem Kläger, zumutbaren Lärmimmissionen. Dies ergibt sich schon aus dem Inhalt des Bescheids selbst, wo Auflagen zum Immissionsschutz hinsichtlich des Gesamtvorhabens in den Auflagen Nrn. 32 bis 36 verfügt wurden sowie aus der Begründung, wo unter Verwendung der von der Beklagten angeforderten gutachtlichen Stellungnahme der Firma … vom 14. Juli 2014 und der darin enthaltenen Schallimmissionsprognose eine abschließende Beurteilung der schalltechnischen Verhältnisse erfolgte.
Die Regelungen im angefochtenen Bescheid zu den vom Bauvorhaben ausgelösten Lärmimmissionen, insbesondere durch den vom Vorhaben ausgelösten Verkehrslärm, sind hier geeignet und ausreichend, um den Kläger als Eigentümer seiner Wohnung vor unzumutbarem Lärm, ausgelöst vom Bauvorhaben, zu schützen, so dass die angefochtene Baugenehmigung auch nicht im Hinblick auf den Kläger gegen das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verstößt.
Die Beklagte hat im angefochtenen Bescheid in der Auflage Nr. 35, für das nördlich der … gelegene Gebiet mit Schutzcharakter Mischgebiet (insbesondere am Anwesen … (gemeint ist hier nach Auffassung des Gerichts das Anwesen mit der Wohnung des Klägers … wie in den früheren Bescheiden)) Immissionsrichtwerte von tags 57 dB(A) und nachts 42 dB(A) festgesetzt. Diese Immissionsrichtwerte sind nach Überzeugung der Kammer ausreichend, um den hier erforderlichen Schutz der Wohnnutzung des Klägers zu bewirken, ohne dass es darauf ankommt, wie die Beklagte die entsprechenden Immissionsrichtwerte errechnet oder sonst bestimmt hat.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitergehenden Schutz vor vom Betrieb des Beigeladenen in der durch die Änderungsgenehmigung geänderten Form ausgelösten Betriebsgeräuschen einschließlich des dem Betrieb zuzurechnenden Verkehrs.
Der Schutzgrad, den der Kläger für seine Wohnnutzung beanspruchen kann, ergibt sich dabei aus der in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandenen Bebauung und den insoweit genehmigten oder sonst zu berücksichtigenden Nutzungen. Dabei geht die Kammer insbesondere aufgrund der Ergebnisse des durchgeführten Augenscheins, der vorliegenden Pläne und Lichtbilder davon aus, dass hier die maßgebliche Umgebung des Baugrundstücks im Süden durch die Bahnanlage und im Westen durch die … begrenzt wird, da die jeweiligen Verkehrsflächen, insbesondere aufgrund ihres Umfangs, die Bundesstraße zusätzlich noch aufgrund ihrer Situierung auf einem etwa 6 m bis 8 m über dem Baugrundstück gelegenen Damm, trennende Wirkung besitzen. Nach Norden und Osten reicht die nähere Umgebung hier insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits das Baugrundstück prägt (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 34 BauGB, Rn. 36, BVerwG, U. v. 26.5.1987 – 4 C 9.77). Dabei ist auch bei einem großflächigen Einzelhandelsbetrieb wie dem hier gegenständlichen Bau- und Gartenmarkt nicht auf den Bereich eventueller städtebaulicher Auswirkungen im Sinn des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 BauNVO abzustellen (Söfker a. a. O.). Im Hinblick darauf, dass hier die Ausfahrt vom Baugrundstück nach Norden zur … erfolgt, erscheint es der Kammer als angemessen, wegen der Größe des Betriebs der Beigeladenen und dem umfangreichen von diesem ausgelösten Verkehr, nicht nur die unmittelbar nördlich an die … im Bereich des Baugrundstücks angrenzenden Grundstücke zur näheren Umgebung zu rechnen, sondern noch die weiter nördlich gelegenen Grundstücke FlNr. … (…-Tankstelle), FlNr. … (… Zoo etc.), FlNr. … (…). Die noch weiter nördlich gelegene Wohnbebauung etwa auf dem Grundstück FlNr. …, …, …, …, zählt demgegenüber nach Auffassung der Kammer, die sich insbesondere auf den Augenschein stützt, nicht mehr zur näheren Umgebung des Baugrundstücks, da sowohl vom optischen Eindruck, von der Entfernung zum Baugrundstück und auch zu dessen Zu- und Ausfahrt, aber auch aufgrund der Abschirmung durch das Gebäude auf FlNr. …, eine gegenseitige Beeinflussung zwischen diesem Grundstück und dem Baugrundstück nicht als gegeben erscheint. Nach Osten wird die nähere Umgebung nach Auffassung der Kammer durch die östliche Grenze des Grundstücks FlNr. … begrenzt, nördlich der … könnte im Hinblick auf die abschirmende Wirkung des Gebäudes … in Verbindung mit der Krümmung der … die östliche Grundstücksgrenze der Grundstücke FlNrn. … und … angenommen werden. Aber selbst wenn man vorsorglich im Hinblick auf den Ein- und Ausfahrtsverkehr und den auf der … in der näheren Umgebung des Baugrundstücks von diesem ausgelösten Verkehr die Grundstücke FlNrn. … und … der näheren Umgebung hinzurechnen wollte, ändert dies nach Überzeugung der Kammer an der hier zu bestimmenden Eigenart des Gebiets und dem daraus abzuleitenden Schutzgrad für die Wohnung des Klägers nichts. Jedenfalls hält es die Kammer für ausgeschlossen, dass die erheblich weiter östlich gelegene Wohnbebauung entlang der … etwa in den Anwesen Nr. … und … noch zur näheren Umgebung gerechnet werden kann, da eine gegenseitige Beeinflussung zwischen diesen Anwesen und dem Baugrundstück nicht ersichtlich ist.
