Baurecht

Unzulässige Nachbarklage gegen Vorbescheid für Biergartenerweiterung – Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis

Aktenzeichen  M 1 K 17.2455

Datum:
24.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 23371
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
VwGO § 74 Abs. 1
VwZVG Art. 8 Abs. 1 S. 1, S. 2

 

Leitsatz

1. Legt der Klägerbevollmächtigte keine schriftliche Vollmacht bei der Behörde vor, hat diese gem. Art. 8 Abs. 1 S. 1 VwZVG ein Wahlrecht, an wen sie die Zustellung vornimmt. Die Behörde muss die Zustellung nicht gem. Art. 8 Abs. 1 S. 2 VwZVG zwingend an den Klägerbevollmächtigten richten. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Rechtmäßigkeit einer Baugenehmigung bleibt es ohne Folgen, wenn eine Nachbarbeteiligung in behördlichen Verfahren unterblieben ist. Mit der Zustellung der Baugenehmigung oder des Vorbescheides wird dem Nachbarn die Möglichkeit eröffnet, in einem Rechtsbehelfsverfahren seine Einwendungen vorzubringen und seine Rechte geltend zu machen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
1. Die Klage ist bereits unzulässig. Der Klägerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, denn sie kann hierdurch ihre Rechtsposition nicht mehr verbessern. Das streitige Bauvorhaben ist bestandskräftig bauaufsichtlich genehmigt. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO betreffend die Baugenehmigung wurde versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden.
Die Klägerin hat gegen die ihr persönlich am 14. Dezember 2017 zugestellte Baugenehmigung nicht rechtzeitig Klage erhoben. Sie muss die Zustellung der Baugenehmigung an sie persönlich zu diesem Datum gegen sich gelten lassen. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob das Landratsamt aus der Beteiligung des Klägerbevollmächtigten im Vorbescheidsverfahren schließen musste, dass er auch für ein folgendes Baugenehmigungsverfahren mandatiert ist. Geht man hiervon aus, hatte die Behörde jedenfalls ein Wahlrecht gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG, an wen sie die Zustellung vornimmt. Sie musste die Zustellung nicht gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG zwingend an den Klägerbevollmächtigten richten, weil dieser keine schriftliche Vollmacht bei der Behörde vorgelegt hatte.
Die Vollmacht vom 30. April 2008, auf die der Klägerbevollmächtigte sich im Klageverfahren beruft, reicht zur Erfüllung des Tatbestands von Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VwZVG nicht aus. Es fehlt zum einen der zeitliche Zusammenhang zwischen der Vollmacht aus dem Jahr 2008 und dem Baugenehmigungsverfahren im Jahr 2017. Zudem betraf die Vollmacht vom 30. April 2008 das ursprüngliche bauaufsichtliche Genehmigungsverfahren für den Biergartenbetrieb, das mit Erteilung der Baugenehmigung abschloss. Vorliegend ging es in einem neuen Verwaltungsverfahren um die bauaufsichtliche Zulässigkeit der Erweiterung dieses Biergartens. Nach ihrem Wortlaut umfasst die Vollmacht vom 30. April 2008 zwar auch „Neben- und Folgeverfahren aller Art“. Aus der beispielhaften Aufzählung im Klammerzusatz der Vollmacht „(z.B. Arrest und einstweilige Verfügung, Kostenfestsetzungs-, Zwangsvollstreckungs-, Interventions-. Zwangsversteigerungs-, Zwangsverwaltungs-, und Hinterlegungsverfahren sowie Insolvenz- und Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gegners)“ lässt sich jedoch ersehen, dass ein neues, selbständiges Verwaltungsverfahren wie das vorliegende damit nicht gemeint sein kann. Es lag somit keine auf das konkrete Bauvorhaben bezogene Vollmacht beim Landratsamt vor, weshalb dieses gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 1 VwZVG die Zustellung an die Klägerin persönlich mittels Postzustellungsurkunde wählen durfte. Sie erfolgte am 14. Dezember 2017; Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Zustellung aus einem sonstigen Grund gibt es nicht.
Die Klagefrist von § 74 Abs. 1 VwGO wurde versäumt, denn die Klage gegen den am 14. Dezember 2017 zugestellten Baugenehmigungsbescheid wurde erst in der mündlichen Verhandlung vom 24. April 2018 durch den Klägerbevollmächtigten zur Niederschrift erhoben. Die zugleich beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO kann nicht gewährt werden, denn weder wurde vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die Klägerin ohne ihr Verschulden verhindert gewesen wäre, die einmonatige Klagefrist einzuhalten (§ 60 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 VwGO), noch sind solche Umstände ersichtlich.
Somit liegt eine bestandskräftige Baugenehmigung für die streitige Biergartenerweiterung vor. Durch die Anfechtung des hierzu ergangenen Vorbescheids im Sinne von Art. 71 BayBO kann die Klägerin ihre Rechtsstellung deshalb nicht mehr verbessern. Eine Aufhebung des Vorbescheids würde die Bestandskraft der Baugenehmigung nicht berühren.
