Baurecht

Unwirksamkeit einer Klarstellungs- und Einbeziehungssatzung

Aktenzeichen  15 N 20.1018

Datum:
13.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 793
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 1, Nr. 3, S. 2, Abs. 5 S. 2
GG Art. 14 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Die deklaratorische oder konstitutive Festlegung der Grenzen des bauplanungsrechtlichen Innenbereichs über § 34 Abs. 4 BauGB betrifft unmittelbar die Rechtssphäre der Eigentümer von Grundstücken im Satzungsgebiet, weil damit Inhalt und Schranken des Eigentums von Grundstücken gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG geregelt werden. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Bebauung i.S.d. § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB gehören grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Bauwerke, die nur vorübergehend genutzt werden, gehören in der Regel nicht dazu, unabhängig davon, welchen Zwecken sie dienen, da sie keine Bauten sind, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nach § 34 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 BauGB soll nicht eine vom bebauten Bereich räumlich abgesetzte Fläche durch schlichte Satzung als Baufläche ausgewiesen werden können. Vielmehr muss es sich um Bereiche handeln, die zwar noch nicht in den „Zusammenhang“ i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB gehören, aber nicht so weit von diesem entfernt sind, dass ihre Bebauung eindeutig „nicht mehr dazugehören kann“. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die am 23. Juli 2019 ortsüblich bekannt gemachte Ortsabrundungssatzung der Antragsgegnerin für den Ortsteil „A* …“ ist unwirksam.
II.    Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.     
III.    Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckba     
IV.    Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung über den Normenkontrollantrag entscheiden, da sich die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 9. und 16. Dezember 2020 damit einverstanden erklärt haben (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Der zulässige Antrag hat Erfolg, denn die angefochtene Ortsabrundungssatzung ist unwirksam.
1. Der Antragsteller ist als Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich der angefochtenen Satzung antragsbefugt. Die deklaratorische oder konstitutive Festlegung der Grenzen des bauplanungsrechtlichen Innenbereichs über § 34 Abs. 4 BauGB betrifft unmittelbar die Rechtssphäre der Eigentümer von Grundstücken im Satzungsgebiet, weil damit Inhalt und Schranken des Eigentums von Grundstücken gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG geregelt werden (vgl. BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 15 N 17.1194 u.a. – NVwZ-RR 2019, 847 = juris Rn. 19; BVerwG, U.v. 22.9.2010 – 4 CN 2.10 – BVerwGE 138, 12 = juris Rn. 19). Eine reine Klarstellungssatzung, die die Grenze des im Zusammenhang bebauten Ortsteils ausschließlich gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB deklaratorisch, aber nach außen verbindlich festlegt, könnte ihren Zweck nicht erfüllen, einzelne Baugenehmigungsverfahren vom Streit über die Zugehörigkeit des Baugrundstücks zum Innenbereich zu entlasten, wenn nicht die betroffenen Eigentümer diesbezügliche Rechtsfragen über einen Normenkontrollantrag klären könnten (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2010 a.a.O.; BayVGH, U.v. 25.11.2014 – 15 N 12.2588 – juris Rn. 12). Dies muss erst recht gelten, wenn über eine Satzung gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB, deren Erlass einen Vorgang bodenrechtlicher Planung darstellt (vgl. BVerwG, U.v. 22.9.2010 a.a.O. juris 15), bisher im Außenbereich (§ 35 BauGB) gelegene Flächen konstitutiv in den Innenbereich (§ 34 Abs. 1 BauGB) einbezogen werden, denn die Reichweite des Satzungsumgriffs entscheidet darüber, ob bzw. welche Eigentümer untereinander Abwehransprüche oder Gebietserhaltungsansprüche (vgl. z.B. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – ZfBR 2013, 783 = juris Rn. 3 f. m.w.N.) gegen Einzelbauvorhaben geltend machen können.
2. Der Antrag ist begründet, denn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 3 BauGB sind nicht erfüllt.
2.1 Es kann dabei offenbleiben, ob es sich bei dem von drei landwirtschaftlichen (oder ehemals landwirtschaftlich genutzten) Anwesen und dem Campingplatz geprägten Weiler „A* …“ mit höchstens sieben Wohnhäusern überhaupt um einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB (Klarstellungssatzung), also um eine Bebauung mit gewissem Gewicht und einer organischen Siedlungsstruktur handelt (vgl. zu den Voraussetzungen einer Klarstellungssatzung Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand August 2020, § 34 BauGB Rn. 96 f.; BayVGH, U.v. 27.7.2018 – 15 B 17.1169 – juris Rn. 25 m.w.N.).