Die vorhandene und zu berücksichtigende Bebauung mit den dazugehörigen Nutzungen stellt nach Auffassung der Kammer kein Gebiet im Sinn der §§ 2 ff. BauNVO dar, sondern ist als stark gewerblich, insbesondere durch Einzelhandelsbetriebe, geprägte Gemengelage anzusehen. Ungeachtet der Frage, ob ein faktisches Sondergebiet großflächiger Einzelhandel überhaupt vorliegen kann, scheitert dies im hier maßgeblichen Bereich daran, dass auf den Grundstücken FlNr. … (Tankstelle), FlNr. … (Wohnnutzung in den Obergeschossen), FlNr. … (Diskothek und Wohnnutzung) andersartige zu beachtende Nutzungen vorhanden sind. Das Vorliegen eines Gewerbegebiets scheitert nach Auffassung der Kammer daran, dass hier eine Vielzahl großflächiger Handelsbetriebe vorliegt, bei denen zumindest bei einzelnen davon auszugehen ist, dass sie nach § 11 Abs. 3 BauNVO nur in Kerngebieten oder entsprechenden Sondergebieten zulässig sind. Im Übrigen würde die Annahme eines Gewerbegebiets, wie von der Beklagten vorgetragen, erst recht dazu führen, dass die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid festgesetzten Immissionsrichtwerte zum Schutz des Klägers ausreichen und dieser keinesfalls eine Festsetzung niedrigerer Immissionsrichtwerte verlangen kann.
Zwar wären alle hier vorhandenen Nutzungen einschließlich der Wohnnutzung in einem Kerngebiet generell oder ausnahmsweise zulässig, allerdings scheitert das Vorliegen eines Kerngebiets nach Auffassung der Kammer daran, dass zwar zahlreiche Handelsbetriebe im Gebiet vorhanden sind ebenso wie eine Vergnügungsstätte, andererseits aber keine zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur vorliegen. Dabei geht die Kammer davon aus, dass bei der Bestimmung des Schutzgrades der klägerischen Wohnung im Hinblick auf die gewerbliche Nutzung der Beigeladenen die im Kerngebiet geltenden Regelungen durchaus als Anhaltspunkte herangezogen werden können. Allerdings führt dies im vorliegenden Fall nicht zu einer quasi schematischen Übernahme der Immissionsrichtwerte der TA-Lärm, wo nach 6.1c) für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete einheitlich IRW von tags 60 dB(A) und nachts 45 dB(A) vorgesehen sind. Denn die in jedem Verfahren vorzunehmende Einzelfallprüfung führt aufgrund der Eigenart der hier vorliegenden Umgebung insbesondere der gewerblichen Prägung dazu, dass die Wohnnutzung im Anwesen des Klägers einen zwischen den Mischgebiets- und Gewerbegebietswerten der TA-Lärm liegenden IRW, nach Ansicht der Kammer mindestens 63 dB(A), für die Tagzeit hinnehmen muss. Denn hierbei ist zu beachten, dass die Wohnnutzung im Anwesen mit der Wohnung des Klägers, wenn sie nicht schon aufgrund ihrer isolierten Lage einen Fremdkörper darstellt, so doch aufgrund der einem Kerngebiet ähnlichen Umgebung, die von diesen Betrieben üblicherweise ausgehenden Lärmimmissionen, insbesondere den von diesen ausgelösten Verkehrslärm, hinzunehmen hat. In einem Kerngebiet wird der zulässige Störgrad durch die im Katalog des § 7 Abs. 2 BauNVO aufgeführten zulässigen Anlagen unter Berücksichtigung der nach § 7 Abs. 3 BauNVO als Ausnahmen zulassungsfähigen Anlagen bestimmt, was zur Folge hat, dass die gerade im Kerngebiet typischerweise vorgesehenen Handelsbetriebe dann mit ihren betriebsüblichen Auswirkungen auf die Umgebung grundsätzlich von den übrigen Nutzungen im Kerngebiet hinzunehmen sind (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, § 7, Rn. 13). Dieser Gedanke lässt sich auf das hier vorliegende Gebiet übertragen, in dem einzelne Wohnungen von einer großen Zahl umfangreicher Handelsbetriebe quasi umzingelt sind.