2. Die Klage wäre aller Wahrscheinlichkeit nach im Übrigen aber auch unbegründet. Der Vorbescheid gemäß Art. 71 BayBO vom 27. April 2017 verletzt die Klägerin wohl nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
a) Es bleibt rechtlich folgenlos, dass die Klägerin als Eigentümerin eines benachbarten Grundstücks nicht an dem Vorbescheidsverfahren beteiligt wurde. Zwar bestimmt Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO, dass den Nachbarn der Lageplan und die Bauzeichnungen zur Unterschrift vorzulegen sind. Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO ist jedoch einem Nachbarn, der nicht zugestimmt hat oder dessen Einwendungen nicht entsprochen wurde, eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen; dies gilt entsprechend für den Vorbescheid, es sei denn, Art. 71 Satz 4 Halbsatz 2 BayBO kommt zur Anwendung, was hier nicht der Fall war. Hieraus folgert die ganz herrschende Meinung, dass es für die Rechtmäßigkeit des Bescheids ohne Folgen bleibt, wenn eine Nachbarbeteiligung in behördlichen Verfahren unterblieben ist. Denn mit der Zustellung der Baugenehmigung oder, wie hier, des Vorbescheids wird dem Nachbarn die Möglichkeit eröffnet, in einem Rechtsbehelfsverfahren seine Einwendungen vorzubringen und seine Rechte geltend zu machen.
b) Zwar können Nachbarn sich grundsätzlich im unbeplanten Innenbereich auf das in § 34 Abs. 1 BauGB im Begriff des „sich Einfügens“ verankerte baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme berufen. Es ist aber nicht anzunehmen, dass von dem streitigen Vorhaben für die Klägerin unzumutbare Immissionen ausgehen. Vielmehr spricht alles dafür, dass der Immissionsrichtwert für Mischgebiete zur Tagzeit gemäß Nr. 6.1 Buchst. c TA Lärm in der zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses geltenden Fassung von 60 dB(A) eingehalten bleibt.
Die Einstufung der näheren Umgebung als Mischgebiet (§ 6 BauNVO) ist wohl zutreffend. In der näheren Umgebung des Vorhabens befindet sich ein …-Markt, im Anwesen der Klägerin ein …imbiss, südlich davon an der E… … Straße eine kleine Auto… …, nördlich an der Ecke D… … Straße / E… … Straße das Vereinsheim des … und westlich davon an der Ecke E… … Straße / H… … die … Grund- und Mittelschule. Es ist somit wohl zu Recht der Immissionsrichtwert von Nr. 6.1 Buchst. c TA Lärm für Mischgebiete zugrunde gelegt worden.
In der immissionsschutzfachlichen Stellungnahme vom 18. April 2017 wurde das Wohngrundstück der Klägerin als maßgeblicher nächstgelegener Immissionsort betrachtet. Im Ergebnis wurde unter Einbeziehung des Vorhabens als Punkt- und als Flächenquelle ein Gesamtbeurteilungspegel an diesem Immissionsort von maximal 57 dB(A) prognostiziert. Entsprechend ist in der Auflage Nummer 2 zur Baugenehmigung bestimmt, dass der Beurteilungspegel aller vom Gelände ausgehenden Geräusche und somit auch der von der streitigen Biergartenerweiterung um 40 Sitzplätze sowie dem geplanten, 64,07 qm² großen Kinderspielplatz ausgehenden Lärmeinwirkungen am Anwesen der Klägerin den Immissionsrichtwert von tagsüber 57 dB(A) nicht überschreiten darf. Die Auflage Nummer 3 stellt sicher, dass der Betrieb auf die Tagzeit beschränkt wird und somit ab 22:00 Uhr sich keine Gäste mehr im Freien aufhalten dürfen. Gemäß der Auflage Nummer 5 ist ferner nach 22:00 Uhr auch das Abräumen der Tische sowie das Zusammenstellen von Stühlen und Tischen nicht mehr erlaubt. Nach der Auflage Nummer 4 ist gewährleistet, dass weder Unterhaltungseinrichtungen noch Musikdarbietungen im Freien erfolgen dürfen. Schließlich dient auch die Auflage Nummer 8 dem Schutz der Klägerin, wonach bei Errichtung und Betrieb von Spielgeräten nur schallgedämpftes Material verwendet werden darf. Zwar sieht Nummer 3.2.1 Abs. 2 der TA Lärm vor, dass die von einem Vorhaben ausgehende Zusatzbelastung den Emissionsrichtwert um 6 dB(A) unterschreiten muss, wenn aufgrund der Vorbelastung die Immissionsrichtwerte überschritten werden. Dieses sogenannte Irrelevanzkriterium wird auch herangezogen, wenn, wie hier, die Vorbelastung nicht im Einzelnen untersucht worden ist. Obwohl das Landratsamt entgegen Nummer 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm einen Abschlag von nur 3 dB(A) gemacht hat, ist aber in Anbetracht der in der näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Vorbelastungen von einer Überschreitung des Immissionsrichtwerts von 60 dB(A) tagsüber durch das Vorhaben der Beigeladenen kaum auszugehen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, weil sie keinen eigenen Antrag gestellt und sich so auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben