Baurecht

Streitwert bei Nachbarklage gegen Genehmigung zum Bau und Betrieb einer Seilbahn

Aktenzeichen  22 C 20.376

Datum:
30.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2020, 678
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 3, § 68

 

Leitsatz

1. Eine erstinstanzliche Streitwertfestsetzung kann in einem anhängigen Streitwertbeschwerdeverfahren auch dann von Amts wegen nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG geändert werden, wenn die Streitwertbeschwerde mangels Erreichens der erforderlichen Beschwer unzulässig ist (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2010, 50690; Abgrenzung zu OVG Mecklenburg-Vorpommern BeckRS 9998, 94035). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die Genehmigung zum Bau und Betrieb einer Seilbahn wegen einer Beeinträchtigung seines Eigentums ist mit einer Nachbarklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vergleichbar. Demgemäß ist es gerechtfertigt, den Streitwert für eine solche Klage entsprechend der Regelung in Ziff. 34.2 iVm Ziff. 2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit für Klagen eines drittbetroffenen Privaten gegen einen Planfeststellungsbeschluss zu bemessen. (Rn. 8 und 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 6 K 19.1128 2019-11-06 Bes VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 6. November 2019 wird der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren auf 15.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
In dem der vorliegenden Streitwertbeschwerde zugrunde liegenden Klageverfahren wandte sich der Kläger gegen eine der Beigeladenen mit Bescheid des Beklagten vom 19. Juni 2019 erteilte Genehmigung zum Bau und Betrieb einer Seilbahn (Neubau der Nebelhornbahn). Die Klage wurde u.a. damit begründet, dass durch den Betrieb der Seilbahn für den Kläger, dessen Eigentumswohnung sich unterhalb der Trasse der Bahn befindet, unzumutbare Beeinträchtigungen durch Schattenwurf sowie dadurch entstünden, dass aus den Seilbahnkabinen der Wohnbereich des Klägers eingesehen werden könne. Das Verwaltungsgericht Augsburg wies die Klage mit Urteil vom 6. November 2019, berichtigt durch Beschlüsse vom 7. November 2019 und 30. Januar 2020, ab und erlegte dem Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auf. Mit Beschluss ebenfalls vom 6. November 2019 setzte das Verwaltungsgericht den Streitwert unter Bezugnahme auf § 52 Abs. 1, Abs. 2 GKG auf 5.000 € fest.
Mit Schriftsatz vom 17. Januar 2020, am gleichen Tag beim Verwaltungsgericht eingegangen, legte der Bevollmächtigte der Beigeladenen, der diese schon im erstinstanzlichen Verfahren vertreten hatte, im Namen der Beigeladenen Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss ein und beantragte die Festsetzung des Streitwertes auf mindestens 15.000 €. Der Streitwertkatalog sehe bei Nachbarklagen gegen (immissionsschutzrechtliche und andere) Planfeststellungen einen Streitwert für Eigentumsbeeinträchtigungen in Höhe der Wertminderung des Nachbargrundstücks, regelmäßig von 50% des Verkehrswertes, und bei sonstigen Beeinträchtigungen von 15.000 € vor (Ziff. 19.2. i.V.m. Ziff. 2.2 des Streitwertkatalogs). Die streitgegenständliche Bau- und Betriebsgenehmigung ähnele einem Planfeststellungsverfahren, auf dessen Vorschriften in Art. 14 Abs. 2 BayESG verwiesen werde. Der Kläger habe eine Beeinträchtigung seines Eigentumsgrundrechts, aber auch sonstige Beeinträchtigungen (Unzumutbarkeit des Schattenwurfs) geltend gemacht. Selbst bei einer Klage gegen eine schlichte Baugenehmigung sehe Ziff. 9.7.1 des Streitwertkatalogs einen Streitwert von 7.500 – 15.000 € vor, soweit nicht ein höherer wirtschaftlicher Schaden feststellbar sei. Zudem habe der Kläger öffentlich erklärt, zugleich im Interesse von 192 Nachbarn zu handeln, so dass der Rahmen auszuschöpfen sei.
Das Verwaltungsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 30. Januar 2020 nicht ab. Das Verfahren sei nicht mit einer Planfeststellung vergleichbar, in der der Kläger auch objektive Rechtsverstöße geltend machen könne (z.B. Art. 14 GG).
Der Kläger äußerte sich gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof dahin, dass der Streitwert von 5.000 € angemessen sei, weil die behauptete Beeinträchtigung nur für den Kläger und wegen der Einsichtsmöglichkeit durch die überfahrende Kabine bestehe. Der Beklagte sah von einer Stellungnahme ab.
II.
1. Für die Entscheidung ist vorliegend nach § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Hs. 2 GKG der Senat zuständig, weil der angegriffene Streitwertbeschluss nicht von einem Einzelrichter, sondern von der Kammer erlassen wurde.