Selbst wenn es sich um einen solchen Ortsteil handeln sollte, würde der Bebauungszusammenhang jedenfalls nicht bis zu dem Feldweg westlich des Hofgrundstücks reichen. Zur Bebauung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehören grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BayVGH, U.v. 13.3.2019 – 15 N 17.1194 – juris Rn. 23; BVerwG, B.v. 2.3.2000 – 4 B 15.00 – BauR 2000, 1310 m.w.N.; VGH BW, U.v. 18.1.2011 − 8 S 600/09 – juris), wozu im Einzelfall auch landwirtschaftlichen oder erwerbsgärtnerischen Zwecken dienende Betriebsgebäude gehören können (vgl. BVerwG, B.v. 2.4.2007 – 4 B 7.07 – juris Rn. 5). Bauwerke, die – wie eine Scheune oder ein Stall – nur vorübergehend genutzt werden, gehören in der Regel aber nicht dazu, unabhängig davon, welchen Zwecken sie dienen, da sie keine Bauten sind, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen (BVerwG, U.v. 30.6.2015 – 4 C 5.14 – BVerwGE 152, 275 = juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – ZfBR 2017, 471 = juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris Rn. 3). Zwar können am Ortsrand auch jenseits der Außenwand des letzten Wohnhauses liegende bauakzessorisch genutzte Grundstücksteile wie z.B. ein angemessener Bereich privater Hausgartennutzung als noch vom Wohnbereich geprägt angesehen werden, sodass derartige Bereiche mit Nebenanlagen am Ortsrand nach Einzelfallbetrachtung ggf. noch dem Innenbereich zugerechnet werden können. Derartige – kleinere – Flächen können die Eigenart der näheren Umgebung mithin ggf. noch „mitprägen“ und demgemäß die Außengrenzen des Innenbereichs nach § 34 Abs. 1 BauGB mitdefinieren, soweit sie einer baulichen Hauptanlage ohne weiteres erkennbar zugeordnet sind (vgl. BayVGH, B.v. 23.5.2007 – 2 ZB 07.455 – juris Rn. 2; B.v. 27.1.2010 – 9 ZB 08.37 – juris Rn. 3 m.w.N.; SächsOVG, U.v. 23.10.2000 – 1 D 33/00 – NVwZ-RR 2001, 426 = juris Rn. 39; OVG SH, U.v. 17.5.2001 – 1 K 21/98 – NVwZ-RR 2002, 485 = juris Rn. 21). Ansonsten können Standorte von Nebengebäuden, die derart weit von Hauptgebäuden abgesetzt sind‚ dass sie außerhalb des näheren Umgriffs liegen, nicht mehr dem Innenbereich zugeordnet werden (BayVGH, U.v. 13.4.2015 – 1 B 14.2319 – juris Rn. 20). Aufgrund dessen ist der westliche, mit Büschen und Bäumen bewachsene Teil des Hofgrundstücks sowie die kleineren Nebengebäude und der Strommast auf FlNrn. … … und … nicht als bebauungsakzessorische Nutzung dem gewachsenen Innenbereich i.S. von § 34 Abs. 1 BauGB zuzuordnen. Die genannten Flächen hätten in der Planzeichnung zur Satzung als einbezogene Außenbereichsflächen i.S.v. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 35 BauGB dargestellt werden müssen. Darüber hinaus sind auch im südlichen und östlichen Bereich des Satzungsumgriffs unbebaute Flächen als Innenbereich festgelegt, die möglicherweise nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnehmen.