Unter Zugrundelegung des von der Kammer als ausreichend angesehenen Immissionsrichtwerts von 63 dB(A) tags stellt der von der Beklagten im angefochtenen Bescheid festgesetzte IRW von 57 dB(A) für die Tagzeit auch unter Berücksichtigung der Vorbelastung durch die in der Umgebung vorhandenen Gewerbebetriebe einen ausreichenden Schutz für die Wohnnutzung des Klägers dar, da dieser eine nach Nr. 3.2.1 TA-Lärm die Vorbelastung durch andere Gewerbebetriebe sicher ausschließende Reduzierung des IRW um 6 dB(A) ermöglicht. Diese gegenüber einem Misch-, Dorf- oder Kerngebiet erhöhte Lärmbelastung, der die klägerische Wohnung tagsüber ausgesetzt ist, erscheint der Kammer als zumutbar im Hinblick auf das hier im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB aus dem Begriff des Einfügens ableitbare Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme im Hinblick auf die Wohnnutzung des Klägers und den Betrieb der Beigeladenen. Denn zum einen wird die absolute Grenze unzumutbarer Belästigungen und Störungen, denen eine Wohnnutzung etwa in einem Kerngebiet ausgesetzt werden kann, nämlich die Beeinträchtigung gesunder Wohnverhältnisse, hier keinesfalls erreicht, entsprechendes wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Im Übrigen ist es dem Kläger in einer Situation wie der vorliegenden zuzumuten, Lärmkonflikte durch entsprechende bauliche Maßnahmen, gegebenenfalls auch nachträglich, zu lösen (vgl. BayVGH v. 14.10.2014 – 12 BV 14.1629 – juris, Nr. 32). Schließlich hat sich die vorliegende Situation über viele Jahre entwickelt, ohne dass der Kläger dem wirksam entgegengetreten wäre, diese situationsbedingte Vorbelastung ist dabei zulasten des Klägers zu berücksichtigen.
Maßgeblich erscheint der Kammer aber der Umstand, dass gerade in der für die Wohnnutzung besonders bedeutenden Nachtzeit die hier von den in der näheren Umgebung des Baugrundstücks vorhandenen gewerblichen Nutzungen für das Anwesen des Klägers ausgehenden Störungen deutlich geringer sind und eine Einhaltung der Dorf-, Misch- oder Kerngebietwerte der TA-Lärm von 45 dB(A) ohne weiteres erwarten lassen. Was die während der Nachtzeit zu erwartenden betrieblichen Immissionen angeht, die von den in der näheren Umgebung gelegenen Nutzungen ausgehen, so kann beim gegenständlichen Betrieb der Beigeladenen auf den in der vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme vom 14. Juli 2014 errechneten Immissionsbeitrag von 36,9 dB(A) in der Nachtzeit am Anwesen des Klägers verwiesen werden, der auch von der Klägerseite nicht substantiiert bezweifelt wurde. Dies gilt umso eher, als nach den dem gegenständlichen Bauantrag für die Änderungsgenehmigung beigefügten Unterlagen eine Betriebszeit von 7.00 Uhr bis 20.00 Uhr angegeben ist, wobei aber selbst bei der von der Beklagten und dem Gutachter angenommenen Betriebszeit von 6.00 Uhr bis 22.00 Uhr ein über 22.00 Uhr hinausgehender Verkehr nicht zu erwarten wäre. Tatsächlich ist hier nach den Angaben des Beigeladenen wie auch nach der Beschilderung am Ein- und Ausfahrtstor von einer Schließung der Zufahrt und damit Absperrung des Parkplatzes auf dem Baugrundstück zwischen 20.00 Uhr und 7.00 Uhr auszugehen. Soweit in dem Anwesen … im Keller- und Erdgeschoss eine Diskothek genehmigt ist, befinden sich im gleichen Anwesen in den beiden Obergeschossen Wohnungen, sei es in genehmigter, sei es in geduldeter Form. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass von dieser Diskothek beim Anwesen des Klägers unzumutbare Lärmbelastungen nachts ausgehen. Soweit der Kläger auf möglichen nächtlichen Lieferverkehr, insbesondere bei Märkten mit Food-Sortiment hinweist, so liegen die betreffenden Märkte, nämlich … und … so weit vom Grundstück des Klägers entfernt, auch sind die Laderampen jeweils an den vom Grundstück des Klägers abgewandten Nord- bzw. Ostseiten vorhanden, so dass selbst bei nächtlichem Lieferverkehr in einem der Größe dieser Märkte entsprechenden Umfang nicht von einer relevanten Belastung beim Anwesen des Klägers ausgegangen werden kann. Dies gilt auch für eventuelle Kühlaggregate. Auch eine merkliche Lärmeinwirkung sonstiger Gewerbebetriebe in der näheren Umgebung des Baugrundstücks oder des Grundstücks des Klägers ist weder ersichtlich noch belegt.