Ob die Beschwerde zulässig ist, insbesondere ob die Beigeladene angesichts des aus ihrer Sicht zu niedrig festgesetzten Streitwertes ihre Beschwer hinreichend dargelegt hat, kann hier dahinstehen, weil der Senat vorliegend von der durch § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch macht, den Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts von Amts wegen zu ändern. Der Senat geht dabei davon aus, dass die Änderungsbefugnis von Amts wegen auch im Fall einer möglicherweise mangels Beschwer unzulässigen Streitwertbeschwerde besteht. Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG kann die Festsetzung von dem Rechtsmittelgericht u.a. dann von Amts wegen geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Entscheidung über den Streitwert in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Dem Wortlaut der Norm lässt sich keine Einschränkung dahingehend entnehmen, dass dies nur bei einem zulässigen Rechtsmittel gälte. Die Formulierung „schwebt“ fordert lediglich, dass die Sache in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist (vgl. NdsOVG, B.v. 1.7.2010 – 8 OA 117.10 – juris Rn. 5 m.w.N.; a.A. Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 4. Aufl. 2019, § 63 GKG Rn. 10 u.a. unter Berufung auf OVG MV, B.v. 9.2.1994 – 3 O 50.93 – juris Rn. 10 ff.; die Entscheidung betrifft jedoch den Sonderfall eines gesetzlichen Rechtsmittelausschlusses).
Die Änderung des Streitwertes erfolgt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG innerhalb von sechs Monaten nach dem Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache; die übrigen Beteiligten wurden angehört.
2. Die streitgegenständliche Genehmigung zum Neubau und Betrieb der Nebelhornbahn wurde auf der Grundlage des Bayerischen Eisenbahn- und Seilbahngesetzes erteilt. Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 enthält für die Drittanfechtung derartiger Genehmigungen keine eigene Regelung; das Verwaltungsgericht hat den Auffangstreitwert nach § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt. Die vorliegende Konstellation, in der der Kläger die Beeinträchtigung seines Eigentums u.a. durch Schattenwurf geltend gemacht hat, ist nach Auffassung des Senats jedoch entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts vergleichbar mit einer Nachbarklage gegen einen Planfeststellungsbeschluss oder eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung. In diesen Fällen werden von betroffenen Dritten regelmäßig vergleichbare Beeinträchtigungen ihres Eigentums geltend gemacht. Aus dem Vortrag des Klägers im Verfahren der Streitwertbeschwerde ergibt sich nichts Anderes, zumal entgegen seiner nunmehrigen Darstellung auch der Schattenwurf durch die Kabinen angegriffen war und vom Verwaltungsgericht ausführlich behandelt wurde.
Der Streitwertkatalog sieht für Klagen eines drittbetroffenen Privaten gegen einen Planfeststellungsbeschluss nach Ziffer 34.2 i.V.m. Ziffer 2.2 bei Eigentumsbeeinträchtigungen den Betrag der Wertminderung des Grundstücks, regelmäßig 50% des geschätzten Verkehrswertes (Ziffer 2.2.1), wegen sonstiger Beeinträchtigungen einen Streitwert von 15.000 € (Ziffer 2.2.2) vor (s. auch Ziffer 34.2.1.1 des Streitwertkatalogs für Beeinträchtigungen eines Eigenheimgrundstücks oder einer Eigentumswohnung: 15.000 €). Dabei wird bei der Anwendung des Streitwertes nach Ziffer 34.2 i.V.m. Ziffer 2.2 bei Planfeststellungsverfahren in der Rechtsprechung nicht danach differenziert, ob der Drittbetroffene enteignungsbetroffen ist und daher einen Anspruch auf Vollüberprüfung des Planfeststellungsbeschlusses hat, oder ob eine sonstige Eigentumsbetroffenheit besteht, die im gerichtlichen Verfahren nur zur Geltendmachung subjektiver Rechtspositionen berechtigt. Auf die Regelung in Ziffer 2.2 wird darüber hinaus auch durch Ziffer 19.2 des Streitwertkatalogs verwiesen, die Klagen eines drittbetroffenen Privaten gegen immissionsschutzrechtliche Genehmigungen behandelt.
Bei einer entsprechenden Anwendung von Ziffer 2.2 des Streitwertkatalogs scheidet vorliegend eine über den Betrag von 15.000 € hinausgehende Streitwertfestsetzung allerdings aus, weil es an Angaben vorliegend zum Wert des betroffenen Eigentums und einer eventuellen Wertminderung fehlt. Vielmehr erscheint nach Auffassung des Senats unter vergleichender Heranziehung von Ziffern 34.2 und 19.2 jeweils i.V.m. Ziffer 2.2.2 des Streitwertkatalogs ein Streitwert von 15.000 € angemessen.
3. Eine Entscheidung über die Kosten und den Streitwert ist entbehrlich. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 68 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG; § 152 Abs. 1 VwGO).


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