2.2 Die Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB (Einbeziehungssatzung) sind hinsichtlich der einzubeziehenden Teilfläche auf FlNr. … nicht gegeben. Dafür müssen die einzelnen einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs geprägt sein (vgl. Söfker a.a.O. Rn. 115). Dies richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls. Zwar kommt auch eine einseitige Prägung durch die vorhandene Bebauung in Betracht (vgl. HessVGH, U.v. 4.5.2010 – 4 C 1742/08.N – NVwZ-RR 2010, 835 = juris Rn. 34). Allerdings müssen schon nach dem Wortlaut der gesetzlichen Ermächtigung die Außenbereichsflächen, die einbezogen werden, grundsätzlich unmittelbar an im Zusammenhang bebaute Ortsteile angrenzen (OVG RhPf, U.v. 9.11.2005 – 8 C 10463/05 – juris Rn. 19; NdsOVG, U.v. 27.3.2008 – 1 KN 235/05 – juris Rn. 19). Es soll also nicht eine vom bebauten Bereich räumlich abgesetzte Fläche durch schlichte Satzung als Baufläche ausgewiesen werden können. Es muss sich um Bereiche handeln, die zwar noch nicht in den „Zusammenhang“ i.S.d. § 34 Abs. 1 BauGB gehören, aber nicht so weit von diesem entfernt sind, dass ihre Bebauung eindeutig „nicht mehr dazugehören kann“ (NdsOVG, U.v. 27.3.2008 a.a.O. m.w.N.; im systematischen Vergleich zu § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB vgl. auch OVG RhPf, U.v. 9.11.2005 a.a.O. Rn. 19). Ein solcher Fall liegt hier nach den Luftbildern und Lageplänen nicht vor. Das nach der Satzungsbegründung einbezogene Grundstück FlNr. … liegt, getrennt durch einen Feldweg, an dem sich nur kleinere landwirtschaftliche Nebengebäude befinden, weit abseits eines möglicherweise bestehenden Bebauungszusammenhangs und wird weder von der Bebauung auf dem Hofgrundstück des Antragstellers noch von der Bebauung auf FlNr. … geprägt.
2.3 Die fehlerbegründenden Umstände, dass mit der Satzung unter Verstoß gegen § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB dem einbezogenen Grundstück die Prägung durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Innenbereichs fehlt, führen zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans. Die Unwirksamkeit bestimmter Festsetzungen hat unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 139 BGB nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans zur Folge, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn mit Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch eine Satzung ohne den unwirksamen Teil beschlossen hätte (vgl. BayVGH, U.v. 4.8.2017 – 15 N 15.1713 – NVwZ-RR 2017, 953 = juris Rn. 40 m.w.N.; U.v. 11.5.2018 – 15 N 17.1175 – KommJur 2018, 268-271 = juris Rn. 40 m.w.N.). Jedenfalls Letzteres ist vorliegend zu verneinen, denn nach der Satzungsbegründung wurde das Satzungsverfahren nur eingeleitet, um Baurecht auf der FlNr. … zu schaffen.
2.4 Bezüglich der weiteren vom Antragsteller vorgebrachten Einwände (Verletzung des Rücksichtnahmegebots, Gefälligkeitssatzung) bedarf es keiner weiteren Ausführungen, da die Satzung schon die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB nicht erfüllt und damit unwirksam ist.
3. Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass die im zeichnerischen Teil unter Nr. 1 und 2 erläuterten Festsetzungen durch Planzeichen im Plan keine Verwendung gefunden haben (außer die Festsetzung von Baugrenzen), und damit nicht ersichtlich ist, wo sie Geltung beanspruchen sollen. Darüber hinaus bestehen aber auch erhebliche Bedenken, ob die zahlreichen getroffenen Festsetzungen i.S.d. § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB zulässig sind. Festsetzungen können nach § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB nur für Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauGB getroffen werden. Eine Überplanung des gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB nur deklaratorisch festgestellten Innenbereichs kommt nach § 34 Abs. 5 Satz 2 BauGB nicht in Betracht (vgl. Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, § 34 BauGB, Rn. 121), wird hier aber in Form von Baugrenzen, Firstrichtungen und Nutzungsarten vorgenommen. Bezüglich der einbezogenen Fläche wäre darüber hinaus fraglich, ob es sich tatsächlich nur um einzelne ergänzende Festsetzungen handelt, die sich entsprechend der Funktion der Satzung auf die spezifische Zielsetzung, den Innenbereich um einzelne Außenbereichsflächen zu ergänzen, zu beschränken haben (vgl. Söfker a.a.O. § 34 BauGB Rn. 121 mit Hinweis auf BVerwG B.v. 13.3.2003 – 4 BN 20.03 – juris).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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