Nachdem in der angefochtenen Änderungsgenehmigung nach Auffassung der Kammer zum Schutz des Klägers ausreichende Bestimmungen zu seinem Schutz vor unzumutbarem Lärm enthalten sind, könnte eine Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung insoweit allenfalls dann vorliegen, wenn ausgeschlossen wäre, dass bei bestimmungsgemäßem Betrieb im Umfang der genehmigten Nutzung eine Einhaltung dieser Immissionsrichtwerte zu erwarten wäre. Davon kann aber nach Überzeugung der Kammer nicht ausgegangen werden. Die Kammer hält wie die Beklagte die vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 14. Juli 2014 für ausreichend und zutreffend, um die Einhaltbarkeit der festgesetzten Immissionsrichtwerte beim Anwesen des Klägers im Hinblick auf den Betrieb der Beigeladenen zu belegen. Soweit dort für die 13 Tagesstunden zwischen 7.00 Uhr und 20.00 Uhr jeweils 460 Fahrzeugbewegungen der Berechnung zugrunde gelegt werden, erscheint dies der Kammer im Hinblick auf die auf dem Baugrundstück vorhandenen Stellplätze und die Art des Betriebs als realistisch und nachvollziehbar; denn dies bedeutet, dass von einem stündlichen Wechsel auf etwa 80% der vorhandenen Stellplätze für die gesamte Betriebszeit ausgegangen wird. Dass hier nicht von einer stündlich wechselnden Belegung sämtlicher Stellplätze während der gesamten Betriebszeit ausgegangen wird, kann nach Auffassung der Kammer dem Gutachten nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, da eine solche rein rechnerische Maximalabschätzung zwar jeglichen auch theoretischen Zweifel an der Einhaltung der Grenzwerte ausschlösse, aber realistischerweise im täglichen Betrieb praktisch nicht erwartet werden kann. Gerade bei einem Bau- und Gartenmarkt ist allein aufgrund der Größe der Ausstellungs- und Verkaufsfläche nicht von einer kürzeren Verweildauer als im Gutachten durchschnittlich angenommen, auszugehen, darüber hinaus dürfte die Belegung der Stellplätze in den Randzeiten, insbesondere am frühen Vormittag, wie auch die Belegung des Parkplatzes während des Augenscheins demonstriert, die aus den Lichtbildern erkennbar ist, deutlich geringer sein als 80%. Da somit die Baugenehmigung ausreichende Schutzvorschriften im Hinblick auf die Wohnnutzung des Klägers vor betrieblichem Lärm, ausgelöst vom Betrieb des Beigeladenen, enthält und die eingereichten Bauunterlagen, die bei der Prüfung der Baugenehmigung heranzuziehen sind, hinreichende Erkenntnisse für die Beurteilung insoweit enthalten, war eine Beweisaufnahme wie vom Kläger beantragt, insbesondere im Hinblick auf die jetzige tatsächliche Nutzung ebenso wenig erforderlich wie im Hinblick auf die Lärmvorbelastung in der Umgebung.
Sollten der Beklagten, zum Beispiel durch den Kläger, konkrete Tatsachen bekannt werden, die auf eine Überschreitung der zutreffend festgesetzten Emissionsrichtwerte durch den Betrieb der Beigeladenen schließen ließen, könnte die Beklagte, wie in der Auflage Nr. 36 verfügt, tätig werden.
Nachdem eine Verletzung sonstiger nachbarschützender Rechte des Klägers durch die angefochtene Baugenehmigung nicht ersichtlich ist, war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 VwGO, i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO, wobei es hier der Billigkeit entspricht, dem unterlegenen Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese sich aktiv am Verfahren beteiligt und durch Antragstellung auch ein Kostenrisiko übernommen hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 709 ZPO.
Die Berufung war hier nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO nicht vorliegen. Insbesondere handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung, bei der eine grundsätzliche Bedeutung für die Kammer nicht ersichtlich ist.


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